The Story goes on - Forever - Hogwarts

Bibliothek

01.07.2007

“Seb… Seb, du warst immer für mich da, wie ich auch immer für dich da war. Das bedeutet mir so viel, weißt du. Ich habe Glück, einen Bruder wie dich zu haben, das weiss ich, und ich bin dankbar. Doch im Moment… Im Moment kann ich dich einfach nicht verstehen. Ich versuche es, ich versuche es wirklich. Ich versuche, mich in dich hinein zu versetzen, versuche, das Ganze so zu sehen, wie du es wahrnimmst. Aber Seb, ich verstehe es einfach nicht, ich verstehe nicht, wie deine Verachtung Cedric gegenüber für dich eine größere Rolle spielen kann als das Glück deiner Schwester.“
Er vernahm Susannahs tränenersticke Stimme. Sebastian sah in die verquollenen Augen seiner Schwester und suchte verzweifelt nach der Lebensfreude darin. Nach der liebevollen Persönlichkeit, die Sanna ausmachte, doch diese war nicht aufzufinden. Sie schien regelrecht mit der Hoffnung auf ein glückliches Ende in den Tiefen ihres Herzens begraben worden zu sein. Dabei wollte Sebastian nicht, dass sie ihre Hoffnungen für tot erklärte. Er war doch die Person, die diese Zweifel beseitigen sollte. Er war derjenige, der Susannahs Rückhalt personifizierte. Und in gewisser Weise war er auch der Junge, der sie über die Jahre der Trauer hinweg am Leben gehalten hatte.
Sebastian wollte nicht mitansehen, wie Sanna am Grab ihrer Hoffnungen trauerte. Doch akzeptieren, dass Cedric Malfoy ihre Träume wieder erstrahlen lassen konnte, nein, das würde der dunkelhaarige Gryffindor sicherlich nicht. Allein schon die widerliche Arroganz des Malfoys ließ so eine Bestätigung nicht zu. Dieser Hass, der zwischen den beiden Jungen stand, konnte auch nicht durch die Tatsache, dass Cedric die Liebe der Person gewonnen hatte, die Sebastian liebte, wie keine zweite, überbrückt werden. Sie schien soweiso von nichts und niemandem von ihrem zerstörerischen Weg abbringbar zu sein.
Schließlich war diese Fehde doch zerstörerisch, oder?
Wie sonst sollte man solch eine Blutsfeindschaft bezeichnen ohne in Wunschdenken zu verfallen?
Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, die Situation zwischen den beiden Familien blieb hoffnungslos. Und dabei war es nicht einmal sein Kampf. Nein, Sebastian bestritt ein aussichtsloses Rennen gegen die verschlossene Tür des Sieges - mit dem Kopf vorran -, nicht für ihn, sondern für seinen Vater. Für Harry Ehre, nicht für seine. Dabei wusste er doch, dass er niemals den Knauf finden würde, der ihm den Weg über die Türschwelle ebnen würde. Schließlich schien diese Möglichkeit der Erlösung schon vor Jahren ausgebrannt worden zu sein. Ausgebrannt, bis zum unwiderruflichen Ende. Und das bedeutete nunmal, dass es keinen Türknauf gab, der die Barrikade zwischen den Potters und Malfoys aufstoßen könnte. Also warum, warum zum Teufel, glaube Susannah, dass ihre Liebe dieses Hinderniss zwischen den beiden Familien überbrücken konnte? Eben diesen Hass, der sich seit nunmehr 30 Jahren tief in den Seelen der Beteiligten verwurzelt hatte.
Auch wenn es grausam klang, aber Wut erstickt Liebe. Die größte Hoffnung auf Besserung würde nichts bewegen können, schließlich beruhte Sannas Handeln ausschließlich auf einer gnadenlos unterlegenen Emotion. Auch wenn diese unangenehm klar und einschneidend auf Sebastian wirkte, so wusste der Junge, der seinem berühmten Vater leider viel zu ähnlich war, doch, dass diese Liebe seine Schwester zerstören würde. Wenn es dieses Techtelmechtel nicht tat, dann der Rest des Malfoyclans. Schließlich würde Pansy niemals akzeptieren können, dass ihr Lebenswerk von ihrem erstgeborenen Sohn in den Dreck gezogen wurde. All die Jahre der Intrigen und des Schmerzes wurden durch die aufkommenden Gefühle der beiden Sprösslinge in die Schussbahn gezerrt. Und Zweifel an den Eckpunkten ihrer Persönlichkeit, oder eher an ihrer öffentlichen Exitenz würden die Malfoys hundertprozentig nicht annehmen können.
Sebastian war sich sicher, dass Draco, wenn er denn noch leben würde, die geringste Akzeptanz an den Tag legen würde. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was der kaltblütige Kopf des Malfoyclans alles veranlassen würde, um diese Beziehung zu zerstören oder in welcher Gefahr sich Susannah dadurch befände. Aber auch wenn Draco nicht mehr lebte, so würde der Rest der Malfoys sicher nicht ruhen, ehe die Familienehre wieder hergestellt war. Nein, so ein Risiko würde der Gryffindor niemals eingehen können, allein schon seine Verantwortung als großer Bruder ließ das nicht zu. Was würde sein Vater nur sagen, wenn Sebastian tatenlos dem Ende seiner Schwester entgegensah?
Nein, es stand fest, alles Glück der Erde konnte nicht akzeptiert werden, wenn es Leben zerstörte. Schon gar nicht solch ein Glück, das gegen jegliche Naturgesetze verstieß und sich an veraltete Argumente klammerte. Also, auch wenn Sebastian sich gegen seine geliebte Schwester stellen musste und somit nur noch mehr Schmerz für alle beteiligten verursachte, nahm er das doch gerne in Kauf, wenn er dadurch Susannahs Leben rettete. Vielleicht konnte er ja so endlich wieder der schillernde Bruder sein, der er vor Jahren für die aufgedrückte Rolle des Vaters verworfen wurde.

“Wie kannst du nur so arrogant und herzlos sein deiner Schwester gegenüber? Siehst du nicht wie sie leidet? Das kann es doch echt nicht sein Potter. Wir gehören zusammen. Was willst du dagegen tun, hm?“
Sebastian würdigte dem überaus unhöflichen Slytherin keines Blickes. Beinahe hätte er in völlig vergessen. Die Gedanken des Hüters drehten sich ausschließlich um Susannah, seine unheilvollen Augen ruhten auf dem weichen Gesichtszügen der Gryffindor und waren auf eine Reaktion aus. Schließlich war Sebb nicht vollkommen blind. Natürlich sah er, dass Sanna seine Mimik nur allzu deutlich lesen konnte und dadurch ein genaues Bild seiner Gedanken vor sich hatte. So konnte sie zweifellos die Verrachtung in Sebastians grünen Augen lesen, die er Cedric in diesem Moment entgegenschleuderte. Dieser hatte nämlich seinen weißen Hemdkragen umfasst und riss diesen mit einem leichten Ruck zu sich heran. Ein leichtes Ziehen machte sich im Nacken des dunkelhaarigen Schülers breit. Seine Muskeln schienen sich zu verkrampfen, sodass er den leicht nach oben gerichteten Kopf nur kaum merklich schütteln konnte. Doch diese Geste unterstrich Sebb mit einem niederschmetterndem Blick, der Cedric auf kaltblütige Art und Weise klar machen sollte, was diese Aktion für Nachwirkungen hatte. Andererseite sah er dem Slytherin auch tadelnd entgegen, wie als wollte er einem Kleinkind zureden, dass gerade einen voraussehbaren Fehler began.
Dunkle Schatten umrandeten Sebastians Augen und wurden nur noch durch das pechschwarze Haar, das dem Gryffindor wie wild vom Kopf abstand, unterstrichen. Wie eine unheilvolle Salzsäule saß der Quidditchspieler auf dem Bibliotheksstuhl, den er auch nach der Ankunft des Slytherins nicht verlassen hatte, und zog einen perfektzionierten Gesichtsausdruck vor.
All das sollte Cedric klar machen, mit wem er es hier zu tun hatte – nicht mit einem siebzehnjährigen Jungen, sondern mit einer erwachsenen Person, die ihn jederzeit mit Muskel- oder Verbalkraft niederschmettern konnte. Und allein schon dieses gedankliche Gefühl der Überlegenheit verlieh Sebastian eine unglaubliche Bestätigung. Auch wenn es ein noch nicht verbuchter Sieg war. Aber Seb kannte seinen Rivalen nur zu gut, um zu wissen, wie man ihn ausschaltete. Wörter halfen da nicht viel, nein, bei Cedric zählten nur die knallharten Taten. Ganz im Gegensatz zu Susannah, die versuchte ihren eben noch hoch gelobten Malfoy zurückzuziehen. Dabei schien sie doch zu wissen, dass die beiden Jungen nicht ablassen würden, bis ein Sieger ermittelt war. Und eben dieser Sieger würde indirekt auch Sanna gewinnen können.
Also hieß es, auf jeden Fall zu siegen. Jede Schwäche des anderen musste ausgenutzt werden, um einen Vorsprung zu erhaschen. Und Sebastian wusste, wie er seinen Rivalen zur Weißglut bringen konnte. Ja, wenn seine Schwester sehen könnte, wie grausam ihr Cedric doch sein konnte…

In der Bibliothek herrschte eine zerreißende Stille. Die unzähligen Schüler in Madame Pinnes Reich hatten allesamt von ihren Tätigkeiten abgelassen und beobachteten nun die Auseinandersetzung der drei Streithähne. Mehrere Augenpaare waren starr auf die beiden Potters und den Malfoy gerichtet, doch niemand schien das Wort ergreifen zu wollen. Alle waren auf Sebastians Reaktion erpicht. Man hätte mühelos eine Stecknadel fallen hören können. Die zerreißende Stille wurde nur durch ein langezogenes Quietschen des Stuhls durchzogen, als Sebastian sich in einem bedächtigen Tempo erhob und dem um einige Zentimeter kleineren Cedric entgegenfunkelte. Ruckartig packte die kräftige Hand des Gryffindors das Handgelenk des blonden Jungens und riss diese von seinem Kragen los. Doch Sebastian behielt seinen schmerzenden Griff bei, sodass er Cedric inzwischen schon das Blut abschnüren musste. Aber es war ihm egal. Malfoy hatte es schließlich darauf ausgelegt.
Ein unheilvolles Raunen ging durch die Menge, als Sebb schließlich etwas völlig unerwartetes tat. Ja, vielleicht hatte man damit gerechnet, dass spätestens jetzt eine handgreifliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Schülern ausbrechen würde, doch es sollte anders kommen.
Sebastian löste seinen Griff. Wie, als wäre Cedric einfach nicht mehr vorhanden, wandt der dunkelhaarige Gryffindor sich von ihm ab und würdigte dem Malfoy keines weiteren Blickes. Ja, er wusste wie er Cedric traf. Diese offenkundige Nachricht, die den Slytherin vor den Massen der Schüler blosstellte und ihn auf eindeutige Art und Weise beleidigte, war unmissverständlich ausgetauscht. Jeder konnte sehen, dass Sebastian es nicht für nötig hielt ein weiteres Wort mit dieser nicht würdigen Person zu wechseln – war es nun aus reinem Trotz, Stolz oder der Gewissheit, dass Cedric diese Geste nicht unbeantwortet ruhen lassen würde.

Neutral dreinblickend trat Sebb seiner Schwester gegenüber. Er wusste, dass sie diskusionsfähig war, also würde ein weiterer Appel an ihr Gewissen mehr bewirken, als eine Ausseinandersetzung mit Cedric. Dieser war schließlich nur auf Gewalt aus. Susannah dagegen bezog ihre Stärke aus Worten und das zeichnete sie als intelligente Persönlichkeit aus. Wenn Sebb also etwas bewegen wollte, musste er sich an seine Schwester wenden und nicht an ihren anhänglichen Proll.
„Du weißt, was das für uns bedeutet.“ Emotionslos blickte er seiner Schwester entgegen. „Für Mom und mich, und vor allem für Dad. Sei dir bewusst, dass du zwei Familien zerstörst.“ Wieder legte der Hüter eine bewusste Pause ein und ließ den Blick seiner leblos wirkenden grünen Augen auf Susannah ruhen. „Ich werde meine Meinung nicht ändern, das weißt du. Auch wenn ich damit dein Glück abweise, ich werde es nicht akzeptieren, dass du dich selbst in Gefahr bringst.“
Sebastian legte den kantigen Kopf schief und ließ seiner Schwester freie Sicht auf sein Gefühlsleben. Sie würde es verstehen, schließlich war sie sozusagen ein Teil seiner selbst.
Sie musste verstehen.



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26.8.08

„Einen schönen guten Abend, Madame Pince“ erklang die dunkle, etwas raue Stimme eines hochgewachsenen jungen Mannes und erfüllte klar und volltönend die von hohen Steinmauern eingerahmte und um diese Uhrzeit nahezu totenstille Bibliothek des Schlosses, die der Grüßende soeben betreten hatte.
Das fahle Licht der Dämmerung fiel durch die altmodischen Glasfenster in die ehrwürdigen Räumlichkeiten und tauchte die schmalen Gänge zwischen den Bücherregalen nahezu in völlige Dunkelheit. Es war schon spät, verdammt spät, wie Logan Munroe, jener höflich grüßende Junge, der die Bibliothek zu so weit vorangeschrittener Stunde aufgesucht hatte, mit einem Blick auf seine teure Armbanduhr feststellte.
„Sie Ärmste haben wohl noch immer keinen Feierabend. Haben sie denn überhaupt mitbekommen, wie Claire Weasley die erste Aufgabe des trimagischen Turniers gewonnen hat?“ erkundigte er sich zuvorkommend, rückte den breiten Schultergurt seiner ledernen Tasche zurecht und bedachte die Bibliothekarin mit einem milden, freundlichen Lächeln. Sie war wahrhaftig nicht die charmanteste oder angenehmste Zeitgenossin, doch ihm gegenüber hatte sie sich stets tadellos verhalten, hatte ihm Bücher rausgesucht und für ihn zurückgelegt, so dass Logan mal wieder die Annahme bestätigt sah, dass man doch stets so behandelt wurde, wie man selbst auch andere behandelte. Ein Spiegel der etwas anderen Art.
Die ausgesuchte Höflichkeit, mit der er der verschrobenen Bibliothekarin immer begegnete, hatte sich also bezahlt gemacht. Auch wenn viele etwas anderes von ihm behaupten würden, tatsächlich war es keineswegs nur Berechnung, die ihn motivierte, doch er freute sich dennoch, wenn seine gute Erziehung bei anderen einen bleibenden Eindruck hinterließ, der ihm dann Vorteile verschaffte.
Es war wohl als feststehende Tatsache zu betrachten, dass jeder seine Vorteile und seine Chancen nutzte, weswegen Logan es nicht als Schande oder als Unrechtmäßigkeit betrachtete, dies auch zu tun und sich von niemandem vorwerfen ließ, berechnend zu handeln.
„Ich gebe gleich noch eine Nachhilfestunde, aber ich wünsche Ihnen schon einmal einen schönen Feierabend, sie haben ihn sich verdient.“ Logan hob die Hand zu einem kurzen Abschiedsgruß, bevor er gemütlichen aber aufrechten Schrittes zwischen den Bücherregalen entlang schlenderte, um zu den am Ende des Raumes aufgestellten Tischen zu gelangen, an einem derer er seine Nachhilfeschülerin nun erwarten wollte.

Cornelia Hathaway.
Ein Name, der durchaus klangvoll war und der einen Hauch von antiker Anmut vermittelte. Doch Logan wusste es leider besser. Das Mädchen, welches sich hinter diesem Namen verbarg, nannte nicht viel von der Eleganz, die ihr Nachname in früheren Jahrhunderten bedeutet hatte, ihr Eigen. Nun, vielleicht war sie eine sehr entfernte Nachfahrin Anne Hathaways, der späteren Frau William Shakespeares, doch Glanz und Anmut ihrer Namensvetterin hatte sie, sollte über die Jahrhunderte eine Verwandtschaft bestehen, keineswegs geerbt.
Logan musste zugeben, dass er nicht viel über das Mädchen aus Gryffindor wusste, das seinem Professor Vektor zufolge so nötig Nachhilfe in Arithmantik benötigte, doch er hatte sie bereits einige Male in den Schulstunden gesehen und hatte über ihr ungehobeltes Auftreten lediglich den Kopf schütteln können.
Er verspürte von jeher eine tiefe Abneigung gegen Mädchen, die sich nicht auch wie Mädchen benahmen und anzogen, eine Abneigung, die er, seiner tadellosen Kinderstube sei Dank, niemals offen zur Schau tragen würde und die er nur mit sich selbst ausmachte, doch es war eine Abneigung, die auch dafür gesorgt hatte, dass Cornelia Hathaway weit unter seinem Radar flog. Ja, er nahm sie in der Tat kaum wahr, wenn dies sich ab und an auch schwierig gestaltete, bedachte man doch ihr lautes Lachen und ihre oft abenteuerlich bunt gefärbten Haare, was jedoch Merkmale waren, die Logan, wenn er sie denn überhaupt wahrnahm und ihnen eine Gefühlsregung zuordnen sollte, allerhöchstens als störend empfand.
Vorsichtig stellte der brünette Schüler, der seine sportliche Statur am heutigen Abend in legere aber dennoch außerordentlich geschmackvolle Muggelkleidung gehüllt hatte, seine lederne Umhängetasche neben dem Tisch ab, an den er einen Stuhl rückte, auf den er sich setzte, was ein leises Knarren des alten Holzes nun auch Madame Pince wissen ließ, die jeglichen Lärm doch so sehr hasste und ahndete.
Entschuldigend hob Logan eine Hand und verspürte sogleich den Schmerz in seiner linken Schulter, den er einem unglücklichen Reitunfall in den Ferien zu verdanken hatte. Leicht verzog er sein ansonsten hübsches, markant gezeichnetes Gesicht und rieb sich die schmerzende Schulter mit der anderen Hand, während sein Blick erneut auf die Uhr wanderte.
Sie war zu spät, bereits mehrere Minuten.
Nun gut, er hatte es kaum anders erwartet, doch es ärgerte ihn trotzdem. Es war doch keineswegs eine Selbstverständlichkeit, unentgeltlichen Nachhilfeunterricht zu erteilen, wenn man mit demjenigen, der die Hilfe benötigte, nicht befreundet war.
Und er kannte Cornelia kaum.
Was dachte sie sich nur dabei, bei ihrem ersten Treffen zu spät zu erscheinen?
Kümmerte es sie denn gar nicht, was er für einen Eindruck von ihr hatte?
Ein leiser Seufzer entfuhr seinen dünnen Lippen, während er vorsichtig versuchte, seine lädierte Schulter vor- und zurückzurollen. Es schmerzte, doch es war nicht nur ein körperlicher Schmerz. Auch die finsteren Erinnerungen an jenen Tag, an dem er, zum ersten Mal seit seinen ersten Reitversuchen in jüngster Kindheit, vom Pferd gefallen war, zerrten und rissen an ihm.
Seine Eltern. Seine Schwester - Seine Großeltern. Seine Mutter.
Es war absurd, absurd und unfair. Man hatte ihn belogen und betrogen, das wusste er jetzt. Doch, auch wenn es vielleicht feige erscheinen mochte, so hätte er es doch lieber nie erfahren. Er, Logan Dermid Munroe, hatte das perfekte Leben gelebt, in dem einfach alles gestimmt und in dem es ihm an nichts gefehlt hatte.
Und plötzlich sollte all das eine Lüge sein.
Er hätte den Salon an diesem schicksalhaften Tag nicht betreten sollen. Er hätte Meaghan und Edna, es war im Moment einfacher, sie nur beim Vornamen zu nennen und nicht mit familiären Titeln zu versehen, nicht streiten gehört. Und er wäre nicht so kopflos durch das Gewitter geritten, hätte nicht den schweren Ast gegen die nun noch immer schmerzende Schulter geschlagen bekommen, den ein kräftiger Windstoß ihm ebenso rücksichtslos entgegengeschmettert hatte wie seine Familie ihn belogen hatte.
Der Schmerz hatte noch immer nicht nachgelassen, obwohl Wochen und Monate vergangen waren. Vielleicht, weil er diesen Schmerz brauchte, um jenen finsteren Tag nicht aus seinem Gedächtnis zu löschen. Denn genau das hätte er nur zu gern getan.
Warum war seine Nachhilfeschülerin so spät dran?
Warum gab sie ihm Zeit, über Dinge nachzudenken, die zu ändern nicht in seiner Macht stand?
Grimmig biss der wohlhabende Junge sich auf die Unterlippe und schloss kurz die tiefen, von langen Wimpern eingerahmten, braungrünen Augen, die seinem aristokratischen Gesicht etwas Weiches gaben.
Fast schon stur wirkte es, wie er seine muskulösen Arme, gehüllt in ein weißes Hemd mit dünnen hellgrauen Streifen, das irgendein französischer Muggel entworfen hatte, der dafür mehr Geld gesehen hatte, als manchen Familien im Monat zur Verfügung stand, nun vor seiner breiten Brust verschränkte und hörbar ein und aus atmete.
Manchmal war er dankbar für die nahezu bedingungslose Rationalität, die Teil seines Wesens war und die es ihm nun erlaubte, seine Gedanken von dem einzigen Thema, das in der Lage war, ihn wirklich aufzuregen und zu belasten, fort zu lenken. Er gehörte nicht zu jenen Menschen, die ewig über Dinge grübelten, die doch einfache Tatsachen waren, die es zu akzeptieren galt. Er wollte nicht zu ihnen gehören.
All die Lügen. Sie waren lange vor seiner Geburt beschlossen worden. Und auch nun, da er von ihnen wusste, würde sich doch eigentlich rein gar nichts ändern. Nicht in den Augen aller anderen, für die er noch immer der Sohn von Cormag und Edna Munroe war, der reiche Erbe des Familienimperiums.
Und nichts anderes wollte er auch sein.




