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Das Leben der Christine Walter

 Re: Das Leben der Christine Walter

11. – Schweigen der Kinder

Es fing stürmisch an zu regnen, als Christine dem langen Fad umschlossen von Bäumen und Sträuchern folgte. Die Äste bogen sich und ein Knarren zog durch die Luft. Der Himmel weinte den Schmerz, den Christine innerlich spürte. Langsam führten sie ihre Schritte, klitschnass waren ihre Haare. Doch Christine quälten weiß Gott andere Sachen, als die Sorge um ihr Äußeres. Durch eine Pfütze nach der anderen marschierte sie. Verschwommen sah sie auf die Fabrik. Grau und kahl sah sie aus, der Himmel nicht anders. Dunkle Wolken zogen an ihr vorbei. Die schwere Eisentür war gerostet und quietschte unaufhörlich, als Christine diese nach innen schob. „Ach ne, sieh mal einer an wer da kommt! Nick´s neue Flamme!“, neckte Dennis seinen Kumpel und setzte an einer Bierflasche an. „Halt die Klappe!“, rief Andreas empört und half Christine aus ihrer durchnässten Jacke. „Komm setz dich Tinchen, wie war die Schule? Möchtest du was trinken?“ Sie antwortete nicht und schmiss sich sofort auf die alte Couchgarnitur zu Nico. Nick hockte vor dem Ofen und warf mehr Brennholz hinein. „Wärm dich erst mal auf!“ Christine dankte es ihm mit einem Lächeln. „Lieb von dir!“
„Hey Andy, schmeiß mal nen Bier rüber!“ „Man du Schluckspecht! Kannst wohl nie genug kriegen, wa!? Verreck doch dran!“ Andreas gab nach und warf Dennis eine neue Flasche Alk zu. „Und ich? Was ist mit mir Andreas?“, fragte nun auch Christine. „Hey Tinchen, Bier ist nur was für starke Kerle, nichts für Frauen!“ „Ich bin nen Mannsweib, schon vergessen, wa!? Also lass das Bier rüber wachsen Bruderherz!“, gab sie betont cool zurück. „Verdammte scheiße, du bist noch viel zu jung Tinchen, aber schön, hier!“ Christine fing die Flasche und zog Nico sein Feuer aus seiner Hose. „Ich darf doch mal!?“ und öffnete die Flasche mit dem Feuerzeug. Der Deckel sprang flappend vom Flaschenhals, den sie schließlich ansetzte. „Was ist los Tinchen, was führt dich hier her?“, fragte Andreas mit einer leisen Ahnung. „Können wir unter vier Augen reden!?“, entgegnete Christine und hob sich vom Sofa. „Klar, hier entlang!“ Sie gingen die Treppe herauf zu einem Raum, der damals einmal als Werkstatt gedient hatte. Es roch nach Farbe, altem Putz und gespäntes Holz. Christine ließ sich sofort auf einen der Tische nieder. „Nun sag schon, wie ist die Arbeit gelaufen? Hat dich irgendwer durchschaut? Ich hatte heute das Gefühl die Erichson weiß was!“, sprach Christine aufgeregt und funkelte Andreas mit ihren Augen lieb entgegen. „Ach quatsch, hab mich nach dem Plan, der im Klassenbuch lag, auf deinen Platz gesetzt, mit keinem gesprochen und einfach die Arbeit für dich mit deinem Namen geschrieben. Niemand hat etwas gepeilt, nur so´n Typ wollte ständig ne Unterhaltung mit mir...ähm...mit dir! Man, der hat vielleicht genervt, das sag ich dir!“ „Das war bestimmt Stefan! Der will was von mir!“, lachte Christine abfällig. „Du aber nicht von ihm, stimmt´s!? Sag mal Tinchen, ist es wahr was Dennis da erzählt, du hast Nick geküsst?“ „Ich hab ihn nicht geküsst, er hat mich geküsst, kapito!? Außerdem...da läuft nichts! Ich finde ihn ganz nett, aber nicht mehr, kapiert!?“, überspielte Christine ihre Unsicherheit. „Aber er will was von dir, noch nicht gemerkt, wie er dich immerzu anstarrt!?“ „Ach du spinnst ja Andreas! Wir sind lediglich Freunde.“ „Dein Wort in Gottes Ohr.“, zweifelte Andreas an der Glaubwürdigkeit seiner Schwester. „Sag mal, du weißt nicht zufällig wo Claudia steckt? Sie ist gestern so plötzlich verschwunden und in der Schule hat sie sich auch nicht mehr blicken lassen! Ist gestern noch irgendwas gewesen, was ich vielleicht wissen sollte?“, fragte sie ihren Bruder, der niedergeschlagen zu Boden sah. „Spuck schon aus! Was ist denn so plötzlich mit dir? Was ist mit Claudia!?“ Ängstlich blickte ihm Christine mit ihren großen Augen entgegen. „Mathias! Mathias dieser Mistkerl!“, stieß Andreas seinen Zorn aus. „Ja und? Weiter!“, forderte ihm Christine auf fortzusetzen. „Er...er...na ja, er ist ihr wohl etwas zu nahe getreten! Sie hat das Gelände fluchtartig verlassen! Ich weiß nicht einmal ob es ihr gut geht und ob sie gut zu hause angekommen ist!“ „Er hat mit ihr geschlafen, richtig!?“, wollte Christine nun genauer wissen. „Ja...richtig.“ Andreas musste schlucken und Christine stiegen die Tränen in ihre Augen. „Ich hätte es dem Typen echt nicht zugetraut! Aber warum...warum Andreas!?“ „Ich weiß es nicht. Wüsste es auch gerne, das kannste mir glauben! Wenn der mir noch ein einziges Mal über den Weg läuft, dann ist er dran!“ „Scheiße, ich ruf Claudia an, wenn ich zuhause bin. Dann sehen wir weiter.“, versuchte Christine Ruhe zu bewahren. „Ach und danke übrigens für heute morgen!“ Sie hob den Kopf, stand auf und gab Andreas einen Kuss auf seine Wange. „Gern geschehen. Sonst noch irgendwelche Probleme?“ Erwartungsvoll schaute er seiner verzweifelten Schwester in die Augen. „Frau Erichson! Ich werde das Gefühl nicht los, dass die mich auf den Kicker hat und jetzt zum Alten geht und ihm steckt wie schlecht ich in der Schule bin.“, gab sie traurig zu verstehen. „Hey, die geht schon nicht zum Alten und wenn schon, der ist sowieso kaum mehr zu hause, seitdem er in Rente gegangen ist, oder bist du ihm mal wieder begegnet? Der hockt doch nur noch mit seinen Gruftis in Rolfs Pinte und säuft bis der Arzt kommt! Vergiss es einfach Christine, die Erichson kann sowieso nichts mehr sagen, wenn die erst einmal deine eins in der Arbeit vernommen hat.“ „Was denn für ne eins? Meinst du echt...?“ Christine blieb die Spucke weg und führte langsam die Flasche wieder zurück in ihre Hand. „Klar, die Arbeit war doch total einfach, Kinderklacks! Hättest du bestimmt auch irgendwie gepackt.“, war sich Andreas sicher. „Ich!? Nee, mit Sicherheit hätte ich wieder ne sechs geschrieben!“, gab Christine die Hoffnung vollkommen auf. „Zieh dich doch nicht selbst so runter Tinchen! Ich weiß, dass du es kannst! Und ein paar Fehler, meine Güte, wer macht keine Fehler!?“, ermutigte er sie, oder versuchte es zu mindestens. „Du hast ja überhaupt keine Ahnung!“, ließ sie ihre Wut heraus. „Lassen wir das Thema einfach.“ „So geht das nicht Tinchen. Komm, wir gehen jetzt nach Hause und dann üben wir für deine nächste Arbeit. Ich tu dir nichts Gutes, wenn ich die Arbeiten für dich schreibe, kapier das endlich!“ Getroffen von seinen mächtigen Worten, denen sie sich nicht entziehen konnte, machten sich Christine und Andreas auf den Heimweg. „Was, ihr wollt schon los? Andy warte, dein Anteil wartet noch auf dich! Moment!“, sprach Dennis und kramte in seinem Portmonee. Er steckte Andreas ein paar Scheinchen zu und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Machs gut Alter und du auch Tine!“ „Bis dann.“, sagten die Geschwister einstimmig und gingen zur Tür heraus.

