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Textarchivierung - "in einer großen Stadt"

Textarchivierung - "in einer großen Stadt"

In einer grossen Stadt... einer grossen, dunklen, schmutzigen, alten Stadt... irgendwo in Nirgendwo,... in einem Hinterhof, in einer Seitengasse,... irgendwo da draussen... stand ich... und befand mich auf dem Weg...
an diesen wunderschönen sonnigen Oktobertagen können sogar solche Orte in ein verzaubertes Licht getaucht sein. Man riecht den erdigen Duft der bunten Blätter, die schon von den Bäumen gefallen sind, schlendert durch die Gassen und alles wirkt ganz anders als in einer novembergrauen Welt, auf eine Art golden.
Ich nahm einen wunderbaren, süssen Duft war, Kindheitsträume (und in Gedanken zogen die weissen Holzpferdchen eines Jahrmarktkarussels an mir vorbei und dazu erklang die Musik des Leierkastenmanns). Gebrannte Mandeln!
Der Moloch Stadt, das triste graue Ungetüm zeigte sich heute von einer ganz anderen Seite und so ergriff ich also die Gelegenheit meine paar Münzen in dieses kleine Tütchen Himmelsglück zu investieren
und die Zeit stand still im Zauber des Augenblicks...
So beschloss ich weiter einherzuziehen, denn ich war in die Stimmung gekommen, mich einem Ort zuzuwenden, der dunkel war und doch voll einem Zauber... einer Halle, in dem Viertel der alten Industrieruinen, ich hatte Kunde davon erhalten, dass SIE sich dort trafen.
Mit den Abendnebeln zog auch die Stimmung dahin, wandelte sich mit dem grauen Schleier, der die Strassen dunkler erscheinen liess und die Schritte schneller...
Weil ich Angst hatte...
ganz schlicht, wenn ich mich vor etwas fürchtete, wollte ich ihm Auge in Auge begegnen in der naiven Hoffnung es möge dann weniger bedrohlich sein.
Wenn ich zu einem Nachtmahr werde, wie mögen dann die Schatten noch schrecklich wirken?
Die andere Seite in mir war die, die dort sein wollte, mit den Flammen tanzen, die die Feuer in den alten Fässern an die Wände warfen. Mag ein Geist Angst vor der Nacht verspüren, ein Dämon vor der Dunkelheit?



Seltsam frohgemut, entschlossen, Hazardeur, zog es mich durch die schmutzigen Gassen immer näher zu dem Industriebezirk, der so abstossend und hässlich war, ein Moloch, ein lauerndes wildes Tier, das in der Dämmerung seiner Beute harrte und dabei keine Eile verspürte, denn es hatte Warten gelernt in all den Jahren, in denen die Beton- und Stahlgebäude dem Verfall anheim fielen.

Mit meinen wirren Gedanken im Sinn zog ich meine Kreise um mich einem Ort zu nähern, von dem mir der rauchige Wind ins Ohr geraunt hatte ich möge ihn finden.
So gelangte ich zu einer riesigen Industrieruine, die auf mich eine grosse Faszination ausübte. Seltsame Gebilde, Insektenbeine, die in den roten Abendhimmel ragten, fremd, lebensfeindlich und doch auf ihre Art so schön.
Schlote und Rampen, Tunnel und Förderbänder, Wege und Gänge, deren ehemalige Nutzung ich zu deuten versuchte,
zertrümmerte Fenster und allerlei industriellem Unrat, der überall verstreut war. Kriegsgebiet. Inmitten all dessen das Mutterschiff, eine gewaltige, dunkle Halle, aus deren Fenstern Feuerschein flackerte.
Das dumpfe Dröhnen von Trommeln.
Mein Herz schlug schneller, ich fühlte mich hellwach und spürte den Rausch von Adrenalin und Anspannung, als ich durch eine Seitentür in dieses fremde Universum eindrang.
Nichts geschah. Nichts Offensichtliches. Kein Innehalten im Trommelklang, in der Zusammenkunft.
Es hatte mich hierher gezogen, auf meinen Streifzügen durch die Eingeweide des dunklen, toten und langsam verrottenden Tieres Stadt... ich hatte mich hier hingesehnt, nicht wissend, was ich suchte und was mich erwarten mochte... und nun war ich hier, fühlte mich wie schmutziges Treibgut an einem öden Strand und zugleich angespannt, hellwach, voll pulsierendem Leben und Suchen, voll wilder Panik, tiefer innerer Ruhe und dem Wissen der Ankunft zugleich.