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wie die sonne den kometen
wegzieht von seiner bahn
wie der felsblock zu dem fluss sagt
fließ woanders hin
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wie ein schiff erfasst vom sturmwind,
das die richtung verliert
und ein nie gesehnes ufer gewinnt
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28.08.2008

Die Dunkelheit hatte schon Einzug gehalten auf den schottischen Länderein der alten Schule und alle Fenster des Schlosses waren bereits hell erleuchtet, während die meisten der Schüler sich in ihren Gemeinschaftsräumen oder Schlafsälen befanden und den Abend des Turniers gemütlich ausklingen ließen. Die meisten aller Schüler – denn einige waren noch immer in den Gängen unterwegs, trafen sich mit Freunden oder gingen ihren persönlichen Geschäften nach und so auch Cornelia Hathaway, die sich entnervt auf dem Weg in die Bibliothek befand. Sie hätte tausend andere Sachen gewusst, die sie lieber gemacht hätte, als die Bibliothek zu besuchen, doch es half alles nichts. Sie musste, ob sie nun wollte oder nicht, dort einen ihrer Mitschüler treffen, der ihr Nachhilfe in Arithmantik geben sollte. Ihrem schlechtesten Fach. Professor Vektor war vor einigen Tagen an sie herangetreten mit der Nachricht, dass sie sich nicht noch mehr schlechte Noten erlauben konnte. Er hatte ihr seinen besten Schüler in diesem leidigen Fach empfohlen. Und so musste sie ihren Abend damit verbringen, sich von einem langweiligen Jungen ein noch langweiligeres Fach erklären zu lassen, konnte man sich etwas Besseres vorstellen?
Es war schon viel zu spät am Abend, zu spät um etwas zu lernen, doch es half alles nichts. Ganz nebenbei war auch sie viel zu spät, doch das kümmerte sie wenig. Sollte doch dieser blöde Nachhilfelehrer auf sie warten, das würde er sicherlich verkraften. Und wenn nicht – sein Pech!
Unsanft stieß Nell bei diesen Gedanken die gigantische Flügeltür auf, welche zur Halle des Wissens von Hogwarts führte und erntete für dieses Verhalten sogleich einen unfreundlichen Blick von Madame Pince, der Bibliothekarin, die sie wohl noch nie sonderlich hatte leiden können. Nun ja, viele Leute konnten Nell aufgrund ihrer direkten und oftmals unfreundlichen Art nicht leiden, was kümmerte sie da die schrullige Bibliothekarin? Die Gryffindor murmelte ein gedämpftes „Abend“ in Richtung der älteren Dame und ging in großen Schritten an ihr vorbei. Höflichkeit war noch nie ihr Steckenpferd gewesen, da, wo sie herkam, konnte man es mit einer höflichen Art alleine nicht weit bringen. Es war mehr als verschwendete Zeit und auch wenn Nell wusste, dass sie sich schon lange nicht mehr auf der Straße in ihrem alten Wohnort sondern in einer Schule voller mehr oder weniger normalen Menschen befand, so hatte sie doch ihr Wesen niemals geändert.

Zielsicher schritt die Schülerin mit dem blonden Haar, unter dem eine einzige, violette Strähne hervorstach die langen Reihen der Regale ab und steuerte schließlich auf einen der kleinen Tische, die in der Bibliothek standen, zu. Dort saß er bereits – Logan Munroe, ihr Nachhilfelehrer. Logan war aus Ravenclaw, soviel wusste Nell und er besuchte wie sie das letzte Jahr in Hogwarts, doch viel hatten sie nie miteinander zutun gehabt, sie kannten einander nur vom flüchtigen Sehen beim Unterricht oder beim Essen, nie hatten sie den anderen mehr Beachtung geschenkt als einen flüchtigen Blick geschweige denn eine Unterhaltung. Sein markantes, seltsam edles Gesicht mit den markanten Zügen, den braungrünen Augen und den sanft geschwungenen Lippen war ihr zugewandt, sein Mienenspiel zeugte von Missbilligung ihrer Unpünktlichkeit. Sein kurzes, dunkles Haar war leicht zerzaust, was seiner eleganten Erscheinung jedoch keinen Abbruch tat und sein tiefschwarzer Schulumhang saß makellos an seinem wohlproportionierten Körper. Seine gesamte Erscheinung wirkte makellos. Alles an ihm, sein Gesichtsausdruck, seine Art, seine Kleidung, alles war perfekt. Er war zu perfekt, zu makellos, als dass sie ihn hätte beachten wollen. Ein langweiliger Zeitgenosse, der keine Ahnung von der Realität hatte. Sie hatte vom ersten Augenblick an gewusst, dass sie ihn nicht ausstehen konnte.

„Hi.“, sagte Nell mit rauer Stimme und ließ sich ohne ein Wort der Entschuldigung für ihre Verspätung auf den Stuhl fallen, der dem Ravenclaw gegenüber stand. Ihre Schultasche, die sie mit sich getragen hatte, warf sie unachtsam auf den abgenutzten Teppichboden des Raumes, ehe sie beide in engem Jeansstoff steckenden Beine auf einen dritten Stuhl, der an dem kleinen, runden Tisch stand, legte. Dabei schlug sie ihren alten, stellenweise mehrmals geflickten Umhang zurück, sodass der schwarze Pullover mit der Aufschrift „The Ramones“, den sie trug, sichtbar wurde. Sie strich ihre violette Haarsträhne hinters Ohr und blickte Logan gelangweilt mit ihren graublauen Augen an.
„Könntest du dich bitte kurzfassen? Ich kann mir nämliche angenehmere Aktivitäten vorstellen, um meinen Abend zu verbringen.“, sagte sie und zog ein kleines Päckchen Tabak aus einer ihrer Umhangtaschen. Dann begann sie, mit flinken Fingern eine Zigarette nach der anderen zu drehen. Nicht, dass sie vorhatte, in der Bibliothek zu rauchen – so viel Anstand besaß selbst Nell und ob man es glaubte oder nicht, vor der Literatur hatte sie stets Achtung gehabt. Doch das Rauchen war ihr Laste, seit sie mit neun Jahren zum ersten Mal an einer Zigarette gezogen hatte. Einmal hatte sie versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, doch schon nach zwei Tagen hatte sie dieses Vorhaben aufgegeben und war zu ihren alten Gewohnheiten zurückgekehrt. Sie beachtete Logans empörtes Gesicht gar nicht und fuhr seelenruhig mit ihrer Arbeit fort, er war kein Mensch, auf dessen Meinung sie großen Wert gelegt hätte. Wenn er schon beim Anblick von Zigaretten Empörung empfand, was würde er dann erst sagen, wenn er wüsste, was sie schon alles erlebt, was sie schon alles getan hatte? Vermutlich würde er ohnmächtig werden. Diese Vorstellung bereitete Nell Freude.

Einige Augenblicke eisigen Schweigens vergingen, bis Nell den Kopf hob und ihr Gegenüber entnervt anblickte. Warum bekam denn der Kerl die Zähne nicht auseinander, hatte er nicht verstanden, dass sie diesen teil des Abends möglichst schnell hinter sich zu bringen gedachte?
„Na, was ist denn nun?“, fragte sie mit genervtem Unterton und beugte sich ein Stück vor, um Logan besser fixieren zu können. Sie tippte auf eines der Bücher auf dem Tisch und fuhr dann fort: „Los, jetzt fang schon an oder willst du etwa, dass wir hier Wurzeln schlagen?“





.:|Cornelia 'Nell' Hathaway. Seventeen. 7th class. Gryffindor. [Wannabe]Musician|:.
Where did the blue sky go? And why is it raining so?
.:|No risk, no fun. Colorful. Don't dare me. Musical. Rebellious|:.
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I hate you I hate you I hate you I hate you
And still there's something about you
Making my heart beat faster
[For you?]

Call me. Emmy. Claire. Erin. Lynn. Summer. Leilani. If you want.

30.8.08

Kurz nur hob Logan den Blick von seinen Unterlagen, die er dabei war so zu sortieren, dass sie mit ihrer Nachhilfestunde schnell würden beginnen können, als er mitbekam, dass eine weitere Person die Bibliothek betreten hatte.
Es war kein weiterer Blick nötig, um zu registrieren, dass diese Person Cornelia Hathaway war, eben jenes Mädchen, auf das er nun schon seit einigen Minuten wartete. Genau dreizehn Minuten waren es, wie er mit einem flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr feststellte. Immerhin so lange, dass es ihm gelungen war, vier verschiedene Bücher über Arithmantik an den richtigen Stellen aufzuschlagen, seine Unterlagen aus den vergangenen Stunden herauszusuchen und eine Feder, wie auch einige Bögen Pergament, für Notizen zurechtzulegen.
Kurzum, er war bereit.
Nun, zumindest wäre er bereit gewesen für einen willigen Nachhilfeschüler. Für jemanden, der den tatsächlichen Wunsch hatte, sich und seine schlechten Noten zu verbessern und der engagiert war, zumindest ein bisschen. Doch Cornelia, gekleidet in einen Umhang, dessen schludriges Aussehen Logan fast körperliche Schmerzen bereitete, drückte bereits durch ihre bloße Körperhaltung auf dem Weg zu dem Tisch, an dem Logan saß, aus, was sie davon hielt, dass sie ihren Abend nun mit arithmantischen Fragestellungen verbringen sollte.
Einerseits verstand der brünette Ravenclaw dies ein wenig, hätte doch auch er seinen Abend gerne anders gestaltet, doch ein weit größerer Teil von ihm fiel einer stillen Wut anheim, die sich gegen die stoische Gleichgültigkeit seiner Schülerin richtete.
„Hi.“ grüßte diese ihn nun einsilbig und ließ sich recht undamenhaft auf den freien Stuhl an seiner Seite plumpsen. Den doch ohnehin schon nicht all zu guten Eindruck, den Logan von ihrer Erscheinung hatte, komplettierte die blondgefärbte Gryffindor dadurch, dass sie ihre in billigen Schuhen steckenden Füße auf die Sitzfläche eines weiteren freien Stuhl legte und in aller Seelenruhe begann, Zigaretten zu drehen.
Logan hasste es, wenn Frauen sich so verhielten. Nein, er hasste es, wenn Menschen sich generell so verhielten. Man legte seine Füße nicht auf Stühle oder Tische, auch nicht aus Bequemlichkeit. Er wusste jetzt schon, dass sie den Dreck, den ihre Schuhe zweifellos hinterlassen würden, nicht beseitigen würde. Und am nächsten Tag würde sich ein nichtsahnender Schüler auf diesen Stuhl setzen und den Umhang verdrecken – keine besonders schöne Vorstellung für jemanden wie Logan, der auf Sauberkeit gesteigerten Wert legte.
Cornelia jedoch schien seine Sorgen um die Sauberkeit der Umhänge ihrer Mitschüler nicht zu teilen und riss auch ihn mit ihren patzigen Worten aus diesen Gedanken.
„Könntest du dich bitte kurz fassen? Ich kann mir nämlich angenehmere Aktivitäten vorstellen, um meinen Abend zu verbringen.“
War das ihr Ernst? Logan hatte zwar damit gerechnet, dass sie keine Lust auf die Nachhilfe haben würde, was sie durch ihr zu spätes Erscheinen und ihr Auftreten noch bestätigt hatte, doch die Dreistigkeit, mit der sie ihn nun fragte, ob er die Nachhilfestunde wohl möglichst kurz gestalten könnte, überraschte ihn dennoch. Er wusste nicht, was schwerer wog, war es nun die Empörung darüber, dass sie es anscheinend kein bisschen zu schätzen wusste, dass er ihr einen freien Abend opferte, oder war es doch der Schock darüber, dass dieses Mädchen anscheinend keinerlei Erziehung genossen hatte und nicht den Hauch einer Ahnung zu haben schien, wie man sich Menschen gegenüber verhielt, die einem einen Gefallen tun wollten.
„Einen schönen guten Abend wünsche ich dir, Cornelia. Schön, dass du den Weg in die Bibliothek doch noch gefunden hast. Zugegeben, nach erst sieben Schuljahren kann man sich da schon mal schwer tun.“ Logan begrüßte das Mädchen mit einem milden, bemüht freundlichen Lächeln und war innerlich mit sich selbst zufrieden. Er war recht freundlich geblieben und hatte seinem Ärger tatsächlich lediglich durch ein wenig Ironie Ausdruck verliehen. Seiner Wut nachzugeben hätte keinen Sinn gemacht. Wenn sie streiten würden, würden sie nur noch länger hier sitzen müssen, zumindest ihm war das klar.

„Pass auf, kurz fassen werde ich mich bestimmt nicht, aber ich kann dir etwas anderes vorschlagen.“ setzte er an und schob seinen attraktiven Oberkörper ein wenig in ihre Richtung, um ihr in die Augen sehen zu können. Blaugrau und deutlich entnervt strahlten diese ihm entgegen, es waren schöne große Augen, die wohl das einzige an ihrem ansonsten recht herben Gesicht waren, das ihr etwas zartes und nahezu verletzliches verlieh. Ablenken ließ Logan sich davon jedoch nicht, er hatte schon Mädchen gesehen, die weit hübscher waren als sie, außerdem entsprach ihr Charakter so wenig dem, was er als angenehm empfand, dass auch die schönsten Augen dies niemals hätten ausgleichen können.
„Cornelia, ich kann Professor Vektor gerne sagen, dass du an Nachhilfestunden nicht interessiert bist. Ich frage mich ohnehin, warum du ihm das nicht schon selbst gesagt hast. Ich könnte das auch noch weiter führen und mich fragen, wie er überhaupt jemals auf die Idee gekommen ist, du könntest etwas für Nachhilfestunden übrig haben, aber lassen wir das. Ich bin hier und ich bin bereit, dir alles zu erklären, was du wissen möchtest. Wenn du jedoch gar nichts wissen möchtest, dann lassen wir das eben.“
Offen und fragend blickte Logan dem blonden Mädchen ins Gesicht. Er kannte sie nicht, wie ihm erst jetzt wirklich bewusst wurde, obwohl sie seit sieben Jahren dieselben Kurse besuchten. Er kannte ihren Namen und wusste, dass sie fast jede Woche eine neue Haarfarbe hatte – mehr nicht. Er wusste nicht, ob sie einen dümmlichen Spitznamen hatte, Conny oder so etwas, er wusste nicht, ob sie Geschwister hatte. Familie. Ein ohnehin so leidiges Thema. Kurz schüttelte Logan den Kopf, um den Gedanken, die mit dem Thema Familie doch unweigerlich verbunden waren, gar nicht erst Raum zu bieten.
„Also, für den Fall, dass du dich dazu entschließen solltest, den Abend zum Lernen zu nutzen, habe ich dir meine Aufzeichnungen der bisher vergangenen Unterrichtsstunden dieses Schuljahres mitgebracht, da ich davon ausgegangen bin, dass du selbst wahrscheinlich nicht mitgeschrieben hast.“ …und wahrscheinlich auch nicht aufgepasst fügte er in Gedanken hinzu, lächelte jedoch weiterhin zuvorkommend und schob Nell einen beträchtlichen Stapel ordentlich sortierter Pergamente zu, ein jedes davon war in seiner ordentlichen, kleinen Handschrift mit Formeln und Tabellen beschriftet, die immer wieder von sauber notierten Erklärungen unterbrochen wurden. Er war strebsam, ja, noch dazu war Arithmantik sein erklärtes Lieblingsfach, doch mit seinen ausführlichen Aufzeichnungen hätte man tatsächlich Bücher füllen können.
„Ich weiß nicht, wo genau deine Schwächen liegen, also solltest du mir vielleicht erstmal erzählen, wann deine Schwierigkeiten angefangen haben“ bat Logan, lehnte sich in seinem Stuhl ein wenig zurück, um so den Abstand zu seiner Nachhilfeschülerin zu erhöhen und rückte seinen Krawattenknoten zurecht. Zwar war es bereits Abend, so dass die Schüler ihre Uniform nicht mehr tragen mussten, doch die blau-graue Krawatte, die ihn als Ravenclaw auszeichnete, trug Logan auch jetzt noch, zumal sie gut zu seinem edlen Hemd passte.
„Wenn du erst seit diesem Jahr nicht mehr mitkommst, dann reicht es, wenn wir meine Notizen durcharbeiten“ erklärte er und deutete mit einer fahrigen Handbewegung auf den Stapel, der sich vor Nell bedrohlich auf dem Tisch auftürmte. „Aber wenn du schon länger Schwierigkeiten hast, dann haben wir natürlich eine ganze Menge mehr an Arbeit vor uns.“ Mit einem fast bedauernden Lächeln hob er seine breiten Schultern.
Er konnte nichts dafür, es lag nicht an ihm, dass Nell drohte, in Arithmantik durchzufallen. Und es war leider nicht legitim, ihr das nötige Wissen einfach in den Kopf zu zaubern. Abgesehen davon hätte Logan auch ohnehin nicht gewusst, wie ein solcher Zauber von statten gehen sollte. Also blieb ihr nur das Lernen, was für ihn selbst jedoch zugleich auch bedeutete, dass er noch weitere Abende mit ihr hier würde verbringen müssen, ob ihm dies nun gefiel oder nicht.
Hätte sie mehr Engagement gezeigt, so wäre auch seine Begeisterung für die Nachhilfestunden größer, das wusste er. Es machte einfach viel mehr Spaß, einem wissbegierigen Schüler etwas beizubringen als jemandem, der sich herzlich wenig für den Stoff zu interessieren schien – und Nell war die Ablehnung in Person.
„Dann erzähl mir mal die Geschichte von Cornelia Hathaway und den holden Künster der Arithmantik“ bat Logan, lächelte leicht und erwischte sich dabei, wie er ihr zuzwinkerte und nahm sich vor, sich von ihrer abweisenden Art nicht weiter provozieren zu lassen.
Sie war anders als er, anders als die meisten Menschen, zu denen er näheren Kontakt pflegte, doch der Umstand, dass sie in seinem besten Fach eine schlechte Schülerin war, hatte sie nun einmal zusammengeführt. Es galt also, das Beste daraus zu machen. Ein weiterer Umstand, der durch beidseitiges Bemühen hätte erleichtert werden können.
Doch auf Bemühungen, das hatte Logan schon erkannt, musste und durfte er bei Nell nicht hoffen.








