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Wie links ist der 8. Mai?

 Wie links ist der 8. Mai?

kopiert aus: https://de.indymedia.org/2005/05/115052.shtml



Bericht "Wie links ist der 8. Mai?"

von hc - 05.05.2005 12:31


"Wie links ist der 8.Mai" ? unter diesem Motto hatte am 4.5. die Wochenzeitung Jungle World in den Grünen Salon in der Volksbühne Berlin zu einer Podiumsdiskussion geladen. Es diskutierten Katja Kipping (Stellv. Vorsitzende der PDS), Burkhard Schröder (Freier Autor), Deniz Yücel (Jungle World) unter der Moderation von Stefan Wirner (Jungle World).

Zusammengefasst lässt sich der Abend beschreiben als ein "stochern im Nebel". Es wurden viele unterschiedliche Themen angerissen und sobald es an einer Stelle spannend wurde, kamen die Diskussionsteilnehmer auf ein neues Gebiet. So wurden einzelne Felder wie "antifaschistische Bündnisse mit bürgerlichen Kräften ? ja/nein" oder "Nazis ? ein ostdeutsches Problem" recht oberflächlich abgehandelt.

Eine kurze Zusammenfassung einiger Punkte des Abends, die mir noch im Gedächtnis blieben:

Katja Kipping verteidigte die Position der PDS mit anderen Parteien am 8.Mai rund um das Brandenburger Tor auf den Veranstaltungen gegen die NPD teilzunehmen. Die Initiative dazu sei nicht von den bürgerlichen Parteien gekommen, sondern von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, und es sei "eine Frage des politischen Anstandes" dem nachzukommen.

Hier ging die Kritik von Yücel und Schröder gleichermassen an die Vertreterin der PDS: Es macht wenig Sinn "die Nazis" zu bekämpfen, wenn das eigentliche Problem rassistische, antisemitische Einstellungen sind, die in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet sind.

Im Laufe der Veranstaltung verteidigte Kipping die PDS gegen die Angriffe von Schröder und Yücel. Einzig Konsens herrschte unter allen TeilnehmerInnen über die Ablehnung einer Plakatkampagne mit dem Motto "Heimat" der PDS, die Kipping nicht mittragen würde, "die PDS sei eine pluralistische Partei" und sie selbst wäre gegen eine solche Kampagne.

Süffisant bemerkte Wirner hier, dass in Diskussionsrunden mit der PDS immer genau die Fraktion anwesend wäre, die parteiintern entgegengesetzt zu den jeweiligen Kritikpunkten positioniert sei.
Ebenso meinte Kipping, dass beispielsweise Hacken im Internet ein besseres Mittel gegen Rechts sei als der Baseballschläger (nach dem bekannten Woody Allen Zitat, das Yücel fälschlicherweise Andy Warhol unterschob), da Linke den direkten Kampf meist verlieren würden.
Gegen die "Nationalismus" Vorwürfe am Ende aus dem Publikum verwehre sie sich, hier wolle sie konkrete Beispiele statt pauschaler Kritik.
Alles in allem eine routinierte Parteipolitikerin, die die Linie der PDS vertrat. Etwas anderes hätte ich auch kaum erwartet.

Burkhard Schröder meinte, dass er statt einer reinen Abgrenzung ("das ist typisch deutsch- das wollen wir nicht sein") es sinnvoller fände zu definieren, was die deutsche Nationenzugehörigkeit ausmache. Diese werde heute, zumeist von der CDU, immer noch völkisch aufgefasst nach dem Abstammungsprinzip. Linke würden diese Grundsatzfrage allerdings selten stellen. Eine Antwort und Gegenmodell sei die deutsche Gesellschaft inklusive der Zuwanderer.

