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Tödliche Gedanken
Das Prasseln des Regens hämmert in meinen Ohren. Jetzt stehe ich hier, vor dem Spiegel, sehe mich, mich und meine Tränen, die unentwegt über meine Wangen laufen. Mein Herz ist kalt, so kalt wie Stein. Wie konnte es soweit kommen? Was habe ich bloß falsch gemacht? Wieso ich? Es tut schon weh, wenn ich nur daran denke, wie sie auf mich einschlagen, mich treten. Ich kann nicht mehr! Haben sie denn keine Gefühle? Sehen sie nicht, wie ich leide? Ich weiß, ich bin nicht hübsch, sondern richtig dick, aber ist es deshalb ein Grund mir weh zu tun und mich vor allen zu demütigen? Ich muss reden, aber mit wem? Ich habe doch niemanden, mit dem ich reden kann, der mir zuhört und mich ernst nimmt. Nur sie, Leonie, aber sie ist nicht da! Sie ist einfach zu weit weg, um sich um mich zu kümmern, um für mich da zu sein. Ich habe schon oft versucht mit meinen Eltern darüber zu reden, aber mit ihrer Art und Weise vermitteln sie mir, dass ich ihnen völlig egal bin. Das Gefühl nicht geliebt zu werden ist schrecklich! Was kann ich denn jetzt noch machen? Hat das alles überhaupt noch einen Sinn? Ich kann nicht mehr klar denken, sehe wieder in den Spiegel und erschrecke! Im Grunde genommen haben sie Recht. Wer will schon etwas mit so einem dicken und hässlichen Mädchen, wie ich es bin, zu tun haben? Niemand. Wenn es das ist, warum quäle ich mich so? Es gibt doch eine Lösung, die mir sogar als die einfachste der Welt erscheint. Ich renne zur Toilette, knie davor nieder, spüre, wie mein Finger in den Hals schießt und alles hochkommt. Es ist so schön... Ich werde beliebt sein und eins von den hübschesten Mädchen der Schule. Vielleicht nehmen sie mich als Vorbild, fragen wie es möglich ist, eine solche Schönheit, wie ich es bin, zu sein. Eine Karriere als Model werde ich starten. Glücksgefühle überströmen mich. Draußen hupt ein Auto, das mich wieder in die Realität zurückholt. Es ist das Auto des Freundes meiner Schwester! Sie ist hübsch, sehr hübsch. Deshalb behandelt sie mich schon lange wie Abschaum. Mir wird klar, dass ich nie so sein werde wie sie, weder hübsch noch schlank. Gibt es überhaupt eine geringe Chance, dass irgendjemand mit mir befreundet sein will oder dass die Clique mich wenigsten in Frieden lässt? Nein, du hast geträumt. All dies ist nicht möglich. Mach dir nichts vor. Ich kann mein Leben nicht mehr retten. Das einzige, was mir noch hilft, ist der Tod. Oder etwa nicht? Ich weiß es nicht. Meine Kontrolle über meine Gedanken und Gefühle schwindet. Ich gebe ihnen freien Lauf. Meine größte Angst ist es, dass das Gefühl nicht mehr leben zu wollen so groß wird, dass ich sterbe, bevor ich richtig begonnen habe zu leben! Doch mein Wunsch ist es, nie mehr so tun zu müssen, als wäre ich glücklich! Der Tod erscheint mir schön im Gegensatz zu diesem "Leben", das ich lebe,- leben muss! Den letzten Schritt zu tun, das traue ich mich noch nicht! Ich klammere mich an den Gedanken: "Es hat noch einen Sinn hier zu sein!". Ich bete darum, dass ich die Kraft behalte, mich an diesem Gedanken festzuhalten, doch mein Griff wird immer schwächer. Ich sehe an mir herunter. Die Wunden stechen mir ins Auge. Plötzlich schwirren mir wieder diese Bilder von heute morgen durch den Kopf, wie sie mich schlagen, treten und demütigen! Ich war ganz allein. Alle sahen zu, doch niemand unternahm etwas. Habe ich es etwa verdient? Aber warum? Ich kann nicht mehr! Ich halte es nicht mehr aus! Ich suche schon lange nach einem Ausweg, zu lange! Ist es das wert? Das Wertvollste, was ich habe, wegzuwerfen? Wenn ich mich umbringe, gibt es keinen Weg mehr zurück! Außerdem würde es die Clique vielleicht nur stärken. Doch sie sähen, was sie mir angetan haben, wie sehr ich unter ihnen gelitten habe. Die Wut steigt mir in den Kopf und der anfangs noch nicht ganz so starke Regen verwandelt sich in einen wilden Sturm.Wieso mussten mir diese Unmenschen so etwas antun? Ich hasse mich. Nein, ich hasse sie! Ich weiß, ich bin allein zu Hause. Es könnte mich keiner daran hindern, mich umzubringen. Ich begebe mich langsam, aber doch zielsicher zu meinem Schrank. Es ist ein wunderbares Gefühl meinen Gedanken zu folgen, dass alles hiermit ein Ende hat, ich endlich meine Probleme los bin, mir mein Leben nehme! Ein letztes Mal schaue ich in mein lebloses Zimmer und hole tief Luft. Dann greife ich mit zitternder Hand nach der kalten Klinge des Messers und fahre damit über meine Pulsadern.. Es tut nicht weh, sondern ist ein erlösendes Gefühl. Nun bin ich alles los.
Leonie klappt das Tagebuch ihrer Freundin zu und starrt gedankenverloren auf das Grab. Es spiegelt eine Umgebung des Grauens wider. Die grausamen Bilder ihrer Freundin schweben ihr vor den Augen. Ihre Gedanken springen umher: "Warum war ich nicht da, als sie mich am meisten gebraucht hat? Hätte ich sie daran hindern können?" Viele Fragen gehen ihr durch den Kopf, doch sie findet keine Antworten.. Als sie wieder zu Hause angelangt ist, wird sie von ihrer Mutter verständnisvoll in die Arme genommen. Sie freut sich jemanden zu haben, der für sie da ist und sie liebt!
~Wir sind alle Engel
mit nur einem Flügel...
Tuen wir uns zusammen
so können wir fliegen!!!~