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Dieses Buch verdient einen Extra-Thread!!!

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Unter der Maske: das fremdbestimmte, in falschen Traditionen gefangene
Wesen


Ahmet Topraks Buch Das schwache Geschlecht - die türkischen
Männer




Von Claus Stille


Vielen Deutschen ist der so genannte Ehrenmord an Hatun Sürücü
in Berlin noch gut in Erinnerung. Die junge Türkin wollte nach der
Scheidung ein selbstbestimmtes Leben führen.

Sie legte das Kopftuch ab und kleidete sich wie andere deutsche Mädchen
in ihrem Alter. Hatun war beliebt und hatte gute Chancen eine Ausbildung
im Elektrohandwerk abzuschließen.

Das Mädchen wurde auf offener Straße erschossen. Offenbar musste
sie sterben, weil sie durch ihre neue Lebensform aus Sicht der Familie
deren Ehre beschmutzt hatte.

Sie hinterließ einen kleinen Sohn.

Im Verdacht des Mordes stehen die Brüder der jungen Frau.


Immer mehr Menschen fragen sich seither erschrocken: Wie kommt es zu
derartigen Exzessen inmitten unserer Gesellschaft? Wie sehen Familienstrukturen
aus, die Mord offenbar für ein ganz normales Mittel halten, um eine
wie auch immer definierte verletzte Ehre wieder herzustellen?


Seit etwa 2003, stellte der Diplom-Pädagoge Ahmet Toprak fest, führen
Schlagworte wie Zwangsheirat, Gewalt in der Ehe,Kopftuchzwang und Ehrenmorde
regelmäßig zu Empörung in der deutschen Öffentlichkeit.
Zurecht, muß man sagen.

Doch Vorsicht! Immer wieder - insbesondere in der Zeit nach den Terroranschlägen
vom 11.9.2001 in New York und der daraufhin in der westlichen Welt geradezu
heraufbeschworenen Islamophobie - werden Dinge vermischt, die so nicht
zusammengehören.

In Deutschland nahmen sich die drei türkischstämmige Autorinnen
Seyran Ates, Necla Kelek und Serap Cileli autobiografisch der Themen Zwangsheirat
und interfamiliärer Gewalt an.

Ihre Bücher waren sicherlich auf ihre Art notwendig. Sie erfuhren
eine hohes mediales Interesse und lösten manch hochschäumende
Diskussion aus.

Doch nicht nur Ahmet Toprak weißt daraufhin, "dass die Bücher
wissenschaftliche Kritierien und Standards nicht erfüllen."

Der Diplom-Pädagoge moniert, dass beispielsweise Necla Keleks Buch
"pauschalisierend" daherkommt, da "sie den Islam als einzigen
Grund für Gewaltanwendung und Unterdrückung der Frauen in Deutschland
annimmt."

So etwas kommt in Teilen der Medien und in Stammtischrunden momentan gut
an. Zumal der Islam nach dem Ende des Kommunismus zum Feindbild Nummer
eins gemacht worden ist.


Ahmet Toprak ist es zu verdanken, dass uns nun erstmalig eine seröse
Studie über betroffene türkischstämmige Männer in
Deutschland vorliegt.

Er ist den wichtigsten Fragen gründlich nachgegangen:


Warum stimmen junge Männer Zwangsheiraten zu? Werden sie überhaupt
vorher gefragt?

Warum überlassen sie eine so wichtige Entscheidung ihren Eltern?

Warum suchen in Deutschland geborene bzw. aufgewachsene junge türkische
Männer ihre künftigen Ehefrauen in den Heimatdörfern ihrer
Eltern oder Großeltern?

Was denken sie über Partnerschaft, Sexualität, Erziehung, Gewalt
in der Ehe, Rolle ihrer Eltern und innerfamiliäre Kommunikation?

Sind sie zufrieden mit ihrer Ehe?


Laut Toprak gibt es zu alldem bisher keine Forschung. Schon deshalb,
weil es für türkische Männer eher untypisch ist, über
diese Dinge zu sprechen.

Dennoch ist es Ahmet Toprak dank behutsamer Vorgehensweise - wobei ihm
sein Geschlecht und die Herkunft aus dem selben Kulturkreis mit Sicherheit
sehr hilfreich war - geglückt, 15 in Deutschland lebende junge türkischstämmige
Männer zu befragen.

Und das, obwohl während der Befragungen ein Tonband mitlief!

Die Männer stammen durch die Bank allesamt aus bildungsfernen Familien,
die aus armen ländlichen Gebieten der Türkei nach Deutschland
eingewandert sind.

So liefert die vorliegende Studie einen interessanten Einblick in deren
Milieu und Lebensform, die sich noch immer an tief verwurzelten, von Generation
zu Generation überlieferten, ländlichen Traditionen und so aufgestellten
Werten orientiert.