Er sei strikt gegen "Verbote gegen Nazis", die von staatlicher Seite aber auch von Linken eingefordert würden und nichts brächten, sondern befürwortete "als Freund der amerikanischen Kultur" eine totale Meinungsfreiheit, in der auch Rechtsextreme ihre Bürgerrechte wahrnehmen dürften (vor rechten Übergriffen zu schützen sein ein polizeiliches d.h. anderersProblem). Dies sei besser als im staatlichen "Kampf gegen Rechts" -wie in den 70er Jahren im Kampf gegen die RAF- die demokratischen Freiheitsrechte einzuschränken. Hauptargument gegen Verbote allerdings sei, dass sie am eigentlichen Problem vorbei gingen und wirkungslos seien. Deswegen sei eine "Immunisierung durch mehr demokratische Kultur" vonnöten.
Allgemein hätte Deutschland eine Kultur des preussisch-protestantischen Gedenkens: Sinnentleerte Rituale wie in der katholischen Kirche. Statt sich mit lebenden Juden heute politisch auseinanderzusetzen, würden Juden nur im Museum ausgestellt. Ebenso seien Gedenkveranstaltungen, wie am 8.Mai, reine "Selbstvergewisserung der richtigen Gesinnung unter Gleichen". Wie die NPD im Landtag in Sachsen würde er an so etwas sinnlosem aus Prinzip nicht teilnehmen wollen.

Kritik an PDS: Sie würd einer Extremismustheorie anhängen, die völlig veraltet sei. Im alten Westdeutschland sei diese gerichtet gewesen "gegen Extremisten von links und rechts", in der DDR hies es "den rechten Rand zurückdrängen". Wie Yücel meinte Schröder stattdessen, dass rechtsextremes Gedankengut aus der Mitte der Gesellschaft käme (was inzwischen auch eine Binsenweisheit sei). Die NPD sei nur eine Politsekte, die eigentliche rechte Bedrohung der nächsten Jahre würde wie in anderern europäischen Ländern mit einem "modernen" Image daherkommen und versuchen die ca. 15% potentiell rechtsextremer Wähler zu erreichen.


Deniz Yücel meinte, dass von ihm aus "die Nazis gerne durch das Brandenburger Tor marschieren können, den ganzen Tag lang- da seien in der Zeit wenigstens die Kanaken und Punker im Osten sicher vor Übergriffen". Ihm sei es als Linker schlichtweg zu dämlich, sich schützend vor "das deutsche Bauwerk schlechthin" zu stellen. Wenn Rechtsextremisten irgendwo hingehören würden- dann dort. Anders sei dies in der Oranienstrasse und Oranienburgerstrasse, aus jeweils völlig unterschiedlichen Gründen. Hier wären Blockaden gegen Aufmärsche angebracht.

Die extreme Rechte würde aber von Linken als "Pappkameraden" aufgebauscht. Man zeichne ein Bild orientiert an der Adenauerära und der Stahlhelm-Fraktion der CSU, dass es so heute nicht mehr gäbe. Etwas wie die Wehrmachtsaustellung sei noch vor 20 Jahren undenkbar gewesen. Deutschland habe sich verändert. Wie Jürgen Habermas schon in den 80er Jahren forderte, sei heute eben Ausschwitz der zentrale Punkt des deutschen Selbstverständnisses. 5000 Demonstranten gegen die Ausstellung in München seien eine verschwindend geringe Minderheit, dass deutsche Staatsverständnis heute sei das Problem, das zwar Auschwitz als zentralen Referenzpunkt hat, gleichzeitig aber eben auch die eigenen Opfer entdeckt. Dies sei wesentlich cleverer als der alte Rechtsextremismus im Nachkriegsdeutschland.

Deswegen sei auch der 8.Mai als Podium linker Politik verloren, hier könne man nur noch mit aber nicht mehr gegen den Staat demonstrieren. Dies äußert sich in dem Paradox, dass selbst die Gegendemo den NPD-Aufmarsch von der Polizei benutzt würde- die Route wurde so gelegt, dass sie den Aufmarsch direkt verhindern wird. Linke würden sich somit quasi zum Handlanger der Polizei und Nation machen. So verstehe er auch den Skandal um die NPD im Landtag in Sachsen und dem Boykott der Gedenkminute nicht- wenn sie sitzengeblieben wären, wäre das wesentlich dreister gewesen. (Anmerkung: die DVU Brandenburg beteiligte sich schon an Kranzniederlegungen in KZ-Gedenkstätten).

