Die Phileasson Saga - Spielberichte

Die Kaperung der Taubralir und die Täuschung der Vislanis

Die Kaperung der Taubralir und die Täuschung der Vislanis

Eintrag ins Reisetagebuch, Tharan Drachentöter vom Waldvolk
Aufgezeichnet von ihm selbst, allerdings eine Weile später
Ort: Inseln im Nebel, Bardibrig – Hauptstadt der Vislanis
Titel: Mit abgründiger Arglist und tödlicher Tücke zum Ziel
- ohne Rücksicht auf Verluste zum Sieg!
Zeit: nicht feststellbar und wenn doch unrelevant


Ein weiterer Tag war vergangen. Noch immer lagerten wir in Beorns Lager. Die Belagerung hielt an – zu ungenau waren unsere Pläne, zu risikoreich unser Vorhaben.
Was lag vor uns?
Wir sollten zur verlorenen Insel gelangen, der Insel des uralten Schlangenkönigs. Unzählige Echsen lebten dort seit tausenden Jahren, unbedroht, mächtig. Unsere Aufgabe lag klar vor uns: Wir mussten sowohl den alten als auch den jungen Weisen bis zum Turm, der Hauptfestung des Feindes, geleiten, dort eine Nacht verweilen, unseren Freund Thoram im Reich unter den Wellen finden und möglichst unbescholten zurückkehren.
Beorn widersetzte sich dem Plan, die Insel im Sturm zu nehmen. Zwar griffen Elfen und Echsen sich nicht gegenseitig an, aber misstrauen und belauern taten sie sich unvermindert. Es war hoffnungslos anzunehmen eine Streitmacht der Elfen könne Erfolg haben. Selbst Shadruel, der junge Weise, wirkte angesichts der Macht der Echsen ratlos. Seiner Einschätzung nach konnte selbst eine vereinigte Streitmacht von Alten und Wilden die Armeen der Echsen nicht schlagen.

Foggwulf schlug einen alternativen Plan vor, nachdem wir eine provisorische Karte der verlorenen Insel erhalten hatten. Der Turm lag an einem Bergmassiv, welches eine kleine Gruppe überqueren könnte. Wenn die Echsen auf der westlichen Seite nur abgelenkt seien, könne es dieser Gruppe gelingen bis zum Turm vorzustoßen und einzudringen – unbemerkt versteht sich.
Krottet, ungemein gesprächig an diesem Tag, schlug ein gewagtes Ablenkungsmanöver vor, welches für genügend Aufregung sorgen sollte, die Wächter und vor allem die Flugechsen zu verwirren.
Beorn, als Heerführer der Wilden sollte seine Elfen in die Schlacht gegen den Schlangenkönig führen, Raum einnehmen und möglichst viele feindliche Kontingente binden. Es würden wenige Tage reichen, bis die Infiltrationsgruppe am Rande des Kessels des Cammalan das nötige Ritual vollzogen hatte.

Ich zog mich von weitschweifigen Angriffsplänen, an denen sich zunehmend alle beteiligten, zurück. Mich beschäftigte ein Gedanke. Sollte Beorn tatsächlich einwilligen und die Streitmacht der Wilden Elfen entfesseln, würden diese wie Furien unter die Echsen fahren, doch letzten Endes scheitern.
Meiner Meinung nach bedurfte es der Macht beider Elfenvölker, insbesondere der der Vislani. Die Vislani, die mächtigen Kriegerbarden der Alten, die mit ihren großen Kriegsschiffen und den Geisterrüstungen, ein wertvoller Verbündeter wären. Ich ließ mich in der Nähe des Zeltes nieder und begann darüber nachzudenken, was zu tun sei, sie von unserem Plan zu überzeugen.

Eine Stunde später kehrte ich entmutigt zurück. Die Vislanis waren wie die Wilden – verbittert und verstockt, blind in ihrem Hass auf den anderen. Wie Shadruel uns berichtet hatte trieben sie sogar Handel mit dem Schlangenkönig, tauschten Kriegsgefangene gegen Wilde. Nein, sie würden niemals an unserer Seite kämpfen!

Ich blieb wie erstarrt stehen. Sie mussten auch gar nicht! Niemand hatte gesagt, dass sie mit uns kämpfen mussten. Ein Plan begann in meinem Kopf zu reifen, der gewagter war, als ich zu diesem Zeitpunkt ahnte.