Dank Topraks Arbeit erfahren wir, was uns als Westeuropäer, die wir
uns als ach so aufgeklärt dünken, auf den ersten Blick als völlig
unverständlich erscheinen muß: Nämlich, warum diese archaischen,
mit Gewalt und Blutvergießen einhergehenden, Traditionen - die immer
wieder fälschlich auf die Religion des Islam zurückgeführt
werden - selbst noch von den nachwachsenden Generationen immer weiter
fortgesetzt werden Selbst von denen, die ihre Sozialisation bereits in
Deutschland erfahren haben.


Nach allem was wir gemeinhin über türkische Männer wissen
oder zumindest glauben zu wissen - von deren ganz spezieller Welt, die
von hehren Worten und Werten wie Stolz und Ehre nur so überzuquellen
scheint - über Typen, die nicht selten ganz offensichtlich Machos
per exellence sind; von diesem Bild müssen wir uns nun zumindest
teilweise trennen.

Nach der Lektüre von Topraks Buch wird dieses platte Abziehbild vom
türkischen Mann vielleicht an der einen oder anderen Stelle arg verblassen.

Und der möglicherweise auf den ersten Blick vielleicht reichlich
paradox anmutende Titel seines Buches Das schwache Geschlecht - die türkischen
Männer wird uns im Nachgang plötzlich als durchaus einleuchtend
erscheinen.


Ahmet Toprak läßt uns mittels seiner (qualitativen) Interviews
hinter die Kulissen einer uns im Normalfall ver- und geschlossenen Gesellschaft
schauen.

In dem bei Lambertus (www.lambertus.de) in Freiburg im Breisgau erschienenen
Buch (187 Seiten) geht es um Zwangsheirat, häusliche Gewalt, Doppelmoral
der Ehre.

Der Autor macht darauf aufmerksam, dass seine Studie nicht repräsentativ
ist und warnt deshalb aus guten Gründen vor Pauschalisierungen.

Man kann nur hoffen, dass sich alle Leserinnen und Leser und - allen voran
- die Medien auch daran halten! Und das Buch - wie andere vorher - nicht
wieder nur dazu benutzen, um bestehende Vorurteile gegen die türkischstämmige
Bevölkerungsgruppe oder den Islam weiter auszuweiten.

Denn Die Türken gibt es genausowenig wie Die Deutschen. Ebensowenig
finden wir unter der Bezeichnung Die Männer eine vollkommen homogene
geschlechtsspezifische Gruppe, was deren Charaktere und Handlungsweisen
in den verschiedensten Lebensituationen anbelangt.

Ahmet Toprak ist ein Vorwurf der Einseitigkeit nicht zu machen. Er bringt
uns Erscheinungen nahe, die nun mal - auch - existent sind, auf. Davor
darf niemand die Augen verschließen. Sie thematisiert zu haben,
dafür gebührt ihm Lob. Nicht nur, weil er damit (hoffentlich!)
eine neue Debatte anstößt, sondern, weil er im Kapitel III
seines Buches auch Vorschläge zur Bekämpfung von Gewalt und
Zwangsverheiratung macht, die Beachtung finden sollten.


Betrachtet man die Interviews im einzelnen, wird immer wieder auf erschreckende
Weise klar, wie sich die Einstellungen und Handlungsmuster der befragten
jungen Männer von Hasan bis Hakan fast wie ein Haar aufs andere gleichen.

Die Familien haben einen bildungsfernen Hintergrund und kommen zumeist
aus rückständigen und armen Gebieten der Türkei.

Aus wirtschaftlichen Gründen sahen sich die Väter der jungen
Türken gezwungen als Gastarbeiter nach Deutschland zu gehen. Ehefrauen
mit bereits in der Heimat geborenen Kindern zogen oft später nach.


Die jungen in Deutschland aufgewachsenen, für Topraks Studie befragten
Männer, sind stark vom ländlichen Erziehungsstil der Eltern
geprägt und im Sinne der Geschlechtertrennung erzogen worden.

Die Gefühlswelt von Frauen - erst recht der deutschen Frauen - ist
ihnen vollkommen fremd.


Die Söhne werden von klein auf zu Härte erzogen. Wer von diesem
Weg abzudriften droht, wird oft mittels sexualisierter Gewalt und auf
beleidigender Art und Weise dizipliniert.

In einer Gesellschaft, in der Sexualität zu den großen Tabus
gehört, ist es schon einmal üblich Jungen als ibne (schwul),
göt veren (derjenige, der seinen Hintern hergibt) oder gar als pezevenk
(Zuhälter) zu titulieren.