Allerdings wurde er in seine Ausführungen kritisiert von Wirner: einerseits eine differenzierte Betrachtung der deutschen Geschichte einfordern, andererseits ein statisches Bild von Gesellschaft aufwerfen, dass jeglichen Prozesscharakter ausblendet. Ebenso warf Schröder hier ein, dass es sehr wohl eben noch die CDU mit einem völkischen Staatsbürgerschaftsverständnis gäbe, insofern Yücel´s Thesen zu einseitig auf Rot-Grün ausgelegt seien.

Anmerkung hierzu: So sehr es mir auch sympathisch ist, dass es noch eine Kritik gibt, die nicht mitspielen will, so unglaublich pathetisch kann das ganze auch wirken- wenn Kritik nur noch um ihrer selbst willen formuliert wird. Und diesen Eindruck hatte ich bei Yücel. Linke Postitionen ausschließlich als Anti-Haltung zu definieren täuscht mitunter über die fehlende eigene Programmatik hinweg. Teilweise wurde das auch krass ersichtlich- wo Yücel auf den Einwand "was sollte man deiner Meinung nach denn als Linke machen?" von Wirner und Kipping einfach nicht einging.


Abgerundet wurde die Veranstaltung durch sinnentleerte Verwirrungen des Publikums wie "Warum demonstrieren Linke eigentlich nicht gegen das Großkapital und Josef Ackermann?" (eine leider nicht gegebene Antwort: weil sie weder Handlanger von "Heuschrecken" Münte noch Linksruck sind) oder eine langatmige Ausführung über den Wechsel deutscher Arbeiter von rot zu braun in der 20er Jahren (Sinn davon: unbekannt). Glücklicherweise beendete der Moderator den Abend dann, als sich ein (wohl schon bekannter- denn man kannte sich beim Vornamen) Zwischenrufer gerade mit "Ja, aber die grauen Wölfe der Türkei" in Rage reden wollte.

Lobend erwähnt werden muss die Moderationsleitung- die war exzellent. Stefan Wirner schaffte es auf Widersprüche hinzuweisen und an einigen Stellen DiskussionsteilnehmerIn auf ihre Aussagen festzunageln.

Konsens des Podiums: nahezu keiner. Was "links" bedeutet, muss ein anderes Mal geklärt werden. Interessant war es trotzdem, eben nicht das klassisch radikal-linke Ghetto zu sehen, sondern extrem unterschiedliche Postitionen im Clash miteinander. Wirner schloss dann mit den sinngemässen Worten: "Ihr wisst dann alle hoffentlich selbst was ihr am 8.Mai macht- oder auch nicht."


Mein Fazit des Abends:

Es gibt verschiedene linke Ansätze ? den Alleinvertretungsanspruch sollte jeder davon vergessen. Auch wenn ich mich nie in der PDS engagieren würde- ich bin froh, dass jemand im Abgeordnetenhaus in Sachsen sitzt und sich gegen die NPD im Parlament betätigt.

Ja, ich bin gegen die ziemlich deutsche Reaktion der Einschränkung von bürgerlichen Freiheiten im "Kampf gegen Rechts" (dies ist eine Bankrotterklärung des bürgerlichen Antifaschismus). Ebenso bin ich der Meinung, dass sich kritisch gefragt werden sollte, ab wo sich Linke zu nützlichen Idioten für Nation und Polizeibehörden machen.



Re: Wie links ist der 8. Mai?

Der Zweck heiligt die Mittel.

Und wenn der Staat genauso auf die Neonzis eindrischt wie die Linken, dann kann mir das nur Recht sein.

Warum so dogmatisch an die Sache herangehen, hauptsache die Nazis bekommen was auf die Schnauze und das auf allen Fronten.

Re: Wie links ist der 8. Mai?

Immer drauf schlagen. Das hat Klasse !!!