„Was ist das für Geld Andreas?“ „Ach das, das sind nur Schulden die Dennis bei mir hatte.“ „So viel ?“ Christine stand der Mund offen und konnte es gar nicht glauben. „Der hat sich ne Mofa gekauft, dafür brauchte er das Geld! Ich hab es ihm freundschaftlicher Weise geliehen, was dagegen!?“, log Andreas ohne rot zu werden. „Schon gut. Was machst du denn jetzt damit?“ „Sparen, was sonst!?“, entgegnete er genervt. Doch Christine löcherte ihn weiter. „Und wofür? Du willst doch nicht etwa abhauen, oder?“ „Quatsch, ich lass dich doch nicht alleine bei dem Alten!“ „Na hoffentlich!“ Ihr Gespräch zog sich noch eine Stunde hin, bis sie schließlich vor ihrer Haustür standen. Andreas zog sein Schlüsselbund hervor und öffnete die Tür. „Oma, Opa??“, wollte er auf Nummer sicher gehen. „Die Luft scheint rein zu sein, ein Glück!“, wand sich Christine an ihren Bruder. Doch sie hatte sich zu früh gefreut. Als die Kinder die Küche betraten, saßen Frau und Herr Krossmann mit dem inzwischen kalten Fraß auf den Tellern am Küchentisch und zogen lange Gesichter. „Kommt Kinder, setzt euch her. Euer Großvater und ich möchten mit euch reden.“, fing Frau Krossmann mit lieblicher Stimme an zu erzählen. „Muss das unbedingt sein!?“ Andreas setzte sich gelangweilt und Christine gleich dazu. „Könnt ihr mir erklären was das soll!?“, schrie der Großvater zornig über alle Ecken des Tisches hinweg, nahm einen Teller und klatschte das Essen an die Wand. „Tag für Tag das selbe Theater. Eure Großmutter reißt sich den Arsch auf und ihr fühlt euch noch nicht mal zum Dank oder Entschuldigung verpflichtet! Für wen kochen wir denn bitteschön!? Zum Teufel damit!“ Herr Krossmann nahm gleich einen zweiten Teller und warf ihn zu Boden. Dieser zerschepperte in lauter Einzelteile. „Klaus bitte!“, versuchte seine Frau ihn zu beschwichtigen. „Du halt die Klappe, ich bin noch nicht fertig mit den beiden Bälgern!“, gab er barsch zu verstehen. Frau Krossmann ballte ihre Hände zitternd in einander. Sie befürchtete schlimmes. „Die blöde Kuh hat uns verpfiffen!“, dachte Andreas und warf einen zornigen Blick in Richtung seiner Oma. Dann fiel sein Blick auf seine zusammengezuckte Schwester, die fürchterlich zu zittern begann. „Es reicht, ich muss mir das nicht länger anhören! Komm Tinchen, wir gehen!“ „Hier geblieben mein Freund!“, ermahnte ihn der Großvater und setzte ihn grob zurück auf seinen Stuhl. „Von dir mal ganz zu schweigen, ich habe mir die Zunge zur genüge abgebissen, aber deine Schwester wirst du keine Lausen in den Kopf setzen, haben wir uns verstanden!? Unser letztes Gespräch hat dir wohl gefallen, wa? Das können wir gerne wiederholen und jetzt geh!“ Andreas hielt des alten Mann Blickes stand, dieser ruhte zornig in den Augen des anderen. „Geh!!!“, schrie der Großvater jetzt noch lauter als zuvor, hielt dem Blick seines Enkels immer noch stand. Er hatte noch größere Macht gewonnen, denn Andreas bekam es langsam mit der Angst zutun. Herr Krossmann rieb sich die Hände. „Ich zähle bis drei, dann bist du verschwunden!“ Christine fühlte sich mit angesprochen. „Fräulein, schön hier geblieben! Du kommst mir nicht so leicht davon!“, erhob der Alte seine tiefe kratzige Stimme und Christine setzte sich schluckend zurück auf ihren Platz. „Mach mit mir was du willst, aber lass Tinchen in Ruhe!“, beharrte Andreas immer noch mutig. „Junge, hör auf deinen Großvater, geh in dein Zimmer. Wir wollen nur vernünftig mit Christine reden.“ Die Großmutter erhob sich und führte Andreas sachte an der Schulter haltend nach draußen auf den Flur. „Mach dir keine Sorgen, ich bin ja auch noch da.“, gab sie im Flüsterton zu verstehen, so dass Herr Krossmann und Christine sie nicht hören konnten. „Ja du...wo warst denn du, als er mich windelweich geschlagen hat, he? Du hast gepennt und bist noch nicht mal von seinem Gebrüll aufgewacht! Weißt du was du bist!? Ne verdammte Verräterin!!! Du hast doch selber Schiss! Wie willst du denn Christine vor ihm beschützen? Du schaffst es nie und nimmer dich gegen ihn zu stellen!“ Andreas verschwand wie der Blitz auf sein Zimmer und knallte die Tür. Frau Krossmann rang mit sich ihre Tränen zu bewahren. „Was hast du mit den Kindern gemacht!? Kein Wunder, dass sich die beiden nicht mehr nach Hause trauen!“ Langsam trat die Oma zu ihrem Mann und ihrer Enkeltochter zurück in die Küche und setzte sich schweigend. „Christine, du hast dich verändert! Was ist los mein Kind?“, startete sie einen Versuch. Doch Christine hüllte sich in eisernes Schweigen. „Los, her mit den Schularbeiten!!! Ich will sehen was du für die Schule getan hast, außerhalb deiner Lausen mit Andreas!“ Christine blieb stumm. Frau Krossmann streichelte ihrem Mädchen über die Hand. „Nun zeig uns deine Schulsachen. Wir wollen dir doch nur helfen Kind!“ „Danke, aber ich glaube Christine hat mich schon verstanden!“ unterbrach Herr Krossmann seine Frau und schnappte sich jetzt selbst den Schulranzen von Christine. Christine stiegen die Tränen in die Augen, sie schluckte und kämpfte mit sich. Frau Krossmann hatte es natürlich sofort bemerkt, aber der Großvater gab noch lange keine Ruhe. „Was ist das denn!!!?? Nur Gekritzel, Donnerwetter!!! Ich glaub es ja nicht!!! Du bist...du bist zu dumm...einfach nur zu dumm für die Schule!!! Dir sollte man mal gescheite Nachhilfe geben, du...du...!“, drohte der Großvater. Christine schluchzte auf, zitterte und fing leise an zu weinen. „Was soll ich noch mit dir machen!!!?? Sag es mir, na los, sag mir was ich da noch machen soll!!! Willst du ins Internat!? Gut, ich schick dich auf ein Internat! Willst du ins Heim, oder zum Psychologen? Bitte...gerne auch dort hin, mir egal!!!“ „Ausgerechnet jetzt, wo Andreas die gute Arbeit für mich geschrieben hat! Alles für Nichts!“, dachte Christine und musste umso mehr heulen. „Der Alte will mich nicht mehr haben, ich bin also Dreck in seinen Augen! Okay, kann er haben! Ich hau ab und lass mich nie wieder hier blicken!“ Christine war verzweifelt und wusste sich keinen anderen Ausweg mehr. „Jetzt reiß der doch auch mal das Maul auf!!! Flennen gilt nicht!“, forderte er seine Frau auf, etwas gegen dieses in seinen Augen abstrakte Benehmen der Enkeltochter zu unternehmen. „Du, ich werde dir zeigen was Anstand bedeutet!“, hob er erneut seine Stimme und hob seine Hand. „Bitte nicht Klaus!!! Lass das arme Kind!!! Siehst du nicht wie sehr sie unter dein Gebrüll zu leiden hat!?“, widersetzte sich ihm seine Frau das erste mal und befreite Christine aus dieser angespannten Sitzung und ließ sie gehen.
Christine rannte so schnell sie konnte hoch in ihr Zimmer. Dort angekommen fiel sie ihrem Bruder gleich in die Arme. „Scheiße Tinchen, was hat der Alte nur mit dir angestellt!? Ich bring ihn um, das schwör ich dir!“ Christine bekam kein Wort heraus, dem ganzen Druck, den sie zu erleiden hatte, hielt sie nun nicht mehr stand und weinte sich verbittert bei Andreas aus. Dieser hielt seine kleine Schwester fest in den Armen und schwor sich, sie nie wieder alleine zulassen.
Währenddessen schlug Herr Krossmann auf seine Frau ein. „Wie konntest du nur!? Das Mädel hat ne Tracht Prügel verdient und du lässt sie einfach ungeschworen davonkommen! Und du willst meine Frau sein!? Pah, dass ich nicht lache!“ „Dann lass dich doch scheiden Klaus! Ich kann dich nicht mehr ertragen, verschwinde mir aus meinen Augen! Die Kinder haben Angst vor dir, dass habe ich endlich verstanden! Was hast du nur getan!? Du vertreibst sie noch aus diesem Haus, aber dass lasse ich nicht zu! Wir gehen freiwillig...ich und die Kinder!“ „Das könnte dir so passen!!! Du tust was ich sage, verstanden!!!?“ „Nein.“ „Oh doch, dass tust du!!!“ Herr Krossmann schlug so lange auf seine wehrlose Frau ein, bis diese gekrümmt vor Schmerzen am Boden lag und sich nicht mehr rühren konnte.
Herr Krossmann verließ das Haus. Es zog ihn förmlich in Rolfs Pinte, wo er sich erst einmal einen hinter die Binde kippte. Zuhause war alles still. Christine war unter Tränen eingeschlafen, Andreas hatte sie beruhigt. Er begann sich über die plötzlich eingetretene Stille zu wundern und betrat die Küche. Seine Oma saß weinend, den Kopf in die Hände gestützt am Esstisch. Langsam näherte er sich ihr und legte seine Hand auf ihre Schulter. Versöhnung war angesagt, dachte Andreas mit schlechtem Gewissen. Er hatte seine Großmutter zu unrecht angeschrieen. Andreas plagte ein schlechtes Gewissen, mit dem er nicht leben konnte.
Er musste sich seiner Großmutter anvertrauen, koste es was es wolle. Sie war die einzige, die etwas gegen Herrn Krossmann unternehmen konnte. Es stand jetzt in ihrer Macht, die Verhältnisse die zuhause herrschten, zu beenden. Nur musste Andreas ihr den Mut dazu geben...