Die Mädchen müssen sich unterordnen und werden zum Dienen erzogen.
Nicht selten müssen sie sich - wenn sie nicht so spuren, wie sollen
- als oruspu (*****) beschimpfen lassen.

Für beide Geschlechter ist es von kleinauf sehr schwer - ja beinahe
unmöglich - aus den ihnen von der Tradition zugedachten Geschlechterrollen
auszubrechen.

Denn auf diese meist aus dörflichen Gemeinschaften in wirtschaftlich
zuückgebliebenen Gebieten der Türkei - die auf kaum andere Weise
selbst in Deutschland weiter fort bestehen - stammenden Migranten wird
eine nahezu alle Bereiche des Lebens erfassende ständige gesellschaftliche
Kontrolle ausgeübt.

Zuwiderhandlungen werden geahndet. Selbst drakonische Strafen sind keine
Seltenheit.

Die Strafen reichen von den bereits erwähnten sexuellen Beleidigungen
über Anschreien, Ignorieren, den Entzug von Grundnahrungsmitteln,
Ohrfeigen bis hin zu schweren körperlichen Mißhandlungen und
sogar Tritten.

Auch Zwangsverheiratungen können eine Art der Disziplinierung darstellen.
Was sowohl Mädchen wie durchaus auch Jungen betreffen kann.

Oder ein Sohn - wie einer der Interviewten etwa - wird, in der Hoffnung,
die für Härte und absoluten Zwang zur Disziplin bekannte türkische
Armee wird dem Filius schon die Flötentöne beibringen, zum Militärdienst
in die Türkei geschickt. Im vorliegenden Fall half dies nebenbei
bemerkt allerdings auch nicht.


Jungen wie Mädchen der nachfolgenden Generationen kopieren immer
wieder diese ihnen von der althergebrachten Tradition zugedachte Geschlechterrolle.
Oder sie werden durch die Umstände dazu gezwungen.


So kommt es eben auch dazu, dass in Deutschland lebende junge türkischstämmige
Männer ein Mädchen aus der Heimat ihrer Eltern zur Ehefrau nehmen.
Oder nehmen müssen.

Sexuelle Erfahrungen haben sie zuvor meist schon mit den in ihren Augen
sehr lockeren deutschen Mädchen oder im Bordell gemacht.

Aber als Ehefrau kommt eine deutsche Frau nach althergebrachten Verständnis
natürlich nicht in Frage.

Oft nicht einmal nach modernen Maßstäben lebende türkischstämmige
Altersgenossinnen in Deutschland. Sie wollen sich nämlich oft nicht
reglementieren lassen. Und geben zuviel Widerworte. Sind eben schon vom
Westen "verdorben".

Die Braut aus der Heimat dagegen gilt als "pflegeleicht": sie
spurt so, wie es die Tradition bestimmt.

Dazu kommt, dass sie in den meisten Fällen auch die deutsche Sprache
nicht beherrscht. Aber vielfach sind ihr Kontakte zur Außenwelt
in Deutschland sowieso nur mit der Erlaubnis des Ehegatten, bzw. in Begleitung
von Verwandten gestattet.

Und wer nach Traditionsmuster ein "richtiger" Mann ist, zeigt
der Braut in einem der Fälle schon einmal gleich in der Hochzeitsnacht,
wo es lang geht.

Da setzte es eine Ohrfeige für die Braut, weil diese eine sexuelle
Praktik nicht so hinbekam, wie sie der Ehemann zuvor im Puff oder bei
sexuellen Abenteuern mit deutschen Mädchen kennen- und lieben gelernt
hatte und nun auch in der Ehe nicht missen wollte.

Vergewaltigungen in der Ehe sind gar nicht selten. Aus Sicht der Männer
- so haben sie es halt verinnerlicht - hat die Frau den Mann sexuell zu
befriedigen.

Und entwickelt tatsächlich einmal eine Frau soviel Selbstbewußtsein
wie etwa die eingangs erwähnte Hatun Sürücü, meint
der Ehemann das Recht zu haben, die Ehefrau auf den "rechten"
Weg zurückzuführen. Und wenn es sein muss mit körperlicher
Gewalt. Reißen halt alle Stränge, muss eben die "Ehre"
des Mannes und der Familie durch den Tod der abrünnigen und den scheinbar
gleich einem Naturgesetz auf ewig festgeschriebenen tradierten Werten
nach ungehorsamen Frau wieder hergestellt werden.


Interessant für Menschen, welche nicht aus dem türkischen Kulturkreis
stammen, dürften die Ausführungen Topraks zu Brautwerbung, Brautgeld,
Hochzeit, Trauung durch einen Imam oder/und Standesamt sowie zu wn diesbezüglichen
Gesetzen in der Türkei sein.