Re: Wie links ist der 8. Mai?

Es hat mehr Klasse als zuzulassen dass sich braune schlägertrupps auf unsern Straßen ausbreiten.

Ich habe nie behauptet ich wäre Pazifist.

Re: Wie links ist der 8. Mai?

So haben die Nazis damals auch geredet .Nur sagte ua die SA "kommt ,jagt die Kommunisten, bevor die sich weiter ausbreiten".
Da wird mit den selben Mitteln gekämpft wie es die NAZIS damals taten . Und das ganz ohne Klasse.

Re: Wie links ist der 8. Mai?

Hm,und wir haben ja gesehen was aus der Tolerierung der Nazis wurde.

Re: Wie links ist der 8. Mai?

Wie gesagt ,damals wurden die Kommunisten von den Nazis geprügelt .heute sind andere die TÄTER!!!
Jeder der jemanden ua aus politischen Gründen niederprügelt sollte juristisch viel härter bestraft werden , Strolche sind das .

Hm,und wir haben ja gesehen was aus der Tolerierung der Nazis wurde.<




Re: Wie links ist der 8. Mai?

Nein, mir ist das nicht recht!
"Eindreschen" erreicht weder "den Zweck", noch "den Sinn"!
Im Übrigen dreschen nur Neonazi-Todschläger und Milizroboter ein, - damit haben Linke nix zutun!

Nachfolgend ein nettes Beispiel der anderen und geistvolleren Reaktion auf den braunen Mob!
Viel Spaß!
Baba Yaga

Hart wie Cox Orange

Wenn in Leipzig die Neonazis aufmarschieren, demonstrieren die Mitglieder der Front Deutscher Äpfel meist mit.
Sie fordern "Südfrüchte raus!" und treten ein gegen die "Überfremdung deutschen Obstbestandes".

Die Boskopisten sind Kopisten:
Sie ahmen nach, was rechte Früchtchen ihnen vormachen
VON CLAUDIA LEHNEN

Der Führer treibt zur Eile.
Sein Adjutant Hermann von Gloster hat seinen rechten Schuh sportlich von sich geworfen, auf das Gaspedal tritt er in Socken. Auf der Nähmaschine tanzt eine rote Farbspule. Die Nadel keckert monoton wie ein sehr kleines Maschinengewehr. Der Minister für Propaganda, Volksaufklärung und interne Koordinierungsfragen des Nationalen Frischobsts Deutschlands (NFD) sitzt auf einer weiß lackierten Gartenbank in einem Leipziger Wohnhaus und jagt rote Armbinden durch die Nadelsalven der Nähmaschine.

"Wir kämpfen für die Reinerhaltung deutschen Obstbestandes. Wir sind gegen Pampelmusen und das ganze Gelumpe!"

Von Gloster spuckt das Wort Pampelmuse aus, als handle es sich dabei um einen Tabakbrösel, der nur durch Schlamperei beim Zigarettendrehen in seine Mundhöhle geraten ist.

"Der Führer erklärt die Aufbaujahre, für die ihr Blut, Schweiß, Tränen und unendlich viel Zeit aufgewendet habt, für beendet. Die Front deutscher Äpfel ist die einzige nationale Kraft", quäkt Alf Thum im preisgekrönten Dokumentarfilm "Boskopismus" von Witja Frank über die Straße.

Wie ein überdimensionales Auge glotzt ein Megafon aus einem Menschenauflauf heraus.
An einer Leipziger Haltestelle setzt sich die Linie 11 Richtung Schkeuditz in Bewegung. Der Blick aufs Volk wird frei. Die Jugendlichen in schwarzen Anzügen tragen identische Armbinden, die Assoziationen ans Dritte Reich wecken.
Erst bei näherem Hinsehen sieht der Neugierige, dass in weißem Kreis statt eines Hakenkreuzes ein Apfel prangt.
Des Führers Kinn ist in den abendlichen Himmel gereckt, durch schwarz gerahmte Brillengläser glotzt ein heller Blick, an seinen Lippen kleben gut zwei Dutzend Augenpaare.
Wenn der Führer der Front Deutscher Äpfel (F.D.Ä.) zum Megafon greift und dem Leipziger Volk seine Parolen einbläut, kommt es gelegentlich zu Irritationen. Wo man hinsieht, scheinen da Fetische rechter Krawallmacher in neckischer Deutlichkeit aufzutauchen.