Ich beriet mich mit Osfalai, Foggwulf, Krottet, Raluf und Amir. Wie wir von Shadruel wussten lag im Kriegshafen von Bardibrig, der Hauptstadt der Vislanis, unsere gute Taubralir, das verzauberte Holz, deren Hilfe wir bedurften, wollten wir diese Inseln jemals wieder verlassen.
Es hieß zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, oder drei wie wir später erfreut feststellten.
Der Plan war so einfach wie auch unmöglich. Wir mussten nach Bardibrig gelangen, dort Taubralir finden, es zurückerlangen und sicher aus dem Hafen fliehen.
Mein Plan beinhaltete eine weitere, aber entscheidene Komponente – den Hass der Vislanis. Sie würden uns jagen und töten, so wie sie es schon einmal getan bzw. versucht hatten. Wenn wir sie aber nun vorher davon überzeugen konnten, dass Beorn, „der Städtezerstörer“, im Begriff war etwas Undenkbares zu unternehmen würden wir sie vielleicht aus der Reserve locken.
Es war ganz einfach. Beorn zog seine Streitmacht zusammen – zur Insel des Echsenkönigs. Wir, weitere Rosenohren, und damit automatisch Verbündete Einauges, stahlen Taubralir. In wenigen Tagen, ab dem morgigen 21, würden Beorn und der Schlangenkönig zusammenkommen um einen Pakt wider die Alten zu schließen. Wie wahnsinnig mussten die Wilden sein ihrem Erzfeind die Tore gegen ihre Brüder zu öffnen? Wie wahnsinnig mussten die Alten sein uns zu glauben?

Zu einem frühen Zeitpunkt wurde mir bewusst, dass der Plan einige Schwächen hatte. Gravierende Schwächen, die das gesamte Unternehmen gefährden konnten. Wer sollte den Vislanis die Nachricht überbringen? Wer sollte sie erfolgreich anlügen können? Wie sollte derjenige das überleben?
Bardibrig war die Festung, das Herz der Alten. Ein Sturm auf die Stadt war unmöglich, zu stark befestigt waren die Verteidigungsringe. Auch Taubralir wurde in einem Trockendock gut bewacht. Allein die Mauer zu erklimmen schien waghalsig, per Schiff in eine Stadt der Alten einzufahren hatte sich in der Vergangenheit als gefährlich erwiesen.
Krottet erinnerte uns an Pwyll – dort hatten uns die Alten freundlich aufgenommen, nachdem sie überzeugt waren, dass wir nicht ihre Feinde waren… würde dieser Trick wieder funktionieren?
Ich saß mit Alfonso, Amir und Krottet an der Aufgabe einen diesbezüglichen Plan auszuarbeiten. Ein Spion aus Bardibrig hatte uns eine weitere Karte zukommen lassen. Bald stand unser Plan fest. Wir würden die Stadt zu Fuß betreten, dreist durch die Tore schreiten und uns zunächst umsehen. Dann in genau 6 Tagen ab morgen würden wir zuschlagen und Taubralir zurückerobern, das von 20 Geisterkriegern und 6 Vislanis bewacht werden sollte.
Eine kleine, aber kampfstarke Truppe von sechs Mann:
Raluf, der das Boot steuern würde und zwar direkt durch alle drei Hafentore
Der Moha, dessen leises Töten uns gute Dienste leisten würde
Amir, der genügend Ablenkung für uns schaffen würde
Alfonso, dessen schwierige Aufgabe es war, die Ketten zwischen den Tortürmen zu
sprengen
Krottet, der als Scharfschütze eine ganz besondere Rolle spielen würde
Und schließlich mich, der ich die gefährlichste Rolle in diesem Spiel übernehmen wollte
Ich würde der Verräter sein, der die Vislanis von dem verrückten Plan Beorn unterrichten würde, aber von meinen eigenen Leuten dafür gejagt würde.