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Re: Das Leben der Christine Walter

12. – Reiseplanung

Andreas bekam einfach keine Worte über seine Lippen. Sein Herz schlug wie wild in seiner Brust, doch er war unfähig seine Oma aufzubauen, da auch er sehr unter der Situation zu leiden hatte. Seine Großmutter hatte ihn sehr enttäuscht, da sie sich nie gegen ihren Mann gestellt hatte und sogar mit ansah wie Herr Krossmann die Kinder anschrie und den Arsch einzog, wenn er die Kinder sogar schlug. Andreas kochte förmlich. Einerseits tat ihm die Oma ja leid, wie sie so da saß und weinte, aber andererseits hasste er sie für ihr Selbstmitleid und dafür, dass sie nichts gegen ihren Mann unternahm und nicht für die Kinder da war, wenn sie sie brauchten. Trotzdem versuchte Andreas jetzt alles mögliche, um sich wieder mit der Großmutter zu versöhnen und setzte sich neben sie. „Hey Oma...du siehst doch wozu er fähig ist. Mit mir hat er schon das selbe getan und Christine steht auch schon auf seiner Liste. Lass uns von hier verschwinden, bitte! Was ich vorhin gesagt habe tut mir leid, du hast das alles nicht gewusst, dass weiß ich doch.“ Jetzt hob Frau Krossmann langsam ihren Kopf und gab zurück: „Nein nein Andreas, du hast Recht. Ich habe euch im Stich gelassen und hätte es bemerken müssen, was euer Großvater mit euch gemacht hat. Es tut mir so leid Andreas...bitte komm her zu mir.“, forderte sie ihm auf und Andreas begab sich zu seiner Großmutter und fiel ihr erleichtert in die Arme. „Hör doch auf zu weinen Oma, du kannst es immer noch gut machen. Bitte lass uns nicht mehr allein bei Opa. Bitte, wir müssen hier weg, er macht uns das Leben zur Hölle! Was meinst du wohl warum Christine so schlecht in der Schule ist!? Der Alte ist daran schuld! Er hat Christine jedes Mal vermöbelt bei den Hausaufgaben. Sie traut sich gar nichts mehr zu, weil der Alte sie als Dumm abgestempelt hat. Das glaubt die auch noch... Oma, Christine braucht jetzt deine Hilfe und das dringend!“ Andreas schaute seiner Oma erwartungsvoll entgegen und machte sich ernste Sorgen um seine Schwester. Auch Frau Krossmann musste bei seinen Worten, die ihr mitten ins Herz trafen, anfangen zu schlucken. „Wo wollen wir denn hin mein Kind, ohne Geld!? Ich werde dir versprechen, dass ich auf euch aufpasse und euch nicht mehr aus den Augen lasse, wenn Klaus im Haus ist. Wenn du 18 bist, erlaube ich dir aus diesem Haus zu ziehen und dir was eigenes aufzubauen. Ich werde mich um Christine kümmern, sie wird es bei mir guthaben. Deinen Großvater lasse ich nicht mehr in ihre Nähe, ich verspreche es dir mein Kind.“ Die Oma weinte und hielt dem 17. jährigen Andreas die Hände an sein Gesicht. Leise gab sie zu verstehen: „Andreas, ich möchte, dass es euch beiden gut geht. Ich habe viel zu spät bemerkt, was Klaus eigentlich für ein Mensch ist. Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn ich euch jetzt halten würde. Ich möchte, dass du dir irgendwo eine eigene Wohnung nimmst und Geld verdienst. Sobald Christine volljährig ist, darf auch sie das Haus verlassen. Sie darf dich so oft besuchen, wie sie möchte, dass liegt bei euch.“ „Danke Oma, ich wollte dir sowieso schon immer über meine Pläne berichten. Ich habe schon seit längerer Zeit einen Job, bei dem ich mir etwas dazu verdiene. Ich habe für eine Reise über den Atlantik gespart, ich werde eine weite Reise machen, wenn ich 18 bin.“ „Aber Andreas...wieso hast du mir nie etwas davon erzählt!?“ „Keine Ahnung. Hatte schiss, dass du ablehnst.“ „Na ja...ach was! Du bist ja schon ein großer vernünftiger Junge. Du kannst ruhig fahren! Aber was wird aus der Wohnung!?“, fragte Frau Krossmann neugierig. „Vielleicht kann ich auf dem Schiff arbeiten und mir was dazu verdienen. Tja, vielleicht werde ich auch Kapitän, wer weiß. Und dann kann ich mir immer noch eine eigene Wohnung nehmen...“ Andreas überlegte. Er musste plötzlich an sein Tinchen denken. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. „Was ist los mein Kind?“, fragte die Oma besorgt und tätschelte Andreas über die Wange. „Christine...ich muss Christine alleine lassen. Sie wird mir das niemals verzeihen!“ „Ich werde sie umsorgen, mit all dem was mir zur Verfügung steht. Ihr wird es an nichts mangeln.“, versprach Frau Krossmann ihrem Enkel. Dieser nickte betroffen. „Bitte sag ihr noch nichts.“
Die Oma nickte und verschwand. Unterdessen erwachte Christine aus ihrem Schlaf und ging in die Küche herunter, um sich eine kalte Milch einzuschenken. „Hey Tinchen, gut geschlafen? Alles okay mit dir?“, fragte Andreas, der am Küchentisch saß. „Der Alte kann mich mal! Ich lass mich nicht wie Dreck behandeln, nicht mit mir!“, entgegnete sie gefrustet und nahm dabei einen großen Schluck Milch aus ihrem Glas. „Ich hab mit Oma gesprochen.“, meinte Andreas beiläufig. Christine schaute ihrem Bruder erwartungsvoll entgegen. „Und? Hat´s was ergeben?“ „Sie wird sich von nun an, um dich kümmern und dafür sorgen, dass der Alte dir nicht mehr zu nahe kommt.“ „Prima. Wo ist der Haken?“ „Was denn für nen Haken!?“ Andreas fühlte sich unwohl in seiner Haut. Er musste Christine erzählen, was er vor hatte. „Was ist los, nun sprich schon!“ „Also ich...ich werde mit der Clique für eine Weile in Urlaub fahren. Oma hat mir ihr „Ja“ Wort gegeben. Wenn ich 18 bin, komm ich das erste mal raus hier. Das ist die Gelegenheit Tinchen, glaub mir! Ich mach die Flatter und hole dich, sobald ich ne Bleibe gefunden habe! Versprochen! In ein paar Monaten sind wir hier weg und müssen nie wieder zurück! Was sagst du?“ Christine war wie erstarrt. Sie war unfähig sich aus dieser Haltung zu befreien. Es hatte ihr die Sprache verschlagen. Einerseits freute sie sich, aber was war, wenn Andreas sein Wort nicht hielt und alleine die Flatter machte und sie alleine zurück blieb!? „Tinchen?“ „Ja...schon gut, mach was du willst. Aber bitte denk an mich! Und du holst mich wirklich hier raus, wenn du ne Bleibe gefunden hast? Wirklich?“ „Ja klar, was denkst du denn von mir!? Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich niemals alleine bei dem Alten lasse, auch wenn Oma sich von nun an um dich kümmert und auf dich aufpasst.“
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 Re: Das Leben der Christine Walter

13. – Das Blatt wendet sich

„Wie ich doch sage, meine Großmutter hat mir das alles abgekauft!“, meinte Andreas mit
einem Lachen zu seinen Kumpels. „Von wegen du hast nen Job! Was hast du eigentlich deiner Schwester erzählt, holst du sie nach?“ „Ach, der hab ich irgendeine Story mit Urlaub erzählt und dass ich sie dann nachhole, ja! Es ist besser für uns beide, wenn sie mein Vorhaben nicht kennt. Ich will auf einen Kahn anheuern, dass war schon immer mein Wunsch. Ich glaube einfach nicht, dass es das richtige für Tinchen währe. Wir sind wochenlang unterwegs, ohne Nonstop. Wenn sie etwas älter gewesen währe, hätte ich gesagt okay, ich nehme sie mit, versteht ihr!? Sie hätte irgendwo abspringen können, wenn es ihr auf Dauer zu langweilig gewesen währe. Aber jetzt...!? Sie ist noch jung und unvernünftig, ich würde es mir nie verzeihen, sie irgendwo abgesetzt zu haben. Ich glaube sie ist bei unsrer Großmutter in guten Händen und der Alte wird sich schon beruhigen.“ „Und wenn nicht Andreas!? Du kannst Christine doch jetzt nicht alleine lassen, sie braucht dich!“, meldete sich nun auch Nick zu Wort, der sein Bier mit dem Feuerzeug zu öffnen versuchte. „Kann ich dir helfen!?“, unterbrach Dennis die Unterhaltung und öffnete Nick die Flasche. „Geht doch ganz einfach.“ „Ja...danke.“ „Schmeiß mir auch mal nen Bier rüber...und von Tinchen möchte ich jetzt nichts mehr hören!“, gab Andreas zu verstehen und setzte sich. „Jemand nen Plan, wo wir als nächstes zuschlagen!?“ Alle schauten zu Dennis und überlegten eifrig. Nico hatte eine Idee. „Hey Leute, ich hab´s. Wie währe es, wenn wir mal einen Blick in das alte Gemäuer am Stadtrand werfen, he? Ich hab die alte Frau schon öfter beobachtet. Um 18:00 Uhr hat die immer ihren Rundgang mit ihrem Köter. Die kommt dann erst so gegen 20:00 Uhr wieder zurück. Das sind zwei gute Stunden meine Herrschaften. Genug Zeit, um nach wertvollen Gegenständen zu suchen, was meint ihr!?“ „Okay, ich bin dabei.“, meinte Andreas. Später folgten noch Dennis und Nick. „Aber das ist das letzte mal, dass ich für euch den Arsch hinhalte, kapiert!? Ich bin raus und gehe auch nicht mit euch auf die Reise. Dieses letzte Mal noch, danach ist Schluss. Sorry Leute, aber hab die schnauze voll.“, gab Nick zu verstehen. Alle schauten ihn betroffen entgegen. „Hey Alter, was ist denn plötzlich los mit dir!?“, fragte Dennis und schlürfte an seinem Bier. „Was wollt ihr denn da auf dem Schiff!? Ihr habt doch nur Scheiße im Kopf. Euch geht es doch gar nicht darum, über das Meer zu fahren und zu erleben. Ihr wollt nur euren Spaß, euch die Birne dicht kippen und das freie Leben ohne Eltern genießen.“ „Das stimmt nicht.“, meinte Andreas plötzlich. Beide Männer schauten sich nun innig entgegen und lächelten sich aufmunternd zu, während die anderen beiden wütend das Fabrikgelände verließen. „Okay, dann gehen wir eben getrennte Wege! Wir werden schon nen anderes Abenteuer finden. Man, ihr nervt langsam mit eurem Gehabe!“, schrie Dennis noch zum Abschluss, bevor er die Tür knallte und verschwand.
„Hey Andy, nur noch drei Wochen, dann bist du auch endlich volljährig und wir können zusammen von hier verschwinden. Ich hatte es auch nie leicht bei meinen Eltern. Sie haben mich vor zwei Jahren einfach auf die Straße geschmissen. Ich musste sehen wo ich bleibe. Gut, ich hatte mit euch Freunde gefunden und hatte auch eine gute Einnahmequelle, aber jetzt möchte ich mir genau wie du, meinen Traum erfüllen und endlich ein anständiges Leben beginnen. Wir packen das schon...gemeinsam. Und Christine kannst du immer noch holen, wenn sie erst einmal volljährig ist. Aber schreib ihr ab und zu. Du willst doch sicher nicht, dass sie sich Sorgen um dich macht, oder!?“ Nick klopfte Andreas auf die Schulter. Nun verließ auch er das Fabrikgelände. Andreas legte sich müde auf dem Sofa zurück und kippte sich das Bier den Hals herunter. Er stand zwischen zwei Stühlen. Einerseits wollte er mit Nick zusammen seinen Traum verwirklichen, aber andererseits wollte er auch Christine nicht alleine lassen. Trotzdem, sein Entschluss stand fest. Er war fest davon überzeugt, dass es Christine nicht gut tun würde, wenn sie die Schule dafür abbrechen müsste, nur um bei ihrem Bruder auf ein Schiff anzuheuern. Sie würde nicht glücklich werden, so überlegte Andreas.

