Red Bavaria Onliners - Fußball allgemein

Sonderzug aus Basel....

Sonderzug aus Basel....

EXTRAZUG AB BASEL
Bitte alle aussteigen
Von Philipp Anz


Sie wollten an ein Spiel, wurden verhaftet und durften stundenlang nicht einmal aufs WC. Wie Basler Fans den vergangenen Sonntag erlebt haben.
Sonntag, 5. Dezember, 12.45 Uhr

Beat* trifft im Bahnhof Basel seine KollegInnen aus der Muttenzer Kurve. Zusammen wollen sie nach Zürich ans Spiel GC-FC Basel. Die Vorfreude ist gross, man singt sich ein für den bevorstehenden Match. Zusammen mit etwa dreihundert anderen Fans steigen sie in den Eurocity, Abfahrt 13.02, nach Zürich. Auf dem Perron stehen dutzende Polizisten einer Basler Spezialeinheit. Sie fordern die Fans auf, den Zug wieder zu verlassen. Nachdem sich die Abfahrt verzögert, kommen diese der Aufforderung nach. «Nehmt den Extrazug», wird ihnen befohlen.

13.20 Uhr

Der vierzehnjährige Pablo sitzt im Extrazug. Er und seine gleichaltrigen Freunde haben das entsprechende Billett an offiziellen Vorverkaufsstellen bezogen, die auf der Homepage des FC Basel publiziert waren. Der Zug ist voll, auch Bahnpolizisten fahren mit. Sie postieren sich in jedem Wagon, den Fans wird erklärt, dass sie ihre Abteile nicht verlassen dürfen, aufs WC können sie nur einzeln. Sprüche fallen, sämtlicher Abfall wird auf den Boden geschmissen - doch zu Sachbeschädigungen kommt es nicht. Die Fahrt verläuft «problemlos», wie ein SBB-Sprecher später der «Basler Zeitung» bestätigt. Pablo freut sich aufs Spiel.

14.30 Uhr

Der Extrazug hält im Bahnhof Altstetten, einem Aussenquartier von Zürich. Der Bahnhof ist von einem Grossaufgebot der Stadtpolizei mit Wasserwerfern und Gitterfahrzeugen abgeriegelt. Aus dem Zug fliegen einzelne Flaschen. Die Fans werden aufgefordert, den Zug zu verlassen. Die Bahnpolizisten verhindern, dass die rückseitigen Türen geöffnet werden.

14.45 Uhr

Rund 650 Personen stehen auf dem Bahnhofsgelände. Die Polizei erklärt, dass sie kontrolliert würden und erst danach ans Spiel, das um 16.15 Uhr angepfiffen wird, könnten. Roger nervt sich, denkt aber: «Auf den Anpfiff reicht es sicher.»

15 Uhr

Die Menge wird unruhig. Es wird gedrängelt, wieder fliegen einzelne Flaschen. Die Polizei setzt Pfefferspray, Tränengas und Gummischrot ein. Pablo bekommt Panik. Er erklärt einem Polizisten, dass er erst vierzehn sei und raus möchte. «Ich wusste nicht mehr, was tun, und begann zu weinen.» Der Polizist sagt: «Hör uuf brüele, suscht kriegsch Pfefferspray.»

15.15 Uhr

Die Fans werden einzeln aus dem Kessel gelassen. Roger gehört zu den Ersten. «Ich dachte, jetzt werd ich kontrolliert. Dann kann ich endlich ans Spiel. Doch dann wurde ich an die Wand gestellt.» Roger wird alles abgenommen. Portemonnaie, Handy, Mütze, Schal werden in eine Tüte gepackt und ihm um den Hals gehängt. Die Polizisten fesseln seine Hände mit Kabelbindern hinter dem Rücken. Er wird in ein Auto geführt und mit Blaulicht in die Zürcher Polizeikaserne gefahren. Während Frauen, Kinder und ältere Männer nun freigelassen werden, müssen sich 427 Personen (darunter 11 Frauen) in den nächsten Stunden demselben Prozedere unterziehen.

16.15 Uhr

Im Hardturm wird das Spiel GC-FCB angepfiffen. Bei den Basler Fans, die es ins Stadion geschafft haben, klingeln die Handys ununterbrochen. Wut macht sich breit. Einige wollen raus, «die Kollegen befreien». Mitglieder von diversen Fangruppierungen verhindern durch Zureden, dass die Situation eskaliert. Auch nach dem Spiel halten sie eine grössere Menge Fans davon ab, zur Kaserne zu ziehen, «um Rache zu üben».