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wie die sonne den kometen
wegzieht von seiner bahn
wie der felsblock zu dem fluss sagt
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wie ein schiff erfasst vom sturmwind,
das die richtung verliert
und ein nie gesehnes ufer gewinnt
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31.08.2008

Es war nicht etwa so, dass Nell nicht wusste, dass sie die Nachhilfe dringend nötig hatte, sie war auch bereit, ihre Noten verbessern zu wollen, doch sie fühlte sich in Logans Gegenwart einfach nicht wohl. Sie waren einfach zu verschieden.
Nell hatte es schon vom ersten Augenblick an bemerkt, allein schon an der Art, wie Logan dort saß, mit seiner Feder und dem Pergament in den Händen, seine Aufzeichnungen der letzten Stunden säuberlich vor sich gestapelt, war er der genaue Gegensatz von dem, was sie ausmachte. Sie war unordentlich, störrisch und keineswegs strebsam. das einzige Schulfach, für das sie je etwas getan hatte war gleichzeitig auch das einzige Fach, das sie interessierte –Zauberkunst- und in dem sie regelmäßig Bestnoten erhielt. Sie sah nicht ein, für etwas zu lernen, das für sie keinen Nutzen hatte. Und um sich in ihrem späteren Leben der Musik zu widmen brauchte sie sicherlich keine lächerlichen Zahlenreihen und schon gar keine Tabellen. Wieder einmal mehr fragte sie sich mit einem innerlichen Aufstöhnen, weshalb sie Arithmantik überhaupt gewählt hatte, während sie bemerkte, dass ihr Gegenüber Mühe hatte, bei ihren schroffen Worten seine Gesichtszüge unter Kontrolle zu halten. Nur in seinen Augen waren die Empörung und das ansatzweise Entsetzen zu lesen, dass er empfand, als sie ihm unverblümt mitteilte, dass sie im Grunde genommen überhaupt keine Lust verspürte, sich jetzt über Arithmantik zu unterhalten. Fast erwartete sie, Logan würde sie anschreien, aufstehen und einfach gehen, was ihr zweifellos nicht unrecht gewesen wäre.
Doch Logan lächelte nur.

„Einen schönen guten Abend wünsche ich dir, Cornelia. Schön, dass du den Weg in die Bibliothek doch noch gefunden hast. Zugegeben, nach erst sieben Schuljahren kann man sich da schon mal schwer tun.“, sagte er freundlich und vollkommen ruhig, mit einem milden, nachsichtigen Lächeln. Für einen Augenblick sah Nell ihr Gegenüber verwirrt an. Wieso blieb er so ruhig, wenn sie ihm nicht gerade freundlich zu verstehen gab, dass sie ihm Grunde genommen weder auf ihn noch auf seine Hilfe großen Wert legte? Wie man so gelassen und freundlich bleiben konnte war Nell ein Rätsel, sie selbst wäre vermutlich sogleich auf die offensichtliche Provokation eingegangen. Logans Lächeln irritierte sie mehr als es unfreundliche Worte jemals könnten. Die war sie nämlich gewohnt.
„Cornelia, ich kann Professor Vektor gerne sagen, dass du an Nachhilfestunden nicht interessiert bist. Ich frage mich ohnehin, warum du ihm das nicht schon selbst gesagt hast. Ich könnte das auch noch weiter führen und mich fragen, wie er überhaupt jemals auf die Idee gekommen ist, du könntest etwas für Nachhilfestunden übrig haben, aber lassen wir das. Ich bin hier und ich bin bereit, dir alles zu erklären, was du wissen möchtest. Wenn du jedoch gar nichts wissen möchtest, dann lassen wir das eben.“
Nell merkte bei Logans nächsten Worten auf und nahm sogar ihre in zerschlissenen Stoffschuhen steckenden Füße vom Stuhl neben sich, um sich besser zu Logan vorbeugen zu können. Sie fixierte ihn mit ihren großen, dunkel umrahmten Augen. Sein perfektes Gesicht war ihr zugewandt und der Blick seiner dunklen Augen traf den ihren. Er meinte ernst, was er soeben gesagt hatte. Mit einem Mal war Nell nicht mehr so gleichgültig, in ihrem Inneren brach beinahe eine leichte Panik aus. Wenn sie Logan vergraulte, so wurde ihr klar, konnte sie ihre Note in Arithmantik vollends vergessen. Wenn sie in Arithmantik durchfiel, würde sie vielleicht das letzte Schuljahr nicht schaffen. Und sie wusste nicht, ob ihre Eltern ihr ein weiteres Jahr in Hogwarts finanzieren konnten…
„Jetzt dreh mal ’nen Gang runter und sei nicht gleich eingeschnappt, nur weil mal jemand nicht so begeistert von dir und deiner Gegenwart ist.“, sagte Nell eilig und hob beschwichtigend ihre schmalen Hände, deren Fingernägel mit violettem Nagellack geziert wurden. Für einen kurzen Moment hielt sie noch den Blickkontakt zu Logan, ehe sie sich abwandte und den kleinen Stapel gedrehter Zigaretten in den Taschen ihres Umhangs verschwinden ließ.
„Krieg dich mal wieder ein. Ich will es ja lernen“, versicherte sie ihm und fügte dann etwas leiser hinzu: „Mir bleibt ja auch nichts anderes übrig…“

„Dann erzähl mir mal die Geschichte von Cornelia Hathaway und den holden Künsten der Arithmantik“ Logan schob einen Stapel fein säuberlich beschriebener Pergamentblätter zu Nell hinüber und blickte sie bittend an. Wenig begeistert warf die Schülerin einen Blick auf den Stapel, der sicherlich ein ganzes Buch gefüllt hätte, und blickte dann wieder zu dem Ravenclaw auf und erwischte diesen dabei, wie er ihr lächelnd zuzwinkerte.
Nell erwiderte diese Geste nicht. Versuchte er etwa, mit ihr zu flirten? Sogleich verwarf Nell diesen Gedanken wieder, sie war sicherlich – und Gott sei Dank – nicht der Typ Frau, auf den ein Junge wie Logan Munroe stehen könnte. Und selbst wenn – er war sicher nicht der Typ Mann, den sie bevorzugte.
„Also zu allererst: Wenn du mich noch einmal Cornelia nennst, dann stopfe ich dir den Mund mit deinen tollen Aufzeichnungen. Nell genügt vollkommen!“, gab die Hexe ihrem Gegenüber zu verstehen und ein Blick in ihr süßlich lächelndes, sonst aber kühles Gesicht machte klar, dass sie die gesagten Worte todernst meinte. Sie hasste ihren vollen Namen. Nicht zuletzt, weil ihre lieblosen Eltern ihn ihr gegeben hatten, er passte einfach nicht zu einem Menschen wie sie einer war. Ihr Vater hatte sie immer Cornelia gerufen, wenn er mal wieder im Suff gewesen war. Cornelia, bring mir ein Bier. Cornelia, mach mir etwas zu essen. Cornelia, du siehst wieder mal unmöglich aus. Sie hasste ihren Namen. Und die Art, wie Logan ihn aussprach, jagte ihr jedes Mal von neuem unangenehme Schauer über den Rücken.
„Ansonsten gibt es nicht viel zu erzählen, das Fach liegt mir einfach nicht. Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen. Aber bis zu diesem Jahr habe ich wenigstens noch ein bisschen was verstanden.“ Es fiel Nell nicht leicht, ihre Schwächen zuzugeben. Sie hatte noch nie gerne offen ihre Schwächen gezeigt und gerade vor jemandem wie Logan, der offensichtlich vom Schicksal begünstigt, in seinem Leben alles bekommen hatte, was er sich gewünscht hatte, all das, was Nell nie bekommen konnte, sträubte sich alles in ihr bei dem Gedanken, von seiner Hilfe abhängig zu sein. Sie hatte es schon immer gehasst, abhängig zu sein. Gerade aufgrund ihrer Familie, die sie niemals als solche betrachtet hatte. Sie hatte sich früh von ihren Eltern abgenabelt, um selbständiger zu sein und nun war sie erneut in der misslichen Lage, einer anderen Person ausgeliefert zu sein. Es war kein Gefühl, dass sie sonderlich mochte.
„Seit wir diesen Kram mit den neuen Tabellen machen, klappt einfach überhaupt nichts mehr.“, schloss sie und sah Logan an.
Ob er ihr wenigstens helfen konnte?


.:|Cornelia 'Nell' Hathaway. Seventeen. 7th class. Gryffindor. [Wannabe]Musician|:.

Where did the blue sky go? And why is it raining so?
.:|No risk, no fun. Colorful. Don't dare me. Musical. Rebellious|:.
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And still there's something about you
Making my heart beat faster
[For you?]

Call me. Emmy. Claire. Erin. Lynn. Summer. Leilani. If you want.

1.9.08

Logan, der für gewöhnlich doch durchaus als jemand bezeichnet werden konnte, der mit einem großen Maß an Geduld gesegnet war, zweifelte nun mit jeder Minute mehr an seiner Entscheidung, Professor Vektors Vorschlag, Cornelia Nachhilfe zu erteilen, zugestimmt zu haben.
Ein paar Nachhilfestunden, er hatte es sich so einfach vorgestellt.
Immerhin war es für ihn ein Leichtes, ellenlange Vorträge über arithmantische Formeln und Grundsätze zu halten. Er war der beste Schüler in diesem Fach und er hatte die Höchstnote "Ohnegleichen" auf seinem Abschlusszeugnis bereits sicher, das wusste er. Wem also wollte er noch etwas beweisen dadurch, dass er einem unwilligen, unhöflichen Mädchen Nachhilfe erteilte? Professor Vektor zu beeindrucken war völlig unnötig, ebenso wenig brauchte er Geld, sofern er denn überhaupt welches für die Nachhilfe bekommen hätte. An diesem unglückseligen Abend verfluchte der junge Munroe die tadellose Erziehung, die ihm durch seine Großmutter zuteil geworden war, die ihm doch immer gepredigt hatte, den Schwächeren uneigennützig zu helfen. Oft hatte sie ihm diese Muggelgeschichte vorgelesen, Robin Hood, erinnerte er sich mit einem kleinen Lächeln auf den schmalen Lippen. Nicht, dass er sich mit diesem Helden vergleichen wollte, doch der bloße Gedanke daran, dass er hier ein gutes Werk tat, hellte seine Stimmung ein wenig auf. Tief durchatmend straffte er die sich doch eigentlich ohnehin in tadelloser Form befindenden breiten Schultern, wobei ihn unweigerlich der erneute Schmerz durchzuckte, den er von seinem Reitunfall davongetragen hatte und der ihn in den Bewegungen seiner linken Schulter noch immer beeinträchtigte. Kurz nur ließ er es in einem unbedachten Moment zu, dass dieser Schmerz sich auch in seinem Gesicht widerspiegelte, bevor er sich eines Besseren besann und sich bemühte, die nun leicht angespannten Züge seines markanten Antlitzes wieder ein wenig zu lockern. Die rechte Hand des brünetten Schülers mit den leicht verwuschelten Haaren wanderte an seine linke Schulter, um dort die lädierten Muskeln leicht zu kneten, während er sich doch zugleich wieder dem eigentlichen Thema zuwandte.
Cornelia beteuerte in diesem Moment, dass sie um die Wichtigkeit des Lernens durchaus wusste, zumindest, wenn man ihre rasch dahingesagten Worte denn so verstehen wollte.
„Jetzt dreh mal ’nen Gang runter und sei nicht gleich eingeschnappt, nur weil mal jemand nicht so begeistert von dir und deiner Gegenwart ist.“ maulte die blonde Schülerin und bequemte sich nun tatsächlich dazu, ihre Füße vom Stuhl zu nehmen, was Logan unweigerlich ein wenig versöhnlich stimmte. Dennoch kam er nicht umhin, sich zu fragen, was seine Person mit ihrer Unlust zu lernen zu tun haben sollte. Nie hatte er erwartet, dass sie bei seinem Anblick in Verzückung ausbrach, weswegen denn auch? Sein oberstes und einziges Ziel an diesem Abend war es, mit Cornelia Arithmantik zu lernen.
Nun, natürlich gab es zahlreiche Mädchen, die für ihn schwärmten, das wusste er und es schmeichelte ihm, wenngleich er es auch ab und an als ein wenig störend empfand, von verliebten Drittklässlerinnen belagert zu werden. Es lag, das war Logan bewusst, nicht unmittelbar daran, dass diese Mädchen ihn menschlich besonders nett fanden, obwohl manche sein charmantes Wesen durchaus schätzen, so war es doch vorwiegend sein Ruf und sein familiärer Hintergrund, der ihn für diejenigen Schülerinnen, die von einer Zukunft in der High Society Großbritanniens träumten, interessant erscheinen ließ. Vielleicht spielte sein Aussehen eine gewisse Rolle, das vermochte der reiche Erbe selbst nicht einzuschätzen. Cornelia, die ihm nun leicht vorgebeugt gegenüber saß, hatte mit jenen Mädchen allerdings wenig gemein. Nein, er musste sich korrigieren, sie hatte rein gar nichts mit ihnen gemein. Sie kleidete sich nachlässig, hatte keinerlei Manieren und strafte ihre Mitmenschen mit völliger Gleichgültigkeit. Schon jetzt fragte Logan sich, ob sie zumindest den Anstand im Leib haben würde, sich bei ihm zu bedanken, wenn ihre Wege sich später am Abend trennen würden.
"Also, wenn meine Anwesenheit dich schon nicht zu begeistern vermag - du ahnst nicht, was das für ein Schock für mich ist - , dann schaffen es aber vielleicht diese herrlichen Tabellen und Matrizen, die ich dir mitgebracht habe, dich in Verzückung zu versetzen" parierte er ihren Angriff, lächelte nur noch leicht und klopfte mit der flachen Hand auf den Stapel an Pergamenten, der noch immer unangerührt vor seiner unwilligen Schülerin lag.

„Krieg dich mal wieder ein. Ich will es ja lernen“ beteuerte das Mädchen nun und gestikulierte mit ihren zierlichen Händen, auf denen Logans Blick für einen Moment hängen blieb. Er hasste Nagellack, ohne doch selbst recht zu wissen, woher diese Abneigung denn eigentlich kam. Vielleicht ließ die Begründung sich in seiner Kindheit finden, hatte es da doch mal ein Kindermädchen gegeben, das ihn mit strenger Hand, einer Hand mit rot lackierten Fingernägeln, wohlgemerkt, grob in seine Schranken gewiesen hatte. Lange war diese Miss Lassing nicht im Hause Munroe angestellt gewesen, doch Logan konnte sich an den letztendlich ausschlaggebenden Grund, warum seine Großmutter dieses wohl unfähigste Kindermädchen der Welt schließlich gefeuert hatte, nicht mehr erinnern. Doch dass er für diese Entscheidung dankbar gewesen war, das wusste er noch sehr gut.
Und nun also Cornelia mit ihren violett lackierten Nägeln, die ihrem Aussehen wohl etwas verruchtes oder unabhängiges verleihen sollte, der dunkelhaarige Ravenclaw wusste nicht und würde wohl nie verstehen, was junge Frauen dazu bewog, sich selbst anzumalen. Eine gewisse Menge an Make Up war für ihn ja noch nachvollziehbar, solange sie dazu diente, die Vorzüge eines hübschen Gesichtes, wie zum Beispiel die Augen, zu betonen, aber Nagellack würde ihm immer ein Rätsel bleiben. Aber, so sagte er sich selbst, es gab wichtigere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrechen konnte.
"Okay, du willst es lernen? Eine Frau, ein Wort." Das Lächeln auf Logans makellosem Gesicht verbreiterte sich ein wenig, als er nun Hoffnung schöpfte, dass sie sich vielleicht doch bereit zeigen würde, ihre Probleme mit ihm gemeinsam anzugehen. Vielleicht war sie der Typ Mensch, dem man die Ausweglosigkeit der eigenen Situation erst klar machen musste, bevor er sich zum Handeln entschließen konnte. Wenn das tatsächlich der Fall war, so dachte der junge Munroe bei sich, würde er Cornelia nur zu gerne immer und immer wieder den nötigen Schubser geben, den sie wohl brauchte, um in Gang zu kommen. Er wollte ihr helfen, ja, doch leicht würde er es ihr nicht machen. Sie würde selber rechnen müssen und wenn sie auch nur im Entferntesten davon ausging, dass er für sie ihre Hausaufgaben machen würde oder Ähnliches, dann hatte sie sich geschnitten. Doch er wollte nicht vom Schlimmsten ausgehen, wollte ihr auch nichts unterstellen, gerade jetzt, wo sie doch tatsächlich so etwas wie Engagement zeigte.
Sie wollte es lernen, das hatte sie gesagt. Und er wollte ihr dies nur zu gerne glauben.