-sie sind-

der Gedanke, der explodierte, der mich vollends erfüllte mit gleissend hellem Licht und einer Woge von Wärme, die plötzlich durch meinen Körper flutete.
Sie waren wirklich.
In ihren langen dunklen Mänteln sassen sie da um das Feuer.
Grosse dunkle Vögel, hockten sie da, Krähenschar, hielten Rat, sammelten sich, kommunizierten auf eine Art, Feuer, Trommeln, dunkle Gestalten, die diesen Rhythmus erzeugten diesen Sog.
Ich wollte nicht weglaufen. In mir gab es kein Wollen mehr, nur noch grosse, nackte Angst und dieser Sog, die Faszination, das Hiersein - Müssen zugleich.

Die Zeit steht still,
Nichts geschieht

Die Gedanken sind wie Krähen,
die über den Dächern wohnen
laut und flüchtig
verachtet und mancherorts gefürchtet
lassen sich schliesslich nieder
in dem Gemäuer
ihrer würdig
alt und dunkel,
gleichsam schmutzig.
sitzen dort und halten Rat
Stufen führen zu den Sälen
ohne Dach und Wand
In dem Augenblick als mir bewusst wurde, dass SIE auch mich bemerkt hatten, als eines der Wesen mich mit einer Geste kommen hiess, explodierte die Wärmewoge in mir, wurde Feuerglut.
(Was tat ich nur hier? Warum sammelte ich nicht Industrieabfälle, Schrott, Blech, Eisen und verdiente mir so meinen kargen Lohn? Warum stand ich nicht draussen auf der Strasse um diesem Hungerlohn noch ein paar Groschen dazuzuerhaschen, warum sass ich nicht drüben unter der Brücke und schleuderte Steine ins Wasser oder auf die linkisch dreinblickenden Ratten wie sonst?)

- SIE SIND -
- SIE HABEN MICH GESEHEN -
- SIE RUFEN MICH ZU SICH -

sie blickten klaren Blicks in meine Richtung, und ich bewegte mich tatsächlich auf ihre Mitte zu,

Urknall.
Urknall in meinem Gehirn. Unglaublicher Schmerz. Licht und Schmerz.

Aus dem Dunkel hatte sich ein Schatten gelöst und hatte sich auf mich zu bewegt, es hatte eine kurze Berührung zwischen uns stattgefunden, an der Schulter
.
In dem Moment war etwas vollkommen seltsames und Unerwartetes geschehen, es hatte ein Perspektivenwechsel stattgefunden und ich hatte mich plötzlich nicht mehr als mich wahrgenommen sondern aus dem Blickwinkel dieses Wesens, ob er in dem Moment als "ich" gefühlt und meine Angst wahrgenommen haben mochte?

Ich hatte ihm noch einmal in die Augen geblickt und musste mich aus diesem Strudel gleichsam gewaltsam losreissen und daraufhin war ich fortgelaufen und hinauf auf dieses Hochplateau geklettert.


Eine Manege, wie im Zirkus, sie bildeten einen grossen Kreis an dessen Halbmesser je ein hoher, hoher Stahlträger entlang nach oben führte und dessen Enden in schwindelnder Höhe mit einem Drahtseil verbunden waren.
Lachend begriff ich und begann die schmalen Eisentritte zu erklimmen, hoch und höher, bis ich auf einer kleinen Plattform ankam

"Hahahaaaaaaaa“, laut lachend, freudig erfüllt stand ich dort auf der Plattform, hoch, so hoch über dem Kreise derer, die da am Boden sassen

Tollkühn stand ich dort oben, lachte und winkte, dem Ernst der Situation völlig entglitten und ein Wesen winkte zu mir herauf, winkte mich zu sich heran.
Ich tanzte dort oben in schwindelnder Höhe auf diesem papierblattgroßen Plateau hin und her, ruderte wild mit dem Armen, lachte und brüllte nach unten: "Orrrlaaaaaaaando"


Wahrlich überrascht zögerte ich eine Weile. Da unten sind sie, die Dunklen, und anstelle dunkelster Szenarien oder ihrem Amusement über einen dummen Hazardeur, der sich zu weit gewagt hat und dabei eben fiel, höre ich eine Stimme, die mich ruft herunterzukommen.

