Ikonos und der Niedergang der Maya-Kultur
Ikonos und der Niedergang der Maya-Kultur
Harald Zaun 03.01.2005
Wissenschaftler nutzten kommerziellen Spionage-Satelliten, um ein
großes Mysterium der Archäologie zu lösen
Sie kamen aus dem Dunkel der Geschichte und verschwanden auf obskure
Weise ebenso wieder. Warum sich die Maya-Kultur nach einer
intensiven Blütezeit so lautlos aus der Geschichte verabschiedete,
wird innerhalb der Altertumsforschung immer noch kontrovers
diskutiert: mal ist von einem verheerenden Erdbeben, von Raubbau am
Regenwald, einem ökologischen Kollaps, einer tödlichen Krankheit,
einer plötzlichen Klimaveränderung oder gar einer Invasion fremder
Völker die Rede. Ein NASA-Forscher, interessanterweise der einzige
angestellte Archäologe der US-Raumfahrtbehörde, glaubt nunmehr,
unter Einbeziehung von Bildmaterial des Spähsatelliten Ikonos, des
Rätsels Lösung gefunden zu haben.
Manche Kulturen nehmen das Geheimnis ihres Unterganges buchstäblich
mit ins Grab. Vielleicht wäre das kulturelle Erbe der
Maya-Zivilisation für alle Zeit im Strom der Zeit verloren gegangen,
hätten nicht in demselbigen einige historische Quellen beharrlich
dem nagenden Zahn der Zeit getrotzt. Hätten die im nördlichen
Tiefland der Halbinsel Yucatan (heutiges Mexiko, Guatemala, Belize)
inmitten des Urwalds eingebetteten pittoresken Pyramiden, Paläste,
öffentlichen Versammlungsplätze, Steinmasken, Wandgemälde,
Zisternen, Keramikprodukte und Schrifttafeln als letzte Zeugen einer
einst blühenden Hochkultur selbst das Zeitliche gesegnet, wäre die
Epoche der Mayas in den Annalen womöglich noch nicht einmal mit
einer Randnotiz bedacht worden.
Scheinbar in Nichts aufgelöst
Doch die scheinbar stummen Relikte, die inmitten tropischer
Vegetation die Zeiten überdauerten und die schon im 16. Jahrhundert
die spanischen Truppen während ihrer Eroberungs- und Ausbeutezügen
durch Süd- und Mittelamerika in den Regenwäldern von Yucatan als
erste Vertreter der abendländischen "Kultur" zu Gesicht bekamen,
waren aufgrund ihrer bewegten Vergangenheit gesprächiger, als es den
Anschein hatte. Sie erzählten von einer einstmals kulturell
hochstehenden, friedliebenden, mit der Natur im Einklang lebenden
Zivilisation, die eine Sensibilität für den Sternenhimmel hatte und
wohl deshalb ein effizientes Kalendersystem kreierte. Von einer
Gemeinschaft, die das Ballspiel und eine höchst komplizierte Schrift
erfand, aber dennoch Ende des 9. Jahrhunderts aus unerklärlichen
Gründen - quasi auf dem Höhepunkt ihrer Blütezeit - plötzlich und
unauffindbar aus der Geschichte verschwand. Praktisch von einer
Generation zur nächsten löste sich das Maya-Volk scheinbar in nichts
auf. Wuchs die Bevölkerungszahl im 8. Jahrhundert noch bis auf 15
Millionen Menschen an, kam es ein Jahrhundert später - zumindest aus
der Sicht der Demographen - zum Kollaps. Was zurück blieb von den
einstmals blühenden Städten im Tiefland Yucatans waren neben
versprenkelten kleineren Menschengruppen verlassene Ruinen und
zahlreiche auf Monumenten und Keramiken verewigte Maya-Inschriften,
mit denen jedoch die Archäologen, Historiker und Anthropologen lange
Zeit nichts anzufangen wussten.
Maya-Ruinen in Guatemala (Bild: NASA/Tom Sever)
Erst als Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der
komplizierte Code der Mayaschrift "geknackt" wurde - bis Ende 1994
konnten die Maya-Forscher ungefähr 80 Prozent der kryptischen
Schriftsymbole lesen und verstehen - löste sich der Mythos von den
sanftmütigen und friedliebenden Mayas flugs in Luft auf. Nach dem
mühseligen Studium der Hieroglyphen-Inschriften sah es nicht mehr
danach aus, als hätten verheerende Erdbeben, ein durch
Intensivlandwirtschaft und Raubbau am Regenwald bedingter
ökologischer Kollaps, eine tödliche Krankheit, plötzliche
Klimaveränderungen oder gar eine Invasion von Fremden den Anfang vom
Ende der Mayas eingeleitet. Vielmehr waren es die Mayas selbst.