„Also zu allererst: Wenn du mich noch einmal Cornelia nennst, dann stopfe ich dir den Mund mit deinen tollen Aufzeichnungen. Nell genügt vollkommen!“ schnappte die Gryffindor jedoch plötzlich und funkelte ihn grimmig an. Der Klang ihres vollen Vornamens schien ihr derart zuwider zu sein, dass sie ihre taffe Schale für einen Moment fast vergaß und nahezu zerbrechlich und verletzlich wirkte, was sich jedoch nach dem Bruchteil weniger Sekunden sogleich wieder änderte. Logan wusste nicht, was man gegen einen wohlklingenden Namen wie Cornelia einzuwenden haben konnte, doch wenn es dem lieben Frieden, den er sich zwischen ihnen beiden der Einfachheit halber wünschte, förderlich wäre, so würde er sie gerne auch Nell nennen.
"In Ordnung, Nell." Er betonte diese Kurzform ihres Namens deutlich und nickte zufrieden, als er tatsächlich feststellte, wie weich diese Koseform klang. Auch, wenn an dem Mädchen, dem dieser Name gehörte, wohl nichts weich wirkte, so passte er dennoch zu ihr, weit besser, als es ihr voller Vorname tat, der doch ein Mädchen wie jene Drittklässlerinnen, über die er noch vor wenigen Momenten nachgedacht hatte, weit besser zieren würde.
"Ich werde dich gern so nennen, kein Problem. Aber meine Unterlagen sind erstens zu viele, als dass sie in meinen Mund passen würden und zweitens sind wir dann wieder genauso weit, dass wir das Treffen unvollendeter Dinge beenden könnten, also bedenke doch in Zukunft, womit du mir drohst." Kurz lachte der hübsche junge Mann auf, wobei seine braungrünen Augen leicht zu leuchten begannen, und fuhr sich durch das Haar, das danach noch ein wenig unordentlicher wirkte, was ihm einen gewissen knabenhaften Charme verlieh. Er hatte zwar nicht vor, sich von ihr provozieren zu lassen, doch sich alles gefallen zu lassen, das sah er nun doch auch nicht ein. Vielleicht konnte sie mit anderen Leuten so umspringen, ihnen drohen und sich somit das erzwingen, was sie wollte, doch er, Logan Munroe, war nicht so leicht zu beeinflussen. Schon gar nicht von einem Mädchen, das dies auf derart niederem Niveau versuchte. Und so begegnete er den Provokationen Nells mit ironischem Humor, während er seine Höflichkeit jedoch nicht verlor.
Dem ärgerlichen Ausbruch über die Verwendung ihres Vornamens folgte nun eine kurze Erklärung, in der Nell erzählte, dass das Fach Arithmantik ihr einfach nicht lag und dass sie ihm auch nicht viel abgewinnen konnte. Logan kannte diese Einstellung, denn Nell war bei Weitem nicht die Einzige, die mit diesem Fach Schwierigkeiten hatte, und nickte verstehend. Manche Menschen konnten mit der Welt der Zahlen nichts anfangen, ebenso, wie manche anderen Menschen sich mit Worten nur schlecht auszudrücken vermochten. Komischerweise lag ihm selbst jedoch beides, vielleicht war er vom Schicksal besonders begünstigt. Vielleicht lag es jedoch auch an seinem Fleiß und seinem Ehrgeiz, zwei Wesenszüge, die ihn doch durchaus prägten.
Worin auch immer es begründet war, doch Arithmantik, Mathematik und Wirtschaft hatten den jungen Erben schon immer zu fesseln vermocht. Sein Geschäftssinn war ausgeprägt, sein wirtschaftliches Verständnis ebenfalls. Er wusste, dass ihn dies später zu einem guten Geschäftsführer von "Munroe Gowns" machen würde, vielleicht, so dachte er manchmal im Stillen, zu einem noch besseren, als es sein Vater war. Nein, berichtigte er sich selbst. Sein Großvater. Dieser eindrucksvolle Mann, Cormag Munroe, war nicht sein Vater. Um ehrlich zu sein, so hatte Logan nicht den Hauch einer Ahnung, wer tatsächlich sein Vater war. Doch diese Gedanken hatten hier und jetzt nichts verloren, so dass er dankbar war, als Nells rauhe Stimme ihn aus seinen Gedanken riss.
„Seit wir diesen Kram mit den neuen Tabellen machen, klappt einfach überhaupt nichts mehr.“ seufzte diese und erklärte somit, wo ihr wesentlichstes Problem lag.
"Du meinst bestimmt die mantisch dualen Matrizen" vermutete Logan und zog den Pergamentstapel zu sich herüber, um nach den Zetteln zu suchen, die sich mit dieser Thematik beschäftigten. Naturgemäß dauerte dies bei seinen Unterlagen, die immer bestens sortiert waren, nie lange, so dass er schon nach wenigen Augenblicken ein Pergament aus der Mitte des Stapels herauszog und es Nell reichte. "Hier, da haben wir mit dem Thema angefangen. Das ist eigentlich halb so wild, Professor Vektor hat es aber wirklich nicht besonders gut erklärt. Ich habe mir ein paar Definitionen aus den Büchern zusammengeschrieben, so dass es jetzt ganz leicht zu verstehen ist." Logan wusste nicht recht wieso, doch er kam dem inneren Drang, Nell ein wenig Mut zu machen und sie zu motivieren, nahezu automatisch nach. Lag es an seiner Begeisterung für dieses Fach? Oder vielleicht daran, dass er sie nun, da sie einmal Bereitschaft zeigte, bei der Stange halten wollte?
Kurz stand er von seinem Stuhl auf, um diesen ein Stück näher an Nells eigenen Stuhl heranzuschieben, so dass es ihnen beiden möglich sein sollte, gemeinsam in die Unterlagen zu schauen. "Manchmal denke ich, Professor Vektor hätte lieber in die Politik gehen sollen. Es gibt wohl niemanden, der sich so gern reden hört wie er" konstatierte Logan und schmunzelte leicht über den Lehrer, der doch im Unterricht oft lieber von der Vogeltränke in seinem Garten als von arithmantischen Problemen sprach, so dass es kaum ein Wunder war, dass viele in seinem Fach Probleme hatten. Was Logan jedoch nicht verstand, war warum außer ihm selbst anscheinend niemand hinging, und sich das Wissen aus Büchern aneignete.






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wie die sonne den kometen
wegzieht von seiner bahn
wie der felsblock zu dem fluss sagt
fließ woanders hin
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wie ein schiff erfasst vom sturmwind,
das die richtung verliert
und ein nie gesehnes ufer gewinnt
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05.09.2008

Tick tack tick tack.
Das Ticken der großen Wanduhr, die hinter Logans Kopf am einzigen Stück Steinwand hing, das nicht mit Bücherregalen bedeckt war, schien sich in Nells Kopf manifestiert zu haben. Selbst wenn sie es nicht direkt hören konnte.
Tick tack.
Der riesige, rote Sekundenzeiger passierte die verschnörkelte Zahl 12. Es war viertel vor neun. Unglaublich, dass sie hier schon seit beinahe einer Viertelstunde saßen. Im Schneckentempo wanderte der Zeiger weiter, so zäh, als ob er Nell ärgern wollte. Eine Stunde konnte so lang erscheinen. Vor allem dann, wenn man mit den Augen förmlich an den Zeigern der Uhr klebte. Bei Nell kam das innerhalb der Schulzeit unglücklicherweise sehr häufig vor und sie hätte wohl nicht gedacht, dass es nun sogar so weit ging, dass sie ihre Abende mit dem belauern einer Uhr verbringen würde.
Tick tack.
"Also, wenn meine Anwesenheit dich schon nicht zu begeistern vermag - du ahnst nicht, was das für ein Schock für mich ist - , dann schaffen es aber vielleicht diese herrlichen Tabellen und Matrizen, die ich dir mitgebracht habe, dich in Verzückung zu versetzen"
Nur mit Mühe riss die blonde Schülerin beim Klang Logans Stimme den gebannten Blick vom Zeiger der Wanduhr los und konzentrierte sich wieder auf ihr Gegenüber, das nun mit einem gleich bleibend freundlichen Lächeln auf den dicken Pergamentstapel zwischen ihnen klopfte und sie daran erinnerte, weshalb sie hier waren. Nell verdrehte nur die Augen.
„Das bezweifle ich. Das bezweifle ich sogar sehr.“, sagte sie trocken und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Wenn wenigstens jemand, den sie besser leiden konnte, ihr versucht hätte, Arithmantik beizubringen. Doch Logan, der reiche Schnösel, war nun wirklich nicht der Typ Mensch, mit dem sie gerne ihre Freizeit verbrachte, wohl ganz im Gegensatz zu so vielen anderen jungen Mädchen der Schule, die ihm permanent nachliefen und schöne Augen machten. Widerlich! Sie selbst hatte nie viel davon gehalten, irgendwelchen Kerlen hinterher zu rennen, nur um von ihnen beachtet zu werden. das brachte so oder so nichts. Sie hatte sich schon sehr früh geschworen, sich niemals für einen Jungen, der ihr gefiel, zum Affen machen zu wollen. Wenn ein Junge ernsthaft an einem Mädchen interessiert war, dann musste sie nicht förmlich an ihm kleben, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch das war etwas, das sie sehr früh gelernt hatte. Sie hatte es nie nötig gehabt, sich für Aufmerksamkeit sonderlich anstrengen zu müssen. Auch wenn sie zugab, gerne im Mittelpunkt zu stehen, was vielleicht auch daran lag. dass sie zuhause von ihren Eltern nie genug davon bekommen hatte. Wer konnte das schon sagen?

"In Ordnung, Nell. Ich werde dich gern so nennen, kein Problem. Aber meine Unterlagen sind erstens zu viele, als dass sie in meinen Mund passen würden und zweitens sind wir dann wieder genauso weit, dass wir das Treffen unvollendeter Dinge beenden könnten, also bedenke doch in Zukunft, womit du mir drohst.", sagte Logan mit einem leichten Lachen und fuhr sich dabei durch das dunkle Haar. Es wirkte seltsam zerzaust und doch zu perfekt, um tatsächlich ungeplant zu sein. Ob er das mit Absicht machte? …
Sofort verwarf Nell diesen ungewollten Gedanken wieder. Hatte sie nicht besseres zutun, als über die Frisur eines dahergelaufenen Schnösels nachzudenken. Warum dachte sie überhaupt so etwas? Kurz schüttelte sie unmerklich den Kopf, um diese absurden Gedanken loszuwerden, bevor sie ein süffisantes Grinsen aufsetzte und sich noch ein Stückchen zu Logan vorbeugte, während ihr Blick ihn förmlich zu durchbohren schien. Sie wusste ganz genau um die Wirkung ihrer Augen.
„Erstens hast du keine Ahnung, wozu ich so fähig sein kann und zweitens würden wir unser Treffen zwar unvollendeter Dinge beenden, andererseits aber hätte ich auch was zu lachen!“ Für den Bruchteil einer Sekunde noch hielt Nell den Blickkontakt noch aufrecht, ehe sie sich mit einem Zwinkern und unverändertem Grinsen wieder zurücklehnte. Sie musste zugeben, die Art, wie Logan mit gekonnter Ironie und bleibender Höflichkeit ihre durchaus ernstzunehmenden Provokationen abschmetterte, reizte sie, auch wenn sie ihn noch immer nicht leiden konnte. Sie verstand ihn und seine Art auch nicht.
"Du meinst bestimmt die mantisch dualen Matrizen"
„Ähm… Jaaaa, genau.“, antwortete Nell gedehnt und wenig begeistert, nachdem sie Logan ihre Probleme in diesem unleidigen Schulfach versucht hatte zu erklären.
„Die meine ich…“
Mantisch duale Matrizen. Wie konnte man an so grausig klingenden Wörtern auch nur den geringsten Gefallen finden? Es war ihr absolut schleierhaft. Ihr verursachte das Wort allein schon Übelkeit und Kopfschmerzen. Arithmantik war für sie wie eine ausgewachsene Grippe.
Widerwillig richtete Nell den Blick auf die Pergamente, die Logan zu ihr hinüber schob. In seiner leicht schrägen, kleinen und überaus ordentlichen Handschrift standen sie da, Definitionen, Erklärungen, Zahlen, Rechnungen, Tabellen. Aufgereiht wie an langen Perlenschnüren waren die Ziffern. Wenn Nell dagegen ihre eigenen Notizen betrachtete. Die waren nicht mehr als ein kläglicher Abklatsch dessen, was Logan da seitenweise zustande gebracht hatte, wenn überhaupt. Wenn Nell mitschrieb, dann meist unvollständig, oft schweifte sie dann mit den Gedanken ab. Sie schrieb Songtexte zwischen die Tabellen, Noten, Rhythmen Melodien. das war ihre Welt. Nicht das, was vor ihr lag. Doch seltsamerweise schienen die Notizen eine Logik zu ergeben, die sich Nell bislang noch nicht erschlossen hatte.
"Manchmal denke ich, Professor Vektor hätte lieber in die Politik gehen sollen. Es gibt wohl niemanden, der sich so gern reden hört wie er"
Mit diesen Worten und einem abwesenden Schmunzeln auf den Lippen rückte Logan seinen Stuhl etwas näher an Nell heran, sodass er nun beinahe neben ihr saß und gemeinsam mit ihr in seine Unterlagen blicken konnte. Nell konnte sich derweil einem Grinsen, das über ihre Züge huschte, nicht erwehren.
„Hey, war das grade etwa ein Witz auf Kosten eines Lehrers?“, fragte sie halb spöttisch, halb neckend. „Das hätte ich von dir bestimmt nicht erartet!“ Sie wandte sich kurz zu ihm um und grinste den Jungen an. Sie war ehrlich überrascht. Das war das erste Mal, dass sie aus dem Munde dieses sonst so langweiligen und regelgetreuen Schülers einen lustigen Satz hörte. Sie hatte nicht gedacht, dass er überhaupt zu so etwas fähig war. Nun ja, sie mochte ihn trotzdem nicht.

Es folgten einige Erklärungen der Matrizen, während deren Nell auffiel, dass Logan sich auffällig oft an die linke Schulter fasste, diese leicht massierte. Bildete sie es sich ein oder bewegte er sich mit dem linken Arm anders als mit dem rechten? In einem Moment, in dem Logan sich erneut die Schulter rieb und in dem für kurze Zeit ein leichter Schmerz in seine Augen trat, konnte Nell sich eine freche Bemerkung nicht verkneifen.
„Tut dir was weh?“ Sie stützte den Arm auf dem Tisch auf und blinzelte Logan an.
„Woran liegt’s? Bestimmt nicht an körperlicher Arbeit…“, stichelte sie und musste bei dem Gedanken daran, Logan könne sich körperlich bei einer Arbeit verausgabt haben, grinsen. Dieses Bild wollte so gar nicht zu ihm passen.
Nell konnte sich nicht vorstellen, dass Logan jemals für irgendetwas in seinem Leben hatte arbeiten müssen. Zuhause bekam er, der doch Erbe einer steinreichen Familie war, bestimmt alles, was er wollte, auf einem goldenen Tablett serviert, ohne auch nur einen Finger krumm machen zu müssen. Ganz im Gegensatz zu ihr. Ihre Familie hatte nur wenig Geld, ihr Vater versoff das meiste des kläglichen Gehalts ihrer Mutter, sie mussten eine siebenköpfige Familie durchbringen. Sie hatten gerade genug, um sich zu ernähren und Nell hatte schon früh gelernt, dass sie nicht alles, was sie haben wollte, besitzen konnte. Früh hatte sie angefangen, für ihre Wünsche selbst aufkommen zu müssen. Seit sie alt genug war hatte sie in jeder freien Stunde gearbeitet, früher in einer kleinen Buchhandlung, die einem ihrer Bekannten gehörte und später dann, als sie älter war, in dem Plattenladen, den sie seit sie zur Schule ging jeden Tag besuchte und der nicht nur Platten, sondern auch Musikinstrumente verkaufte. Dort hatte sie nach Ladenschluss mehr als eine Stunde verbracht und sich im Spielen von Instrumenten geübt, da sie sich kein eigenes hatte leisten können. Natürlich, sie hatte sich immer gewünscht, dass ihre Familie besser leben konnte und Logan hatte all das, was sie selbst wohl niemals haben würde, doch man konnte nicht sagen, dass sie neidisch auf ihn war. Sie wusste so viel mehr von der Welt als er. Erfahrung war manchmal mehr Wert als alles Geld der Welt, oder?

Plötzlich ertönte ein lauter Glockenschlag, der anzeigte, dass es neun Uhr war und von dem lauten und unerwarteten Geräusch aufgeschreckt zuckte Nell zusammen, dabei stieß sie versehentlich mit dem Ellbogen gegen das mit Tinte gefüllte Gläschen auf ihrem Tisch, welches unglücklicherweise geöffnet war. Mit einem Mal ging alles so schnell, dass sie gar nicht wusste, wie ihr geschah.
Die blonde Gryffindor sah das volle Tintenglas kippen, die dunkelblaue Farbe ergoss sich über die geöffneten Bücher und Pergamente, die auf dem runden Holztisch verteilt lagen. das Glas rollte derweil vom Tisch und bespritzte im fallen Nell, Logan und den Teppichboden mit Tinte. Vor lauter schreck über das, was sie soeben verursacht hatte, sprang die Schülerin auf und stieß ihren Stuhl um, wobei sie das Gleichgewicht verlor und sich nur noch durch einen beherzten Griff in Logans Umhangärmel vor einem Sturz retten konnte. Ihr Stuhl jedoch schlug gegen ein Regal und eine Vase, die darin gestanden hatte, ging zu Bruch. Das Chaos verursachte in der sonst so stillen Bibliothek einen unangenehmen Lärm.
Die Absurdität der Situation hätte Nell zum Lachen gebracht, wäre sie nicht die Verursacherin des Schadens gewesen. Geschockt stand sie da, mit Tintenklecksen übersät und mit einem für wenige Momente sichtbaren verzweifelten Ausdruck in den Augen, Fassungslosigkeit bestimmte ihr gesamtes Mienenspiel.
„Oh nein…“, stöhnte sie, als sie die Vase erblickte, deren Scherben auf dem Boden und dem Regalbrett verteilt waren. Ihre Finger lösten sich wie von selbst wieder von Logans Arm und sie fuhr sich verzweifelt durch das lange Haar, während sie versuchte, das Unglück in seinen vollen Ausmaßen zu erfassen. Sie hatte nicht nur Logans Notizen und ihrer beider Kleidung beschmutzt, sondern auch den Teppichboden der Bibliothek und einige Werke über Arithmantik, noch dazu hatte sie eine Gott weiß wie wertvolle Vase zerstört. Und als wäre das noch nicht genug, konnte sie das durch den Teppich gedämpfte Klappern von Madame Pince’ Absätzen hören, die sicherlich schon wie eine Furie auf dem Weg zum Unruheherd war, um ihre geliebten Bücher zu beschützen.
„Sie wird mich ungespitzt in den Boden rammen!“, wisperte Nell mit seltsam nüchterner Stimme und starrte Logan entsetzt an.
So viel Pech konnte natürlich auch nur sie haben.
Mit einem Mal wünschte sie, die Zeit wäre langsamer vergangen.