Als Christine nach der Schule nach Hause kam, konnte sie einen lauten Streit ihrer Großeltern vernehmen. Also schlich sie sich über den Flur an der Küche vorbei und ging schnellen Schrittes in ihr Kinderzimmer. Aber auch dort, war der Streit, den die Großeltern führten, nicht zu überhören. Es ging um Andreas. „Was hast du wieder auszusetzen Klaus, ich dachte ich tue dir Recht. Aber egal was und wie ich es mache ist es verkehrt. Wolltest du den Jungen nicht endlich loswerden!? Oder hab ich da etwas missverstanden!? Jetzt lasse ich ihm seine Freiheiten und es ist dir auch nicht recht. Klaus, er ist bald volljährig. Du kannst den Jungen nicht ewig hier einsperren und Christine genauso wenig!“ „Damals hätte ich mir so etwas nie erlauben dürfen. Andreas macht was er will und dann will der auch noch in Urlaub fahren, wovon denn?“ Herr Krossmann war aufgebracht. „Er hat einen Job Klaus. Er hat es mir selbst erzählt...außerdem, Andreas bleibt ja nicht für immer. Bitte lass den Jungen Spaß haben.“, flehte Frau Krossmann. Sie hatte ein mulmiges Gefühl bei der Sache, denn sie wünschte sich,
dass Andreas eine Wohnung finden würde und nie wieder zurück käme. „Na gut, vielleicht hast du recht.“, dachte auch Herr Krossmann in diesem Moment. Ihm war es eigentlich egal was aus Andreas werden würde. Bei Andreas war er durch, er konnte Andreas eh nicht mehr erziehen. Hoffnungsloser Fall, dachte sich der Großvater und raufte sich durch seinen langen weißen Bart. Aber Christine würde er schon Vernunft beibringen, so überlegte er. Er hatte Angst um sie, das war alles. Er wollte das Kind nicht auch noch verlieren und musste es wenn nötig mit Gewalt zwingen, anständig zu sein. Christine erinnerte ihn an seine Tochter Hannelore, auch sie war seines Erachtens viel zu früh unterwegs gewesen. Herr Krossmann gab sich die Schuld dafür, dass seine Tochter so früh schwanger geworden war. Bereits mit 17 Jahren bekam sie ihren Sohn Andreas. Mit 22 Jahren kam dann auch Christine auf die Welt. Hannelore war oftmals mit den zwei Kindern überfordert, da Herr Krossmann ihren Mann von hier vertrieben hatte. Schließlich war sie im jungen Alter von 27 Jahren an einer seltenen Krankheit gestorben. Die Kinder hatten nicht viel von ihr gehabt. Herr Krossmann hatte sehr lange um seine Tochter getrauert, aber hatte es seiner Frau und den Kindern verschwiegen. Zwei Tage nach ihrem Tod, hatte er das Grab mit einem Strauß Blumen besucht und um Verzeihung gebeten. Er wollte Christine doch nur vor ihrem Unglück bewahren. Er wollte nicht, dass sie sich gleich dem erstbesten Mann an den Hals wirft, der ihr nicht das geben würde, was sie vielleicht brauchte. Er wollte sie schützen, aber Christine reagierte abweisend, so dass ihm nichts anderes übrig blieb als ihr mit Gewalt Vernunft einzutrichtern. Das war immer noch besser, als wenn sie irgendeinem Junkie oder Alkoholiker in die Arme laufen würde, so wie es einmal ihre Mutter getan hatte. Die Krossmann´s hatten jeglichen Kontakt zu Hannelore und den Enkelkindern verloren. Hannelore hatte es ihrem Vater nie verziehen, dass er ihren Alkoholkranken Mann aus der Stadt vertrieben hatte. Sie stand zu ihrem Mann und er war kurz davor gewesen eine Therapie zu machen, für sie und seine Kinder, da war sich Hannelore immer sicher gewesen. Sie hasste ihren Vater, er war schon früher ein Biest gewesen und ihr vieles verboten in ihrer Kindheit. Außer an jenem Tag, als sie den Vater von Andreas und Christine auf einer abendlichen Party kennen lernte. Es war ihr Abschlussball, an dem ihr Vater ein einziges Mal ein Auge zugedrückt hatte. Herr Krossmann hatte es sich nie verziehen. Doch jetzt hatte er genug gegrübelt, er wollte sich jetzt nicht an damals erinnern, also beschloss er mal wieder in Rolfs Pinte zu gehen. Doch schon auf dem Weg dorthin, kehrte er nach Hause zurück. Er war schon beinahe genauso wie sein Schwiegersohn. Nein, er wollte nicht auch so enden wie er, dachte sich der Alte mit schlechtem Gewissen.
Seine Frau saß gerade mit Christine über den Hausaufgaben in ihrem Zimmer, als der Alte dieses betrat, Christine und seiner Frau ein Küsschen auf die Wange drückte und sich ins Schlafzimmer zum schlafen legte. Christine konnte sich jetzt erst recht nicht mehr auf die Hausaufgaben konzentrieren. Eine lange Zeit hielt sie sich ihre Wange und fragte sich, was mit ihrem Großvater so plötzlich geschehen war. Sie starrte dabei aus dem Fenster, während die Stimme ihrer Oma im Unterbewusstsein an ihr vorbei ging. „Christine mein Schatz, du hörst mir ja gar nicht zu..., okay, machen wir Schluss für heute, morgen ist ja Wochenende. Schlaf gut meine Kleine. Wir haben dich lieb mein Kind, vergiss das nicht.“
„Hab dich auch lieb Oma... Ach so, darf ich eben noch kurz bei Claudia anrufen!? Ist eine Schulfreundin von mir, ich mach mir Sorgen um sie.“, fragte Christine so lieb wie lange nicht mehr. „Ja doch mein Kind, aber nicht mehr so lange. Es ist schon spät.“, erlaubte die Großmutter. „Ich halte mich kurz, versprochen.“ Und schon war Christine auf dem Weg in den Flur ans Telefon. Sie kannte die Nummer auswendig und wählte aufgeregt Claudias Hausnummer. Mit zittrigen Händen hielt sie den Hörer an ihr Ohr und wartete darauf, dass sich an der anderen Leitung jemand melden würde...
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Re: Das Leben der Christine Walter

