Rezi: "In the Court of the Crimson King"
In the court of the Crimson King
- 21st Century Schizoid Man (Fripp/McDonald/Lake/Giles/Sinfield) - 7:20
- I Talk To The Wind (McDonald/Sinfield) - 6:05
- Epitaph (Fripp/McDonald/Lake/Giles/Sinfield) - 8:47
- Moonchild (Fripp/McDonald/Lake/Giles/Sinfield) - 12:11
- The Court Of The Crimson King (McDonald/Sinfield) - 9:22
Rezension:
Die frisch entstandene Band King Crimson, bestehend aus Robert Fripp an der Gitarre, Greg Lake am Mikro und Bass, Ian McDonald an Mellotron, Keyboard, Percussion und Blasinstrumenten, Michael Giles am Schlagzeug und Pete Sinfield als Texter, setzte 1969 ihr erstes Album in die Welt. Und dessen Opener heißt 21st Century Schizoid Man.
30 Sekunden Stille und leise Geräusche, dann geht es brachial los: wildes Riffing von E-Gitarre und Bläsern, dann verzerrter Gesang von Greg Lake. Treibend und druckvoll geht es mit dem jazzigen Instrumentalteil weiter, der nach einem anderen, jazzigeren Riff ein hervorragendes Gitarrensolo mit wunderbarem Walking Bass und holprigen Schlagzeug aufweist. Danach eine verzerrte Freejazzeinlage am Saxophon à la David Jackson, bevor das jazzige Riff wieder aufgegriffen wird. Nach exakten, arhythmischen Tönen und einer weiteren Reprise des Jazzthemas, setzt das aggressive Anfangsthema ein, mit noch wütenderem Gesang, bis das ganze in brüllendem Lärm endet, der danach noch rückwärts abgespielt wird. Wenn man nun dazu das Cover betrachtet, bemerkt man zwischen Bild und Ton zwei Parallelen: Aggressivität und Wut.
Nach diesem überragenden Stück wird es mit der Midtempoballade I Talk to the Wind wieder ruhiger und folkiger. Doch auch hier bleibt es auf höchstem Niveau: wunderbar durchkomponierte Flöten- und Klarinettenlinien, verspieltes Schlagzeug, sanfte Flageolettöne auf der Gitarre und eleganter, gezielt "müde" klingender Gesang. Ein Jazzfusion-Querflötensolo mit oktavierter Gitarrenbegleitung setzt dem ganze das musikalische Sahnehäubchen auf. Sehr schöne Verbindung von ruhiger, hippiemäßiger Folkmusik mit einem anspruchsvollem Arrangement. Nach ein paar weiteren Strophen gibt es nach ein wenig Stille ein weiteres, diesmal richtig virtuoses Flötensolo.
Nun gesellen sich rollende Pauken dazu, bombastisches Mellotron erklingt, sehnsüchtige Gitarrenlinien kommen dazu: ein einzigartiger Moment, der bereits das Gitarrensolo von Genesis' "Firth of Fifth" vorausnimmt, Epitaph heißt und 9 Minuten dauert. Nun wird es ruhig; Greg Lake singt zu sehr leisem Mellotron und Schlagzeug eine wunderbare Melodie, doch die Spannung steigt, bis es zum Refrain mit wunderschöner Instrumentalbegleitung kommt. Dieses Gänsehautmoment wurde von Lake u.a. auch 1974 bei der ELP-Tour in "Tarkus" angewandt, bei dem er den Refrain - echoversehen - ins Mikrofon brüllt.
Nach einer weiteren Strophe wird mit einem Dominantseptakkord am Mellotron wieder Spannung erzeugt, die jedoch mit einem kurzen Akustikgitarrenzwischenspiel gezielt zunichte gemacht wird. Der nächste Teil befasst sich mit dem Gesangsthema, das hier zu Offbeatpauken von der Flöte variiert wird. Nach einer weiteren Strophe schreit Lake den letzten Vers immer wieder sehnsüchtig ins Mikrofon, dazu gibt es Mellotron, Pauken, ein druckvolles Bassfundament, bis das Stück im Fade-out endet.
Dieser Musikstil, den es bis dahin nicht gab, wurde später "Artrock" (Kunstrock) bzw. "Progressive Rock" (fortschrittlicher Rock) genannt.
Ruhig beginnt der nächste und auch mit 12 Minuten längste Track der CD, Moonchild. Zu gezupften Gitarrenakkorden, Querflöte, einem schwebenden E-Gitarrenton und diversen Percussion singt Greg Lake sanft und ruhig den Text von Pete Sinfield. Nach 3 Minuten erklingen schwebende Vibraphonklänge von Ian McDonald, die von sanftem E-Gitarrenspiel begleitet werden. Dazu klopft jetzt auch noch ein Schlagzeug, der Klang wird heller, dann wieder dunkler - eine sehr freie Improvisation, die sehr an Clark&Hutchinson erinnert. Man mag es als uninspiriertes Geklimpere bezeichnen, ich könnte diese Bezeichnung durchaus verstehen; aber ich persönlich finde das sehr reizvoll, weil die drei (McDonald, Fripp und Giles) mit ihren Freiformimprovisationen eine bizarre Traumlandschaft malen.
Nachdem man nachdenklich in der Toncollage vertieft ist, wird man von einer bombastischen Mellotronfanfare, dröhnendem Bass und Schlagzeug aus dem Traum gerissen, der Titeltrack beginnt. Doch es bleibt wunderschön: nach einer ruhigen Strophe stellt sich der Anfangsteil als der Refrain heraus, der mit mächtigen Chören - sowohl echte, als auch Mellotronchöre - vorgetragen wird. Mit rasanten Beckenschlägen beginnt ein treibendes Zwischenspiel, das mit mächtigen Mellotrontönen und schönem Clavinet begeistert. Nach einem machtvollen Akkord verstummt das Stück nach 7 Minuten. Zarte Beckenschläge setzen ein, die als Einleitung für eine mit Heimorgelflöten gespielte Version des Hauptthemas dienen. Nach Schlagzeugauftakt wird das Thema mit vollem Instrumentarium fast metalmäßig rübergebracht und verstummt dann sehr abrupt.
Für dieses meisterhafte Album, das all die damals langsam aufkommenden Musikrichtungen wie Avantgarde, Prog, Jazzfusion, Heavy Metal, Bombast und Folk Rock auf engstem Raume und auf einen Schlag zusammenbringt, vereint und revolutioniert, kann es nichts anderes als 5/5, bzw. 10/10 Punkten geben.
Das Album war der Wegweiser für spätere Progbands - und ohne sie wäre Prog vielleicht nicht das, was er heute ist.
Und nicht nur die Musik ist hier neuartig: solche malerischen, teils beklemmenden, teils verspielten Texte, wie sie Pete Sinfield geschrieben hat, sind wohl bis heute einzigartig. Und 5 Stücke, die im Durchschnitt 7-8 Minuten lang sind... das war damals wirklich einzigartig. So einzigartig, dass man sich entschied, den Stücken "Untertitel" zu geben, dass es nach mehr Stücken aussieht, also praktisch eine "Marketingstrategie", weil man sich davon etwas höhere Erfolge in den Charts erhoffte.
Auf jeden Fall wurden mit einem #3 in den GB-Charts die Erwartungen deutlich übertroffen...
Ach ja, was noch zu erwähnen wäre: das einzigartige Cover stammt von Barry Godber, der 1970 - 24 Jahre alt - an einer Herzattacke verstorben ist. RIP!