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6.9.08

Schon immer hatte Logan ein gutes Gespür für Prognosen gehabt, ohne doch selbst recht zu wissen, woher dies eigentlich kam. Er war keineswegs prophetisch veranlagt, doch seine Intuition täuschte ihn nur selten. Cormag, der ihn schon früh in seinem jungen Leben mit Aktienkursen und wirtschaftlichen Abläufen vertraut gemacht hatte, hatte schnell gemerkt, welches Potenzial in seinem Erben ruhte. Wenn Logan die Börsenseite des Tagespropheten beim Frühstück studierte und dabei mit nachdenklich zusammengeschobenen Augenbrauen von seinem Croissant abbiss, ruhte stets der abwartend neugierige Blick seines Großvaters auf ihm, der doch nur darauf wartete, dass der brünette Junge verkünden würde, welche Aktien seiner Meinung nach fallen und welche steigen würden. Natürlich lag er nicht immer richtig, unfehlbar waren seine Einschätzungen keineswegs, doch in den meisten Fällen bestätigte sich tatsächlich das, was der junge Munroe zwischen Kaffee und Frühstücksei analysiert hatte. Niemand, auch nicht seine Familie, konnte sich recht erklären, woher diese Gabe, wenn man es denn so bezeichnen wollte, eigentlich kam. War es sein bloßes Verständnis der Wirtschaftswelt, mit dem es ihm gelang, Zusammenhänge zu durchschauen, die anderen verborgen blieben? Oder würde sich diese Fähigkeit auch auf andere Lebensbereiche übertragen lassen? Würde Logan schon zu Beginn der Saison wissen, welche Mannschaft die Quidditch-Bundesliga gewinnen würde? Logan selbst machte sich weit weniger Gedanken um dieses Phänomen, das er kaum als ein solches wahrnahm. Er wusste, so stempelte er es schlicht ab, eben gut Bescheid in der Geschäftswelt. Wahrsagen hatte ihn nie gereizt, ihn nichtmals besonders interessiert. Humbug, so dachte er und wählte dieses Fach schnellstmöglich ab. Trotzdem schickte er Cormag jeden Morgen nach dem Frühstück, bei dem er den Tagespropheten studierte, eine Eule, die dem Geschäftsführer von Munroe Gowns eine Notiz überbrachte, in welcher Logan vermerkt hatte, auf welche Aktien sein Großvater setzen sollte. Diese Angewohnheit hatte er auch nicht abgelegt, nachdem er die schockierende Wahrheit erfahren hatte. Die Wahrheit über seine Familie und über sich selbst, die Wahrheit, die er doch lieber nie gehört hätte...
Er tat es nicht für Cormag, der ihn enttäuscht und belogen hatte, nein, er tat es für das Familienunternehmen, das eines Tages ihm gehören würde und das unter seiner Leitung neue Höchsterträge einbringen sollte.
Prognosen waren doch oft so leicht zu treffen. So wusste Logan sicher, dass das Thema Arithmantik an diesem Abend keine große Rolle mehr spielen würde. Es lag nicht nur an Nell, die, entgegen ihrer Beteuerungen, noch immer nicht sonderlich begeistert wirkte, nein, es lag auch an ihm selbst, wie er, begleitet von einem unzufriedenen Seufzen, feststellen musste. Er war mit den Gedanken woanders, kehrte immer wieder zurück zu diesem Tag, diesem Gewitter, das nicht nur am Himmel sondern auch in seinem Inneren getobt hatte. Zurück zu all diesen Lügen. So sehr hatte er gehofft, das Geschehene einfach ignorieren zu können, es vergessen oder abwaschen zu können, wie Dreck, der an einem klebte. Oft hatte er sich selbst zur Ordnung gerufen, hatte sich auf rationaler Ebene wieder und wieder erklären müssen, dass er einfach so weiterleben sollte, wie er es doch zuvor getan hatte. Es hatte sich doch eigentlich nichts geändert. Er war nicht der Sohn von Cormag und Edna, doch das war er auch zuvor nicht gewesen. Obwohl er etwas anderes geglaubt hatte. Doch was nutzten derartige Strategien, wenn man doch innerlich nur eins empfand: das unbeschreibliche Gefühl, eigentlich nirgends wirklich hinzugehören.
Logan atmete ein und stieß die Luft hörbar wieder aus wobei seine Nasenflügel ein wenig vibrierten. Er war nicht heimatlos, er war nicht elternlos. Er gehörte nach Inverness, er gehörte in die Familie Munroe. Wie ein Mantra ließ er diese Sätze durch seinen Kopf wandern, wiederholte sie so lange, bis es ihm gelang, sie zu glauben. Es wäre zweifellos leichter für ihn, wenn er sich irgendjemandem, einem Mitschüler oder einem Freund, anvertraut hätte, doch es gab niemanden, dem er ausreichend Vertrauen entgegenbrachte. Seine Freundschaften waren überwiegend Zweckgemeinschaften mit anderen mehr oder weniger reichen Schülern, die sein Schicksal wahrscheinlich sofort an den Klitterer verkauft hätten. Wahre Freundschaft war für ihn nicht mehr als ein leerer, bedeutungsloser Begriff. Egoismus hatte sein Leben so sehr geprägt, dass wirkliche Zuneigung für andere auf der Strecke geblieben war.

Und nun saß er hier mit Nell, einem Mädchen, das für ihn weder Freundschaft noch Zweckgemeinschaft bedeutete, ein Mädchen, das ihm so unglaublich egal war wie die Frage, wieviele Hauselfen in Hogwarts lebten. Und doch verbrachte er seinen Abend mit ihr, obwohl er wusste, dass sie nicht lernen würden. Sie würde ihn weiterhin provozieren und er würde ihre Provokationen halbherzig abschmettern – was für ein herrlicher Abend, dachte er ironisch bei sich, bevor ihm klar wurde, dass dieser Abend vielleicht wirklich nicht das Schlechteste für ihn war. Zum einen führte sie ihm mehr als deutlich vor Augen, wie privilegiert er war und wie glücklich er sich schätzen konnte und sollte, aus reichem Hause zu stammen. Ihr Auftreten, ihre Kleidung, ihr ungehobeltes Mundwerk, all das war ihm so zuwider, dass er zunehmend besser verstehen konnte, warum Cormag und Edna ihm nicht dem kleinbürgerlichen Leben hatten aussetzen wollen, das seine Mutter Meaghan mit ihm hatte leben wollen. Er sollte dankbar für diese Entscheidung sein und sich nicht weiterhin über sie ärgern.
Zum anderen jedoch gelang es Nell tatsächlich auch, ihn abzulenken. Ihre ruppige, fast schon unverschämte Art überraschte ihn in jeder Minute aufs Neue, er war stets so damit beschäftigt, sich nicht über sie aufzuregen, dass die Gedanken an seine familiären Probleme mehr und mehr verblassten.
Und so ließ er sich wieder auf sie ein, schob seine Gedanken mit einer gehörigen Portion innerer Gewalt beiseite und nahm Nells rauhe Stimme wahr, die sich durch den sich lichtenden Nebel seiner problembehaftete Gedanken schlich und schliesslich zu ihm durchdrang.
„Erstens hast du keine Ahnung, wozu ich so fähig sein kann und zweitens würden wir unser Treffen zwar unvollendeter Dinge beenden, andererseits aber hätte ich auch was zu lachen!“, erklärte die unechte Blondine mit einem Grinsen und blickte ihn aus ihren großen, hellblauen Augen an. Es dauerte einen kleinen Moment, bis Logan seine Gedanken tatsächlich soweit beerdigt hatte, dass er verstand, worauf sie sich bezog, doch dann glitt ein amüsiertes Schmunzeln über sein makelloses Gesicht, dessen Ausdruck implizierte, dass Nell anscheinend etwas sehr offensichtliches nicht mitbekommen hatte. Logan hob, noch immer schief grinsend, eine Augenbraue und musterte das ihm gegenüber sitzende Mädchen eingehend von Kopf bis Fuß. Sie war nicht unbedingt klein, etwa ein Meter und siebzig, wenn er das im Sitzen richtig einschätzen konnte. Es gab durchaus Mädchen, die kleiner waren als sie, doch es gab ebenso Mädchen, die kräftiger wirkten als die schmale Nell, deren drahtiger Körper kaum mehr war als ein Strich in der Landschaft. Der musternde Blich aus Logans braungrünen Augen blieb auf ihren Armen hängen, die zwar nicht dürr, aber doch sehr schmal waren. Wozu sollte dieses zierliche Wesen denn bitte fähig sein, so fragte er sich.
Nicht, dass er es tatsächlich auf eine körperliche Auseinandersetzung mit ihr ankommen lassen würde, doch sie musste doch selbst sehen, dass er ihr mehr als deutlich überlegen war. Mindestens zwanzig Zentimeter größer, mit dem erheblich breiteren Brustumfang und den unverkennbar muskulöseren Armen wäre es ihm ein leichtes, das schmale Mädchen in Schach zu halten. Doch ihre selbstbewusste Art gefiel ihm auf eine Art, die er nicht recht deuten konnte. Sie machte ihn neugierig und führte unweigerlich dazu, dass er herausfinden wollte, wie weit ihr Mut reichen würde. Er würde ihr niemals etwas tun, soviel stand zweifellos fest, doch er würde zu gerne erleben, wie sie versuchte, ihm etwas anzutun.
Ein wiederholtes Schmunzeln unterdrückend biss er sich auf die schmale Unterlippe und beugte sich ein weiteres Stück vor, so dass er seine Ellbogen auf seinen Oberschenkeln abstützen konnte. "Wozu bist du denn fähig, Cornelia?" fragte er leise, fast flüsternd, und doch so, dass vor allem der Klang ihres vollen Namens deutlich zu hören war, wobei er das blonde Mädchen mit halb gesenktem, schief gelegtem Kopf eindringlich von unten anblickte. Er verstand selbst nicht recht, warum nun er sie provozierte, doch andererseits, so erklärte er es sich selbst, hatte er ja lediglich eine Frage gestellt, aus bloßem Interesse. Provozierend war diese doch höchstens dadurch, dass er versehentlich wieder ihren vollen Namen benutzt hatte. Was für ein dummer, unüberlegter Fehler, dachte er bei sich, konnte das schmale Grinsen jedoch nicht aus seinem Gesicht vertreiben.
Er mochte dieses Mädchen nicht, doch ihre Gegenwart tat ihm am heutigen Abend gut. Sie war eine willkommene Ablenkung...zumindest für eine Stunde.

„Hey, war das grade etwa ein Witz auf Kosten eines Lehrers? Das hätte ich von dir bestimmt nicht erwartet!“ spöttelte das blonde Mädchen amüsiert und erntete von Logan zu nächst nicht mehr als ein gleichgültiges Schulterzucken, das seine linke Schulter erneut schmerzen ließ. Er war nicht unbedingt begeistert von der Idee, ihr zu erklären, dass seine guten Noten nichts mit Schleimereien zu tun hatten, da sie es wahrscheinlich ohnehin nicht glauben würde. Fakt war jedoch, dass er es nicht nötig hatte, den Lehrern Honig um den Bart zu schmieren, er war fleißig, biederte sich jedoch nicht an. Der brünette Ravenclaw gehörte nicht zu den bemitleidenswerten Schülern, die versuchten, sich ihre Noten dadurch zu verdienen, den Lehrern ihre Bücher hinterherzutragen oder die Klassenräume zu putzen. Er wusste, dass die Eltern seiner Freunde, wenn man sie denn nun doch als solche bezeichnen wollte, oft Unsummen von Galleonen an die Schule spendeten, um sicherzustellen, dass ihre Sprösslinge das Jahr schafften, eine Tatsache, die Logan nur ein mitleidig überlegenes, schiefes Lächeln abringen konnte.
"Ich bin kein Schleimer" sagte er schlicht, ohne die wirkliche Absicht, sich vor Nell zu rechtfertigen. Sollte sie doch glauben, was sie wollte. Er hatte seine guten Noten und ihm stand eine glorreiche Zukunft bevor, das war letztendlich das Einzige, was für ihn wirklich zählte.
„Tut dir was weh? Woran liegt’s? Bestimmt nicht an körperlicher Arbeit…“ stichelte sie mit einem Blick auf seine Schulter sogleich weiter und blinzelte ihn mit einem unschuldigen Interesse an, das nur geheuchelt sein konnte. Sie war zumindest aufmerksam, das musste man ihr wohl lassen, doch andererseits war es wohl auch unübersehbar gewesen, dass Logan Probleme hatte, die Schulter zu bewegen. Dass sie ihm keine körperliche Arbeit zutraute wunderte ihn zwar nicht, doch dessen schämte er sich auch nicht. Nur wenige Zauberer gingen tatsächlich körperlicher Arbeit nach, die man sich durch gewisse Zaubersprüche doch sehr leicht ersparen konnte. Andererseit, so dachte er bei sich, zeugte seine eindrucksvolle körperliche Statur doch wohl davon, dass er seinen muskulösen Körper zumindest ab und zu bewegte.
"Hm, lass mich kurz eine Erklärung ersinnen, die dir gefallen könnte..." setzte er an, bereit, ihr vorurteilsbehaftetes Spielchen mitzuspielen. Sie hielt ihn für einen reichen Schnösel, der keine Ahnung vom wirklichen Leben hatte, das war ihm klar. "Was hältst du davon: Ich habe mir beim Zählen meiner Galleonen die Schulter verrenkt." schlug er mit einem höflichen aber schmallippigen Lächeln vor, das irgendwo zwischen amüsiert und grimmig anzusiedeln war. "Oder ist das besser: Ich habe unsere Hauselfen verhauen, weil sie zu langsam gearbeitet haben" spann er weiter und kratzte sich nachdenklich hinterm Ohr. "Wie langweilig ist da doch die schlichte Wahrheit, dass ich bei einem Ausritt während eines heftigen Gewitters von einem herabfallenden Ast erwischt wurde" konstatierte der hübsche junge Mann sarkastisch und vermied es, den Erinnerungen an den Tag seines Unfalls nachzugeben.

Schneller, als es Logan möglich war, tatsächlich zu realisieren, was in diesem Moment eigentlich genau passierte, sah er sich mit einem plötzlichen Chaos konfrontiert, das Nell innerhalb von Sekunden angerichtet hatte. Doch während sein Blick über die Tinte, die überall verteilt war, und die vielen kleinen Scherben wanderte, blieb ihm nicht viel Zeit, um sie zu fragen, wie dieses Malheur überhaupt hatte passieren können. Für den Bruchteil eines Momentes hing die blonde Gryffindor etwas hilflos an seinem Ärmel, was bei ihm sogleich den seiner perfekten Erziehung Tribut zollenden Reflex auslöste, schützend und stabiliserend ihre schmalen Schultern zu umfassen und so ihren Stand zu sichern, doch viel mehr als ihren Fall konnte er leider nicht verhindern.
„Oh nein…“ hörte er Nell matt stöhnen, was er mit einem lahmen Nicken quittierte. Diese Worte beschrieben schon ganz gut, was ihrer beider Augen nunpräsentiert wurde. Alles, so schien es ihm, war voller Tintenspritzer, nicht nur seine Unterlagen, auch sein Umhang und sein weiß-graues Hemd. Letzteres machte ihm nicht wirklich etwas aus, da das gleiche Hemd noch drei weitere Male in seinem Kleiderschrank hing, doch um seine Notizen tat es ihm schon ein wenig leid, wenn er deren Beschmutzung auch nicht lange betrauern konnte.
Mit wehendem Umhang eilte Madame Pince herbei, vom Lärm aufgerüttel und herbeigerufen. Ihr zorngerötetes Gesicht kam näher und näher, während Logan Nell nun zum ersten Mal ängstlich erlebte. „Sie wird mich ungespitzt in den Boden rammen!“ befürchtete das blonde Mädchen mit vor Entsetzen geweiteten Augen, deren Anblick Logan nicht kalt ließ. Er mochte sie nicht, sie war ungehobelt, ungeschickt und voller Vorurteile gegen seine Person, aber sie war eine Frau. Und ein Mann durfte nicht zulassen, dass einer Frau ein Unheil wiederfuhr, das er hätte verhindern können. Weitere Gedanken waren nicht nötig, um sich schützend vor der schmalen Gryffindor aufzubauen. "Es tut mir so leid, Nell" setzte er mit zunächst leiser Stimme an, die stetig lauter wurde. "Geht es dir gut? Hast du Scherben abbekommen? Beim Barte des Merlin, wie konnte ich nur so ungeschickt sein..." fuhr der gutaussehende Gentleman fort und warf Nell einen eindringlichen Blick zu. Sie musste jetzt mitspielen, sonst würde es nicht funktionieren. In diesem Moment kam Madame Pince vor ihnen zum Stehen. Ihre schmale Brille hing schief auf ihrer Nase, ihre Wangen waren mit hektischen roten Flecken übersät. "Was...ist hier passiert?" fragte sie tonlos und blickte zunächst wütend zu Nell, dann erwartungsvoll zu Logan, dem sie wohl eher eine adäquate Erklärung zutraute.
"Madame Pince, es ist alles meine Schuld" log dieser munter drauf los und gab seinem Gesicht einen bemerkenswert glaubwürdigen bedauernden, reumütigen Ausdruck. "Ich habe eine verrenkte Schulter und habe die Muskeln in diesem Arm plötzlich nicht unter Kontrolle gehabt. Und dann ist alles ganz schnell gegangen." Traurig senkte er den Blick und atmete hörbar ein und aus. "Die arme Cornelia hat das Meiste abbekommen" seufzte er und deutete mit einer fahrigen Handbewegung auf deine Mitschülerin. "Und diese hübsche Vase, es ist zu schade. Ich werde sie selbstverständlich ersetzen, ich werde alles ersetzen, was zu Schaden gekommen ist und nicht repariert werden kann, dessen können sie sich sicher sein." beteuerte er eilig und blickte zu Nell hinüber, um sicherzugehen, dass sie mitspielte.








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wie die sonne den kometen
wegzieht von seiner bahn
wie der felsblock zu dem fluss sagt
fließ woanders hin
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wie ein schiff erfasst vom sturmwind,
das die richtung verliert
und ein nie gesehnes ufer gewinnt
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07.09.2008

"Wozu bist du denn fähig, Cornelia?"
Seine Stimme war nicht viel mehr als ein Flüstern, ein verdammt provokantes, eindringliches Flüstern und der Klang ihres überdeutlich ausgesprochenen Namens ließ ihre graublauen Augen zornig funkeln, ein deutlicher Beweis dafür, dass er bei ihr einen überaus empfindlichen Nerv getroffen hatte. Für einen Augenblick lang wollte Nell tatsächlich nach einem Bogen des fein säuberlich beschriebenen Pergaments greifen, aufspringen und sich auf Logan stürzen, um es ihm mit aller Gewalt in den Mund zu stopfen, doch sie behielt sich und ihre Wut gut unter Kontrolle. Sie war nicht so dumm, zu glauben, in einem rein körperlichen Kräftemessen gegen Logan Munroe ankommen zu können, denn wenn man ihm eines lassen musste, so war es wohl die Tatsache, dass er mit seinen breiten Schultern und dem muskulösen Oberkörper einen tadellosen Körperbau vorweisen konnte. Natürlich, sie wusste, dass er niemals einem Mädchen Gewalt antun würde, selbst ihr nicht und sie konnte wohl mit Recht behaupten, das unmädchenhafteste Mädchen zu sein, das dem Ravenclaw jemals begegnet war, und er würde sich ihr wohl mit Sicherheit so sanft wie möglich erwehren, doch selbst dann hätte sie keinerlei realistische Chancen vorweisen können. Doch sie hatte andere Talente, die man unter gewissen Umständen vielleicht nicht immer als Vorteil bezeichnen konnte, die aber durchaus nützlich waren und Nell schon das ein oder andere Mal aus der Patsche geholfen hatten.
„Wenn du jetzt denkst, ich würde mich auf dich stürzen, um den Abend so zu beenden, dann muss ich dich leider enttäuschen“, antwortete sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen und senkte ebenfalls die Stimme, während auch sie sich zu Logan vorbeugte, sodass ihre Köpfe nicht mehr sonderlich weit voneinander entfernt waren. Sie grinste.
„Aber ich habe ein loses Mundwerk und eine blühende Fantasie. Und man hat mich noch nie bei einer Lüge ertappt.“ Ihr Grinsen wurde eine Spur breiter, sie zog die Augenbrauen kaum merklich zusammen und lehnte sich dann wieder zurück, um wieder einen größeren abstand zwischen sich und diesen nervtötenden Kerl zu bringen. Sie wusste, dass es eine miese Drohung war, fiese Gerüchte über Logan zu verbreiten, doch sie hätte nicht davor zurückgeschreckt. Er sollte sie ernst nehmen. Nur weil sie ein Mädchen aus der untersten Unterschicht und vermutlich seiner unwürdig war, hieß das noch lange nicht, dass dieser Schnösel sie einfach so als nichtig abtun könnte. Nur weil er Geld hatte und sie arm war, weil er teure Umhänge einer weithin bekannte Marke trug und sie vorwiegend Secondhand, hieß das noch lange nicht, dass er etwas Besseres war, wofür er sich zweifellos zu halten schien. Denn im Gegensatz zu ihr hatte er keine Ahnung, wie es in der Welt –in der wirklichen Welt und nicht in seiner kleinen netten Seifenblase, die seine Familie sich wohl aus Reichtum geschaffen hatte- zuging. Sie hatte es von klein auf lernen müssen. Sie war immer schon auf sich allein gestellt gewesen. Vielleicht hatte sie das zu so einem egoistischen Menschen gemacht, der immer zuerst an sich selbst dachte und dann erst an andere. Die einzigen Menschen, die jemals zu ihr durchgerungen waren, waren ihre Freunde, die genauso waren wie sie. Auf die sie immer zählen konnte und die ihr mehr eine Familie waren, als es ihre wirkliche Familie jemals war.
Doch ihre Freunde waren zuhause, in der Muggelwelt, während Nell sich hier mit einem Menschen herumschlagen musste, den sie überhaupt nicht mochte und der ihr so egal war wie die Furunkel auf dem Hintern des Hausmeisters.
Doch sie hatte sich immer erfolgreich durchgeboxt und auch ein Logan Munroe würde sie nicht klein kriegen, noch dazu musste sie sich auf ihn einlassen, um dem Durchfallen in Arithmantik zu entgehen.

