AHMET TERLI VE SIIRLERI - Almanca - Deutsch

42. Ahmet Terli - Interview 24.10.1986 HÜRRiYET von SUAT TÜRKER

42. Ahmet Terli - Interview 24.10.1986 HÜRRiYET von SUAT TÜRKER



HÜRRİYET, 24.10.1986
(von SUAT  TÜRKER- Köln)



 



Interview... Interview...
Interview... Interview... Interview...



 



Unser Gast ist Ahmet Terli einer der Dichter in
der Fremde



 



?=Herr Terli, seit Jahren schreiben Sie Gedichte in
türkisch und deutsch. Wie weit ist Ihre Kunstwelt von Ihrem Leben in der Fremde
und das Zusammensein mit den Menschen eines anderen Landes beeinflusst
worden? 



-Die Welt in der er lebt, beeinflusst einen
Künstler. 1964 kam ich als Arbeiter zu den Ford-Werken. Wir sind in eine
Lebensweise hineingeraten, dass wir uns nicht daran gewöhnen konnten. Wir
hatten nicht unter solchen schweren Bedingungen gearbeitet als wir in der
Türkei waren. Nach meinem Militärdienst arbeitete ich als Dolmetscher (Englisch-Türkisch)
bei einer amerikanischen Firma in Zonguldak-Eregli. Ich hatte eine leichte
Tätigkeit. Die Neigung nach Deutschland hatte uns verzaubert gehabt, wir
konnten ihr nicht widerstehen und so sind wir gekommen. Keiner von uns wusste
etwas von den Lebensbedingungen des Industrielandes. Fünf Jahre lang habe ich
mir Mühe gegeben. Ich habe Deutsch gelernt. Nebenbei habe ich die
Probleme, Sorgen, Freude der Menschen mit denen ich zusammen gearbeitet habe,
miterlebt. Das ist das Reichtum eines Künstlers. Die Ereignisse in seiner
Umwelt. Wenn er all diese Ereignisse in sein Unterbewustsein speichert, kann er
sie Jahre später als künstlerische Früchte wie Bild, Geschichte, Gedicht zum
Leben erwecken.



 ?=Können Sie in Ihren Gedichten eine Trennung wie
Deutschland und Türkei machen? Gibt es großen Unterschied? 



-Wie ich vorhin erwähnt habe, die Veränderung fängt
im Inneren des Künstlers und geht es weiter in seinen Werken. Wir haben in der
Türkei ein liebevolles Leben mit sonnigen Tagen, echten Freundschaften
verbracht. So war es für uns alle. Wir hatten zwar kein Geld aber führten ein
Lebenskampf in einer liebevollen Welt. Ich blicke an meine Gedichte von damals
zurück. Die Hauptthemen in diesen Gedichten wieder dieselben. Themen wie Liebe,
Lieb haben... Dann kamen wir hierher. Der Mensch aus der Türkei trägt das
Heimweh, den seelischen Druck der Entfernung von den geliebten Menschen, als
große Last auf seinen Rücken. So ändern sich die Themen der Gedichte. Außerdem
es gibt eine andere Seite des Geschehens; nämlich Türkei. Voller Heimweh und
Sehnsucht fährt man in die Türkei. Man ist unter dem Druck eines Gefühls auf
irgendetwas durstig zu sein.



 



?=Und nun was fühlen Sie in der Türkei?



-Es ist merkwürdig. Ich bin geboren in Tarsus. Ich
fahre meistens mit dem Auto in die Türkei. Die Häußer die  Straßen, die
Menschen, die Kinder; alles was ich sehe auf der Strecke Edirne - Tarsus, ist für
mich die Türkei. Ich halte an, beobachte, unterhalte mich. In dem Augenblick
habe ich plötzlich viele Fragen im Kopf. Tausende Fragen wie: “Warum ist es
anders in Deutschland und hier nicht?” Dann bin ich unter dem Einfluss von
unbeschreiblichen Gefühlen.



?=Spiegeln sich diese in Ihren Gedichten wider?



-Es ist etwas unvermeidbares... Ich vermute, daß
alle meiner Landsleute leben mit solchen Gefühlen; hier und in der Türkei. Wie
hören stets dieser Art von Themen in den Kaffeehäußer, Treff-Lokale, in
den Wohnungen. Die Versammlung all dieser Gefühle im Gedicht,  Bild,
Roman, in der Erzählung nenne ich als “Kunst in der Fremde”, “Erzählung in
der Fremde”. Es fällt Ihnen bestimmt auf, dass viele in letzter Zeit Gedichte
schreiben. Viele der Jugendlichen versuchen auf diese Art und Weise ihre
Gefühle, ihre Gedanken zum Ausdruck zu bringen. Das ist etwas sehr schönes. So
schreiben sie die Geschichte des Fremden-Daseins. Ich lese deswegen aufmerksam
die Gedichte und die Geschichten in den Zeitungen und Zeitschriften. Es werden
bestimmt einige von diesen Dichtern als Künstler in der westlichen Welt von
sich hören lassen.



