Buch-Tipp: Anna Kim, "Die gefrorene Zeit", Droschl Verlag
Buch-Tipp: Anna Kim, "Die gefrorene Zeit", Droschl Verlag |
(Quelle : orf.at ) Ante-Mortem-Fragebogen Nora und Luan arbeiten sich durch den sogenannten Ante-Mortem-Fragebogen, der mithelfen soll, den abgängigen Menschen zu identifizieren, falls er doch gefunden wird - egal ob tot oder lebendig. "Wann haben sie ihre Frau zuletzt gesprochen? Wann wurde sie geboren? Hat sie einen Spitznamen? Was trug ihre Frau, als sie entführt wurde? Hose oder Rock? War sie barfuß oder trug sie Schuhe? Hatte sie graue Haare? Schreibt sie mit der linken oder rechten Hand?" Es sind ebenso banale wie intime Fragen, die Luan beantworten muss. Oft hat er Mühe, sich das Bild seiner Frau, die er vor sieben Jahren das letzte Mal gesehen hat, vor Augen zu rufen. Anna Kim wurde 1977 in Südkorea geboren und studierte Philosophie und Theaterwissenschaften in Wien. Spuren dieser Biografie findet man auch in diesem Buch. Was ist Fremde? Was ist Heimat? Wie konstruiert sich das Selbst und wie funktioniert Erinnern? Darum geht es in diesem Text. Als Anna Kim im Jahre 2005 beim Bachmann-Preis antrat, meinte sie in einem ORF-Interview, sie interessiere sich für die Wörter an sich. Wie kann man sie einsetzten? Wie kann man sie verbiegen? Wie sie verwenden, damit sich neue Dimensionen auftun? Aber bei Anna Kim ist Sprache kein Selbstzweck; dient nicht dazu, zu verschleiern, dass der Autor eigentlich nichts zu erzählen hat. Sprache und Inhalt bilden hier eine faszinierende Einheit. Zumindest im ersten Teil des Buches. Nora wird nach und nach Teil der kosovarischen Gesellschaft. Sie dringt ein in eine archaische Welt, voller ungeschriebener Gesetze und Verbote. Regeln sind im Kosovo allgegenwärtig, heißt es da. Alles ist festgelegt. Wie man Probleme innerhalb der Familie zu lösen hat, wie und wann man sich dem Feind nähern soll, wie Hunde zu behandeln sind und wo Männer und wo Frauen ihr Essen zu sich nehmen müssen. Und wenn die kleinsten Details geregelt sind, dann sind es die großen Themen des Lebens allemal: Verlobung, Hochzeit, Taufe, Begräbnis. Seltsam unwirklich bleibt die Ich-Erzählerin. Sie verschwindet hinter der Sprache und klingt mitunter selbst wie ein Ante-Mortem-Fragebogen. Anna Kim hat mit ihrem neuen Buch einen eindrucksvollen Text vorgelegt und hat für die Schrecken des Krieges ebenso eine adäquate Sprache gefunden wie für die Freuden und Kümmernisse des Alltags. Text: Gerhard Pretting Quelle: https://www.kosova.de/index.php?option=com_content&task=view&id=34&Itemid=1 |
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