Die Zeit bis zu unserer Abfahrt verbrachte jeder allein. Krottet maß sich mit den Elfen im Bogenschießen, Alfonso focht mit Dirona und ich suchte zusammen mit Amir und Shadruel den Wald auf, wo wir uns trennten. Amir ging auf die Jagd, während ich nach Heilkräutern suchte und Shadruel mich begleitete.
Nachdem ich sicher war, dass Amir außer Sicht war, erläuterte ich Shadruel meinen ganzen Plan und bat ihn um das dringend benötigte Gift. Gerne wollte er es nicht anfertigen, aber ich brauchte es. Nach einigem Zögern willigte er ein und überreichte mir noch am Abend zwei Phiolen tödlichen Serums. Ein Einnahmegift und ein Waffengift. Ich steckte es ungesehen ein, während die anderen einige gefundene Tabakpflanzen rauchten.

Zwei Tage später erreichten wir Bardibrig mit der „Tibana“. Phileasson verabschiedete einen jeden einzelnen von uns. Man sah ihm seine Unzufriedenheit an, dass er uns alleine losziehen lassen musste, aber für Gefühle war keine Zeit.
Wir würden die Stadt zu Fuß erreichen und da ich wusste, dass es eine kurze würde, hatte ich diesmal auf viele Dinge verzichtet.
Zu meinen besten Festkleidern aus tiefblauem Bausch hatte ich nur das Kurzschwert von Goibnywn in meinen schwarzen Gürtel gesteckt und den Bogen geschultert. Zu dem fast leeren Sack steckte ich mir nur noch die Spange mit dem Emblem der geflügelten Sonne an, dann schritt ich frohgemut der Stadt entgegen.
Ich bot im Gegensatz zu meinen Freunden einen festlichen Anblick. Krottet, in schweres Leder gekleidet und mit Kurzbogen und Breitschwert gerüstet ging vorsichtig einige Schritte vor Amir einher, der in der schweren Rüstung des Zauberschmiedes und dem großen Speer ein wenig ungelenk hinterher schritt. Raluf trug nichts als seine Barbarenstreitaxt und der Moha war ebenso wie Alfonso nur mit dem Nötigsten ausgerüstet.

Nachdem wir den äußersten Verteidigungsring durchquert hatten wurden wir entdeckt und angehalten. Da wir keinen Widerstand leisteten wurden wir schnell umzingelt und verhört. Ein großer, misstrauisch blickender Vislani trat vor uns. Völlig zu Unrecht beschuldigte er uns der Freundschaft zu Beorn und nur mit Mühe gelang es uns ihn zu überzeugen uns nicht an Ort und Stelle zu töten.
Unsere Geschichte war einfach, aber gelogen. In der Welt aus der wir kamen, war Beorn ein Verbrecher, dessen Ergreifung unsere Aufgabe gewesen war. Durch die Wilden war er in der Lage gewesen unsere gesamte Mannschft niederzustrecken und uns zur Flucht zu zwingen. Nun erbaten wir Hilfe von den Alten, die sie uns, wenn auch zweifelnd an der Echtheit unserer Worte, gewährten.

Die Paläste der Alten waren beeindruckend, unglaublich luxuriös ausgestattet. Zum Teil offene Decken, die nur mit schattenspendenen Tüchern abgedeckt wurden, ließen einen im Glauben weiterhin im Freien zu sein. Kunstvoll verzierte Springbrunnen luden uns dazu ein uns zu waschen und unsere müden Glieder im warmen Wasser zu entspannen. Einzig die Erinnerung an den alten Glanz von Tie’Shianna ließ uns erkennen, dass dies alles nur schwacher Nachhall längst vergangener Zeiten waren.
Und die Tatsache, dass wir eigentlich Gefangene waren, ließ Ancoron, der Vislani, der uns empfangen hatte, nur zu deutlich erkennen.