Ich schluckte und grübelte einen winzigen Augenblick. Meine überschäumende und situativ völlig unangemessene Euphorie war etwas gebremst und ich machte kehrt und kletterte den riesigen Stahlträger tatsächlich wieder herab.

Und so hüpfte ich dem Dunkelwesen aus dem Schatten heraus vor die Füsse und schüttelte mir den Staub von den Kleidern, den ich mir auf den lange nicht benutzten Wegen dort oben eingefangen hatte.
Misstrauisch blickte ich ihn seitlich an und wusste nicht Recht, wie ich mich verhalten sollte.
"was seid ihr?“

Ich hatte abgründige Angst.
"Ich... ja,.. Ihr... was für Wesen seid Ihr?"

In Gedanken hatte ich noch nicht gänzlich erfasst, dass ich mich tatsächlich hier befand und das war sicherlich der Grund, warum ich in einer gewissen Form der Ruhe denken und agieren konnte.

So folgte ich Era-Verron zu der Gruppe, die zuvor getrommelt hatte.
Wir näherten uns aus dem Dunkel heraus diesen von den Flammen beschienen hockenden Gestalten und ihre Umrisse wirkten wie Scherenschnitte, die flackernd im Schein der Flammen tanzten, dunkel und anziehend zugleich, wie dieser ganze Ort. Niemand schenkte uns Beachtung, kein Gesicht wandte sich zu uns um, nur ein leises Rascheln und Knistern war zu hören als man uns eine Gasse bildete um in die Mitte des Kreises treten zu können.
So setzte ich mich neben Era-Verron auf den Boden und fühlte meinen lauten Herzschlag.

Im Schneidersitz setzte ich mich auf meinen ledernen Mantel, sah in die Runde und wandte mich meinem Gegenüber zu.

"Meinen Namen habe ich Euch bereits genannt, ich heisse Orlando.
Ja, nun, die Zeiten sind finster und ich lebe von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, ziehe durch die Strassen, bin mal hier mal dort, verdiene mir meine Groschen auf der Strasse und wenn ich es über habe für den Tag oder die Heller ausreichen für ein Mahl in einer Hafenkneipe, dann streune ich manchmal ein wenig umher und so zog es mich in Richtung dieser Halle.
Ich habe keine Familie oder Frau, es gibt derzeit niemand, der mich vermissen würde, es gibt nur mich.
Vielleicht ist es die Sehnsucht nach mehr als dem, was bisher ist..."

Mein Gegenüber zeigte keinerlei aggressive Körpersprache, so dass ich mich auf meinem Mantel, in dem ich immer noch steckte, zurechtrückte und auf einem Stück davon etwas bequemer zu sitzen versuchte um über mich Auskunft zu erteilen.

Die Welt... ich streife durch sie und bin ein Teil von ihr, bin mal hier, mal dort. Ich versuche mir meine täglichen paar Groschen zu verdienen, meist gelingt mir dies durch die Gier derer, die sich Güter erkaufen müssen, die anderen zur Gabe sind. Ich weiss nicht, ob ich sie verachte oder bedauere, ich denke sie sind mir gleichgültig, sie sind einfach da. Mein Dasein ist erhellt durch Zeiten, in denen ich in andere Wirklichkeiten blicke, als die, die nur überleben und mich verkaufen heisst"


Orlando blickte sich noch einmal in der Runde um, konnte Rascheln und Murmeln vernehmen, ein Wesen das aufstand und in die Dunkelheit entschwand. Was das alles wohl zu bedeuten hatte?