14. – Abschied

Christine versuchte es immer wieder und wählte von vorn. Sie wollte einfach nicht wahrhaben, dass bei ihrer Freundin niemand zuhause war. Tatsächlich hatte sie doch noch Glück und es meldete sich eine dunkle kratzige Stimme: „Ja? Wer stört uns um diese Zeit...!? Verdammt, ich hab gepennt.“ Christine war etwas irritiert, aber fasste schnell Mut. „Ähm...hallo Frau...ich wollte eigentlich Claudia sprechen, ist sie im Haus? Ich bin eine Schulfreundin von ihr und wollte mich mal erkundigen.“ „Moment, ich hole sie.“, meinte Claudias Mutter am anderen Ende der Leitung. „Für dich Süße...halt dich kurz, klar!?“, konnte Christine diese Frau im Suff schimpfen hören. „Ja?“, meldete sich nun Claudia. „Claudia!? Wo steckst du? Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Hier ist Christine! Ich hab alles von Andreas erfahren, ist das wirklich wahr!? Du bist heute auch wieder nicht in der Schule gewesen.“ „Ich möchte nicht darüber reden...mir geht es einfach nicht gut, nichts weiter.“, antwortete Claudia stockend. „Aber Mathias...“ „Das ist nicht wahr, er hat mir nie wehgetan! Es ist freiwillig geschehen, wirklich. Dein Bruder spinnt sich da was zusammen, glaub mir.“ „Aber Claudia...das würde Andreas niemals tun.“ „Was würde er niemals tun?“, hakte Claudia nach. „Na...mich anlügen natürlich.“ „Du hast ja überhaupt keine Ahnung Christine. Ich wollte dich nicht als Freundin verlieren, deshalb hab ich die Klappe gehalten, verstehst du?“ „Was? Ne! Ich versteh gar nichts mehr. Los, raus mit der Sprache, was ist passiert!?“, fragte Christine angespannt in den Hörer. Sie sah ihre Großmutter bei sich im Flur stehen, diese deutete auf die Uhr. „Du Claudia, ich muss Schluss machen, können wir uns morgen treffen? Dann können wir das in Ruhe besprechen.“ „Nein, geht leider nicht. Bin schon verabredet...mit Mathias.“ „Mit Mathias?“ Christine stand der Mund offen und Frau Krossmann beobachte ihre Enkeltochter besorgt und fragte sich was da los war zwischen Christine und ihrer Schulfreundin. So hatte sie ihre Kleine noch nie gesehen. „Ich lass dich besser allein, aber wirklich nicht mehr so lange, okay?“, sprach die Oma. Christine nickte und Frau Krossmann verschwand in die Küche. „Ja, wir lieben uns.“, ging das Gespräch am Telefon weiter. „Aber...“ „Nichts aber, Mathias ist ein lieber Mensch. Dein Bruder scheint was missverstanden zu haben.“ „Das glaub ich dir nicht.“ Christine verstand nur Bahnhof. „Andreas hat dich nicht nur einmal angelogen Christine. Mathias hat mir alles erzählt, was bei denen alles abging. Die haben mit Diebesgut gedealt und das an Leute mit viel Kohle vertickert. Was meinst du, warum Andreas so viel Geld hatte. Er hat alles für eine Reise gespart. Er schwärmte ständig von seinem Traum auf einem Schiff. Das hat mir alles Mathias erzählt. Er wollte aussteigen, weil ihm die Sache langsam zu heikel wurde, aber das gefiel Andreas nicht besonders. Die beiden kamen in eine Rangelei. Mathias konnte sich gerade noch losreißen und davonlaufen. Ich bin mit ihm gegangen, weil ich Angst vor Andreas hatte und ich und Mathias uns lieben. Wir hatten uns an dem Tag sehr gut verstanden, bis Andreas dazwischen platzte. Andreas hat dich die ganze Zeit verarscht Christine!“ Christine schluckte. Ihr war abwechselnd heiß und kalt. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden und glauben wollte sie das ganze schon mal gar nicht. Aber auch bei Claudia war sie sich immer sicher gewesen, dass diese sie nie anlügen würde. „Sehen wir uns Montag in der Schule?“, fragte sie. „Vielleicht.“, entgegnete Claudia. „Bis dann.“, sprach Christine und legte den Hörer auf die Gabel.

Niemand wusste, dass Mathias Claudia nur nach kurzer Zeit nach der Vergewaltigung noch einmal aufgespürt hatte, um ihr zu drohen. Er hatte Claudia gedroht, wenn sie irgendjemanden davon erzählen würde, währen Andreas und Christine die ersten, die mit dem Leben dafür bezahlen müssten. „Lass dir irgend eine Story einfallen. Wenn du immer schön brav bist, werde ich dir nie wieder wehtun. Ach...noch etwas! Du wirst mir helfen, die Kohle ranzuschaffen. Ich will schließlich auch irgendwann die Düse machen. Wenn du nicht tust was ich dir sage, kann ich dir gerne zeigen was dann passiert.“, hatte Mathias ihr ins Gewissen gesprochen. „Und ich will, dass du Christine nie wieder siehst. Eure Freundschaft kann hier keiner gebrauchen, wer weiß was Andreas ihr erzählen wird. Das Risiko ist mir zu groß. Du wirst ihr die Freundschaft kündigen und immer schön die Klappe halten. Ich werde auf dich aufpassen meine Süße und immer in deiner Nähe sein, also wag es ja nicht mich zu verarschen Baby!“ Claudia war verzweifelt und hatte so viel Angst, dass sie sich auf alles eingelassen hatte. Mathias war ihr bisher nicht mehr zu nahe gekommen und solange sie das tun würde was er ihr sagte, konnte ihr nichts passieren, so dachte sie. Sie war zur Dealerin geworden und hatte Christine jetzt am Telefon belogen, genau so wie es Mathias haben wollte. Sie hatte Christine einen großen Bären aufgebunden. Claudia war sich sicher, dass Christine sich erst einmal nicht mehr melden würde, da sie ihrem Bruder mehr Glauben schenkte, als ihr.
Nach dem Telefonat brach Claudia in Tränen aus. Sie hatte Christine nicht nur angelogen, dass die Sache mit Mathias anders verlaufen war, sondern
auch Andreas in die Scheiße geritten und die beiden Geschwister gegeneinander aufgehetzt. Sie konnte so nicht mehr weiter leben. Ihre erste und einzige Freundin so zu hintergehen, war das allerletzte, dachte sie sich und startete einen Suizidversuch...

Andreas war an diesem Abend nicht nach Hause gekommen. Und gerade jetzt, dachte sich Christine. Gleich am nächsten Morgen stürmte sie aus dem Haus, um sich auf den Weg zu Andreas zu machen. Sie wusste ja, wo sie ihn finden würde. Sie musste unbedingt mit ihm sprechen. Auf dem Weg dorthin, traf sie zufällig im Bus auf Claudia, die auf dem Weg zum Bahnhof war. „Was machst du denn hier?“ Erschrocken schauten sich die beiden entgegen. „Ich hau ab.“, entgegnete Claudia. „Nein! Du kannst mich doch jetzt nicht einfach hängen lassen, ich denke wir sind Freundinnen.“ Christine hielt sie an der Schulter zurück. „Lass mich Christine, wir sind keine Freundinnen mehr.“ „Aber wieso denn? Was ist denn los mit dir? Ich hab mir die ganze Zeit Sorgen um dich gemacht. Ich könnte Andreas echt umbringen! Jetzt wird mir einiges klar, wo er auch das Geld für den Urlaub her hat. Er hat mir die ganze Zeit nur was vorgemacht und schon viel viel länger geplant. Er wollte mich nachholen verstehst du!? Aber langsam glaub ich auch das nicht mehr. Du bist die einzige die ich noch habe, bitte bleib hier Claudia! Und das mit dem Schiff wusste ich auch nicht. Der will echt von hier wegfahren!?“
„Wenn ich´s doch sage!“, meinte Claudia und riss sich los. Sie sprang aus dem Bus und rannte Richtung S-Bahn. Auch Christine stieg aus und lief so schnell sie konnte hinter Claudia her. „Wir können uns gegenseitig helfen...ich bin immer für dich da, vergiss das nicht! Mensch, was hast du denn?“, schrie Christine ihrer Freundin hinterher. Tränen standen ihr in den Augen. Aber nicht nur sie war zutiefst verletzt, sondern auch Claudia kamen die Tränen. Der Zug fuhr ein, Claudia drehte sich noch einmal zurück zu Christine und rannte auf sie zu. Sie hielt ihre Freundin noch ein letztes mal an den Schultern. „Es tut mir so leid Christine...aber ich hab dich angelogen. Schau her!“ Claudia hielt Christine ihren Arm hin, der verbunden war. „Ich hab versucht mich umzubringen, ich bin nicht die, für die du mich hältst. Ich bin die jenige die dich verarscht hat! Gut, Andreas hat krumme Dinger gedreht, aber Mathias ist viel schlimmer!“ Christine schüttelte mit dem Kopf. „Nein Claudia, bleib hier, wo willst du denn hin?“
„Weit weg, ich will nicht, dass er mich findet. Ach...noch was! Andreas liebt dich Christine, er hat dir die Wahrheit gesagt, was Mathias angeht! Er nimmt dich bestimmt mit auf sein Schiff! Pass gut auf dich auf, ich hab dich lieb.“ Und schon war Claudia im Wagon verschwunden und die Sirene der Türen ertönte. Christine sah, wie die Türen des Zuges schlossen und der Zug davon rauschte. Für sie, unbekannt wohin...

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Re: Das Leben der Christine Walter