Wir verbrachten die folgenden Tage damit uns die Stadt anzusehen und möglichst viel Aufmerksamkeit zu erregen. Staunend betrachteten wir jeden Stein, jede Blume und jeden Alten. Wir suchten in Gespräche mit ihnen zu kommen und sie von unserer guten, wenn auch aufdringlichen Art zu überzeugen. Ich lernte eine Elfe kennen, der ich meine „wilden“ Freunde vorstellte, aber zu viel galt es zu entdecken, dass wir uns an einzelnen Elfen aufgehalten hätten.
Amir streifte in der ganzen Stadt herum auf der Suche nach einem Schnitzer, der ihn in die Geheimnisse seiner Kunst einweihen konnte.
Krottet versuchte auch die Alten im Bogenschießen herauszufordern, aber sie winkten ab. Weder reizte sie der Gedanke, dass wir unsere Waffen handhaben könnten, noch der Gedanke ihre überlegenen Kenntnisse weiterzugeben. Krottet schoß absichtlich schlecht, er spielte sein Spiel mit ihnen und sie glaubten es.
Ich verbrachte die Zeit mit Ancoron und seinen Vislani-Freunden. Zusammen verbrachten wir viele Stunden meditierend und erforschten gemeinsam die magische Macht, die uns alle verbindet. Ich gewann nur wenig Einblick in die Macht der Vislani, doch war ihre Magie von sowohl starker als auch destruktiver Macht.
Ich hätte gerne mehr Zeit mit ihnen verbracht, mehr gelernt und mehr erfahren wie alles so hatte kommen können. Im Grunde war dieses Zerwürfnis von Alten und Wilden, dieser Bruderkrieg Wahnsinn. Wieviel mehr Glanz und alte Pracht, innere Harmonie und Zufriedenheit könnten auf diesen Inseln herrschen, wenn Frieden wäre?
Misstrauen hatte ihre Herzen vergiftet und hemmte sie in allem was sie taten. Es war schwer sie zu beeindrucken, aber mit einer der wirkungsvollsten Waffen der Menschen schlug ich sie – der Lüge.
Kalendin, mein kleiner steinerner Begleiter aus dem Himmelsturm, fesselte ihre Neugier und ich versprach ihnen das Geheimnis belebter Steine zu verraten, vielleicht in einer Woche…

Wir wurden beobachtet und jeder von uns bemerkte immer wieder einen Elfen, der nur ihm folgte. Man ließ uns mit Waffen frei herumlaufen, aber man traute uns nicht… Warum wohl?

Osfalai, Raluf und der Moha übernammen die zunächst wichtigste Aufgabe. Sie ebneten den Fluchtweg. Während letztere sich prügelnd auf einer Lichtung vor der Stadt Radau machten, schwamm Osfalai zur äußersten Toranlage. Er blieb lange im Wasser und versuchte die schwere Kette zu zerstören. Ob es an der Strömung lag oder an der Tiefe des Wassers vermag ich nicht zu sagen, jedoch kehrte er stark erschöpft zurück. Sein Zauber hatte die Kette nicht gesprengt, nur beschädigt. Sie würde uns nicht mehr aufhalten.
Am dritten Tag zerstörte Osfalai Feuer-zwischen-den-Fingern die zweite Toranlage. Unglücklicherweise fiel er beim Angeln ins Wasser und geriet in Panik. Völlig orientierungslos schwamm er durch die Bucht und konnte sich zum Glück an der schweren Kette festkrallen. Der wachhabende Elf war mehr schadensfroh, als aufmerksam und da Osfalai ohne zu sprechen seine Formel sprach, gelang es ein weiteres Mal eine Kette unbemerkt zu sabotieren. Allerdings wurde er ein weiteres Mal ermahnt, dass es uns nicht erlaubt sei im Hafenbecken zu schwimmen. Nunja, wir wollten hier eh nicht mehr lange verweilen.

Amir hatte in der Zeit ganze Arbeit geleistet. Es gab vier Häfen in der großen Stadt Bardibrig. Einen allgemeinen, für alle frei zugänglichen Hafen. Einen Kriegshafen, in dem neben den schweren Kriegsschiffen der Vislanis auch die Taubralir untergebracht war. Dazu einen Expeditionshafen für den Verkehr zwischen den inneren und äußeren Inseln und einen eigenen Hafen vom Clan der Tlaskelen. Dieser hatte einen anderen Zugang als der Kriegshafen und war weit weniger bewacht. Ich beschloss, dass ich diesen Weg nehmen würde aus der Stadt zu fliehen und unterrichtete die anderen vor dieser Einfahrt auf mich zu warten, nachdem sie entkommen waren. Sie verstanden nicht.
Die Stunden mit Ancoron halfen mir dabei mich auf mein Wesen zu konzentrieren und die nötige Kraft zu sammeln, die ich brauchen würde. Mein Weg lag klar vor mir und ich würde keinen Moment zweifeln dürfen.