Das war das Wesen von zuvor, von den ersten Schritten, die ich in diese Halle gesetzt hatte


Weil aber alles ruhig blieb und auch Era-Verron weiter zu mir blickte und mit ruhiger Stimme weitersprach, beschloss ich das Gespräch weiterzuführen und die Bewegungen der ANDEREN auf sich beruhen zu lassen, vorerst.

So blickte ich wieder in die tiefen Weiten des Raumes in meines Gegenübers Blick.

Ja, es sind seltsame Zeiten. Ich glaube, was mich in meinem Leben am meisten zerrüttelt hatte, war, dass ich noch keine Geborgenheit hatte finden können, kein Heim.
Es gab keinen Ort, an dem ich länger bleiben mochte, stets zog es mich zu neuen Behausungen und Schlafplätzen, manchmal kam ich auch dorthin zurück, aber immer war ich in Unrast.

Ich hatte nicht gewusst, dass ich mich stets auf der Flucht befand, dass die Zeiten vielleicht einfach zu kalt für mich geworden waren.

Ich hatte das Empfinden von Nacktheit, wie es nie zuvor über mich gekommen war.
Ich stand da im Kreise derer, die sich zurückgezogen hatten vor dem Draussen, die sich nicht zu verkaufen brauchten um zu leben, denn sie waren einfach.
Das Schicksal hatte mich den Weg zu ihnen finden lassen und nun stand ich vor ihnen und konnte nicht weiterziehen zu einem weiteren schmutzigen Rattenloch, in dem ich mich vor den Augen derer verstecken konnte, die auch in Tagen wie diesen noch ein Fünkchen Glück gefunden hatten und ein Lied auf den Lippen hatten.

Ich hatte da eine Tür aufgetan, die ich nun durchschreiten musste und davor hatte ich noch viel, viel existentiellere Angst denn vor irgendetwas sonst. Was sollte ich fürchten, was nicht Teil meines täglichen Daseins war da draussen in der grossen Stadt?

Ich.



Lautlos wogende Gestalten drängen sich im trüben Licht eines warmen rauchdurchzogenen Dunkels
Wirre bunte Lichter zucken über leere Masken
Ihr Murmeln ist der Puls der Nacht
Lachen, Weinen, Wörterfetzen bilden einen Sog, der alles mit sich reisst. Delirium.
Mit wachen Augen schlafe ich und träume die Wärme einer novemberkalten Welt.
Trugbilder umschmeicheln den Verstand und betäuben alle Sinne.
Ich erschrecke. Es ist die Lust am Nichts.

Die Zeit scheint sich in einem langsameren Fluss fortzutreiben denn andernorts, ich halte inne und brauche Kraft um mich festzuhalten, um nicht von diesem Strom fortgetragen zu sein in ein fernes Land ohne Wiederkehr.

Era-Verron hebt die Hand zu meinem Gesicht, das ich abgewendet habe, dreht so meinen Kopf erneut in seine Richtung.
Fast trotzig hebe ich den Blick.

Er will, dass ich berichte. Nur so könne ich fortbestehen.

Der Frühling in der grossen Stadt, er riecht nach Fäulnis. All der Unrat, all die Krankheit kriecht dann aus den Gassen hervor und die gnädige Schicht aus aschgrauem Schnee gibt alles preis, was nicht mehr fortgetragen werden kann.
Ich kroch aus dem Rumpf eines rostigen Schiffes hervor, drüben im Hafen, denn man hatte mich rufen lassen, ich sollte mich in das andere Viertel begeben, in dem ich nicht gesehen werden darf, in die City, mit ihren chromglänzenden Wolkenkratzern, mit ihrem Reichtum, ihrer Sattheit, ihrer Selbstzufriedenheit. Einer vom Industriebezirk hätte nie die Grenze überschreiten können in dieses Shangri-La, aber wo es die Reichen gab mit ihrer Gier, gab es Pfade für unsereins und so fand ich meinen Weg zum Ostufer in einem ihrer Gefährte, ich wurde abgeholt, das war Teil des Uebereinkommens. Sie hatten mir viel Geld geboten, mehr als sie mir hätten geben müssen und es gab kein nein, nur ein Leben oder Nicht.
So gelangte ich in die obere Etage eines der sterilen Häuser (nannte man diese Art von Wohnraum Loft?) und was ich dort Erfuhr war Erniedrigung und tieferer Schmerz als mir je zuvor zugefügt worden war. Diese namenlose Gruppe degenerierter lüsterner Ost-Städtler nahm mir meine Würde, nahm mir mein Ich. Nach drei Tagen des Gebrauchs zu ihrem Wohlgefallen und der Befriedigung ihrer Gier in jeder nur erdenklichen Art und Weise spieen sie das wieder aus, was von mir noch über war und sie stiessen mich zurück in den Hafen, denn sie hätten meinen Körper nicht verschwinden lassen können in ihrer sterilen Hochglanzwelt.
An diesem Tag war ich gestorben und Orlando war geboren.