 ?=Die in Deutschland geborene zweite und dritte
Generation schreiben Gedichte in Deutsch, kann man sie als türkische Dichter
bezeichnen?



 -Sie haben einen wichtigen Punkt angesprochen. Im
Leben eines Menschen das Geburtsort, die Kindheit, die Jugendzeit und alle
Erlebnisse spielen eine große Rolle. Ich stelle fest, dass ein Erlebnis aus der
Kindheit vor Jahren plötzlich das Thema eines meiner Gedichte ist. Das ist mein
innere ich. Die Farben der Ackern, meine erste Liebe –das kleine Mädchen
mit Zöpfen-  dessen Hand ich nicht mal an-zu-fassen wagte, erscheinen
zum Tageslicht in dem nebligen Wetter Deutschlands. Wer weiß jetzt wo das
kleine Mädchen ist? Was ist aus ihr geworden? Wo bin ich? Man schreibt das
Ereignis von damals als Gedicht aufs Papier, dass man glaubt es sei vergessen,
verloren. Das erinnert mich an die Wurzeln eines Baumes. Der Körper des Baumes
ist über der Erde, aber die Miniwurzeln wer weiß wohin sie gegangen sind. Nun
taucht eine Frage auf: “Wie weit kann ein Künstler in dessen Ursprung keine
türkische Kultur verwurzelt ist, türkische Themen in seinen Werken bearbeiten?
Kann man ihn als türkischer Dichter, türkischer Autor nennen? Oder kann man ihn
kurz ein Künstler türkischer Herkunft nennen?



 ?=Welche ist Ihrer Meinung nach richtig?



 



-Ich denke folgendes: Ein Künstler kann in einem
anderen Land geboren sein, kann dort aufwachsen. Der türkischer dichter hat
eine reiche kulturelle Grundlage (Fundament) wo er sich unterstützen kann. Der
türkischer Dichter ist gezwungen von dieser reichen kulturellen Grundlage
nutzen zu ziehen. Andererseits wäre der Künstler ohne Fundament und nicht
erfolgreich. Er kann nicht bloß ein Gedicht ohne Beilage schaffen. Seine
Arbeiten bleiben dann nur als eine Neigung. Weil er die Mentalität der
Deutschen und Türken sehr intensiv kennenlernen und die Gefühle darüber hinaus
begreifen muss. Außer  Gefühlsmäßige  Seiten gibt es auch die technische Seite
des Dichtens. Es gibt großen türkischen Dichter und große Dichtern. Was
haben die türkische Dichter geschrieben? Was haben sie gemacht? Man muss es sehr
sorgfältig und aufmerksam erforschen. Meine Empfehlung an die jungen Dichter,
dass sie vor allem die türkische Dichtung (Lyrik)  mit all seiner
Gefühle und Ausdrucksweise richtig zu studieren.  Mit etwas Können,
werden sie bestimmt über diesem Fundament mehr starke Früchte schöpfen.
 



 ?=Sie bearbeiten “die Fremde” in Ihren Gedichten.
Können Sie ein Paar Verse vorlesen?



 -Ja, gerne. Dieses Gedicht heißt “Heimatlos”.



 “Sehnsucht habe ich nach meiner Heimat



Ich liege wie ein Tourist am Strand



Im Urlaub in der Nähe meiner Stadt



Bin doch ein Fremder in der Heimat”



 ?=Bearbeiten Sie dieselben Themen in Ihren Gedichten
die Sie in Deutsch schreiben?



 -Ungefähr über das Thema “Fremde”schreibe ich. Zum
Beispiel in der Zeitschrift “Merhaba –für Freundschaft” ist mein Gedicht
“Freunde” erschienen in dem ich zu erklären versuche, dass die Menschen weder
wegen ihrem Glauben, Sprache noch wegen ihrer Hautfarbe diskriminiert
werden dürfen.



 ?=Wie wirken solche Gedichte aus?



 -Die Wirkung solcher Gedichte ist dann
international. Weil, Türken nicht die einzigen Ausländer in Europa sind. Es
befinden sich Menschen vieler Nationen in diesem Migrations-Prozeß. Wir erzählen
nicht über uns selbst. Wir bringen die Gefühle, die Probleme und das Heimweh
allen Menschen zum Ausdruck die sich in diesem Migrations-Prozeß befinden. Wir
erzählen über die Gemeinsamkeiten.