15. – Die Straßen von Berlin

Allein blieb sie zurück. Einsam und verlassen stand Christine auf dem Bahnhof. Langsam ging sie auf die Treppen nach oben zu. Ihre Knie waren weich und sie hatte das Gefühl gleich den Boden unter ihren Füßen zu verlieren. Oben angekommen, schaute sie verschwommen auf die Menschenmassen. Sie wusste noch nicht einmal wo sie genau war. Umgeben von irgendwelchen Schildern, Plakaten, Menschenmassen, die alle eine andere Richtung einschlugen. Sie hatte die totale Orientierung verloren und weinte still in sich hinein. Es stimmte also doch, Mathias hatte Claudia vergewaltigt und das war auch der Grund dafür, dass Claudia jetzt das Weite suchte. Sie wollte Mathias nie wieder begegnen. Verständlich, dachte Christine, aber Claudia hatte sich einfach so aus dem Staub gemacht. Sie hätte Claudia so gerne geholfen, stattdessen ließ Claudia sie jetzt einfach im Stich. Auch Andreas hatte ihr nicht die ganze Wahrheit gesagt. Sie wusste überhaupt nicht mehr wo ihr der Kopf stand und was sie denken oder besser glauben sollte. Was hatte es mit dem Schiff auf sich? Wollte Andreas damit übers weite Meer fahren? Aber wann würde er wieder kommen und sie holen?, fragte sie sich. Sie fühlte sich von ihrem Bruder hintergangen. Er hatte viele Geheimnisse. Auch von seiner Dealerei hatte sie bis gestern Abend noch nichts gewusst. Von wegen, er hatte einen Job gefunden. „Er hat mich die ganze Zeit verarscht, mich haben alle verarscht! Niemand will noch was mit mir zutun haben. Der Alte nicht, Claudia nicht und Andreas erst recht nicht! Alle lassen mich allein.“, dachte sie und weinte bitterlich. Da sie überhaupt nicht mehr wusste, aus welcher Richtung sie gekommen war, ging sie ziellos durch die Straßen und verkroch sich in einer dunklen Ecke Berlins. „Andreas!!!“, schrie sie verzweifelt. Sie wusste nicht wo sie war, sie hatte Angst nie wieder nach Hause zu finden. Aber wollte sie wirklich nach Hause zurück? Nein! Dort war sie nicht mehr erwünscht. Was war mit ihrer Oma? „Liebt sie mich überhaupt? Hat mich überhaupt je einer geliebt?“ Tränen schossen dem Kind in die Augen. Ihre Haare fielen ihr nass ins Gesicht, sie wusste nicht mehr ein noch aus. Sie wollte nie wieder zur Schule, nie wieder nach Hause. Christine wollte sich nie wieder jemanden anvertrauen, der sie dann letzten Endes wieder verletzte. Sie hatte niemanden mehr und musste sich nun alleine irgendwie durchschlagen, aber wie?, fragte sie sich. Ihr Herz raste und ihr Magen zog sich in sich zusammen, vor lauter seelischen Schmerz, den sie zu erleiden hatte. Und dabei war sie gerade dabei, wieder an das Gute zu glauben. Sie dachte wirklich, dass es jetzt wieder aufwärts ging, aber ihr ganzes Leben war bisher scheiße verlaufen, wieso sollte ausgerechnet jetzt, alles wieder gut werden? Christine hatte alle Hoffnung verloren, vergrub ihren Kopf immer weiter in ihre Beine, die sie an ihren Körper gewinkelt hatte. So saß sie die ganze Zeit an einer alten Steinmauer gelehnt in der Gasse und ließ ihrer Trauer und ihren Schmerz freien Lauf. Ein alter Mann hatte das Mädchen irgendwann Tränenaufgelöst entdeckt und hatte gleich die Polizei verständigt. Christine wurde aufs Polizeirevier gebracht und musste sich vielen sinnlosen Fragen aussetzen. „Wo wohnst du denn Kind? Bist du abgehauen?“ „Nein...ich bin nicht abgehauen! Hab mich nur verlaufen!“, antwortete Christine unter Tränen. Bevor sie noch gewaltigen Ärger bekommen würde, verriet Christine die Adresse zu ihrem Haus, in dem sie mit den Großeltern lebte. Sie wurde von zwei Beamten sogar noch bis zur Haustür gebracht. Der Großvater bekam einen halben Herzinfarkt beim Anblick seiner Enkelin. „Na los, ab in dein Zimmer du Rumstreicherin!“, schrie er aufgebracht und hörte sich an, was die Beamten zu sagen hatten. „Wir haben das Mädchen total verstört in Berlin-Mitte in einer dunklen Gasse gefunden. Passen Sie bitte auf ihre Tochter auf Herr...“ „Krossmann!“ „Herr Krossmann! Sie erschien uns sehr traurig. Vielleicht klärt sich alles auf bei einem Gespräch zwischen Vater und Tochter.“ „Ja sicher, ich werde mit ihr reden.“, meinte der Großvater und ließ die Tür ins Schloss fallen. Wütend stampfte er zu Christine ins Zimmer. „Mädchen, was fällt dir eigentlich ein, dich so rumzutreiben!? Und dich dann auch noch von den Bullen erwischen zu lassen, he? Bist du mir keine Rechenschaft schuldig!?“, schrie der Großvater zornig. Christine lag in ihrem Bett und Herr Krossmann schlug die Decke auf. „Ich hab dich was gefragt! Antworte mir gefälligst!“ Frau Krossmann kam ebenfalls dazu. „Was ist denn hier los?“ „Die Polizei war gerade hier...haben die Göre nach Hause gebracht!“ „Lass mich mal mit ihr reden.“, versuchte die Großmutter, aber Herr Krossmann wollte das selber mit Christine klären. „Was soll ich noch machen Christine!? Ich verliere langsam die Geduld mit dir! Was hat dich jetzt schon wieder zu so einem Unfug getrieben!?“ „Ich...ich...bitte Opa...ich hab das nicht gewollt.“, verteidigte sich Christine ängstlich. „Was hast du nicht gewollt!? Du bist einfach abgehauen mein Fräulein und das schon seid heute morgen!“ „Ich wollte doch nur...“ „Zu deinem Bruder, ich weiß! Aber der hat die Flucht ergriffen! Konnte ihm gar nicht schnell genug gehen, von hier zu verschwinden.“ „Aber...Oma!?“ „Es ist wahr mein Kind. Ich und dein Großvater waren einsichtig und haben deinem Bruder schon früher erlaubt, für ein paar Wochen mit seinen Freunden wegzufahren.“, entgegnete Frau Krossmann. „Er hat dir doch davon erzählt, oder?“, hakte sie nach. Christine nickte mit dem Kopf. „Wird er zurückkommen?“ Die Großmutter schaute verschämt zu Boden. „Aber sicher Christine! Denkst du ich lass deinen Bruder einfach so abhauen!? Da hat der sich aber geschnitten!“, antwortete Herr Krossmann aufgebracht. „So lange ihr beiden unter meinem Dach wohnt, habe ich hier das Sagen! Du hast zwei Wochen Hausarrest, damit das klar ist! Ach...und bevor deine Schularbeiten nicht erledigt sind, bleibst du in deinem Zimmer! Haben wir uns verstanden!? Und Oma wird dir jetzt auch nicht dabei helfen! Ich will was sehen Christine, du musst endlich eigenständig werden!“ Die Großeltern verschwanden und Herr Krossmann schloss die Tür von außen ab. Frau Krossmann hatte Mitleid mit ihrem Mädchen, aber wahrscheinlich hatte ihr Mann recht und Christine würde es vielleicht doch alleine schaffen mit den Hausaufgaben. Vielleicht war ihr das auch eine Lehre, nie wieder ohne hinterlassener Nachricht, das Haus zu verlassen, dachte sich die Oma. Sie musste jetzt stark sein, auch wenn es ihr in der Seele wehtat, Christine alleine in ihrem Zimmer einzusperren.
Und tatsächlich, Christine schlug ihr Heft und Buch auf. Wo war sie mit ihrer Oma gestern stehen geblieben!? Sie wusste es nicht mehr genau. Sie holte einen Stift aus ihrer Federtasche, aber war unfähig die Aufgaben zu bewerkstelligen. Sie wusste noch nicht einmal wie die Aufgabe lautete und was sie tun musste. Sie gab auf, schmiss ihre gesamten Schulsachen mit einem Satz vom Schreibtisch und trampelte darauf herum. Dann öffnete sie ihr Fenster. Sofort kam ihr eine Idee. Dieses mal würde sie richtig abhauen. In ihrem Kopf hämmerte es wie wild. Andreas hatte sie doch tatsächlich allein gelassen, wie jeder andere auch. Sie wollte und konnte es nicht verstehen, aber ihr blieb keine Zeit zum Nachdenken. „Er hat sich noch nicht mal von mir verabschiedet. Ich bedeute ihm gar nichts mehr.“ In diesem Moment der tiefsten Traurigkeit und Verletzbarkeit wünschte sie sich ihre Mutter Hannelore zurück. Sie brauchte dringend jemanden der sie in den Arm nahm und sie einfach nur tröstete und ihr Halt gab, den sie nie bekommen hatte. Liebe hatte Christine nur selten mit ihrem Bruder erlebt. Das war die einzige Liebe, die Christine kannte. Die liebe zum eigenen Fleisch und Blut, ihrem Bruder. Doch jetzt war auch diese Liebe für immer ausgelöscht. Andreas würde nie wieder zurückkehren, da war sich Christine sicher. Sie packte sich ihren Rucksack notdürftig zusammen. Geld und Essen besaß sie nicht, dafür aber was warmes zum anziehen und ein Stofftier für Einsame Stunden und nicht zu vergessen die Strickdecke ihrer Mutter. Ganz leise und vorsichtig kletterte Christine aus ihrem Zimmerfenster und sprang von zwei Meter Höhe nach unten in den Garten. Sie hatte sich dabei zwar fast alle Knochen gebrochen, aber das hinderte sie keineswegs die Flucht zu ergreifen. Innerhalb von Sekunden war sie außer Reichweite. Sie war mit dem Bus zum zoologischen Garten gefahren und ließ sich nun dort erschöpft auf einer Bank nieder...




Re: Das Leben der Christine Walter

16. – Die Versuchung

Eine Herde von Menschen lief an ihr vorbei, Christine war völlig orientierungslos. Einerseits fühlte sie sich das erste mal so richtig frei, aber andererseits fühlte sie sich auch so einsam wie nie zuvor in ihrem Leben. In ihrem Kopf hatte sie sich schon von jedem Menschen verabschiedet, der ihr etwas bedeutet hatte. Für sie war es schon beschlossene Sache, ihr Ding alleine durchzuziehen und von nun an ihr Leben alleine in die Hand zu nehmen. Es war ja eh keiner mehr da, alle hatten sie im Stich gelassen. Christine brauchte sehr lange, um über ihren Schmerz hinweg zu kommen, aber je länger sie so allein auf der Bank saß, desto wütender wurde sie. Traurigkeit!? Nein! Es war Hass, purer Hass! “Ich komm auch gut alleine klar. Ich werde es euch allen beweisen, ich scheiß auf euch!“, waren ihre Gedanken. Doch wenn sie es wirklich schaffen wollte, musste sie sich einen anderen Ort suchen. Hier mitten am Berliner Zoo konnte sie nicht bleiben. Hier würde sie sofort gefunden werden. Und Christine hatte nun wirklich keine Lust mehr auf die Bullen, die sie dann womöglich wieder nach Hause zurück brachten. Ihr Magen knurrte schon unaufhörlich. Sie hatte heute noch so gut wie gar nichts gegessen. Christine war so hungrig, dass sie ein paar ältere Herrschaften fragte, ob sie ihr vielleicht etwas Geld geben könnten. Das erste mal scheiterte sie prompt. „Scheiß Geizhälse!“, schrie sie verärgert. Aber schon nach weniger Zeit hatte sie ein nettes Pärchen gefunden, das ihr ein wenig Geld zusteckte. Aber das langte nicht. Mit 0,50 Pfennig konnte Christine ihren Hunger nicht stillen. Nach ein paar unzähligen Stunden hatte Christine all ihre Kraft verloren. Sie war Meilen weit durch die Stadt gelaufen, ohne Ziel. Ihre Füße taten ihr weh vom vielen Laufen, sie wusste sich einfach nicht anders zu helfen, als etwas mitgehen zu lassen. Es war für Christine immer das schlimmste gewesen, wenn jemand klauen gehen, oder irgend eine Krumme Nummer durchziehen musste aber jetzt war alles anders und vor allem hatte sie Hunger. Sie brauchte schließlich Nahrung, um über die Runden zu kommen. Ihr Blick viel auf einen Supermarkt, der in unmittelbarer Nähe vor ihr lag. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen, hinten auf trug sie ihren roten Rucksack, der gut zu ihrer Roten Stoffhose und ihrer schwarzen Lederjacke passte...
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Re: Das Leben der Christine Walter