Entzauberter Mythos
Die Entzifferung der in Stein eingravierten und auch auf Papier
niedergeschriebenen Bilderschrift der Dschungel-Bewohner entzauberte
den Mythos vom harmonischen Bauernvolk und dies auf radikalste
Weise. Denn aus der friedfertigen Gesellschaft wurde eine höchst
kriegerische, deren Alltag anno dazumal von blutigen Ritualen und
grausamen Kriegen bestimmt war. Überlagert wurden die vereinzelten
Konflikte von einem tödlichen Dualismus, der zwischen den beiden
Supermächten Tikal und Calakmul tobte. Zwischen den Fronten der
beiden Großmächte, diesen letzten Endes aber untergeordnet,
existierten 50 unabhängige Kleinstaaten, die ständig miteinander im
Krieg lagen, sich dabei aber gegenseitig neutralisierten. Die beiden
großen Brüder hingegen etablierten durch geschickte
Allianzbildungen, Heiratspolitik und militärische Eroberungen ein
Gleichgewicht des Schreckens und vermieden so lange Zeit eine
direkte Konfrontation.
Ikonos-Satellitenbild der observierten Maya-Region. Die hier zu
sehenden dünnen schwarzen Linien interpretieren die NASA-Forscher
als Kanäle, die das Maya-Volk zur Bewässerung angelegt hat. (Bild:
NASA/MSFC)
"Alle Kriege, die wir finden, brachen zwischen zwei Kleinstaaten
dieser beiden Machtblöcke aus. Das waren Stellvertreterkriege",
erklärt Nikolai Grube von der University of Texas/Austin, einer der
weltweit führenden Maya-Experten, der an der Entzifferung der
Maya-Schrift maßgeblichen Anteil hatte. Solange sich die beiden
Supermächte die Waage hielten, funktionierte das Ausbalancieren der
Kräfte. Doch als Tikal Anfang des siebten Jahrhundert die
Konfrontation suchte und über Calakmul siegte, geriet nicht nur das
politisch-ökonomische Gleichgewicht aus den Fugen. Vielmehr hatte
sich Tikal schlichtweg übernommen, da seine wirtschaftlichen und
politischen Strukturen nicht ausreichten, um das entstandene
Riesenreich zentralistisch zu regieren und auch zusammenzuhalten.
Das Maya-Reich zerfiel - nach dem neuesten Stand der Forschung
allerdings nur allmählich. "Es war kein plötzliches Verschwinden,
sondern ein langsamer Untergang", verdeutlicht die amerikanische
Anthropologin Diane Chase.
Chronischer Nahrungs- und Wassermangel als Ursache
Auf die Suche nach der historischen Wahrheit hat sich auch Tom Sever
begeben, der einzige offizielle Archäologe der US-Raumfahrtbehörde
NASA. Mithilfe des kommerziellen Satelliten Ikonos untersuchte Sever
die im Regenwald von Guatemala eingebetteten Ruinen der Mayas und
kombinierte die eingehenden Daten mit den Ergebnissen älterer
archäologischer Studien. "Archäologen haben in der Vergangenheit
immer wieder darüber diskutiert, ob der Untergang der Mayas durch
Trockenheit, Kriege, Krankheit oder einer Reihe von anderen
Möglichkeiten ausgelöst wurde", erklärt Sever vom Marshall Space
Flight Center (MSFC).
Nun denken wir, dass all diese Faktoren eine Rolle spielten. Aber
sie waren nur die Symptome. Die eigentliche Ursache war ein
chronischer Nahrungs- und Wassermangel, aufgrund von natürlicher
Austrocknung und Entwaldung durch den Menschen.
Für diese These spricht vor allem, dass in der untersuchten Region
die Pollen von Bäumen fast komplett verschwunden waren. Demgegenüber
waren in den jeweiligen analysierten Bodenschichten nur Pollen von
Unkraut vorhanden, was für die Forscher ein deutlicher Hinweis
darauf war, dass hier irgendwann einmal eine totale Entwaldung
stattgefunden hatte. Es war aber ein Raubbau an der Natur mit
fatalen Folgen. Denn ohne Bäume verschlimmerte sich die Erosion und
trug fruchtbaren Boden davon. Infolge der Veränderung in der
damaligen Bodenbedeckung kam es zu einer Temperaturerhöhung von bis
zu sechs Grad. Der Boden trocknete aus und wurde für die
Landwirtschaft so gut wie unbrauchbar. Diesen Prozess konnte Bob
Oglesby, ein Klimaforscher der NASA und Kollege von Sever im
Computerexperiment simulieren. "Die Erhöhung der Temperatur hat auch
das Regenverhalten verändert", so Oglesby.