"Ich bin kein Schleimer", sagte Logan mit schlichter Gleichgültigkeit, es war ihm egal, was sie dachte. Das war offensichtlich. Nun ja, ihr war schließlich auch egal, was er dachte, auch wenn sie ihn tatsächlich nicht für einen Schleimer hielt. Auch wenn sie das lieber getan hätte, denn es wäre ein Grund gewesen, ihn noch mehr zu verachten, wenn sich seine guten Noten auf Schleimereien Autoritätspersonen gegenüber begründen würden. Nell hielt nur sehr wenig von solchen Menschen, die sich verstellten, nur um vor anderen besser dastehen zu können. Sie hasste so etwas. Und sie verabscheute diesen Typ Mensch, der vor anderen verstellte, um zu gefallen. Logan jedoch war keiner dieser Menschen. Er war, auch wenn Nell es nur ungern zugab, intelligent, höflich und nett. Sie mochte ihn trotzdem nicht.
„Natürlich nicht.“, gab Nell zurück und konnte sich eines ironischen Tonfalls nicht erwehren, selbst wenn sie wusste, dass er das Schleimen wohl kaum nötig hatte.
„Ich meinte eigentlich nur, dass du einer der Menschen bist, die niemals etwas gegen eine Autoritätsperson sagen würden.“ Nell hob den Blick und sah Logan ernst an und plötzlich wusste sie nicht mehr, warum sie ihm andeutete, dass sie ihn nicht für einen Schleimer hielt. Es konnte ihr schließlich egal sein. Vermutlich wollte sie einfach auch nur, dass er sie nicht nur für ein Mädchen mit Vorurteilen ohne gesundes Urteilsvermögen hielt…
Logan sprach weiter. Er wusste, dass sie ihm und seinem Gesellschaftsstand mehr als misstrauisch gegenüber stand und auch wenn Nell es eigentlich nicht wollte, so musste sie doch bei seiner Erklärung bezüglich seiner verletzten Schulter schmunzeln, so viel Selbstironie hätte sie ihm nicht zugetraut.
„Du hast Recht, das ist wirklich eine ziemlich langweilige Wahrheit, hättest du sie nicht noch ein bisschen ausschmücken können, damit mein vorurteilsbehaftetes Denken schön bestätigt wird?“ Sie lächelte süßlich und strich sich die violette Harrsträhne hinters Ohr.
„Es muss schlimm für dich sein, dass das ausgerechnet bei einem feinen Ausritt passiert ist. Schon blöd, bei Gewitter auszureiten…“ Nells Stimme triefte vor Spott, sie wollte Logan ein bisschen Salz in die Wunde reiben. Obwohl sie selbst wusste, das Gewitter eine durchaus völlig faszinierende Wirkung haben konnten, sie selbst liebte es, wenn es blitzte und donnerte und wenn die Natur zeigte, welche Gewalt in ihr steckte. Es war ein fesselndes, faszinierendes Schauspiel. Wie oft war Nell schon im Gewitter herumgelaufen, hatte den kalten Regen auf ihrer klammen Haut gespürt und nach dem Gewitter den reinen Geruch, der stets nach dem Regen in der Luft hing. Doch das musste Logan ja nicht wissen. Nell lächelte.

Und dann geschah das Unglück, das ihr Lächeln sogleich von ihren Lippen wischte und schneller als sie reagieren konnte sah Nell sich einem riesigen Chaos gegenüber, das sie schier verzweifeln ließ. Sie war im Grunde genommen kein tollpatschiger Mensch, sie ließ nichts anbrennen, jedenfalls für gewöhnlich. Sie war eigentlich geschickt, schon mehr als einmal hatte sie völlig unauffällig Dinge in ihren Taschen verschwinden lassen, warum passierte ihr ausgerechnet in diesem Moment so ein Missgeschick?
"Es tut mir so leid, Nell. Geht es dir gut? Hast du Scherben abbekommen? Beim Barte des Merlin, wie konnte ich nur so ungeschickt sein...", hob Logan plötzlich zum Sprechen an und sprang auf, um ein Stückchen näher an Nell heranzutreten. Verwirrt blickte die blonde Gryffindor erst zu Logan und dann zu der heraneilenden Madame Pince, welche Nell mit ihren Blicken durchbohrte und Logan nach Erklärung suchend anblinzelte.
"Madame Pince, es ist alles meine Schuld"
Geschockt starrte Nell den Jungen an, der alle Schuld auf sich nahm, obwohl er sie so leicht hätte beschuldigen können. Sie war es gewesen, unabsichtlich zwar, doch das ganze Desaster war ihr Verschulden. Und Logan nahm einfach so alles auf sich. Er würde den ganzen Schaden übernehmen. Das passte einfach nicht. Warum tat er das. Nell war vollkommen irritiert, sie verstand nicht, was vor sich ging, doch sie gab mit ihrem unschuldigen Gesicht und ihrer leisen, erschrockenen Beteuerung, dass es ihr gut gehe, einen Beweis, wie gut sie lügen konnte. Und Logan seinerseits bewies, dass er es durchaus auch konnte.
„Ähm… ja… natürlich. So etwas kann ja auch mal passieren“, sagte Madame Pince sichtlich verwirrt und lächelte Logan fahrig zu.
„Zum Glück ist ihnen nichts Schlimmeres passiert. Ich bitte sie nur das Chaos ein wenig zu beseitigen, den Rest klären wir später, machen Sie sich keine Sorgen…“ Madame Pince’ dürre Gestalt wackelte davon. Und ließ Nell und Logan im unangenehmen Schweigen zurück.
„Was…?“, fragte Nell mit leiser Stimme und sah der älteren Dame verwirrt hinterher. Sie verstand nicht, was da eben vor sich gegangen war und warum Logan, der sie offensichtlich nicht einmal mochte, eine Strafe von ihr abgewendet hatte. Na toll!
Nell fuhr sich durch das lange Haar und rutschte mit dem Rücken gegen eines der hohen Regale gelehnt zu Boden. Sie verstand es einfach nicht, sie hätte nicht damit gerechnet, dass Logan so etwas tun würde. Das änderte eine ganze Menge.

Für einen Moment saß Nell einfach nur da und atmete tief durch, dann begann sie schweigend, die verstreuten Pergamentbögen vom Boden aufzulesen. Warum hatte Logan das getan? Aus purem Großmut? Um wie ein Held vor ihr dazustehen? Um zu zeigen, wie heldenhaft er doch war und dass er es sich leisten konnte, den entstandenen Schaden locker zu bezahlen? Nell wusste, sie sollte Dankbarkeit verspüren, doch Logans ehrenhafte Handlung irritierte sie so sehr, dass sie nicht wusste, wo ihr der Kopf stand. Und zugleich fühlte sie in ihrem Inneren die Wut darüber aufsteigen, dass sie selbst in einer solchen Situation so hilflos war und dass er ihr helfen konnte, dass er mit seinem Geld und seinem feinen Benehmen für sie den Kopf hinhielt.
„Weißt du, ich verstehe es zwar nicht, aber vermutlich sollte ich wohl etwas Dankbarkeit zeigen.“, sagte Nell und der Zorn auf sich und auf den edlen Logan schwang in ihrer Stimme mit, während sie den Kopf hob und Logan von unten anblickte. „Danke“, fuhr sie fort und knallte die aufgesammelten Pergamente auf den Tisch. Selbst sie sah ein, dass es unhöflich gewesen wäre, sich nicht zu bedanken, denn vermutlich hatte Logan sie gerade vor einem grausamen Tod durch Madame Pince’ Hand bewahrt.
„Ich verstehe es nur einfach nicht. Warum hast du das gemacht?“, fragte sie und richtete sich auf, den Blick weiterhin unverwandt auf Logan gerichtet. „Ich meine, es ist schließlich offensichtlich, dass du mich nicht einmal magst!“ Nells Stimme war noch immer gesenkt, doch es war nicht zu überhören, dass sie verärgert und gleichzeitig verwirrt war.
Jetzt stand sie auch noch in seiner Schuld, gab es etwas Schlimmeres?
„Ich kann das nicht annehmen. Ich werde dir alles zurückzahlen!“, sagte sie mit Nachdruck und zog ihren Zauberstab. Ihren Blick senkte sie, sodass Logan nicht sehen konnte, dass es ihr zu schaffen machte, dass sie nicht einmal genug Geld besaß, um den schaden, den sie selbst angerichtet hatte, wieder gut zu machen. Es ärgerte sie so unglaublich, dass sie nicht in der Lage dazu war. Logan konnte es nicht wissen, doch mit seinem Großmut erniedrigte er sie, doch er konnte nichts dafür. Nell schämte sich nicht ihrer Herkunft oder ihrem Lebensstandard, doch wenn es ums Geld ging, dann war es einer ihrer empfindlichen Nerven, sie wollte nicht finanziell in seiner Schuld stehen.
„Egal, wie lange es auch dauern mag…“, fügte sie etwas leiser hinzu und mit einem Schlenker ihres Zauberstabs verschwand die verspritzte Tinte vom Boden und den beschmutzten Büchern. Auch wenn sie ewig für den Preis der Vase würde arbeiten müssen, wenigstens konnte sie mit ihrem Talent für Zauberkunst einen Teil des Schadens beseitigen…


.:|Cornelia 'Nell' Hathaway. Seventeen. 7th class. Gryffindor. [Wannabe]Musician|:.

Where did the blue sky go? And why is it raining so?
.:|No risk, no fun. Colorful. Don't dare me. Musical. Rebellious|:.
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I hate you I hate you I hate you I hate you
And still there's something about you
Making my heart beat faster
[For you?]

Call me. Emmy. Claire. Erin. Lynn. Summer. Leilani. If you want.

8.9.08

„Wenn du jetzt denkst, ich würde mich auf dich stürzen, um den Abend so zu beenden, dann muss ich dich leider enttäuschen“ parierte Nell seine Provokation mit gesenkter Stimme und lächelte leicht. Auch Logan selbst konnte sich eines kleinen Schmunzelns nicht erwehren, das sich angesichts dieser schnippischen Worte auf sein markantes Gesicht schlich. Allein die Vorstellung, dass dieses blonde Mädchen es versuchen könnte, sich auf ihn zu stürzen, empfand er als amüsant. Er traute es ihr zwar durchaus zu, binnen Sekunden zu einer kleinen, cholerischen Furie zu mutieren, doch dennoch hatte die Szene, welche seine schon immer recht bildliche Vorstellungskraft ihm nun präsentierte, zweifellos etwas ziemlich absurdes. Auch Nell selbst schien dies mittlerweile eingesehen zu haben, reduzierte sie ihre Drohung, die zunächst doch noch aus einem tätlichen Angriff bestanden hatte, nun auf das gezielte Streuen gemeiner Gerüchte.
„Aber ich habe ein loses Mundwerk und eine blühende Fantasie. Und man hat mich noch nie bei einer Lüge ertappt.“ erläuterte sie mit einem Grinsen, das ebenso unschuldig wie diabolisch war und das Logan zumindest für einen kurzen Moment nachdenklich werden ließ. Dass Frauen ziemlich gemein sein konnten wusste er, auch, wenn er es bislang zum Glück noch nie am eigenen Leib hatte erfahren müssen. Doch unter den Angehörigen des weiblichen Geschlechts, das er sich doch stets große Mühe gab zu achten und mit zuvorkommendem Respekt zu behandeln, gab es auch viele teuflische und gerissene Biester. Keine Sekunde zweifelte der brünette Schüler daran, dass eben so ein Biest auch in Nell schlummern mochte, auch, wenn er es sich nur ungern vorstellen wollte, reichten doch die schlechten Eigenschaften, die sie ihm bislang präsentiert hatte, seiner Meinung nach eigentlich doch schon längst aus, um sie nicht zu mögen. Es war keineswegs so, dass er tatsächlich Angst vor den Geschichten verspürt hätte, die sie sich ausdenken und in die Welt setzen könnte. Sein Ruf war seit Jahren absolut tadellos, seine Weste völlig rein und weiß, so dass es fraglich war, ob überhaupt jemand, von einigen sensationshungrigen Lästermäulern einmal abgesehen, etwas auf derartige Gerüchte geben würde. Dennoch regte sich etwas in Logan Munroe, eine ungewisse Neugier wie die, die ihn zuvor bereits dazu gebracht hatte, Nell zu provozieren. Dieses Mädchen hatte etwas Unberechenbares an sich, das ihn gleichermaßen nervte und faszinierte, das ihn vor allen Dingen aber hellhörig und auch ein wenig vorsichtig machte. Nicht so vorsichtig, dass er einen feigen Rückzieher gemacht hätte, nein, eher so, dass er den einfachen Wunsch verspürte, genauer zu wissen, mit wem er es hier eigentlich zu tun hatte.
"Du lässt die Gerüchteküche brodeln, hm?" setzte er mit sachlich ruhiger Stimme an, es war eher eine Feststellung als eine Frage, während er sich zunächst ein Stück in seinem Stühl zurücklehnte, um eine größere Distanz zwischen ihnen beiden zu schaffen, und die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkte. Erneut ruhte sein Blick auf ihrer Gestalt, konzentrierte sich nun jedoch eher auf das Gesicht der Schülerin als auf ihre Statur. Ihre großen graublauen Augen waren ihm bereits zuvor aufgefallen und so gab Logan sich nun Mühe, seine Beobachtung nicht auf dieses zweifellos faszinierendste Merkmal ihres Antlitzes zu konzentrieren. Sie war nicht im herkömmlichen Sinne hübsch, mit ihren eher harten Gesichtszügen und dem seltsam fehl am Platz wirkenden Stupsnäschen, doch irgendwas in ihrem Gesicht sorgte zumindest dafür, dass Logan sich der Beobachtung desselbigen etwas länger hingab, als er es doch eigentlich vorgehabt hatte. Als wollte er über diese Tatsache hinweg täuschen, erhob er in die zwischen ihnen entstandene Stille die Stimme "Mir scheint, dir steht eine erfolgreiche Karriere beim 'Klitterer' bevor." flachste der junge Munroe, während er seinen Blick nun bewusst auf einige im Regal stehende Buchrücken heftete. Wie konnte ihn etwas so unvollkommenes wie ihr Gesicht reizen? Er hatte wahrlich schon viele Mädchen gesehen, deren Anblick Nell vor Neid hätte erblassen lassen. Wahnsinnig hübsche Mädchen, die eine perfekte, wohlgeformte Figur hatten, noch dazu seidig glattes Haar und Gesichtszüge, die wie aus weißem Marmor gemeißelt wirkten. Vielleicht, so dachte er bei sich, erschien ihm Nell optisch nur deswegen interessant, weil sie eben nicht perfekt war. Weil sie auf eine Art hübsch war, die er nicht kannte. Ja, daran musste es wohl liegen. Doch nach einigen weiteren Nachhilfestunden würde er sich daran gewöhnt haben, beruhigte Logan sich selbst und lächelte zufrieden. Er fühlte sich stets gleich wohler, wenn er sich erklären konnte, warum die Dinge so waren, wie sie waren. Dies gab ihm das Gefühl, alle Fäden in der Hand zu haben, eine Sicherheit, die er sich nicht nehmen lassen wollte. Nachdenklich zwirbelte er zwischen Daumen und Zeigefinger eine abstehende Strähne seines wirren braunen Haares, während er sich nun erneut Nell zuwandte "Wie wär's mit einer Kostprobe deiner Kreativität?" schlug er, begleitet von einem kleinen Grinsen, vor und blickte das ihm gegenüber sitzende Mädchen herausfordernd an. "Verrätst du mir, wie die Schlagzeile lauten wird?" Logans Gesicht nahm einen nachdenklichen, nichtsdestoweniger aber noch immer amüsierten Ausdruck an, auch er überlegte, was man über ihn verwerfliches titeln könnte. Er hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen, doch es hatte ja niemand gesagt, dass die Geschichte wahr sein sollte. Dieses Spielchen gefiel ihm. "Oh, ich hab was Gutes: 'Millionärsssohn trägt gern Frauenkleider'. Das ist klasse, oder?" frohlockte der brünette Junge und schüttelte grinsend den Kopf. Es war bloße Spinnerei, doch es tat ihm gut, sich selbst nicht so ernst zu nehmen und ein wenig des harmloesen Spaßes zuzulassen, den Nell ihm bereitete.