Amir hatte eine Einladung für den vierten Tag erwirkt. Wir wurden von einigen Angehörigen des Clans der Tlaskelen erwartet. Amir hatte vor Näheres über den Totenkult der Alten zu erfahren und darüber zu schreiben. Ihr Palast lag recht günstig, da das Dock der Taubralir zwischen ihm und unserer Unterkunft im Palast der Vislanis lag.
Pünktlich trafen wir in voller Montur bei den Tlaskelen ein und verbrachten die nächsten Stunden damit ihren Erzählungen zu lauschen. Auch sie fertigten Totenboote an, in denen sie ihre Toten beerdigten und dann mit einigen Grabbeilagen aufs Meer treiben ließen.
Nach ihrem Glauben trennt sich beim Tod das Licht eines Elfen vom Körper und geht über in das Reich unter den Wellen. Der Körper, einbalsamiert, gelangt irgendwann in die großen Strudel und vereinigt sich wieder mit dem Licht, das dann unter den Wellen einen neuen Körper erhält und so fortbesteht.
Gebannt lauschte ich ihren Worten und es fiel mir nicht schwer, Interesse zu zeigen, wie es so oft in den letzten Tagen nötig gewesen war, wenn Ancoron von Dingen sprach, die nur badoc in meinen Ohren waren.
Später erhob Krottet seine Stimme und erzählte von den Riten seines Volkes und des Himmelswölfen. Nun überraschten uns die Tlaskelen, die aufrichtig zuhörten und zustimmend über Krottets Ansichten nickten.
Noch später am Abend verabschiedeten wir uns und ich verprach zurückzukommen. Vielleicht kam man bei Gelegenheit ja dazu…

Vor der Tür erwarteten uns unsere Beobachter von Neuem. Da sie sich unter das Volk gemischt hatten fiel es uns nicht schwer sie in ein Gespräch zu verwickeln, aus dem Krottet und ich uns wegstahlen. Wir gelangten über einige Gassen und kleinere Mauern tiefer in den verbotenen Kriegshafen und entdeckten schließlich die Taubralir.
Der Spion hatte Recht gehabt. Sie war gut bewacht. Doch inmitten der dicken Mauern Bardibrigs fühlten die Vislanis sich stark und beschützt und innerhalb des Docks waren nur zwei Vislanis und sechs Geisterrüstungen zu entdecken.
Während Krottet die Bogen spannte, kehrte ich zurück und holte die anderen. Es war fast zu leicht unsere Verfolger abzuschütteln und so konnten wir hinter einigen Fässern die Vislanis bei ihrer Wache beobachten. Krottet und ich spannten unsere Bögen und visierten sie langsam an.
Es war wie ein einziger Schuss als unsere Pfeile ihre Sehnen verließen und auf ihre Opfer zurasten – und sie verfehlten. Ungläubig starrten wir sie an und sie ebenso uns.
Dann brach Tumult aus und während Raluf und der Moha die Tür verrammelten, legten Krottet und ich einen weiteren Pfeil auf. Die Vislanis brüllten Befehle und die Geisterwachen setzten sich in Bewegung. Alarmschreie gellten durch die Luft.
Mein nächsten Pfeil hielt ich länger zurück und zielte genauer. Die Vislanis stürmten bereits herbei und wurden dann wie Strohpuppen zurückgeworfen. Meinem steckte ein Pfeil bis zu den Federn aus dem linken Auge, Krottets Gegner ging ebenfalls mit einem Kopftreffer zu Boden.
Ich nickte Krottet noch kurz zu, dann stürmte er auch schon Amir und Osfalai hinterher, das Breitschwert aus dem Gürtel ziehend.
Auf mich stapfte eine der Geisterrüstungen zu, aber mir blieb keine Zeit. Schnell legte ich den rechten Zeigefinger auf die Lippen und flüsterte sala diun, sala dao’lir und legte Stille über dieses Dock und alles was darum war.

Mein Geist tauchte aus der Stille wieder auf und ich erkannte mit völliger Klarheit die Keule des Morgensterns, den die Geisterrüstung schwang. Ich erschrak und wich zurück. Mit tödlicher Geschwindigkeit rauschte die spitzenbewehrte Stahlkugel an meinem Kopf vorbei.
Krottet, nur wenige Schritte von mir entfernt, taumelte zurück. Stark getroffen versuchte er weiterhin einen Hieb nach dem anderen anzubringen.
Während ich weiteren Hieben der belebten Rüstung auswich und nach meinem einzigen stumpfen Pfeil tastete, spürte ich ein Kribbeln, welches sich immer stärker in meinem Körper ausbreitete. Ich legte den Pfeil auf und zog die Sehne ohne wirklich zu zielen zurück.
Meine Augen suchten die meines Gegners, doch da war nichts – nur Leere.