Dürre und Durst setzten Mayas zu
Welche Anstrengungen die Mayas damals unternahmen, das wertvolle
Nass ökonomisch zu verteilen und effektiv zu speichern, konnten
Sever und sein Kollege Dan Irwin aus den Daten des Ikonos-Satelliten
entnehmen. Auf den Bildern sind antike Abfluss- und
Bewässerungsgräben in sumpfartigen Gebieten nahe der Maya-Ruinen zu
sehen. Lange Zeit gingen Archäologen, die solcherlei Strukturen bis
dahin noch nicht via Satellit gesehen hatten, davon aus, dass die
Mayas dieses Gebiet einst nicht bewirtschafteten, da auch die
heutigen Bewohner die niedrig liegenden Sümpfe (die so genannten
"Bajos", das spanische Wort für "Flachland") kaum nutzen.
Schließlich sind die Bajos während der Regenzeit von Juni bis
Dezember sehr matschig und in der Trockenzeit stark ausgedörrt.
Gleichwohl deuten nach Ansicht der Forscher die Satellitenbilder
darauf hin, dass die ausgemachten Kanäle seinerzeit Teil eines
Systems waren, das die Mayas entwickelten, um das Wasser in den
Bajos zu regulieren. Auf diese Weise konnten sie das Hochland
während der feuchten Jahreszeit und die Bajos während der trockenen
Saison bewirtschaften und zugleich jedes Jahr aufs Neue bestellen,
anstatt neue Gebiete des Regenwaldes abzuholzen und zu verbrennen.
Untermauert wird diese Interpretation auch durch ältere und aktuelle
Ausgrabungsfunde. Anhand der Analyse menschlicher Knochenreste, die
aus dem letzten Jahrhundert vor dem Kollaps stammten, fanden die
Anthropologen deutliche Hinweise auf Unterernährung.
IKONOS ist der erste kommerziell betriebene
Erdbeobachtungs-Satellit, der Aufnahmen mit einer
Detailerkennbarkeit von einem Meter liefert. Seit Ende 1999 kreist
er im Orbit. (Bild: Spaceimaging)
Wie dem auch immer gewesen war - irgendwann im ausgehenden 9.
Jahrhundert n. Chr. leerten sich die künstlich angelegten
Wasserreservoirs der Mayas aufgrund der erhöhten Temperaturen und
der damit einhergehenden Trockenzeit. Da das Grundwasser in einer
Tiefe von mehr als 150 Meter unerreichbar fern war, wurde der Tod
durch Verdursten für die Maya-Kultur immer mehr zur realen
Bedrohung. Die Katastrophe, über deren Ursachen wir heute nachdenken
und forschen, könnte auf diese Weise nach Meinung der NASA-Forscher
so ihren Anfang genommen haben.
Spionagesatellit Ikonos
Ikonos, dem diese hochwertigen Digital-Fotos zu verdanken sind, ist
der erste kommerzielle Spähsatellit. 1999 wurde er von der
amerikanischen Trägerrakete Athena ins All gehievt. Zweimal am Tag
umkreist er die Erde. Mittlerweile kann jeder die von ihm gemachten
digitalen Aufnahmen, die früher nur Regierungen, Forschern und dem
Militär zugänglich waren, käuflich erwerben. Gibt der
zahlungsbereite Kunde ein Zielgebiet in Auftrag, tritt Ikonos sogar
für Kleinstaufträge in Aktion.
Der von der nicht ganz unumstrittenen amerikanischen Firma
Spaceimaging produzierte Raumflugkörper ist in der Lage, jeden
x-beliebigen Ort zu überfliegen und von jedem Quadratmeter der Erde
Fotos zu machen. Konnten bisherige "zivile" Himmelsspäher nur
Objekte ablichten, die größer als fünf Meter waren, so vermag Ikonos
Gegenstände in der Größe von nur einem Meter auf der Erde zu
erkennen. Selbst einzelne Menschen würde der Satellit orten können.
Einen Teil der Bilder, den der private Spionage-Satellit bislang
produzierte, hat Spaceimaging ins Internet gestellt.
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Quelle: https://www.heise.de/tp/r4/artikel/19/19154/1.html
liebe Grüße
Sandro
"They say if you play the Windows XP CD backward, you can hear satanic words."
- "Oh, that´s nothing. If you play it forward it installs Windows XP...!"