„Natürlich nicht.“ Mit einem ironischen Lächeln quittierte Nell Logans Aussage, kein Streber zu sein. Er hätte ahnen müssen, dass sie es nicht glauben würde, ja, er hatte es doch sogar geahnt, doch gekümmert hatte es ihn nicht. Eben so wenig kümmerte es ihn jetzt, da seine Ahnung zur Wahrheit geworden war, so dass er diese Äußerung kommentarlos übergehen wollte, was Nell selbst jedoch anscheinend anders geplant hatte. „Ich meinte eigentlich nur, dass du einer der Menschen bist, die niemals etwas gegen eine Autoritätsperson sagen würden.“ erklärte sie und zu seiner maßlosen Überraschung klang es fast wie eine Rechtfertigung. Doch war das tatsächlich möglich? Verwirrt hob Logan den Blick in ihre Richtung und bemühte sich, seine Verwunderung nicht zum Ausdruck zu bringen. Er ließ sich nur ungern anmerken, aus dem Konzept gebracht worden zu sein. Stattdessen glitt ein anerkennendes, seltsam zufriedenes Lächeln über seine schmalen Lippen, begleitet von einem knappen Nicken, das als Reaktion reichen sollte. Er erkannte ihre Entschuldigung, ihre Rechtfertigung, wie auch immer man diese seltsame Anwandlung nennen wollte, an und beließ es dabei. Jedes weitere Wort seinerseits zu diesem leidigen Thema hätte schlafende Hunde geweckt, da war er sich sicher.
„Du hast Recht, das ist wirklich eine ziemlich langweilige Wahrheit, hättest du sie nicht noch ein bisschen ausschmücken können, damit mein vorurteilsbehaftetes Denken schön bestätigt wird?“ Anscheinend war Nell mit der tatsächlichen Geschichte, in der die Ursache seiner Schulterverletzung beschrieben wurde, keineswegs zufrieden. Zunächst ordnete Logan ihre Reaktion so ein, dass sie ihn lediglich ein wenig aufziehen wollte, eine Tätigkeit, die ihr im Blut zu liegen schien und der sie mit Begeisterung nachging, doch als sie weitersprach erfror das Lächeln auf seinem Gesicht. „Es muss schlimm für dich sein, dass das ausgerechnet bei einem feinen Ausritt passiert ist. Schon blöd, bei Gewitter auszureiten…“ Und urplötzlich kam es ihm vor, als hätte der kräftige Ast ihn ein weiteres Mal erwischt. Logans Lippen bildeten nicht mehr als eine dünne, harte Linie, während er all seine Willenskraft bündeln musste, um den Erinnerungen nicht nachzugeben. Dieses dumme, gedankenlose Mädchen, das doch überhaupt keine Ahnung hatte. Sie hatte ihn nur provozieren wollen, sie hatte doch keinen blassen Schimmer, was für eine grausame Wahrheit sich hinter diesem Reitunfall verbarg. Sie konnte nichts dafür, doch diese Gewissheit machte es für den MOment nicht besser, kein Stück. Er musste sich Mühe geben, sie nicht zu hassen für die Erinnerung, die sie in ihm geweckt hatte. Logan hörte den prasselnden Regen, die streitenden Stimmen aus dem oberen Stockwerk des Hauses. Jedes Mal, wenn er diesen Tag aufs Neue durchlebte, wollte er anders handeln, wollte nicht den Salon betreten, doch es gelang ihm nicht, die Geschichte zu ändern, auch jetzt nicht. Tief atmete er ein, schloss kurz die Augen, deren sanfte braungrüne Farbe wie eingefroren zu sein schien. Er, Logan Munroe, würde sich nicht seinem Selbstmitleid hingeben, schon gar nicht vor den neugierigen, spöttischen Augen dieses Mädchens. Sie wollte Gerüchte über ihn in die Welt setzen? Er lieferte ihr gerade mehr als genug Anlass dazu.
"Entschuldige, Nell." Ein leises Räuspern war nötig, um seine Stimme zu ihrer gewohnten Sicherheit zurückkehren zu lassen. Er konnte und wollte ihr seine kurzfristige gedankliche Abwesenheit nicht erklären, noch immer floss die Erinnerung wie ätzende Säure durch seine Adern, doch eine Entschuldigung erschien ihm als selbstverständlich. "Meine Geschichte ist dir nicht dramatisch genug, was?" Du hast ja keine Ahnung, dachte er grimmig bei sich, schüttelte die inneren Dämonen aber ab, als er weitersprach. "Ja, du hast wahrscheinlich recht. Immerhin sind wir hier doch im offiziellen 'Klitterer'-Vorbereitungslager." Endlich erschien wieder das schiefe, ironische Grinsen auf seinem Gesicht, dessen Züge sich ein wenig entspannt hatten. Während er fortfuhr, schmolz das Eis in seinen Augen, die nun tatsächlich vergnügt zu funkeln begannen "Also, die wahre, nur für dich ein wenig dramatisierte Geschichte meines Unfalls, Version zwei: Auf meinem schwarzen Ross ritt ich durch Wind und Wetter, seit Tagen hatte ich nichts gegessen und auch meinem Pferd hatte ich keine Ruhe gegönnt, um sich am saftigen Grün des Grases zu laben. Die schweren Geldsäcke, die es, zusätzlich zu meinem Gewicht, tragen musste, ließen das arme Tier immer wieder ächzen. Doch wenn man reich ist, dann ist das wohl der Preis, den man zahlen muss. Ich würde mir ein neues, ein stärkeres Pferd kaufen müssen, das mein Vermögen durch die Lande tragen könnte, das wurde mir an diesem Tag klar. Unerbittlich trieb ich mein altes Ross weiter an, als sich plötzlich der Zorn Gottes in Form eines Blitzes auf mich konzentrierte, um mich dafür zu bestrafen, dass ich es gewagt habe, als privilegiertes Kind geboren worden zu sein." beendete er seine Geschichte mit einem zufriedenen Ausdruck auf dem markanten Gesicht. Es war seltsam, doch die Geschichte seinen Unfalls neu zu erfinden befriedigte ihn. Natürlich war es Blödsinn, aber selbst jeder noch so abwegige Quatsch war besser als die Wahrheit.
"Ist Madame damit zufrieden?" vergewisserte er sich und musterte Nell neugierig, während ihre Worte sich in seinem Kopf wiederholten Schon blöd, bei Gewitter auszureiten… Logan hatte schon immer eine seltsame Vorliebe für Gewitter gehabt, sie faszinierten ihn und sorgten dafür, dass er sich plötzlich ganz klein vorkam. Ein Gefühl, das für jemanden, auf dem alle Hoffnungen der Familie ruhten, manchmal doch ganz angenehm sein konnte. Doch würde er Gewitter jemals wieder so unbeschwert genießen können wie zuvor? Wenn der Regen seinen Nacken herunterlief und das Donnergrollen ankündigte, dass der nächste Blitz sich bald entladen würde, wo würden seine Gedanken sein? Würden sie frei durch die vom Regen geklärte Luft schweben oder würden die Erinnerungen ihn so bekümmern, dass nicht nur Regen, sondern auch stille Tränen über sein Gesicht laufen würde?
Sein Blick wanderte zu Nell. Sie würde es nicht verstehen.

Das plötzliche Malheur, dessen Ursprung Logan sich noch immer nicht erklären konnte, setzte seinen Gedanken ein heilsames Ende. Es lenkte ihn ab und tat ihm gut, eine Aufgabe zu haben, welche nun darin bestehen sollte, Madame Pince glauben zu lassen, er sei die Quelle allen Übels. „Ähm… ja… natürlich. So etwas kann ja auch mal passieren“ Verwirrt beäugte die Bibliothekarin Nell und Logan, schien seinen Ausführungen jedoch tatsächlich Glauben zu schenken. Zum Glück ist ihnen nichts Schlimmeres passiert. Ich bitte sie nur das Chaos ein wenig zu beseitigen, den Rest klären wir später, machen Sie sich keine Sorgen…“
"Natürlich, wir werden hier aufräumen, das ist doch selbstverständlich." beteuerte Logan sogleich, auf seinem Gesicht erschien das harmlose Lächeln eines perfekten jungen Gentlemans. "Vielen Dank für ihr Verständnis" rief er der alten Dame, die schon dabei war, sich von ihnen zu entfernen, noch hinterher. Er wusste zwar, dass sie eine heimliche Vorliebe für ihn hegte, doch dass es so einfach werden würde, hätte Logan dann doch nicht vermutet. Mit einem zufriedenen Lächeln drehte er sich zu Nell um "Das ist ja nochmal gutegang..." setzte er an, stockte jedoch, als seine suchenden Augen erst am Boden fündig wurden, wo Nell bereits damit beschäftigt war, die Pergamente einzusammeln. "Lass doch, das kann ich auch machen" erklärte der Ravenclaw zuvorkommend, während er sich zugleich auf ihre Augenhöhe begab und seinerseits ebenfalls begann, seine verstreuten Unterlagen zu ordnen. Eine Weile hockte sie schweigend nebeinander und waren bemüht, eine Ordnung in das vor ihnen am Boden liegende Chaos zu bringen, ehe Nell es war, die die Stille durchbrach.  „Weißt du, ich verstehe es zwar nicht, aber vermutlich sollte ich wohl etwas Dankbarkeit zeigen.“ fuhr sie ihn plötzlich an. Logan hätte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Nicht, dass er überschäumende Dankbarkeit von ihr erwartet hätte, das war keineswegs der ausschlaggebende Grund für sein Handeln, aber warum in drei Teufels Namen war sie denn bitte sauer auf ihn? Verwirrt kratzte er sich hinterm Ohr, bevor er vorsichtig einen Stapel Pergamente auf den Tisch gleiten ließ.
Ich verstehe es nur einfach nicht. Warum hast du das gemacht? Ich meine, es ist schließlich offensichtlich, dass du mich nicht einmal magst!“ Was war nur mit diesem Mädchen los? Sie mochte ihn doch selbst nicht, wie kam sie also nun dazu, ihm dies in umgekehrter Weise vorzuwerfen?  "Pass auf, Nell" setzte Logan geduldig an, während er seinen befleckten Umhang abstreifte, um begutachten zu können, wieviel dieser abbekommen hatte. "Es ist doch völlig egal, ob ich ich mag oder nicht. Das spielt keine Rolle. Ich konnte dir helfen und ich habe es getan. Dafür verdiene ich nicht deine Dankbarkeit, aber auch nicht deinen Zorn, okay?" Seine klare, angenehme Stimme war die ganze Zeit ruhig geblieben. Eingehend betrachtete er nun seinen Umhang, der über und über besät war mit kleineren und größeren Tintenspritzern. "Da muss wohl ein neuer her" seufzte er leise und ließ seinen Blick zu Nell hinüber wanderen. "Soll ich meinem Dad..." er stockte kurz, als er Cormag automatisch so bezeichnete "...soll ich ihn bitten, auch einen neuen Umhang in deiner Größe mitzuschicken?" bot er an, wobei seine Frage nach ihrer vorherigen Reaktion einen äußerst vorsichtigen Unterton angenommen hatte. "Du weißt schon, Munroe Gowns. Es wäre wirklich kein Problem." fügte er erklärend hinzu und machte sich daran, seine Pergamente, die nun wieder alle auf dem Tisch lagen, zu einem Stapel zusammen zu sortieren. Sie waren teilweise ebenfalls befleckt, doch man konnte seine Aufzeichnungen zumeist noch recht gut lesen, wie er zufrieden feststellte, während er aus dem Augenwinkel Nell dabei beobachtete, wie sie die Flecken vom Boden mit geschickten Schwenkern ihres Zauberstabes verschwinden ließ. Ein mildes, versöhnliches Lächeln breitete sich angesichts dieses Anblicks auf seinem Gesicht aus. "Zauberkunst ist wohl kein Problem, was?" fragte er und nickte ihr anerkennend zu. Er konnte es nicht recht erklären, doch es tat ihm gut zu sehen, dass sie nicht nur gleichgültig und desinteressiert sein konnte.






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wie die sonne den kometen
wegzieht von seiner bahn
wie der felsblock zu dem fluss sagt
fließ woanders hin
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wie ein schiff erfasst vom sturmwind,
das die richtung verliert
und ein nie gesehnes ufer gewinnt
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13.09.2008

Nell rutschte auf Knien über den mit dunkelblauer Tinte verschmierten Teppichboden der Bibliothek und sammelte mit fahrigen Händen die verstreuten Pergamentrollen auf, auf welchen einst so säuberlich Formeln, Tabellen und Notizen zu lesen gewesen waren und die nunmehr mit mehr oder minder großen Tintenklecksen verunreinigt worden waren. Und das alles war ihre Schuld gewesen. warum musste sie auch so schreckhaft sein und beim einfachen Klang einer Wanduhr, welche die volle Stunde schlug, so zusammenzucken, dass sie gleich ein ganzes Tintenglas umwarf und dabei noch die Hälfte der Dinge, die auf dem Tisch lagen, von der Tischplatte wischen? Sie war doch sonst nicht so ungeschickt. Sie konnte von Glück sagen, dass nicht noch mehr passiert war und dass sie nicht für den Schaden verantwortlich gemacht wurde – dank Logan.
Logan, der sie, für sie völlig unverständlich, vor Madame Pince aus der Geschichte raus gehalten und sich selbst als dafür verantwortlich hingestellt hatte. Was sie wohl niemals getan hätte. Ein solches Verhalten kannte sie nicht. Natürlich, ihre Freunde, die Menschen, die sie lange und besser kannte als alle anderen Menschen auf der Welt, mit denen sie bereits durch Dick und Dünn gegangen war und die mit ihr schon das ein oder andere nicht ganz legale Ding durchgezogen hatten, die würde sie vor alles und jedem verteidigen, aber doch nicht einen völlig fremden Menschen, den man gerade seit einmal ein paar Minuten kannte, der einem so unähnlich war wie Feuer und Wasser und den man nicht einmal mochte. Und doch hatte Logan alle Schuld auf sich genommen um Nell davor zu bewahren, bestraft zu werden. Er würde sogar alle Unkosten begleichen. Und Nell, der ein solches Verhalten fremd war, wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sicherlich würde sie Logan alles zurückzahlen, was er für die Vase ausgeben musste, sie konnte nicht einfach annehmen, dass er alles für sie bezahlte. Er konnte ja nicht ahnen, dass sie sich schämte, nicht selbst sofort für den entstandenen schaden aufkommen zu können. Dass es sie erniedrigte, dass er es auf die leichte Schulter nehmen konnte. Er hatte ja keine Ahnung, für ihn war es einfach nicht viel Geld, es war nicht der Rede wert. Doch für sie war es mehr, als sie ausgeben konnte. Er würde es nicht verstehen.
Nell wusste nicht, was sie schlimmer gefunden hätte: Die Tatsache, für den entstandenen Schaden bestraft zu werden oder die, in Logans Schuld zu stehen.
Sie wusste, dass sie sich am besten bei Logan bedankt und gesagt hätte, dass sie ihm alles zurückzahlen würde, doch sie konnte in diesem Moment einfach nicht an sich halten. Das hatte sie noch nie gekonnt und die Armut ihrer Familie war neben vielen anderen Punkten nur eine weitere Schwachstelle in ihrem harten Panzer aus Ruppigkeit und Unfreundlichkeit.
"Lass doch, das kann ich auch machen", hörte Nell Logan sagen und hob den Kopf, in den Händen hielt sie einen Haufen besudelter Pergamentbögen. Sie hörte wohl nicht recht. Er wollte das entstandene Chaos auch noch aufräumen. Er, der Sohn einer steinreichen Familie, der wahrscheinlich niemals einen Finger hatte rühren müssen. Sicherlich hatten ganze Heerscharen von Bediensteten dafür gesorgt, dass es ihm immer gut ging.
„Du willst tatsächlich aufräumen? Weißt du denn überhaupt wie das geht?“, fragte Nell gereizt und klatschte die Notizen auf die verschmierte Tischplatte, ehe sie ihren Zauberstab zog und damit herumfuchtelte, während sich in ihrem kopf Zaubersprüche manifestierten, die dafür sorgte, dass mit einem Mal nichts mehr von der verspritzten Tinte auf Tisch, Boden und Stühlen zu sehen war. Allein die blauen Flecken auf ihren Umhängen und die zerbrochenen Vase waren noch Zeugnisse des durch Nell verursachten Unglücks.
„Lass mal stecken, ich kann das schon ganz gut alleine. Du hast schon genug getan.“, fügte sie noch hinzu, in dem Versuch, ihr Temperament und den Spott ein bisschen zu zügeln. Sie wusste eigentlich, dass Logan es –zumindest in diesem Moment – nicht verdient hatte, so von ihr behandelt zu werden, doch sie konnte nichts daran ändern, die sarkastisch-höhnischen Worte sprudelten einfach so aus ihr heraus und machten ihrem Ruf alle Ehre. Nun ja, besser man enttäuschte die Menschen, bevor sie einen enttäuschen konnten. Sie konnte den Ravenclaw ja ohnehin nicht ausstehen.

"Es ist doch völlig egal, ob ich dich mag oder nicht. Das spielt keine Rolle. Ich konnte dir helfen und ich habe es getan. Dafür verdiene ich nicht deine Dankbarkeit, aber auch nicht deinen Zorn, okay?", gab Logan ihr als Antwort auf ihre verwirrte und aggressive Frage, doch sie konnte ihn nur verständnislos ansehen. Er wusste scheinbar wirklich nicht, wie sie dachte. Sie lebten einfach in verschiedenen Welten. Er verstand sie nicht.
„Ach, du hast doch keine Ahnung!“, fauchte sie und stopfte ihren Zauberstab zurück in die Tasche ihres alten Umhangs, bevor sie ihre Arme vor der Brust verschränkte und so ein abweisendes Bild abgab. „Ich kann dich einfach nicht verstehen. Da wo ich herkomme, könntest du dir deine Hilfe sonst wo hin stecken. Mit deiner verdammten Höflichkeit würdest du dort keinen tag lang überleben!“, wütete sie weiter, ohne überhaupt darüber nachzudenken, was sie da alles sagte. was sie ihm alles verriet über sich und darüber, warum sie so war, wie sie eben war – wenn auch nur zwischen den Zeilen. Auch wenn Logan wohl bereits vorher bereits aufgefallen war, dass er sich die Welt, aus der Nell stammte, nicht mal in seinen kühnsten Träumen vorstellen konnte, denn allein ihre äußerliche Erscheinung war so voneinander verschieden, dass nur ein Blinder nicht merken konnte, dass sie aus zwei vollkommen unterschiedlichen Welten stammten. Logan trug edle und tadellose Kleidung, sein Haar war, wenn auch zerzaust, perfekt und selbst seine Bewegungen erzählten von dem feinen, jungen Mann aus gutem Hause. Und sie… Nell dagegen war hart, trug geflickte und zerschlissene und keineswegs adäquate Kleidung, hatte gefärbtes Haar, war tätowiert und verhielt sich nicht im Geringsten so, wie man es von einem jungen Mädchen erwartete. Wie konnte sie da erwarten, dass er verstand, wie sie sich in diesem Augenblick fühlen musste. Wie gedemütigt.
„Aber trotzdem danke“, schnauzte sie und griff ihre alte, mit Aufnähern und Buttons verschiedenster Muggel- sowie Zaubererbands gepflasterte, schwarze Stofftasche vom Boden auf. Sie wollte so schnell wie möglich weg, doch zuvor musste sie noch die Scherben der zerbrochenen Vase zusammenräumen, damit sich nicht jemand daran verletzen würde. Sie zog erneut ihren Zauberstab.
"...soll ich ihn bitten, auch einen neuen Umhang in deiner Größe mitzuschicken?", fragte Logan, der eingehend seinen verschmutzten Umhang betrachtet hatte und sie nun aus den Augenwinkeln fragend ansah. Die Gryffindor ließ den Zauberstab, mit dem sie soeben im Begriff gewesen war, die Scherben verschwinden zu lassen, sinken und starrte Logan entgeistert an. Einen Moment lang wusste sie nicht, ob sie lachen, weinen oder schreien sollte. Es konnte doch nicht sein, dass er noch immer nicht verstanden hatte… Sah er denn nicht, dass sie alte Umhänge trug, die bereits mehr als einmal mit Nadel und Faden hatten bearbeitet werden müssen, damit sie nicht vollends zerrissen? Oder dachte er etwa, sie würde sich keine neuen Umhänge kaufen, weil sie einfach keine Lust dazu hatte? Und Munroe Gowns, das waren zwar qualitativ sehr hochwertige, aber auch sehr teure Umhänge. Für gewöhnlich störte Nell sich wenig an ihrer unkonventionellen Kleidung und trug sie sogar sehr gerne, vor allem zuhause, doch in Gegenwart von Menschen wie Logan fühlte sie sich so immer fehl am Platze und das war etwas, was sie tierisch aufregen konnte.
„Das meinst du doch jetzt nicht ernst, oder?“, fragte sie nach und runzelte die Stirn. was ging eigentlich im Kopf dieses Jungens vor sich? Wollte oder konnte er nicht sehen, dass es Menschen gab, die nicht mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen waren?
„Es wäre wirklich kein Problem.", fuhr Logan fort und ordnete seelenruhig seine Notizen, um sie dann vorsichtig in seine Tasche gleiten zu lassen. Nell lachte einmal kurz und bitter auf, dann wandte sie sich wieder an ihr Gegenüber.
„Nein. Nein, das ist wirklich nicht nötig, du hast schon genug getan. Das kann ich mir nicht leisten.“, sagte die Schülerin dann mit nüchterner Stimme und betrachtete sich von oben bis unten. Auf dem schwarzen Umhang fielen die dunkelblauen Flecken kaum auf, nur auf ihrem T-Shirt waren die weißen Buchstaben, welche den Schriftzug „The Ramones“ formten, mit kleinen, blauen Spritzern übersät.
„Das geht bestimmt wieder aus…“, fügte sie wenig überzeugend hinzu und schwenkte ihren Zauberstab durch die Luft, sodass die Scherben der Vase sich wie von selbst zusammenfegten und auf einen kleinen Haufen stapelten.

