Venedig

Venedig

Das Salz des Meeres war in den Kanälen allgegenwärtig, sein Geruch lag über der ganzen Stadt, mischte sich mit dem Gestank der Fische, die noch vom Morgen her auf dem Markt dahingarten. Venedig hatte längst seinen Status als freie Handelsstadt verloren, war nicht mehr als ein Spielball der europäischen Großmächte, vergleichbar mit den Kolonien in Übersee, jedoch nicht als einstige Seemacht anzuerkennen. Alessandra stand in einer kleinen Seitengasse, die Vorahnung hatte sie aus ihrer Zuflucht getrieben, sie dazu gebracht, sie früher zu verlassen als sie es gewohnt war. Die Sonne hatte sich bereits hinter den westlichen Horizont gesenkt, ihre Strahlen waren keine Bedrohung mehr für ihre ebenmäßige Haut.
Ihr Gefühl hatte sie bisher nur selten getäuscht und die Präsenz dieses starken Blutes war kaum zu vernachlässigen. Altes Blut war in der Stadt, älter als ihr eigenes. Es erinnerte sie an die Adern der Macht, die vor Jahrhunderten in Paris pulsiert hatten, der Stadt, von der das Unheil der Revolution ausgegangen war. Ein unbestimmtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, es war nicht ihr Vater, ihr eigener Schöpfer, der seinen Fuß auf ihren Boden gesetzt hatte. Es war an der Zeit auszukundschaften, wer sich in das sterbende Venedig verirrt hatte, wer sich dem morbiden Tod ergab.

Jage nicht, was du nicht töten kannst