Und plötzlich wurde mir bewusst, dass ich die Schwelle überschritten hatte, an der man scheitern konnte. Mein Weg lag so klar vor mir, dass jeder Schritt klar war, als hätte ich ihn schon getan. Mein Schuss riss ein überfaustgroßes Loch in die metallene Brust der Rüstung und die Wucht ließ sie auseinander bersten.
Eher interessiert blickte ich mich in völliger Ruhe um. Amir hielt eine Rüstung auf Distanz, während Osfalai mit seinem Stecken nicht bestehen konnte und bereits aus einer üblen Schulterwunde blutete. Raluf zerschmetterte gerade einen der Blechkameraden und lief weiter in Richtung des Schiffes.
Da ich wusste, dass ich siegreich sein würde verzichtete ich auf den ama tharza und konzentrierte mich auf meinen Körper, alle Muskeln und Sehnen und sprach lautlos a’sela dhao biundawin.
Ich raste auf Krottet zu, der fast bewegungslos wirkte. Ich hätte gerne beruhigende Worte zu ihm gesprochen, doch da die Stille, die ich geschaffen hatte, undurchdringbar war, rammte ich ihn lediglich aus der Reichweite seines Gegners.
Dieser versuchte mich sofort zu erledigen, was jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich war. Mit gezielten Stichen drang mein Kurzschwert immer wieder in ihn ein, ließ seine Schläge wirkungslos abgleiten. Stach wieder zu. Im gleichen Moment, in dem ich in meinem Kopf die Botschaft „Die Taubralir wird entführt!“ hörte, zerfiel die Rüstung in bedeutungslose Teile.

Ich deutete Krottet das Steuer zu übernehmen und er eilte davon. Ich stürmte ebenfalls an Deck der Taubralir und kappte im Bug das Seil mit dem die Taubralir an der Winde befestigt war.
Neben mir riss Amir seinen Speer aus der vorletzten Geisterrüstung heraus, die mit einem lautlosen Aufprall in viele Stücke zersprang.
Osfalai hatte Hilfe von Raluf erhalten und war auf dem Weg zum Tor des Docks. Ich wendete den Blick ab – er würde es schaffen.
Die Türe hielt noch stand, aber an dem Beben der Balken sah man, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Die Taubralir blähte ihre Segel auf, wir bewegten uns.
Neben mir landete Osfalai auf dem Deck und blieb stöhnend liegen. Ich lächelte ihm zu. Es war noch nicht vorbei.
Zu unserer Rechten lagen die schweren Kriegsschiffe der Vislani. Eilig stürmten Krieger und Rüstungen zu den Katapulten und Rotzen, aber Zeit hatten sie nicht. Ich sandte drei Pfeile zu ihnen herüber, mir verblieben noch zwölf, davon 5 in das tödliche Gift Shadruels getaucht.
Vor uns tauchte die erste Toranlage auf, mächtig und bedrohlich. Die Kette, die einzige intakte der Befestigungsanlage erhob sich langsam aus dem Wasser.

Neben mir keuchten meine Begleiter auf und auch ich runzelte verwirrt die Stirn. Das hatte ich nicht gesehen, das war nicht so gewollt. Es war falsch. Raluf brüllte einige Befehle und wir sprangen in die Segel.

Als wir das Tor passierten und die Taubralir unbeschadet die Kette passierte, atmete ich erleichtert auf. Einzig ein hässliches Schrammen erklang von unter Deck. Ich schloss die Augen, machte mich bereit.

Als ich die Augen wieder öffnete tauchte bereits die zweite Toranlage vor uns auf. Ich sah die Bogenschützen auf den Pier stürzen und ihre Bogen zücken. Mir verblieben noch zwölf Pfeile, sieben konnte ich noch hergeben. Einer nach dem anderen verließ singend die Sehne und bohrte sich in die unwissenden Elfen.

Krottet hatte sich wie verabredet neben mir eingefunden. Ebenso wie ich schickte er einen Pfeil nach dem anderen in die Menge, verbissen die Zähne zusammenpressend. Viele Elfen stürzten tödlich getroffen ins Hafenbecken, ihr Licht eilte davon.
Ein Blick zu Osfalai verriet mir, dass er bereit war.
Ich ließ meinen Bogen fallen, löste meinen Köcher, nickte Krottet kurz zu.


