Zauberwaldverein e.V. - Sozialpolitik

Wächst Europa auch auf sozialer Ebene zusammen?

Wächst Europa auch auf sozialer Ebene zusammen?

Netzwerke der Sozialen Arbeit in Europa: Wächst Europa auch auf sozialer Ebene zusammen?

Projekt
untersucht Netzwerkbildung als zentrale Strategie von Einrichtungen und
Trägern Sozialer Arbeit im europäischen Einigungsprozess

Während die Europäische Union in ihre schwerste Krise geraten ist und unter der
britischen EU-Präsidentschaft eine Verdrängung des Sozialen und ein
Rückfall in eine bloße Wirtschaftsgemeinschaft befürchtet wird, haben
sich die Organisationen Sozialer Arbeit gerade in den letzten Jahren
auf Europa eingestellt.


Spätestens seit 1992 die soziale Dimension Europas unter Federführung des spanischen Kommissars Manuel
Marin als politische Leitlinie entdeckt wurde, ist auch unter den
Organisationen Sozialer Arbeit eine zunehmende Vernetzung auf
europäischer Ebene zu beobachten. "Beeindruckendes Beispiel ist das
Anwachsen der Social Platform, dem zentralen europäischen
Netzwerkakteur im Bereich der Sozialen Arbeit", erläutert Univ.-Prof.
Dr. Franz Hamburger, Professor für Sozialpädagogik am Pädagogischen
Institut der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. "Diese Plattform
wurde 1995 gegründet und hat heute 40 europäische Mitglieder, die
ihrerseits über 1.700 Organisationen auf lokaler, regionaler und
nationaler Ebene repräsentieren."

"Netzwerke" ist gegenwärtig ein häufig genutztes Schlagwort. Der schillernde Begriff wird dabei für
Unternehmensnetzwerke ebenso verwendet wie für politischen Klüngel oder
individuelles "networking". Auch in der europäischen Politik sind
Netzwerke zu einem Allheilmittel geworden. Ob die zunehmende Vernetzung
im Falle der Sozialen Arbeit aber tatsächlich ein strategisches
Handlungsmuster dieser Organisationen im Zuge der europäischen
Integration darstellt und welche Motive und Zielsetzungen diesen
Vernetzungen zugrunde liegen, will ein Forschungsprojekt unter Leitung
von Prof. Hamburger herausfinden. "Wir wüssten gerne, welche
dauerhaften Zusammenschlüsse entstanden sind und ob diese Netzwerke nur
ein Mittel sind, um an den Fördertöpfen der EU teilzuhaben, oder ob sie
sich auch als Teil einer europäischen Identität verstehen", so der
Projektleiter.

Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass die
deutschen Verbände aus dem sozialen Bereich ein sehr hohes Interesse an
europäischen Fragestellungen zeigen. Anders als beispielsweise soziale
Akteure in Frankreich, England oder Spanien verhalten sich jedoch
deutsche Verbände in Bezug auf Mitgliedschaften in europäischen
Netzwerken eher zurückhaltend. "Da sehen wir noch weitere
Entwicklungsmöglichkeiten", so Prof. Hamburger. Je größer die Verbände
sind - zu den großen zählen etwa Caritas oder Diakonie -, desto stärker
vertreten sie auf europäischer Ebene ihre eigenen Interessen, während
kleine Organisationen eher an einem Austausch interessiert sind.

Gerade angesichts der Dominanz wirtschaftlicher und wettbewerblicher Belange,
die für den Integrationsprozess bisher bestimmend waren, so erläutert
der Projektleiter, ist eine Bündelung von Interessen auf europäischer
Ebene sehr wichtig: "Denn soziale Organisationen sind vom europäischen
Integrationsprozess in zweifacher Weise betroffen: In ihrer Rolle als
soziale Organisationen sind die Verbände als Interessensvertreter und
Anwälte der sozial benachteiligten, kranken, behinderten, ausgegrenzten
und diskriminierten Menschen gefordert. Gleichzeitig sind sie auch im
Hinblick auf den noch nicht geklärten Status der freien
Wohlfahrtspflege in einem europäischen Gesundheits- und Sozialsektor
'Betroffene', die ihre Einflusssphären, Besitzstände und Kompetenzen
verteidigen und daher auch verbandspolitische Zielsetzungen verfolgen
müssen."

Der Prozess der europäischen Integration und mit ihm
die Ökonomisierung, so ein Ergebnis der Studie, erhöhen den Druck auf
die Wohlfahrtsverbände, gemeinsam nach Möglichkeiten der Realisierung
eines zivilgesellschaftlichen und sozialen Europa zu suchen. Um die
Anliegen einer europäischen Sozialpolitik gegenüber den Akteuren der
Politik und Wirtschaft wirksam zu vertreten, reicht jedoch die bloße
Abgrenzung gegenüber einer Ökonomisierung des Sozialen als "gemeinsamer
Nenner" nicht aus. Vielmehr sind die Wohlfahrtsverbände zur Entwicklung
einer tragfähigen europabezogenen Strategie aufgefordert, die eigene,
verbandsbezogene Interessen und gemeinsame sozialpolitische Ziele auf
europäischer Ebene ausbalanciert.

Nach dem Abschluss der ersten
Projektphase werden die Erhebungen, die neben einer Befragung auch
Experteninterviews in Brüssel und Deutschland einschließen, nun in der
laufenden zweiten Projektphase systematisch ausgewertet und analysiert.
Darüber hinaus werden soziale Nichtregierungsorganisationen aus den
neuen europäischen Mitgliedsstaaten in die Studie eingeschlossen.

Weitere Informationen: https://www.uni-mainz.de/FB/Paedagogik/netzwerke_europa/

Quelle:
Johannes Gutenberg-Universität Mainz