Emotionslos blickte ich nun direkt und sehr klar zu Era-Verron, der seinerseits keine Bewegung und keine Gefühlsregung zeigte.

Müdes Glühen flatternd taumeln Schritte
hellem Licht entgegen tauber Hoffnung
bange Ahnung dem Abgrund gleich
schrilles Flirren, kalter Schmerz
sucht Trost im Fall, heller Glockenton
voll dumpfen Leid

Vom Opium geküsst berührt
von tausend Händen an die Wand gedrängt,
erwürgt, vom Tod verschmäht
schönes Kind, ahnungsschwer
Gewitterwolken im roten Schein
voll der Sünde, brechen
regnen Wehmut, angeklagt
im Kerker ohne Schuld

Seit diesen Tagen war ich ziellos umhergezogen, hatte nirgends länger bleiben können, war immer auf der Flucht vor dem Jetzt, vor dem Einst, vor mir selbst.
Welche Kraft in mir keimte, die mich dazu brachte ein Ziel zu suchen, mich leiten zu lassen, einer Spur zu folgen, konnte ich nicht benennen aber es war so stark wie kein Sehnen je zuvor. Eine Macht, die stärker war als die unfassbare Angst, die in mir wohnte, die mich hierher gebracht hatte und mich nun erhobenen Hauptes über meine schlimme Scham und Schmach sprechen liess, als sei es ein Fremder, der dies alles hatte durchleben müssen.

Era-Verron betrachtete mich lange, prüfend, und das Trommeln setzte wieder ein, ein Monsun in einer schwülen Tropennacht, dem man sich hingeben musste, weil es keine Stelle gab, die er nicht durchdrang.
Ich empfand Schmerz und Leichtigkeit, trieb dahin in einem gewaltigen Strom, der aus kleinen Bächen zusammenflossß, sah Tropfen sich bilden und von Blättern perlen, fühlte Wärme, die meinen Körper umgab und versank in niegekannter Leichtigkeit.

Tangou erhob sich aus der Dunkelheit und trat zu uns, es war der Mann, dem ich vor Ewigkeiten, wie es schien, für einen kurzen Augenblick begegnet war, und aus dessen Augen ich mich gesehen hatte, ein Augenblick, dessen Intensität ich in seiner Kürze kaum zu tragen vermocht hatte. Sie wurden Kulisse, es gab sie nicht mehr, denn in den Klängen, der Musik, die sie zu uns sandten.
Nur mehr drei Wesen standen da, so verschieden, so altvertraut.
All dies war so paradox intim, dass ich dem Jetzt keine Zweifel und Aengste entgegensetzen konnte. Ich war.

Du kannst nur sein, wenn Du bereit sein kannst aufzugeben, was Dich hält.




Ich stand also oben auf der Brücke über einem tiefen Tal voll grüner Wälder, voller klarer Seen, kleiner Dörfer, reich an Schönheit und so sehr voller Frieden, dass es schmerzte daran zu denken, und ich sollte springen um zu sehen, ob ich fliegen würde oder fallen, doch würde ich meine Schwingen nur dann entfalten können, wenn ich begriff, dass dies gar keine Rolle spielte und frei war von Furcht.