"Zauberkunst ist wohl kein Problem, was?" Nell sah Logans anerkennendes Nicken und nahm es beinahe gleichgültig zur Kenntnis. Ihr war klar, dass er überrascht und vielleicht erfreut war zu sehen, dass sie nicht in jedem Fach so eine Versagerin war wie in Arithmantik, doch was kümmerte sie das? Sie wusste, dass sie in Zauberkunst einer der besten Schülerinnen ihres Jahrgangs war, wenn nicht gar die beste. Dieses Talent, wenn man es denn so nennen wollte, würde ihr bestimmt noch nützlich sein, wenn sie sich ihren Zukunftstraum von der Musik erfüllen wollte. das selbst zu wissen war das einzige, was für sie zählte.
„Nein, das ganz sicher nicht.“, antwortete die falsche Blondine und zuckte die schultern.
„Das Fach ist ja auch spannend…“ Nell grinste. Diese Spitze gegen Logans augenscheinliches Glanzfach hatte sie sich mal wieder nicht verkneifen können.

Mit einem flüchtigen Blick auf die Uhr stellte Nell fest, dass sie durch ihr Missgeschick viel zeit verloren hatten und dass es im Grunde genommen nun nicht mehr sehr viel Sinn machte, noch weiterzulernen, zumal Logans Notizen ohnehin total verschmiert waren.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es ist schon spät und ich glaube es macht ohnehin keinen Sinn mehr.“, sagte Nell und schulterte ihre Tasche. Sie hatte keine Lust mehr, noch länger mit Logan zu reden und sich weiterhin mit seiner von Reichtum geprägten Welt auseinanderzusetzen, außerdem wollte sie nachher nicht auch noch von ihm vorgeworfen bekommen, dass sie Schuld sei, dass er nicht mehr rechtzeitig vor Nachtruhe in seinem Gemeinschaftsraum ankam – und es waren nur noch wenige Minuten, bis alle Schüler in ihren Gemeinschaftsräumen zu sein hatten.




.:|Cornelia 'Nell' Hathaway. Seventeen. 7th class. Gryffindor. [Wannabe]Musician|:.
Where did the blue sky go? And why is it raining so?
.:|No risk, no fun. Colorful. Don't dare me. Musical. Rebellious|:.
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I hate you I hate you I hate you I hate you
And still there's something about you
Making my heart beat faster
[For you?]

Call me. Emmy. Claire. Erin. Lynn. Summer. Leilani. If you want.

14.9.08

Logan betrachtete Nell verstohlen aus dem Augenwinkel, während er sich doch zugleich bemüht darauf konzentrierte, seine Unterlagen wieder in ihre ursprüngliche, chronolgisch aufeinander aufbauende Reihenfolge zu bringen. Sie war wütend, das konnte er in ihrem Gesicht, das ihm trotz der Kürze ihres näheren Kennens merkwürdig bekannt und vertraut erschien, lesen wie in einem sehr einfachen Buch für das erste Lesealter. Die schmalen Augenbrauen der Schülerin hatten sich missmutig zusammengeschoben und ihre seltsam hellen blaugrauen Augen funkelten voller Ärger, während ihr verkniffener Mund nur in Ansätzen verriet, wie sehr sie darum bemüht war, ihn ihren Zorn nicht noch mehr spüren zu lassen. Doch sie war entweder eine sehr schlechte Schauspielerin oder eine sehr wenig engagierte, denn es gelang ihr nicht im Mindesten, ihre, für Logan absolut unverständliche, Rage zu verbergen.
Die Frage nach dem Warum stand ungestellt und vor allem unbeantwortet zwischen ihnen und schien eine Mauer zu errichten, die minütlich höher wuchs. Er hatte es doch nur gut gemeint, hatte helfen wollen. Was war denn dagegen zu sagen? Wie konnte es sein, dass er ihr durch sein zuvorkommendes Verhalten zunahe getreten war? Nie hatte es in seiner Absicht gestanden, Nell zu verärgern oder gar zu verletzen, obwohl sie ihm doch durchaus zahlreiche gute Gründe dafür geliefert hatte. Doch so war er einfach nicht. Er rühmte sich seiner perfekten Erziehung nicht, sonnte sich nicht in seinem Ansehen, bildete sich nichts darauf ein und ging nicht damit hausieren, ein tadelloses Benehmen zu haben, das vielleicht etwas veraltet und überholt anmuten mochte - doch begründet durch die Tatsache, dass er unter der liebevollen aber strengen Hand seiner Großmutter, einer wahren Grande Dame der britischen Gesellschaft, aufgewachsen war, erschien sein Verhalten nahezu als logische Konsequenz. Nicht um aufzufallen war er höflich, nicht um heldenhaft zu wirken sah er sich verpflichtet zu helfen, wenn er es denn konnte. Er tat es, weil der Anstand es gebot. Aber wie sollte er das einem Mädchen erklären, dem ihre sämtlichen Mitmenschen, vor allem aber er, der junge Ravenclaw selbst, völlig egal waren? Würde sie es verstehen? Ihm überhaupt zuhören? Stumm schüttelte er den Kopf, warum scherte er sich denn überhaupt darum, was sie wohl von ihm denken mochte? Es war doch völlig egal. Es spielte absolut keine Rolle. Es hatte einfach keine Rolle zu spielen.
„Du willst tatsächlich aufräumen? Weißt du denn überhaupt wie das geht?“ Nells schneidende, spöttische Stimme durchbrach die Stille und Logan konnte nicht anders, als zu grinsen. Zweifelnd hob er eine Augenbraue und suchte Nells Blick "Ich hätte dich eigentlich für kreativer gehalten" befand er schlicht, schaute wieder hinab zu der sich allmählich lichtenden Unordnung und schob die Seiten des vor ihm liegenden Pergamentstapels so zusammen, dass nun die Kanten und Ecken sauber und gerade aufeinander lagen.
"Weißt du, das sind doch Sprüche, die ich schon hunderte Male gehört habe. Vorurteile gegen reiche Kinder gibt es wie Sand am Meer, ich kenne sie alle." erläuterte er, ohne jedoch wirklich erbost zu wirken. Meist war Neid die Ursache für derartige dumme Sprüche, aber das wollte er Nell nicht unterstellen. So wahnsinnig fantastisch war sein Leben ausserdem nicht, wie er mit einem grimmigen, schmallippigen Lächeln bei sich dachte. Nell wusste bestimmt, wer ihr leiblicher Vater war. Und sie kannte ihn, war wahrscheinlich bei ihm und ihrer Mutter aufgewachsen. Bei den Menschen, die wirklich ihre Eltern waren. Er wollte sich nicht beschweren, hatte es doch immer gut gehabt. Doch er warf dem blonden Mädchen doch auch nicht vor, dass sie eine normale, komplette Familie hatte. Warum also warf sie ihm immer und immer wieder vor, dass er aus einer reichen Familie stammte? Unwillig schüttelte Logan den Kopf. Vielleicht war es in ihrer Erziehung versäumt worden, gewisse Lektionen über Fairness zu lehren.
„Lass mal stecken, ich kann das schon ganz gut alleine. Du hast schon genug getan.“ Die Gryffindor lehnte seine Hilfe ab, doch Logan faltete unbeirrt weiterhin seine Notizen zusammen und verstaute sie vorsichtig und ordentlich in seiner schicken ledernen Tasche. Nells Worte waren schwer zu interpretieren, aber ihr 'genug' klang in Logans Ohren eindeutig so, als hätte sie doch eigentlich lieber 'zu viel' sagen wollen, sich aber gerade eben noch zurückhalten können.
"Hm" seufzte er und drehte sich zu Nell um. "Ich soll dich das also machen, weil du es kannst. Und ich habe dir vorhin bei Madame Pince geholfen, weil ich es eben konnte. So weit, so klar. Vielleicht verstehst du mich ja so ein bisschen besser." versuchte er erneut geduldig, sich ihr zu eklären - ohne große Hoffnung in ihr Verständnis zu setzen.

Nells verständnislose Wut schien sie nahezu blind für jegliche Erklärungsversuche zu machen, die Ignoranz dieses Mädchens überraschte Logan jede Minute aufs neue, da sie zu immer neuen Höchstformen aufzulaufen schien.
„Ach, du hast doch keine Ahnung!“ befand sie zornig und verschränkte stur ihre Arme vor der schmalen Brust, eine Geste, die wohl kindlicher und hilfloser wirkte, als es ihr selbst bewusst war. Im Inneren des brünetten Schülers regte sich eine zarte Welle von sanftem Mitgefühl, ohne dass er recht wusste, wofür Nell sein Mitleid denn überhaupt verdient haben sollte. Doch in diesem Moment war von ihrer taffen, selbstbewussten Art nicht mehr viel über und das rührte ihn. Logans Überlegungen und auch seine nahezu freundschaftlichen Gefühle gegenüber der Blondine wurden von dieser selbst jedoch rasch im Keim erstickt, als sie mit lauter Stimme fort- und ihn grob anfuhr.
„Ich kann dich einfach nicht verstehen. Da wo ich herkomme, könntest du dir deine Hilfe sonst wo hin stecken. Mit deiner verdammten Höflichkeit würdest du dort keinen Tag lang überleben!“ Sein Wunsch, ihr Paroli zu bieten, war groß, weit größer, als er selbst gedacht hätte und breitete sich in seinem Inneren aus wie ein schmerzhaftes, tödliches Gift. Es bedurfte einiger heftiger Anstrengung, den schon zur Reaktion geöffneten Mund wieder zu schließen, ohne die Worte herauszulassen, die ihm durch den Kopf gingen.
Was, beim Barte des Merlin, ging im Kopf dieses Mädchens vor? Dass sie ihn nicht verstehen konnte war die eine Sache, vielleicht lag dies einfach daran, dass sie anders erzogen worden war, was sogar sehr wahrscheinlich zu sein schien, doch was hatte es mit ihrer Herkunft auf sich, die sie jetzt so plötzlich und unvermittelt erwähnte?
Natürlich war ihm, der ein gutes und ein aufmerksames Auge hatte, durchaus aufgefallen, dass seine Mitschülerin einer gesellschaftlichen Schicht angehörte, die fernab von dem war, was er selbst Heimat nannte. Nicht nur ihr Verhalten, auch ihre heruntergekommene und in seinen Augen unkonventionelle Kleidung verriet diesen Umstand. Logan musste, trotz aller Toleranz, um die er sich bemühte, zugeben, dass er mit kleinbürgerlichem Leben nicht viel anfangen konnte. Seine Mutter Meaghan hatte sich früh gegen das privilegierte Leben im Hause Munroe entschieden, was der gutaussehende junge Erbe nie hatte verstehen konnen. Ein Leben voller Vorzüge aufzugeben erschien ihm tatsächlich ziemlich dämlich.
Doch aus den wenigen Besuchen bei Meaghan hatte er einen Eindruck ihrer Lebensart gewonnen, der ihm zwar recht fremdartig, jedoch keineswegs gefährlich oder heruntergekommen erschienen war. In der tatsächlich recht gemütlichen Wohnung seiner leiblichen Mutter hatte es an nichts gefehlt, obwohl Logan größeren Luxus gewohnt war. Es war, entgegen der Vorstellung seiner Großeltern, kein verachtenswertes und entbehrungsreiches Leben. Nun, verstehen konnte er Meaghan dennoch nicht.
Aber wenn man ihn gebeten hätte, seine Vorstellung von Nells Lebensart zu beschreiben, so hätte diese sich wahrscheinlich deutlich an dem orientiert, was er dort, bei Meaghan und ihrem Ehemann Callum, kennengelernt hatte. Nell saß in seiner Phantasie auf einem kleinen Sofa in einer zweckmäßigen, nicht besonders großen Wohnung. Vielleicht hatte sie eine kleine Schwester, die mit ihr spielen wollte. Vielleicht rief ihre Mutter aus der Küche und bat um Hilfe beim Kochen. Logan konnte es nicht benennen, er hatte ja keine Ahnung, ob seine Vorstellung der Wahrheit auch nur im Entfertesten ähnelte, wahrscheinlich würde er es auch niemals wirklich erfahren. Doch was verriet ihm nun Nells zornige Äußerung? War sie einfach nur sauer und wurde deswegen unfair? Wollte sie ihn weiterhin provozieren? Oder zeigte sie nun zum ersten Mal einen bislang verborgenen Teil von sich, der nur zum Vorschein kam, weil sie es in ihrer Wut nicht länger schaffte, ihn verborgen zu halten? Logan heftete seinen forschenden Blick auf das blonde Mädchen, das für ihn ein Buch mit sieben Siegeln darstellte. War sie es denn überhaupt wert, dass er es auch nur versuchte, eines dieser Siegel zu brechen und zu verstehen?
"Wenn man da, wo du herkommst, gutes Benehmen nicht zu schätzen weiß, dann ist das sehr schade." konstatierte er mit einem wehmütigen Lächeln. So langsam verstand er es. Hatte sie tatsächlich niemals die zuvorkommende Aufmerksamkeit eines jungen Mannes erfahren? War sie immer nur von egoistischen, groben Kerlen umgeben gewesen?
"Aber vielleicht gewöhnst du dich ja daran" grinste Logan. Vielleicht, wenn er es durchhalten würde, seinem tadellosen Verhalten ihr gegenüber treu zu bleiben - denn leicht machte sie es ihm keineswegs. Für den Moment gelang es ihm jedenfalls, denn durchaus gut gemeint bot er ihr an, sich um einen neuen Umhang für sie zu kümmern, da der ihre, wie auch sein eigener, durch die Tinte verunstaltet worden war.
„Das meinst du doch jetzt nicht ernst, oder? Nein. Nein, das ist wirklich nicht nötig, du hast schon genug getan. Das kann ich mir nicht leisten.“ Nüchtern und anscheinend bemüht ruhig kanzelte Nell seinen freundlichen Vorschlag ab, es kam Logan vor wie ein weiterer Schlag in sein Gesicht, das anscheinen ihr liebstes Ziel war.
"Ich will ihn nicht nur für dich bestellen. Ich will ihn dir schenken." erklärte er dennoch ruhig, wenn auch einsilbig, und fragte sich zugleich selbst, wie er es schaffte, ihr unverminderte Höflichkeit zuteil werden zu lassen. Nie, wirklich niemals in seinem bisherigen Leben war er solch vehementer Ablehnung begegnet. Sein Entschluss stand ohnehin fest, er würde in jedem Fall einen Umhang für Nell kommen lassen und betrachtete mit schätzendem Blick ihre Figur. Sie war recht groß, aber dennoch sehr schlank, vielleicht trug sie 36, vielleicht 38. Er würde wohl zur Sicherheit einen in jeder Größe anfordern.
"Wo man 'Ramones' T-Shirts herkriegt weiß ich allerdings leider nicht" bedauerte er mit einem kurzen Blick auf ihr ebenfalls in Mitleidenschaft gezogenes Oberteil.

Schweigend beobachtete Logan, wie Nell sich darum kümmerte, die Scherben der zu Bruch gegangen Vase beiseite zu zaubern, damit Madame Pince sich zufrieden mit ihrer Aufräumarbeit zeigen würde. Fast sah nun alles wieder so aus, als sei nie etwas passiert, wie der Ravenclaw mit einem Lächeln feststellte. Nell hatte, das musste er ihr lassen, ganze Arbeit geleistet.
Zauberkunst schien ihr tatsächlich zu liegen, die Bewegungen und die leise gemurmelten Sprüche gingen ihr leicht von der Hand, während sie wie selbstverständlich wusste, wie sie dem Chaos Herr werden konnte.
„Das Fach ist ja auch spannend…“ betonte sie grinsend und spielte damit deutlich darauf an, wie wenig Spannung Arithmantik, das doch eigentlich Thema des Abends hatte werden sollen, sie zu fesseln vermochte. Auch Logan konnte sich das kurze Aufflackern eines Lächelns nicht verkneifen, wahrscheinlich hatte sie ja sogar recht.
"Klar, ich finde Zauberkunst auch spannend" nickte er. "Es ist schön, wenn man direkt das Ergebnis dessen sehen kann, was man getan hat. Das bleibt in Arithmantik leider aus, da hast du recht." Schmunzelnd sah er sich um "Ausserdem scheint Zauberkunst mir grad etwas nützlicher als Arithmantik zu sein" flachste er, plötzlich wieder etwas besser gelaunt und wandte Nell seinen aufmerksamen Blick zu. "Willst du später etwas in dem Bereich machen? Zauberkunst und so?" erkundigte er sich in einem Anflug von Neugier und dem Wunsch nach einer normalen Konversation und betrachtete sein Gegenüber, während er versuchte, sich Nell im späteren Berufsleben vorzustellen. Lehrerin? Wohl eher nicht. Fluchbrecherin? Ja, das würde zu ihr passen. Hart und unnachgiebig war sie schon jetzt, das würde sie nicht erst lernen müssen.

„Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es ist schon spät und ich glaube es macht ohnehin keinen Sinn mehr.“ äußerte Nell mit einem knappen Blick auf die Uhr, dem Logan sogleich folgte, um sich davon zu überzeugen, dass sie richtig lag. Es war tatsächlich spät geworden, die Zeit war nach dem kleinen Malheur der Gryffindor wie im Flug vergangen. Wahrscheinlich, so dachte er bei sich, würde Madame Pince sie ohnehin bald mehr oder weniger freundlich dazu auffordern, die Bibliothek doch bitte zu verlassen.
"Ja, stimmt. Wahrscheinlich sollten wir unsere nächste Nachhilfestunde etwas früher verabreden. Und alle Tintengläser ausser Reichweite stellen" lächelter er leicht, während er seine lederne Tasche schloss und sich diese um die gesunde rechte Schulter hing. "Ich werde dich noch schnell hoch zu eurem Turm bringen" erklärte er, ohne erst zu fragen, ob ihr dies passte und angenehm war. Sie würde es ohnehin ablehnen, was Logan jedoch nicht zulassen wollte. Seiner Meinung nach sollten Mädchen um diese Uhrzeit nicht alleine durch die dunklen Gänge des Schlosses wandern, das gehörte sich  nicht und konnte noch dazu gefährlich sein. Und ob er Nell nun mochte oder nicht, er wollte keineswegs, dass ihr irgendetwas passierte.
Zielstrebig ging er voran, sein aufrechter Gang ließ Madame Pince direkt aufblicken, die von Logan mit einem freundlichen und entschuldigenden Lächeln bedacht wurde. "Ich komme morgen vorbei und dann besprechen wir die Schadensbegleichung." versprach er und hob zur Verabschiedung eine Hand. "Ich wünsche Ihnen einen schönen Feierabend und eine gute Nacht, Madame Pince".
Mit einem seiner muskulösen Arme schob er Nell als erste durch die Tür und machte sich mit ihr auf den Weg in das kalte Treppenhaus des Schlosses.








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wie die sonne den kometen
wegzieht von seiner bahn
wie der felsblock zu dem fluss sagt
fließ woanders hin
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wie ein schiff erfasst vom sturmwind,
das die richtung verliert
und ein nie gesehnes ufer gewinnt
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