Dann erfüllte die Luft ein lautes Singen und der abendliche Himmel verdunkelte sich als die Salve der Elfenpfeile auf dem Deck der Taubralir niederging. Ich tat einen Schritt nach links und wendete mich gen Steuerbord. Neben mir gingen Krottet und Osfalai schreiend zu Boden. Ich sprang auf die Reling.
Hinter mir stand Orima und schützte mich.
Dann sprang ich.

Als ich durch die Wasseroberfläche brach war ich einen Moment orientierungslos, überall Dunkel. Ich schwamm verwirrt auf der Stelle, wohin?

Osfalais Stimme drang zu mir, von Schmerzen gequält und damit zu jedem Elfen in der näheren Umgebung:


Tharan, es ist die einzige Möglichkeit! Wir müssen siegen… und wir werden!

Zu welchem Preis? Ihr seid wahnsinnig! Einauge ist wahnsinnig! Ihr werdet alles in den Untergang reißen!
Ich werde das verhindern!

Das werden wir zu verhindern wissen, Tharan!


Dann traf mich etwas in die rechte Schulter und ich erkannte, dass es Amirs Wurfdolch war. Die Richtung war klar, ich schwamm davon.
Ich entfernte mich zusehends von der Taubralir. Dann schlug der erste Pfeil neben mir auf. Ich lächelte.

Der zweite Pfeil traf mich in den Rücken und ließ mich für einen kurzen Moment innehalten. Dann schwamm ich weiter.

Ich erreichte das Ufer und zog mich hoch – dann traf mich der dritte Pfeil. Krottet schoss gut.
Ich brach zusammen.

Ich gewahrte Ancoron neben mir, das Gesicht wutverzerrt. Ich streckte die Hand nach ihm aus und richtete mich auf. Worte wie „Verräter“, „Lügner“ prallten an mir ab, wurden bedeutungslos.

Es war von vorneherein klar gewesen. Niemand hätte den Vislani widerstehen können. Weder ich noch einer der anderen hätte sie jemals überzeugen können. Zu schnell hätten sie herausgefunden, was er wirklich dachte. Also nahm ich ihnen die Zeit mich zu verhören und ließ sie im Ungewissen. Ebenso wie meine Freunde, die dachten, ich hätte eine Möglichkeit gefunden ihnen zu widerstehen.

Ich blickte Ancoron an und überbrachte ihm die Botschaft:


Beorn, er… er will ein Bündnis, einen Pakt mit dem… Schlangenkönig schließen… in fünfzehn Tagen!

Er sammelt seine Truppen, auf der verlorenen Insel. Mit der Taubralir wird er… er wird alle hierherbringen, Ancoron. Bardibrig soll fallen!


Ancoron blickte mich entsetzt an. Hin- und hergerissen zwischen Angst und Misstrauen ergriff er meine Hand, umklammerte sie. Meine Sicht verschwamm und ich brach erneut zusammen.
Das Gift brannte in den Wunden und durchzuckte meinen sterbenden Körper. Schmerzerfüllt wandte ich mich ein weiteres Mal ihm zu:


Ich weiß es nicht genau, aber der Pakt ist noch nicht geschlossen, sie misstrauen sich…
Halte sie auf!


Dann sandte ich ihm die Bilder, die Karte, die er brauchen würde um Beorn, den Städtezerstörer, zu finden und ihn zu vernichten. Ich wünschte ihm Glück.
Ich merkte, wie ich die Kontrolle über meinen Körper verlor. Ancoron bemerkte es ebenfalls und unterbrach hastig die Verbindung als er sich meines Lichts bewusst wurde. Er wich zurück, Entsetzen in den Augen. Meine Stimme war zu einem heiseren Flüstern geworden, während ich die letzten Worte sprach:

Für Orima!
Und Fenvarien!


Ich sank langsam zu Boden und blickte ihn an. Neben ihm stand Orima, strahlend und schön. Ich hätte gerne gelächelt, aber mein Körper war nur noch ein zuckendes Bündel Fleisch, gefoltert von Schmerzen und Tod. Ich schloß noch die Augen.
Dann starb ich.