"Die Deutschen kennen uns nicht wirklich gut"
Deutsche Türken, 3. Generation
"Die Deutschen kennen uns nicht wirklich gut"
Drei junge Münchner türkischer Herkunft über Kopftücher, deutsche Partner und die Sprache von Erkan & Stefan.
Ein Interview von Doris Näger
Zum Gespräch treffen sich die drei Jugendlichen im türkischen Reisebüro Sen in der Schwanthalerstraße: Yasin Sen, 19, Sohn der Besitzerin, ist hier in der Ausbildung zum Bürokaufmann. Kaya Öztürk, 17, ist Schüler auf der Wirtschafts-Fachoberschule und macht hier ein Praktikum. Aslihan Findik, 23, arbeitet in einer Werbeagentur und ist die Tochter der besten Freundin von Yasins Mutter.
SZ: Fühlen Sie sich eher deutsch oder eher türkisch?
Aslihan: Ich bin total im Zwiespalt. Ich bin an Deutschland gebunden, aber auch an die Türkei, weil ich in Istanbul von der sechsten bis zur neunten Klasse in die Schule gegangen bin. Ich überlege, ob ich wieder zurückgehe. Aber ich komme nicht von Deutschland los.
Kaya: Ich war immer nur in den Sommer- und Weihnachtsferien in der Türkei, in Bursa und in Istanbul. War hier in der Schule und im Kindergarten. Mein Türkisch ist nicht besonders gut. Ich würde aber trotzdem nicht sagen, dass ich eher deutsch bin. Aber wenn Deutschland gegen die Türkei Fußball spielen würde, wäre ich nie für Deutschland.
SZ: Yasin, sind Sie im Fußball auch für die Türkei?
Yasin: Ja, auf jeden Fall. Ich fiebere mit, mit allem, was es gibt. Ob ich mehr türkisch oder deutsch bin, das habe ich mich so nie gefragt. Wenn ich in den Sommerferien in der Türkei bin, vermisse ich meine Freunde, meine Umgebung. In Istanbul fühle ich mich zwar wohl, aber das ist anders. Hier in Deutschland bin ich geboren, hier war ich im Kindergarten und in der Schule. Aber ich kann trotzdem sehr gut türkisch.
SZ: Woher kommen Ihre Freunde?
Yasin: Ich habe mehr türkische als deutsche Freunde, aber ich komme mit Deutschen aus und lerne auch immer mehr von ihnen kennen.
SZ: Ist Ihre Herkunft dabei relevant?
Yasin: Schon, aber wir machen dann eher Witze.
SZ: Imitieren Sie diese Erkan & Stefan-Sprache?
Yasin: Ja, ab und zu schon: Ey, was geht ab? Aber nur zum Spaß. Ich rede normalerweise nicht so.
SZ: Kaya, was ist mit Ihren Freunden?
Kaya: Ich habe ein bisschen mehr deutsche als türkische Freunde. Als ich in Unterhaching Fußball gespielt habe, hatte ich mehr deutsche, als ich dann nach Neuperlach kam, mehr türkische.
Aslihan: Ich habe überwiegend türkische, aber auch viele italienische und griechische Freunde. Das hängt auch mit der Familie zusammen: Ich bin länger mit den Leuten befreundet, die auch meine Familie kennen, zum Beispiel ist Yasins Schwester meine beste Freundin.
SZ: In welcher Sprache sprechen sie mit Ihren Freunden?
Aslihan: Unter Türken sprechen wir gemischt. Reden türkisch, brechen mitten im Satz ab, reden deutsch weiter.
Yasin: Es kommt auch drauf an, was man redet.
» Ich gehe auch Türkisch weg, will diese Szene aber eigentlich nicht mehr sehen. «
Kaya
SZ: Tatsächlich?
Yasin: Türkisch ist witziger als das Deutsche. Das sieht man an den Kinofilmen. Wenn ein Deutscher das anschauen würde, dann würde er nie darüber lachen, aber ein Türke lacht halt darüber. Der Humor ist ganz anders.
SZ: Fragen Ihre deutschen Freunde nach Ihrer Herkunft?
Aslihan: Auf der Berufsschule kam es denen komisch vor, dass ich normal deutsch spreche ohne Alter! oder krass. Die haben gedacht, in Istanbul gibts nur Kopftücher und sonst nix. Ich glaube, die Deutschen kennen uns nicht wirklich gut. Wobei wenn man die Türken hier betrachtet, sind die ganz anders als die Leute in der Türkei. Ich würde mal sagen das soll aber nicht hart klingen die sind hier ein bisschen zurückgeblieben.