 



?=Wie suchen Sie Ihre Themen aus?



-Wie ich vorhin erwähnt habe, aus der Umwelt und
aus den Erlebnissen.



?=Können Sie ein Beispiel geben?



-Wie ich das Gedicht “Die Geschichte meiner
Mutter” schrieb, war ich von meiner Kindheit und von den Gefühlen durch die
Ereignisse beeifnlußt worden. Meine Mutter ist 87 Jahre jung. Das was sie mir
über ihr Leben erzählt hat, ist so lebendig wie jetzt. Mein Gedicht fängt mit
“Meine Mutter ist siebenundachtzig / Lang ist die Geschichte meiner Mutter”
an. Vermutlich das leben in der Fremde hat die Vergangenheit verstärkt zum
Leben erweckt. Die Mutter hat einen besonderen Platz im Leben eines Menschen.
Manchmal liest man in den Zeitungen “Muttertag”oder “Tag des Kindes” u.s.w. Denkt
man nur an diesen Tag an die Mütter, an die Kindern? Ich möchte
dies ändern. Die Mütter und die Kinder erfüllen unsere Stunden, Tage, Monate
und Jahre. Ich schreibe in meinem Gedicht: “Kann man die Mutter abbezahlen
/ Reicht ein Tag dafür überhaupt aus? / Man muss an die Mutter jeden Tag
denken / Man muss die Mutter jeden Tag ehren / Muttertag soll nicht nur
einen Tag / Muttertag soll ein Leben lang dauern.” Außerdem es gibt
auch “Die Woche der Ausländer”. Wenn “die Woche” oder “der Tag”
vorüber ist, werden die Ausländer nicht mehr beachtet? Ist alles dann zu
Ende? Die Liebe und Respekt zwischen den Menschen sollen ein Leben lang
dauern, Ansonsten haben solche “Tage” und “Wochen” nur den
Show-Effekt. Wenn die Ausländer nach dieser Woche weiterhin diskriminiert
werden,  haben solche Veranstaltungen, Versammlungen überhaupt keinen
Sinn.



 ?=Haben Sie Schwierigkeiten beim Dichten?



-Es hängt von den derzeitigen Gefühlen ab. Manchmal
ist es doch schwierig. Ich mache Notizen sobald mir etwas einfällt. In der
Bahn, auf der Strasse oder Zuhause notiere ich stets etwas. Dann
montiere ich alles zusammen zu einem Gedicht. 



 ?=Hat jeder Dichter seine eigene Philosophie?



 -Jeder Künstler sieht die Welt durch einen
anderen Winkel. Wenn wir Yunus Emre betrachten, merken wir die Mystik in
seinen Gedichten.



?=Sind Sie durch einen anderen Dichter beeinflusst worden?



-Anfangs wird jeder Anfänger durch einen
anderen Dichter beeinflusst. Die anderen Meister spielen eine schulische
Rolle beim Anfänger. Einer meiner Vorbilder ist Ümit Yasar
Oguzcan, dessen Gedichte ich zu meiner Jugend auswendig gelernt habe. Von
dem was er geschrieben hat, habe ich viel mitbekommen. Der junge
Dichter, der sich im Laufe der Zeit von dem Einfluss der anderen
befreit hat, findet seinen eigenen Stil.



 



?=Diese Beeinflussung soll nicht als Imitation
bleiben, nicht wahr?



 -Anfangs kann es eine Imitation sein. Das soll
nicht lange dauern. Der Dichter kann dann selbst schöpfen, nachdem er sein
eigene “Ich” gefunden hat. Damit meine ich was ich vorhin sagte: “Meine Empfehlung
an die jungen Anfänger in Deutschland, daß sie die türkische Dichtungen
sehr intensiv unter die Lupe nehmen sollen!”. Man muss die Technik und die
Interpretation der Gefühle der großen Meister sehr gut kennen damit man die
Innere des Gedichts versteht. Weil, eine Schule des Dichters nicht existiert.



?=Bearbeiten Sie in Ihren neuen Gedichten auch die
Probleme in Deutschland?



 -Der Dichter kann nicht den Problemen der Jahre
seinen Rücken drehen. Das ist seit Jahrhunderten so gewesen. Zum Beispiel
es gibt einen sehr schönen Vers über die Korruption der damaligen Zeit:



 “Meinen Gruß haben sie nicht erwidert weil,
er kein Bakschisch war---!”



Diese Gewohnheit geht in unserer Zeit weiter. Das
Herz des Dichters, mein Herz wünscht sich eine sorgenfreie Welt, damit wir
wieder über die Schönheit der Haare der Frau, über die Rosenblätter Gedichte
schreiben können.