Tangou stand nun hinter mir. Er war ich gewesen und wusste so um mein Sein, um mein Erinnern, um mein Sehnen, das so lebendig in mir pulsierte, wie ich selbst es nie hatte ahnen können als ich mich so leblos durch die Tage schleppte und mein Unglück suchte.
Vielleicht war es diese Klarheit, die in mir loderte, die Intensität des Fühlens, das mich glaubhaft machte vor diesen Richtern all dessen, was ab jetzt noch war.
Er war nicht von besonders schöner Gestalt, ein wenig grösser als ich es war, aber in ihm strahlte die Ruhe seiner Kraft. Er trug wie fast alle hier Lederbekleidung, aber keinen Mantel, sondern nur ein schwarzes Hemd. Sein Haar war kurz und er trug hohe Stiefel.
Ich konnte keine Nähe mehr tolerieren, sie war Teil meiner steten Flucht, doch auch dies fiel von mir ab und wich Ruhe und dem Wissen hier gut zu sein.
Ich wusste nicht, womit ich vergleichen sollte, was ich gerade empfand.
Sein Körper stand dicht an dem meinen, berührte mich beinahe.
Zieh das aus
Mein Mantel glitt von meinen Schultern und fiel zu Boden. Wärme strömte von meinem Körper und mit ihr mein Geruch, diese Note, die mir zueigen war. Ich hatte nie etwas besessen, hatte nicht immer genug zu essen, aber eines hatte ich im Hafen erstanden, eine kleine Phiole, reich mit einem Oel, das ich einem Händler abgehandelt hatte, aus dem fernen Sansibar. Ich hatte mich aufgegeben, aber nicht genug um nicht den Stolz zu haben mich in den warmen holzig-erdigen Duft dieser edlen Essenz hüllen zu wollen, nur ein Hauch, es war so kostbar, aber es gab mir Kraft.
Und nun nahm ich Nuancen dieses Zaubers wahr, des Kleinods, das ich an einem Lederbändchen um meinen Hals trug um es nie zu verlieren oder seines bestohlen zu werden.
Meine kleine Insel Sinnlichkeit in einer kalten Welt.

Tangou bewegte sich in minimalen aber klaren und kraftvollen Gesten. Noch immer hinter mir stehend legte er seinen Unterarm quer über meine Brust während Era-Verron mir direkt gegenüber stand und mich musterte, mir direkt in die Augen blickte, ebenfalls mit der unbeweglichen Kraft und Anmut eines Panthers.
Und dennoch, trotz allem, war ich ruhig, ich wusste auch um ihre Aufrichtigkeit, dass ich nicht zu etwas falschem verführt wurde, es gab keine Ueberraschungen, keinen bösen Willen, ich war nicht ihr Opfer. Was hier geschah, war ein Handel und wir mussten wohl den Preis abwägen, waren jedoch ebenbürtig Beteiligte.

Ich fühlte seinen Atem. Und ich nahm auch ihn durch seinen Geruch wahr, der mich an einen Satz erinnerte, den einmal der einzige Vertraute zu mit gesprochen hatte, den ich je gekannt hatte, er hatte mich gefragt: „Weisst Du, wonach Engel riechen? Sie riechen nach frisch gefallenem Schnee
Aber auch ihn hatte ich verloren und auch der Schmerz und der Schmutz dieser Episode in meinem Sein hatte sich tief in mir eingebrannt, ein Teil meines Daseins, ein Teil meines Hierseins.

Ich will, dass Du vertraust



Wie absolut dies doch war und hätte man diesen Satz zu mir gesprochen, so hätte dies allein schon gereicht alle Türen zu schliessen, denn sie hätten Missachtung und Verrat bedeutet.
Dazu hatten sie keinen Grund.