Vorübergehende schauen fragend, bis sie nach einem Blick auf die verteilten Flyer zu lächeln beginnen.
Ein älterer Herr bleibt skeptisch:
"Hoffentlich versteht das jeder!"

Die Forderungen der F.D.Ä. sind ähnlich schlicht wie das Wahlprogramm der NPD:
Die Fraktion der rechten Wölfe im Demokratenpelz macht in ihrem Wahlprogramm Stimmung mit den Parolen
"Fremdarbeiter stoppen!" und "Gegen multiethnische Exzesse".
Auf der Internetseite der Initiative www.apfelfront.de kann man lesen:
"Gegen die Überfremdung deutschen Obstbestandes!", "Südfrüchte raus!" und
"Weg mit faulem Fallobst!"

Um das Programm der vor einem Jahr gegründeten Gegen-Rechts-Bewegung um den Künstler Alf Thum zu ergründen, müssen die Bürger allerdings tiefer eintauchen in das Obstwasser der Ironie und Komik.

"Indem wir Goebbels-Reden und NPD-Parteiprogramme nachäffen, dechiffrieren wir sie als propagandistische Konvolute", erläutert Thum. Deshalb die eindeutige Farbsymbolik, das faschistische Gebaren - und der Jargon, dessen Zutatenliste sich recht übersichtlich gestaltet:
Viel Volk, Vaterland, Nation, Führer, ein bisschen Blut, ein bisschen Stolz, ein Schuss Überfremdung, schon ist die gute deutsche Propagandarede gebacken.

Die Apfelfront will karikieren, entlarven, verlachen, was sich gerade in Sachsen jährlich zum 1. Mai und um den Tag der Einheit herum als braune Truppe auf den Straßen zusammenrottet.
"Vielen fällt gar nicht auf, dass die Argumentationen der NPD lächerlich sind. Indem wir die Logik der Rechten aufgreifen und bis zum Äußersten überspitzen, wird deutlich, wie inhaltslos das Gerede ist", sagt Hermann von Gloster, im wirklichen Leben ein siebzehnjähriger Schüler mit Vornamen Tilman.

Der alte Führer trägt Seitenscheitel, einen schmalen Schnauzer im nur faustgroßen Gesicht und einen winzigen ausklappbaren Penis zwischen den Beinen. Neben ihm glänzt die Insignie der Macht, ein kleiner rotwangiger Reichsapfel.
Wenn der neue Führer alias Alf Thum an seinem Schreibtisch sitzt und über die Ziele der ätzenden Äpfel nachdenkt, wandern seine Augen wie Pingpongbälle zwischen der ausgestopften Identifikationsfigur und dem Inbegriff deutschen Obstes hin und her.
Dieses ganze Kuba-Lebensgefühl, poltert er los, müsse guter deutscher Kultur weichen.
"Wir sagen nein zum Caipi-Saufen. Auf deutschen Feiern muss es wieder Apfelkorn geben!"
Seine Rede ist zu Ende. Thum kichert wie ein Kind, das gerade erfolgreich ein Pupskissen auf dem Stuhl des Lehrers platziert hat.

Als im vergangenen Jahr die NPD den Einzug in den Sächsischen Landtag schaffte und der Hamburger Neonazi Christian Worch die Faschisten Deutschlands zum nationalen Marsch gen Leipziger Völkerschlachtdenkmal aufrief, gab es in der Sachsenmetropole eine Handvoll Aufgebrachter, die etwas unternehmen wollten gegen die haarlosen Horden.