Auch weißt er auf die eklatanten Unterschiede von Land und Stadt
hin. Wir erfahren, dass, während sich in den großen türkischen
Städten die Lebens- und Heiratsgewohnheiten mehr und mehr den unsrigen
annäheren, die Verhältnisse auf dem Land kaum anders als vor
hundert Jahren sind.


In seinem Resümee schreibt Ahmet Toprak über die jungen Männer:
"Ihnen fehlen zum größten Teil wichtige Schlüsselkompetenzen
wie Flexibilität im Denken, eine gewisse Frustrationstoleranz, Teamfähigkeit,
Selbstdisziplin, Selbstorganisation, Kritikfähigkeit, eigenständige
Meinungsbildung, Kreativität und last but not least häufig auch
eine abgeschlossene Schul- und Berufsausbildung."


Ahmet Toprak schlägt zum Schluß umfangreiches Maßnahmenbündel
vor, um Zwangsehen und Gewalt entgegenzutreten.

Sie alle aufzuführen, würde den hier zur Verfügung stehenden
Rahmen sprengen.

Aber man kann sagen, dass in erster Linie eine Lösung der Probleme
mit einer Verbesserung von Bildung und Ausbildung der Betroffenen beginnen
dürfte.

Dazu sollte eine qualifizierte Arbeit mit den Eltern erfolgen und soziale
Trainingskurse für Männer müssten gefördert und durchgeführt
werden.

Zweifelsohne gehört auch die im Augenblick in Deutschland offensiv
diskutierte Verbesserung der Sprachkompetenz der betroffenen Migranten
zu einer der wichtigsten Maßnahmen.

Besonders trifft dies freilich auf zwecks Heirat einreisende Frauen aus
der Türkei zu.

Dazu gehören flankierend Anlaufstellen für von Gewalt oder Zwangsheirat
betroffene Mädchen und Frauen.

Der Autor wünscht sich auch eine stärkere juristische Aufklärung,
was den Straftatbestand Zwangsehe anbetrifft.

Und sieht eine verbesserte Kooperation mit der in Deutschland erscheinende
türkischen Presse als unverzichtbar an.

Besonders dem von der türkischen Community in der Regel bekanntermaßen
stark frequentierten türkischen Fernsehen könnte da eine nicht
zu unterschätzende Rolle zufallen.

Dazu fordert Toprak eine Verbesserung der sozialen Bedingungen.

Dem ist nur zuzustimmen. Wie das allerdings bei inzwischen um die 5 Millionen
Arbeitslosen und einer verfehlten deutschen Politik - die sich in weiten
Teilen auf dem Holzweg befindet - umgesetzt werden kann, ist momentan
mehr als fraglich.


Ohne Frage allerdings ist Ahmet Topraks sehr fundiert dokumentierte Studie
Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer eine Bereicherung
für diejenigen, die mehr als nur Platitüden über eine den
meisten fremde Welt erfahren möchten. Wärmstens möchte
ich das Buch politischen Entscheidungsträgern und Medienvertretern
ans Herz legen.

Der Stil des Buches ist sachlich betont. Man spürt beinahe bei jeder
gelesenen Zeile wieviel Akribie und Mühe dahintersteckt. Jedes noch
so kleine - jedoch zum Verständnis des Ganzen notwendige - Detail
wurde exakt beleuchtet.

Es ist dem Autor nicht hoch genug anzurechnen, dass es ihm dank Fingerspitzengefühl,
Geduld und Fachverstand gelungen ist, einem Teil der türkischen Männergesellschaft
vorsichtig hinter die von Generation zu Generation aus archaischer Tradition
heraus verordneten Masken zu schauen.

Was darunter fein herausseziert zum Vorschein kommt, ist in der Tat nicht
gerade das Bild eines starken Geschlechts, sondern eher das eines fremdbestimmten
in falschen Traditionen ge- und verfangenen Wesens von türkischem
Mann, welche noch heute und fern von ihrem geografischen Ausgangspunkt
so stark sind, dass sie es nicht einmal zulassen, dass der Betroffene
in der Lage ist, das Verkehrte in ihnen zu erkennen.

Aus diesem Teufelskreis auszubrechen - dies weiß man nach der Lektüre
bestimmt - ist nicht einfach. Aber ist es gänzlich unmöglich?

Vielleicht nicht. Aber viel Mut gehört dazu.

Das Buch Das schwache Geschlecht - die türkischen Männer von
Ahmet Toprak kann und sollte Mut machen, etwas zu verändern.

Es kann lange dauern. Aber ein Anfang muss sein. Und der geht nicht ohne
die türkische Community selbst. Wir, die Deutsche, müssen sie
dabei unterstützen. Und zwar nicht mit populistischen Sonntagsreden
vor bevorstehenden Wahlen.

Hätten wir schon eher damit angefangen: Hatun Sürücü
könnte vielleicht noch leben...