17. – Das Angebot

Christine spürte ihren Puls immer höher schlagen und ihr Herz klopfen. Gleich würde sie dieses Geschäft betreten und das erste Mal in ihrem Leben etwas verbotenes tun. Sie hielt plötzlich inne, weil sie an Claudia denken musste. Vor den Passanten tat sie so, als würde sie sich draußen die Werbeschilder durchlesen. Claudia war ihre einzige Freundin gewesen und sie hätte sie so gerne vor allem bewart. Christine konnte sich noch gut an den Tag erinnern, als sie beide auf der Bank saßen und Claudia ihr offenbarte, dass sie Diebstahl begehen musste, da ihre Eltern nicht im Stande waren sie zu versorgen. Das tat Christine so unendlich leid und sie hatte dafür gekämpft, dass Claudia nie wieder stehlen musste und hatte Andreas um Rat gebeten. Aber das waren alles alte Geschichten, wie Christine schnell merkte. Sie senkte den Blick und starrte einige Zeit auf den Boden zu ihren Schuhen hinunter. Claudia hatte sie alleine gelassen und Andreas war auch nicht mehr da. Er hatte sich noch nicht einmal mehr von ihr verabschiedet. Das letzte Mal ist sie ihm in der Küche ihres Wohnhauses begegnet, wo er ihr versprochen hatte, sie nach zuholen, wenn er eine Wohnung gefunden hatte. Ihr schossen in diesem Moment so viele Gedanken in den Kopf. Plötzlich dachte sie darüber nach, wie Andreas wohl wirklich zu dem vielen Geld gekommen war, um seinen Traum von der ewigen Freiheit ausleben zu können. Hatte Claudia recht mit ihrer Behauptung, Andreas hätte mit Diebesgut gedielt!? Christine schlug sich die Hände an den Kopf, ihr war das jetzt alles zu kompliziert. Jeder andere tat krumme Dinger, selbst Andreas hatte sie hinter ihrem Rücken nur verarscht. Er hatte es genauso dick hinter den Ohren. Warum sollte ausgerechnet sie jetzt brav bleiben!? Die anderen hatten es ja auch geschafft und so wie es schien, hatte es niemanden besonders interessiert. Außer sie selbst hatte sich immer Gedanken gemacht und es als eine Straftat angesehen.
„Scheiß drauf, mir bleibt nichts anderes übrig.“, gab sie sich den Mut und steuerte gezielt die Tür des Geschäftes an. Sie zog erst einmal ein paar Runden durch die vielen Gänge des Geschäftes und öffnete unauffällig Spalt für Spalt ihren Rucksack. Dann ging sie zurück in den ersten Gang mit den vielen Fruchtsäften. Sie hatte mordsmäßigen Durst. Würden zwei Caprisonnen erst mal reichen!? Ja, sie konnte schließlich nicht das halbe Sortiment in ihren Rucksack stopfen. Das würde sonst auffallen, dachte Christine angestrengt, aber blieb äußerlich total cool. So, die Caprisonnen waren unauffällig verschwunden, jetzt ging Christine lässig in den nächsten Gang mit den Keksen. Zur Kontrolle schaute sie sich noch einmal nach links und dann noch einmal nach rechts um. Es war keine Menschenseele zu erkennen, also landete auch die Schachtel Kekse unbemerkt in ihren Rucksack. Christine wischte sich die Schweißperlen aus der Stirn. „Puh“, stieß sie teils erleichtert, aber auch ängstlich aus. „Das hätten wir auch geschafft.“ Sie ging wenige Zeit später durch die Molkereiabteilung, dabei fiel ihr Blick auf eine junge Verkäuferin, die gerade ein paar Joghurts in die Kühlung sortierte. Schnellen Schrittes ging sie an ihr vorbei und bog in den nächsten Gang ab. „Scheiße.“, fluchte sie. Zu gerne hätte sie vielleicht noch ein paar Milchschnitten mitgenommen. Da kam Christine plötzlich eine Idee und fasste sich an den Kopf. „Man bin ich blöd, natürlich!“ Sie ging noch einmal zurück, nahm eine Packung Milchschnitten aus dem Regal und ging unauffällig damit weiter. Doch in diesem Moment tippte ihr jemand auf die Schulter, so dass sie vor Schreck die Milchschnitten in ihrer Hand fallen ließ. „Christine!?“, ertönte eine helle Stimme hinter ihr. Sie drehte sich ertappt nach hinten. Im ersten Moment dachte sie schon, es wäre aus und vorbei und sie würde jetzt mächtigen Ärger bekommen, aber im nächsten Moment, als sie der Verkäuferin in die Augen schaute erkannte sie darin ein bekanntes Gesicht. Es war Diana aus der Realschule nebenan, mit der sie einst zusammen die Grundschule besucht hatte. „Ähm...hallo Diana. Was…? Ich meine, was machst du denn hier!?”, stammelte sie ihre Worte zusammen. „Ich arbeite hier, was sonst!? Und du?“ Diana und Christine gingen gleichzeitig in die Hocke, um die heruntergefallene Packung Milchschnitten aufzuheben, dabei berührten sich ihre Hände unabsichtlich. Beide schauten sich lächelnd entgegen und blieben ein paar Sekunden, in denen es Christine wie eine Ewigkeit vorkam, in dieser Position. Als Christine die Packung wieder an sich genommen hatte, legte ihr Diana die Hand auf die Schulter. „Hey, tut mir leid, ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Halb so wild.“, antwortete Christine gespielt locker, dabei raste ihr Herz immer noch wie wild. „Sag schon, was führt dich denn hier her in die Innenstadt von Berlin?“, hakte Diana erneut nach. „Na siehste doch, ich gehe shoppen!“, lachte Christine und wedelte mit der Packung Milchschnitte in ihrer Hand. Auch Diana prustete laut los. „Wegen ner Packung Milchschnitte!?“ Die beiden Mädchen amüsierten sich köstlich. „Nein, jetzt mal Spaß beiseite. Ich denk dein Großvater ist so streng und hat ein wachsames Auge auf dich!? Und...überhaupt, was willst du dir schon groß kaufen, hier ist doch eh alles zu teuer.“, meinte Diana. „Ach quatsch, ich wollte nur mal so rumgucken. Mein Taschengeld langt hinten und vorne nicht. Aber für ne kleine Mahlzeit zwischendurch reicht es noch. Und der Alte...der hat jetzt nichts mehr zu melden und meine Oma auch nicht.“, entgegnete Christine trocken. „Du bist also heimlich in die Stadt gefahren? Oder...bist du von zuhause abgehauen!?“ Christine nickte. „Ja, hab es einfach nicht mehr ausgehalten, aber sag niemanden was, bitte. Und mach dir keine Sorgen, komm schon klar! Ich muss dann auch mal weiter...man sieht sich vielleicht irgendwann mal wieder.“ „Warte Christine!“, rief Diana empört. „Ich dachte, na ja...wir unternehmen mal was zusammen. Dann kann ich dir gerne mal die Stadtmitte zeigen.“ „Klar.“, war Christines Kommentar, dabei verdrehte sie die Augen. „Ich bin auf der Flucht sozusagen. Wie stellst du dir denn das vor, hm!?“
„Na ja, du gehst doch bestimmt wieder nach Hause zurück. Komm schon Christine, wo willst du denn schlafen? Sei vernünftig, dass bringt doch nichts.“ „Du hast ja keine Ahnung! Wenn ich zurück gehe, dann schlägt mich mein Alter windelweich! Der tobt bestimmt schon wie wild, weil ich nicht da bin.“ „Und wenn du mit zu mir nach Hause kommst? Meine Mutter hat bestimmt nichts dagegen. Außerdem kennt sie dich nicht und deine Großeltern kennen mich nicht. Bei mir bist du erst mal sicher. Meiner Mutter können wir ja erzählen, dass du eine alte Freundin von mir bist und du bei mir schlafen willst, da dich deine Eltern für ein paar Tage bei den Großeltern abgesetzt haben und es dir dort zu langweilig ist.“ „Na ich weiß nicht...ich...“ überlegte Christine verkrampft. „Na komm schon, ich hab in einer Stunde Feierabend und dann nehme ich dich mit.“ „Okay, ich überleg´s mir bis dahin. Ich geh dann noch eine Weile umher und vertreibe meine Zeit.“ „Okay. Ich erwarte dich in einer Stunde vor dem Eingang, tschüssi.“, gab Diana zurück. „Ciao.“ Christine verschwand. Während sie durch die Drogerieabteilung ging, legte sie die Milchschnitten in irgendein Regal zurück und zog den Reisverschluss ihres Rucksackes wieder zu. Dann betrat sie die Kassenzone und nahm sich eine Packung Kaugummi zur Hand und legte sie aufs Laufband. „49 Pfennig bitte.“, hörte sie die Kassiererin sagen. Sie zückte ihr 50 Pfennigstück und legte es der Kassiererin in die Hand. „Danke, schönen Tag noch Kleine.“ „Danke, auch so.“, gab Christine verschmitzt lächelnd zurück und verließ das Geschäft durch die Ausgangstür. Etwa zweihundert Meter weiter öffnete Christine das erste mal wieder ihren Rucksack und nahm sich eine Caprisonne zur Hand und trank sie in einem Zug leer. Dann riss sie die Verpackung der Kekse auf und stopfte sich einen Keks nach dem anderen in sich hinein. Sie hatte durch Diana ein verstärktes schlechtes Gewissen bekommen, da diese schließlich in diesem Laden arbeitete. Aber Christine hatte es geschafft und war auch wahnsinnig stolz auf sich.