Yasin: Das ist nicht hart, das ist so. Die sind alle aus dem Osten der Türkei gekommen, aus den Dörfern. Die haben versucht, jede Tradition, die sie dort hatten, hier aufrecht zu erhalten.
SZ: Aslihan, Sie haben einen türkischen Freund. Gibt es dafür einen speziellen Grund?
Aslihan: Ich hatte noch keinen deutschen Freund. Ich hätte kein Problem damit, aber ich weiß nicht, woran das liegt. Mir ist es wichtig, mit meinem Partner türkisch sprechen zu können. Es gibt zum Beispiel ein Wort, askim (gesprochen aschkim), das heißt so viel wie meine Liebe. Wenn man das auf deutsch sagt, klingt es nicht so gut. Da empfinde ich nicht das selbe, wie wenn ich askim sage. Wie geht es Euch ?
Yasin: Ich würde mit einer Deutschen auskommen können, ich hatte auch schon mal eine. Deutsche Frauen sind etwas lockerer drauf. So wie ich eben. Ich bin auch ein lockerer Typ, der sich von Problemen eher weg bewegt.
SZ: Kaya, Sie sind der einzige mit einer deutschen Freundin!
Kaya: Ja, ich hatte noch gar keine türkische Freundin. Aber ohne Grund.
SZ: Aslihan, nach all den biographischen Büchern über Zwangsheirat muss ich es fragen: Mischen sich Ihre Eltern in Ihr Leben ein?
Aslihan: Es kommt schon mal vor, dass mein Vater sagt, geh nicht so oft weg. Aber verbieten tut er mir eigentlich gar nichts. Ich darf alles.
SZ: Kaya, schreiben Ihre Eltern Ihnen etwas vor?
Kaya: Nein, eher mische ich mich bei ihnen ein als sie sich bei mir. In meiner Freizeit spiele ich in einer Theatergruppe, spiele Fußball oder gehe raus was sich halt so ergibt.
Yasin: Ich spiele Fußball, das füllt einen schon aus. Am Samstag gehe ich ab und zu weg. Ich gehe auch Türkisch weg, will diese Szene aber eigentlich nicht mehr sehen.
Aslihan: Jedes Mal ne Schlägerei, es ist immer was los...
Yasin: Nicht mal deshalb. Es macht einfach nicht mehr so großen Spaß. Es sind immer dieselben Leute.
SZ: Haben Sie den Eindruck, irgendwo benachteiligt zu werden?
Kaya: Ich werde nicht gemobbt. Aber wenn ich mit jemandem telefoniere, denkt keiner, dass ich kein Deutscher sein könnte. Wenn sie mich dann sehen, sind sie überrascht: Habe ich echt mit Dir telefoniert?
Yasin: Aber ich kann mir vorstellen, dass Türken, die die Sprache nicht so gut können, schon gemobbt werden. Wenn man die Türken in Neuperlach sieht, die auf der Straße rumhängen, da sagt man schon so: ah, der Türke und so.
Aslihan: Das denkst Du Dir ja selber als Türke manchmal.
Kaya: Es wird ja immer verallgemeinert. Deswegen möchte ich auch etwas erreichen. Ich möchte Schauspieler werden und möchte es irgendwann schaffen, dass mein Name im Abspann von einem großen Film erscheint oder mein Kopf auf dem Plakat. Und zeigen, dass man es auch schaffen kann, wenn man nicht aus dem Land ist.
Yasin: Die Türken in Neuperlach werden von ihren Eltern nicht unterstützt.
Aslihan: Die haben keinen Draht zu ihren Eltern.
Kaya: Aber wenn die Eltern etwas moderner, angepasster sind, dann ist das auch leichter. Unsere Eltern sind ja locker, gläubig schon, aber nicht so streng
SZ: Fastet Ihre Familie im Ramadan?
Aslihan: Mein Papa fastet.
Kaya: Nur die Oma.
SZ: Sie selbst fasten nicht?
Yasin: Ich schaff das nicht.
SZ: Und für die Eltern ist das okay?
Yasin: Die sagen, es wäre schön, wenn Dus machst. Aber das musst Du selber entscheiden.
SZ: Spielt die Religion für Sie also keine große Rolle?
Aslihan: Mich hat noch nie jemand, außer irgendwelchen Beamten, nach meiner Religion gefragt.
Kaya: Ich war einmal in einer Moschee, habe mir die aber auch nur angeschaut.
Yasin: Ich hab schon mal gebetet.
SZ: Wie stehen Sie zu den EU-Beitrittsverhandlungen?
Yasin: Ich glaube, die Türkei braucht das nicht. Die EU will die Türkei nicht.