Mit bierernster Miene protestieren wollten Alf Thum und seine Anhänger allerdings nicht.
"Bei den autonomen Gruppierungen fehlte uns der Pfiff", sagt der 41-Jährige.
Der Zankapfel, den die undogmatische Bande langsam, aber sicher mürbe machen will, war unfreiwillig Namenspatron der Vereinigung: Holger Apfel ist Fraktionsvorsitzender der NPD im Sächsischen Landtag. So weit zumindest die inoffizielle Version.

Nach außen beharren die Streiter von der F.D.Ä. darauf, dass sich im Namen der Initiative nicht das Spiel mit Worten, sondern die Stärkung deutscher Früchtchen spiegele. Es gehe um die Zurückeroberung einer Identifikationsfrucht.
"Deutsche, seid wie die Äpfel: Zäh wie Gravensteiner! Prall wie Elstar! Hart wie Cox Orange!"
Statt mit moralinsauren Gesichtern kämpft ein Dutzend Apfelguerilleros und die doppelt so große Gruppe vom Nationalen Frischobst Deutschlands, der Jugendorganisation der F.D.Ä., nun mit den Waffen der Komik gegen die Nationalisten.
"Wir wollen über den Faschisten einen Kübel Spott auskippen. Das ernste Geschäft ist nicht unseres", sagt Thum.

Das Original, zu dem die Protestpomologen ein satirisches Abziehbild sein wollen, bietet sich als Ziel linker Spotttiraden geradezu an. Und die Kameraden sind bisweilen arg verwirrt durch die Obst darbietenden Doppelgänger, die ebenso laut brüllen, ebenso stramm marschieren. So manche Finger, eben noch zur Faust geballt, kratzten beim Rechtsextremen-Aufmarsch im Mai dieses Jahres verunsichert über den haarlosen Kopf.
"Wir tragen Armbinden in eindeutigen Farben. Sie dürfen die ihren nicht tragen", sagt Thum mit einem heiseren Lachen. Aus etlichen rechten Internetforen dringen Schimpftiraden über die "billige Antifa-Verarsche".

Da ist die Rede von "linksextremen Sauköpfen", "Gesindel", und "Apfelfront! Scheiß Antifa Säuen".

Auf den Spott der Äpfel reagieren die Rechten wie ein Kind, das auf Angriffe der Klassenkameraden nur ein "Ihr seid doch alle blöd!" im Ärmel hat.
Irritationen sind erwünscht.
Wer ist Apfel-Sympathisant, wer wirklich Ewiggestriger?
"Auch in Bezug auf das Obst sind die Forderungen wahr", schreibt ein User mit dem Namen Staatspolizei.
"Schließlich bin ich hier wohl nicht der einzige, dem es stinkt, dass billiges Polenobst hier zum Teil mit Absicht als deutsches Obst verkauft wird."
Und auch die "Totendivision" gibt dem Thum-Trupp Recht:
"Ich fress keine Bananen, weil sie von Niggern kommen."

Der jährlich zweimal anreisende Magnet der Neofaschisten, Christian Worch, will sich von der FDÄ nicht provozieren lassen. Er gibt vor, heimlicher Sympathisant der Obstnationalen zu sein:
"Ich habe bei den Aufmärschen auch immer eine Packung Äpfel dabei."
Gehört der Organisator der Neonazi-Demonstrationen am Ende dem der Apfelfront nahe stehenden "Bund weicher Birnen" (BWB) an?
Vielleicht.
Die Sache mit den Armbinden scheint den 49 Jahre alten Rechten trotzdem zu wurmen. Ästhetisch würde er die Mode der Apfelfaschisten gerne kopieren.
"Das Emblem, das ich aufdrucken würde, ist aber in der momentanen gesetzlichen Lage nicht möglich."
Die Polizei versteht die subversive Affirmation rechter Symbole durch die Apfelfront nicht immer.

Das Fluidum der Komik kann zuweilen ja auch undurchsichtig sein.
"Die Frage ist, ob das, was Sie hier tragen, verboten ist", sieht man im Film einen Mann in grüner Uniform sagen.
Seine Augen flackern unsicher, als ein Megafon auftaucht, der Führer hinterdrein stolpert und erklärt: "Jetzt werden unsere Personalien aufgenommen. Das ist auch richtig so!"