Era-Verron zog einen silbernen, mit Runen gravierten Dolch, der wirkte als käme er aus einem Zauberreich, als sei er in den unterirdischen Feuern der Zwergen geschmiedet worden, als sei er das filigrane Werkzeug von Elben gewesen, und doch gehörte es zu ihm, war Teil von ihm, wirkte wie alles hier, richtig und an seinem einzig möglichen Platz in dieser dunklen Welt.
So durchtrennte er den Stoff meines Hemdes mit spielender Leichtigkeit so dass meine schmalen Schlüsselbeine frei lagen, wie meine eine Schulter, ohne mich jedoch gänzlich zu entblössen.
Danach trat er zurück und entliess mich aus der intensiven Starre seines Blicks, er wurde für einen Augenblick Teil der Reihen derer, die uns umgaben.
Zeit wurde Ewigkeit, so verharrten wir ohne dass Tangou seine Haltung veränderte, ohne dass Merkliches geschah.
Ich wurde schläfrig, meine Augen fielen zu und ich öffnete sie neu und neu. Die dämmrige Wärme der Halle und des Feuer liessen mich schweben in der eiganartigen Nähe der Umarmung dieses nächtlich Glimmenden.
Erneut sah ich mich Era-Verron gegenüber, die Schemen tanzten, ich war nicht wach, noch schlief ich, doch stand da und hielt Stand.
Mit einem nunmehr weisen, gütigem Lächeln sah er mich an, äußerlich Hübscher, doch weniger muskulös gebaut als der Aeltere, hob er einen Becher an meinen Mund
Trink
Ich dachte nicht mehr nach, empfand nicht mehr für noch wider, fühlte das Glas an meiner Unterlippe, eine Flüssigkeit, die wie kaltes Feuer alles betäubte, durch meine Kehle in mich floss, Gjöll, zu den Wurzeln Yggdrasils.
Wärme war in mir, Klarheit und Ruhe, tiefer Frieden.
So verliess mich nun auch die Kraft, die mir die Furcht und Mut verliehen hatten und fand mich wieder auf den Knien Tangous, der mit mir, mich haltend in die Hocke gegangen war.
So lag ich da, mit meinem Rücken auf den Beinen dieses fernen Wesens, gehalten wie ein Kind und blickte in sein Antlitz, sah in die verschneiten Weiten der fernen Taiga, sah in ihm einen alten Beduinen in der Wüste, einen Nomaden in der fernen Steppe, sah in ihm den kleinen Buddha am Dach der Welt, er war mir gütiger Erlöser, der meinen Schmerz auf sich nahm und der mit mir war, vor tausenden Jahren im fernen Palästina, ich begriff die Hingabe der Könige, die dem göttlichen Kind ihre Gaben schenkten, ich war Teil des Laufs der Welt, er war Mutter, er war Hel und war zugleich der Pan, der Gehörnte.
Ich fühlte tiefe, tiefe Liebe, bis hinab, wo Hvergelmir entspringt, hinab in alle Tiefen des tiefsten aller Ozeane…

Es hat begonnen, es nimmt seinen Lauf, das Rad des Lebens dreht sich wieder.

Zeitlos. Schwerelos.
Prüfend sah er in mich, war um mich, war mit mir.

Die Klänge zogen und zerrten nicht mehr an mir, sie trugen mich.
Er strich über meine Augen und um mich war Dunkel, war ein anderes Sehen als je zuvor.
Er legte meinen Körper sanft zu Boden. Ich lag auf dem Rücken und nahm durch mein dünnes baumwollenes Hemd kaum die Kühle des Betons wahr, der meinen Rücken berührte.
Sein Kuss berührte meine Stirn.
Seine Hände strichen an meinem Hals entlang, berührten meine Schlüsselbeine.

Ja
Kalter Schmerz liess mich beben, war unglaublich laut, liess mich frieren, warf mich auf einen Sturm im Ozean, zerbrach mein kleines Fischerboot, riss mich mit sich fort.
Leben, das mir entrissen wurde, das aus mir floss, das mich krümmen liess und da lag ich zuckend und zappelnd wie ein Fisch, dem man auf dem Boden des Nachens noch die Kiemen durchtrennte und den Kopf zertrümmerte auf dass es sein Leiden verkürzen möge.
Nackt und entstellt.
Er beugte sich zu mir in graziler Anmut herab und umschloss mich ganz, sein Körper bedeckte meinen und seine Arme hoben meinen Kopf an.

Sein Kuss war Leben.