Aslihan: Die Türkei braucht die EU und die EU braucht die Türkei, aber ob das dann wirklich gut gehen würde, ist eine andere Sache.
Kaya: Mir würde es nichts ausmachen, wenn die Türkei es nicht in die EU schaffen würde. Ich muss ja eh nicht unbedingt in der Türkei leben oder in Deutschland. Ich will Schauspielerei studieren und dann will ich gar nicht mehr in Europa leben. Wenn die Türkei erst was ändern muss, damit sie aufgenommen wird, soll sie lieber da bleiben, wo sie ist.
SZ: Und zum Thema Kopftuch?
Aslihan: Ich habe nichts dagegen, wenn Leute ein Kopftuch tragen, aber wenn sie verschleiert rumlaufen. Ich hasse das. Ich verstehe das nicht: Vor wem versteckst Du Dich? Ich würde nie ein Kopftuch tragen, außer, ich hätte irgendwann keine Haare mehr.
Kaya: Wenn ein Mädchen ein Kopftuch trägt, kann sie nicht mit zum Schwimmen und nicht mit ins Schullandheim. Man kann auch an etwas glauben, ohne es zu zeigen.
Aslihan: Die Religion ist im Herzen, nicht im Outfit.
Yasin: Ich habe nichts dagegen, wenn Frauen Kopftücher tragen, aber ich würde es bei meiner Frau nicht zulassen.
Kaya: In Istanbul sehe ich weniger Kopftücher als hier. Hier laufen die Türken mehr türkisch rum als dort. In Istanbul sehe ich Türkinnen bauchfrei und im Minirock. Das sehe ich hier nie.
Aslihan: Hier kannst Du auch nicht so rumlaufen. Im Hauptbahnhof-Viertel könnte ich nie einen Minirock anziehen, weil mich dann irgendeiner sieht und lästert. In einer türkischen Großstadt kann ich mir das erlauben, da könnte ich in Hotpants rumlaufen. Aber hier geht das nicht, obwohl wir in Deutschland sind.
Yasin: Vor allem nicht in dieser Straße.
SZ: Wohin wollen Sie beruflich?
Aslihan: Ich möchte in die Filmproduktion. Ich mache jetzt eine Fortbildung in Kommunikations- und Mediendesign. Ab September 2006 möchte ich auf die Filmschule.
SZ: Kaya, Sie möchten Schauspieler werden.
Kaya: Ja, in Hollywood. Ich bin jetzt auf der FOS. Danach muss ich mich entscheiden, ob ich Schauspielerei studiere, oder auf die Otto-Falckenberg-Schule gehen will. Das soll die beste sein in Deutschland. Mit nichts anderem würde ich mich zufrieden geben. Ich habe meine Ziele ziemlich hoch gesteckt, damit ich auch etwas dafür tun muss. Wenn man nichts tut, kann man auf nichts zurückblicken.
Yasin: Ich habe eine Lehre als Bürokommunikationskaufmann angefangen. Aber zuhause mache ich mit einem Freund nebenbei Webdesign. Dafür möchte ich auf eine Schule gehen und ein Diplom machen. Und vielleicht Fußball. Ich spiele jetzt im Türk SV, einer traditionsreichen Mannschaft, die früher in der Bayern-Liga gespielt hat.
SZ: Denken Sie, dass Sie die gleichen Chancen haben wie Deutsche?
Kaya: Wer was kann, bei dem ist es egal, aus welchem Land er kommt. Es kommt auf die Einstellung an.
Yasin: Außer bei Fußball, da ist es anders. Wenn ein Ausländer und ein Deutscher gleich gut sind, wird als erstes der Ausländer aussortiert. Das ist so bei den großen Mannschaften. Man kann dagegen nichts tun. Im FC Bayern spielen kaum Türken in der A-Jugend oder in der Regionalliga-Mannschaft.
SZ: Gibt es etwas, was Sie an Ihrer Situation als Gastarbeiter-Enkel frustriert?
Kaya: Das Vorurteil, dass Dir die Türken die Frau und den Job wegnehmen.
Yasin: Dass über Türken schlecht gesprochen wird. Aber das kann man sowieso nicht mehr ändern.
Aslihan: Das Problem ist, dass wir uns einfach nicht richtig vorstellen können. Dass uns die Deutschen nicht kennenlernen wollen. Wir wissen einfach zu wenig voneinander.
SZ: Spielt es für Sie irgendeine Rolle, dass Sie Enkel eines Gastarbeiters sind?
Aslihan: Nein, für mich nicht.
Kaya: Wir haben uns schon so eingelebt, dass wir uns gar nicht mehr so vorkommen.
(SZ vom 9./10. 12 .2005)
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/artikel/926/65861/3/
G Petra