Unangenehm aufgefallen seien die seltsamen Apfeldemonstranten noch nie, versichert einige Monate nach dem Dreh die Pressesprecherin der Leipziger Polizei.
Nicht ein vergifteter Apfel!
Niemals eine Apfelschießübung von Köpfen der Feinde!
"Gewaltausschreitungen liegen nicht vor", sagt sie.
Im Frühjahr wusste man noch nicht so recht, was man von den uniformierten Apfelkämpfern halten sollte.
Etliche rote Armbinden mit schwarzem Apfel auf weißem Grund wanderten ins Polizeiarchiv. Die Truppe verkneift sich, die Hand mit abgespreiztem kleinen Finger zum Gruß zu recken und "Heil Boskop!" zu brüllen.
Nicht aus Furcht, dafür ist man schon zu oft aneinander geraten mit den Sachwaltern des staatlichen Gewaltmonopols.
Eher aus Mitleid mit den irritierten Ordnungshütern.
Wer ein guter deutscher Apfel ist, der kennt die Uniformträger von Sitzstreiks gegen Christian Worch und seine Kameraden.
Wer ein echtes Stück deutschen Frischobstes ist, hat sich von Grünbehelmten bei gleicher Gelegenheit schon mal Wasser ins Ohr pusten lassen.
Der "bestangezogene schwarze Block" besteht nicht nur aus Faschistenparodisten, sondern ausnahmslos auch aus Verwandlungskünstlern, die man glitschigen Fischen gleich nie dort zu fassen bekommt, wo man sie schon fast im Netz zu haben glaubte.
Wo eben noch der neue Führer mit knatternder Stimme Blödsinniges ausschied, redet jetzt der Künstler Alf Thum über Adaptierung linker Symbole durch Rechtsradikale.

Wer mit Thum ein vernünftiges Gespräch beginnt über Wahlen und rechtes Potenzial, muss darauf gefasst sein, dass der Begründer der Initiative einen Haken schlägt, plötzlich auf den dumpfen Klang des Volksempfängers umschaltet und sagt:
"Als Führer sage ich: Wir treiben die nationale Wahlmüdigkeit durch ständige Wahlen in die Höhe. Dann planen wir die nationale Machtergreifung."
Die Deutschobstfanatiker fallen aus der Rolle.
Ständig.
Auch wenn sie gar keine Rolle spielen.
Sie lungern wie alte Gummischläuche auf der Straße herum und nehmen einen Wimpernschlag später mit Arno-Breker-Gesichtern Haltung an, als hätten sie einen Skistock verschluckt.
Die gröhlenden Horden wissen nicht so recht, woran sie mit ihren Abziehbildern sind, die sie selbst, die Originale, an Authentizität scheinbar noch übertreffen.
Der rechte Mob ist zu einem Haufen mutiert, dessen Kumpanei der Dummheit nach außen längst nicht mehr durch eine einheitliche Etikettierung zu erkennen ist.

In Christian Worchs Kameradenmarsch halten Schmächtige mit Glatzen ebenso Schritt wie Bullige mit Che-Guevara-Button und Palästinensertuch. Drin ist eben nicht immer, was draufsteht.
"Die Rechten haben zuerst bei uns geklaut",
sagt Tilman und weist darauf hin, dass auf rechten Internetseiten Brecht zitiert wird und Ulrike Meinhof.
"Der schwarze nationale Block ist heute von autonomen Gruppen kaum noch zu unterscheiden", ergänzt Alf Thum.

Bei diesem Karneval der Weltanschauungen möchte die Kernobstfraktion vor allem eins:
gut aussehen.
Wenn seine korrekt gekleideten Anhänger mit Fackeln und einem leichtfüßig über die Lippen hüpfenden
"Was gibt der deutschen Jugend Kraft? Apfelsaft!" durch Leipzigs Straßen walzen und jede einzelne Armbinde sitzt, dann steigt dem Führer schon mal vor Stolz der Most in die Augen.
Dann bekommt er einen Blick, als habe er gerade erfahren, dass sein eigener Sohn mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wird, und sagt:
"Der Führer ist gerührt."