16.30 Uhr

Die Stadtpolizei Zürich veröffentlicht ein erstes Mediencommuniqué: «Aufgrund von Meldungen, wonach sich im Extrazug aus Basel dutzende gewaltbereiter Fans befinden würden, wurde die Zugskomposition im Bahnhof Altstetten gestoppt. (...) Die Personenkontrollen werden aufgrund der grossen Zahl der vorübergehend Festgenommenen einige Stunden in Anspruch nehmen. Stadt- und Kantonspolizei Zürich wollen mit diesem konsequenten Vorgehen ein Zeichen setzen, dass rund um Fussballspiele weder Gewalt noch Sachbeschädigungen toleriert werden.»

Zu dieser Zeit stehen Roger und Pablo bereits seit einer Stunde vor der Kaserne im Freien, immer noch mit Kabelbindern gefesselt. Pablo bekommt Nasenbluten. Auch auf wiederholtes Nachfragen wird ihm die Fesselung nicht gelöst. Aus einem Fenster werden Papiernastücher geworfen. «Machs doch selber weg», meint ein Polizist. Schliesslich kann Pablo das Bluten stillen, indem er die Nase an einen Metallpfosten drückt. In der Kaserne treffen die letzten Verhafteten aus Altstetten, unter ihnen Beat, ein.

17 Uhr

Einzeln werden die Verhafteten in die Kaserne geführt, fotografiert und verhört. Roger wird gefragt: «Wie sind Sie nach Zürich gekommen?» Roger: «Mit dem Zug.» - «Warum haben Sie diesen Zug genommen?» Roger: «Es war der offizielle Extrazug.» - «Warum haben Sie sich nicht entfernt, als es zu Ausschreitungen kam?» Roger: «Ich sah keine Ausschreitungen, und weg konnte ich sowieso nicht.» Später wird Roger freigelassen. In Basel verkündet Radio Basilisk halbstündlich zwei Hotline-Nummern der Zürcher Polizei für besorgte Angehörige.

17.30 Uhr

Pablo wird freigelassen. Ein Polizist erklärt ihm, mit welchem Tram er zum Hardturm kommt. Fast genau auf den Schlusspfiff ist er im Stadion. Der FCB gewinnt 3:2. Pablo macht sich auf den Rückweg nach Basel. Nach dem Spiel kommt es ums Stadion zu vereinzelten Schlägereien zwischen Zürcher und Basler Fans.

20 Uhr

Beat wartet mit hundert andern immer noch gefesselt vor der Kaserne, es ist «saukalt». Schal, Mütze und Handy baumeln an seinem Hals. Personen, die aufs WC wollen, wird gesagt: «Das hättest du am Morgen tun können.» Die Männer öffnen sich gegenseitig mit den auf dem Rücken gefesselten Händen den Hosenschlitz, helfen sich beim Urinieren, mehrere pinkeln sich in die Hosen, manche müssen erbrechen. Die Stadtpolizei Zürich veröffentlicht ein weiteres Communiqué mit dem Titel: «Konsequentes Vorgehen der Polizei verhindert Ausschreitungen am Fussballspiel GC-FCB».

22.30 Uhr

Die letzten Verhafteten werden ins Gebäude geführt. Beat hat Schüttelfrost und kann seine Jacke nicht mehr selber ausziehen.

1.30 Uhr

Beat wird freigelassen. Basler Fans, die nach Mitternacht mit Autos nach Zürich zurückgefahren sind, holen ihn und ein Dutzend weitere Entlassene ab. Am nächsten Tag sind an seinen Handgelenken immer noch die Einschnitte der Kabelbinder zu sehen, daneben die mit Filzstift aufgemalte Verhaftungsnummer.

Montag, 6. Dezember

Die Stadtpolizei Zürich zieht in einem weiteren Communiqué Bilanz. Von 427 Verhafteten wurde eine Person der Bezirksanwaltschaft übergeben, gegen weitere zwei laufen Ermittlungen. «Die Mehrzahl der Festgenommenen wird mit einer Verzeigung wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit rechnen müssen. Die entsprechende Rechtsgrundlage bildet die Allgemeine Polizeiverordnung der Stadt Zürich, namentlich der Grundsatz, wonach die Polizei die Störung des öffentlichen Friedens und der öffentlichen Sicherheit zu verhindern hat.»

* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert

Sämtliche Zeitangaben sind ungefähr und beruhen auf Aussagen von verhafteten Fans.

WOZ vom 09.12.2004