Wenn Thum plötzlich diesen glasigen Blick bekommt und er seine Worte durch den Raum flitzen lässt wie ein Messerwerfer seine Messer, dann ist es nicht immer der rechte Rand, dessen Sprache er sich leiht. Bisweilen landet er unverhofft mitten im "guten Nationalismus" der bürgerlichen Parteien.
"Wenn ich meine blödsinnigen Reden inszeniere", sagt Thum, "denke ich oft: So klingt Stoiber ja auch!"
Der inflationäre Gebrauch von Begriffen wie "starkes Deutschland" und "nationale Stärke" sei etwas, wogegen sich die Anti-Ananas-Agitatoren ebenso wehren wie gegen den braunen Schaum am rechten Rand des gesellschaftlichen Stroms.
Am gegenüberliegenden Ufer allerdings lassen sich Thum, seine Apfelträger und Fruchtzwerge auch nicht einordnen.

Thum ist schon wieder entwischt, jetzt ist er nur noch der schnarrende Führer, der sagt:
"Jede kleinliche Trennung zwischen links und rechts schadet dem deutschen Vaterland!"

CLAUDIA LEHNEN, ab morgen 27, lebt als freie Autorin bei Köln.
Äpfel isst sie am liebsten weich gekocht, als Kompott
taz Magazin Nr. 7783 vom 1.10.2005, Seite I-II, 362 TAZ-Bericht CLAUDIA LEHNEN taz muss sein: Was ist Ihnen die Internetausgabe der taz wert? Sie helfen uns, wenn Sie diesen Betrag überweisen auf: taz-Verlag Berlin, Postbank Berlin (BLZ 100 100 10), Konto-Nr. 39316-106 © Contrapress media GmbH Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags

Re: Wie links ist der 8. Mai?

Erstellt: gestern, 23:06 Betreff: Re: Wie links ist der 8. Mai? drucken weiterempfehlen

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Zitat: tortoise
Der Zweck heiligt die Mittel.

Und wenn der Staat genauso auf die Neonzis eindrischt wie die Linken, dann kann mir das nur Recht sein.

Warum so dogmatisch an die Sache herangehen, hauptsache die Nazis bekommen was auf die Schnauze und das auf allen Fronten.

Nein, mir ist das nicht recht!
"Eindreschen" erreicht weder "den Zweck", noch "den Sinn"!
Im Übrigen dreschen nur Neonazi-Todschläger und Milizroboter ein, - damit haben Linke nix zutun!

Nachfolgend ein nettes Beispiel der anderen und geistvolleren Reaktion auf den braunen Mob!
Viel Spaß!
Baba Yaga

Oh oh !!!
Das hat aber jemand seine Augen ganz ganz dolle zugepresst . Damit haben die Linken nix zu tun .
Das dies net der Realität entspricht wissen Sie ganz genau .Darum sage ich dazu weiter nix .

 Re: Wie links ist der 8. Mai?

@Bürger,

nee nee, lieber Bürger, unsere Forumshexe drückt bei niemandem auch nur ein Auge zu.

Du mußt nur mal ihren Satz >> Nein, mir ist das nicht recht! "Eindreschen" erreicht weder "den Zweck", noch "den Sinn"! << lesen. Und nur in diesem Zusammenhang ist ihr Satz >> Damit haben die Linken nix zu tun << zu verstehen! Sie lehnt - genau wie ich - jede Gewalt als Artikulationsmittel gegen wen auch immer ab. - Es sei denn in Notwehr!

Dies wollte ich nur klar stellen. Zwar kann sich unsere Baba Yaga sehr gut selber "verteidigen" aber sie ist für ein paar Tage anderweitig ausgelastet also übernehme ich schon mal die Richtigstellung.

Gruß
bjk