Würde sich Christine nachher auf den Weg zurück zu Diana machen und ihr Angebot annehmen und ein paar Nächte bei ihr verbringen, bis ihr eine andere Idee gekommen war!? Wieso tat Diana das für sie? War sie etwa eine bisher unentdeckte Freundin, die Christine noch hatte!? Und warum akzeptierte Diana ihre Entscheidung und ließ sie nicht hochgehen? Jeder andere hätte sie jetzt gezwungen wieder nach Hause zurückzukehren, aber Diana...!? Christine fand keine Antworten, aber es tat ihr gut, jemanden gefunden zu haben der ihr hilft und für sie da war in dieser verflixten Situation. Die erste Frage war für sie somit beantwortet...
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 Re: Das Leben der Christine Walter

18. – Reingeplatzt und abgeführt

Christine schaute auf die Uhr, sie musste los. Schon vom Weiten sah sie
Diana vor der Eingangstür des Geschäftes stehen und winkte ihr zu. Diana
huschte ein Lächeln ins Gesicht. „Freut mich, dass du da bist.“, meinte sie und legte den Arm um Christines Schultern. „Komm, ich zeig dir jetzt mein Zuhause. Hab keine Angst, meine Mutter sieht das bestimmt total locker.“ „Wenn du meinst.“, antwortete Christine knapp und lehnte sich wohlfühlend an Dianas überaus weiblichen Körper. Es tat ihr gut nicht alleine zu sein.
Als sie den Pat zu den Hochhauswohnungen folgten, bekam Christine auf einmal ein mulmiges Gefühl. Hier sah alles so Asssozial aus, der Putz bröckelte und die Wände waren mit Schriftzügen und bunter Farbe zugekliert, es roch außerdem überall abscheulich nach Urin. „Schau dich am besten gar nicht um, hier laufen Gestalten rum, denen man besser nicht begegnen will. Am besten wir gehen gleich rauf in mein Zimmer, da sieht es schon ganz anders aus.“ Diana war nicht entgangen, dass Christine sich vor den neuen Eindrücken fürchtete. Kurzer Hand zückte sie ihren Schlüsselbund und öffnete die Tür zur Eingangshalle. Im Treppenhaus wurde der Gestank noch unerträglicher für Christine, so dass sie sich die Nase zuhalten musste. „Gleich hast du es überstanden, wir sind gleich da.“ Diana schob Christine mit sich in den Fahrstuhl und fuhr mit ihr zwei Stockwerke höher. Dann standen sie vor ihrer Wohnungstür und wurden von der Mutter freundlich begrüßt. „Guten Tag Frau Ulme!“, gab Christine freundlich zu verstehen und hielt ihr anständig die Hand hin. Die Frau wand sich an ihre Tochter: „Magst du mir deine Freundin denn nicht vorstellen?“ Doch bevor Diana darauf Antwort geben konnte, platzte es aus Christine heraus: „Ich bin Christine, Christine Walter!“, meinte sie mit einem schelmischen Grinsen auf dem Gesicht. „Du hast mir nie was von einer Christine erzählt Diana.“ „Ja Mama, weil wir uns noch nicht so lange kennen. Sie geht in die Haupt nebenan, da haben wir uns irgendwann näher kennen gelernt.“, wich Diana ihrer Mutter aus, zerrte Christine zu sich ins Zimmer und schloss die Tür ab. „Man, die nervt!“ „Wieso denn? Deine Mutter ist wirklich nett. Schön hast du´s hier!“ Christine schaute sich um und nahm neugierig, dennoch zaghaft ein paar Sachen von Diana ins Visier und betrachtete sie staunend in ihrer Hand von allen Seiten. „Bist du das?“, fragte sie und hielt ein Foto nach oben. „Ja, da hatte ich meine erste Reitstunde.“ „Schönes Bild.“, sprach Christine und mochte es gar nicht mehr hergeben. „Wenn du willst können wir auch mal dort hin! Dann kann ich dir meine Pferde, die ich zur Pflege habe zeigen.“ „Echt!? Spitze! Darf ich dann auch mal reiten?“ „Klar, sogar stundenlang wenn du willst!“, lachte Diana. Wie kindlich und gleichzeitig erwachsen Christine doch war. Ihr Wesen und ihre Art gefielen ihr, von diesem verschmitzten Lächeln ganz zu schweigen. „Danke Diana!“, erwiderte Christine und stellte das Foto zurück an seinen Platz. „Mach´s dir doch gemütlich und zieh deine Jacke aus.“ Diana zeigte mit der Hand auf ihr Bett und Christine setzte sich. „So ein großes Zimmer hätte ich auch gerne.“, kam ein wenig Neid aus Christine hervor. „Ich musste mir meins jahrelang mit meinem großen Bruder teilen, ich hatte nie wirklich was für mich allein. Und jetzt wo er weg ist, ist das Zimmer so gut wie leer. Auch ein bisschen einsam...“ „Bist du deshalb abgehauen?“, wollte Diana wissen. „Auch.“, gab Christine verbittert Antwort. „Alleine mit dem Alten!? Nein danke! Der macht mir das Leben zur Hölle, das kannst du mir glauben.“ „Was ist denn vorgefallen?“ Diana setzte sich zu Christine auf das Bett und legte ihre Hand auf Christines Knie. Dabei bekam Christine eine Gänsehaut. Es tat ihr so gut, Dianas Nähe zu spüren, sie konnte sich nur noch nicht erklären warum. „Der Alte wollte mich sowieso nicht mehr und in ein Heim abschieben! Hab ne Mücke gemacht und wurde prompt von den Bullen erwischt und zurück nach Hause gebracht. Der Alte hat mir das halt mächtig übel genommen.“ Jetzt fielen ihr wieder Andreas und Claudia ein und sie musste anfangen zu weinen. „Und jetzt bist du schon wieder abgehauen Christine!? Warum?“ Diana drückte Christine fest an sich und streichelte ihr fürsorglich über den Kopf, um sie zu beruhigen. „Hab ich doch gesagt, ich hab´s einfach nicht mehr ausgehalten. Alle haben mich im Stich und alleine bei dem Alten zurückgelassen!“, brach es nun aus ihr heraus. „Hey, nun hast du doch mich!“, gab Diana zu verstehen und nahm Christines Gesicht in ihre Hände. Sofort war Schluss mit der Heulerei, als Diana ihren Finger langsam über Christines Lippen gleiten ließ. Christine war elektrikzitiert und für einen Moment total überfordert. Doch dann wollte sie Diana zeigen, wie dankbar sie ihr für alles war und schloss die Augen. Im nächsten Augenblick küssten sich die beiden und ließen sich nach hinten fallen. Liebkostungen nahmen ihren Lauf und Christine hatte Spaß daran Dianas weiblichen Körper zu umschmeicheln und zu erkunden...

Das wilde Klopfen an der Tür wollten Christine und Diana am liebsten gar nicht wahrnehmen, aber zogen sich dann doch unfreiwillig wieder an. Diana lief zur Tür und öffnete sie. Da stand ihre Mutter, die ihr anscheinend was wichtiges mitteilen wollte. Doch Diana ergriff vor ihr das Wort: „Darf Christine für ein paar Tage bei uns bleiben Mama?“ „Ich fürchte da gibt es ein Problem.“, sagte die Mutter und hinter ihr, steckte ein Beamter im blauen Kostüm seinen Kopf in die Tür. „Darf ich!?“, fragte er. „Ja, ähm...nein!“, überschlug sich Dianas Stimme. Christine hatte gerade den Knopf ihrer Hose geschlossen, als der Beamte ins Zimmer trat. „Christine Walter!? Sofort mitkommen meine kleine Ausreißerin!“ Christine schaute sich panisch um. Sofort flog eine schwere Vase durch den ganzen Raum in Richtung Bulle. „Scheiße!“, schrie Christine, als sie sah, dass sie den Beamten nicht getroffen hatte. Sie riss das Fenster auf, warf noch ein paar Gegenstände um sich und konnte türmen. Draußen lief Christine so schnell sie konnte. Sie rannte um ihr Leben, doch leider hatte sie nicht mit dem Streifenwagen gerechnet, der am Straßenrand parkte. Die Beamten stürmten aus dem Wagen und konnten Christine überwältigen. Christine war stinksauer und hatte wahnsinnige Angst vor der Reaktion ihres Großvaters...

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 Re: Das Leben der Christine Walter

19. Brutaler Abgang

Christines Herz raste auf Hochtouren, gleich würde sie ihrem Großvater begegnen. Doch was sollte sie nur tun!? Sie konnte ja schlecht abhauen, wenn sie hier auf dem Polizeirevier festsaß und von einem Wachmann am Ausgang auf Schritt und Tritt kontrolliert wurde. Für einen Moment hatte sie sich die fixe Idee in den Kopf gesetzt, die Unwahrheit zu erzählen und falsche Personalien anzugeben, aber dann hatte sich diese Idee wieder in den Sand gesetzt, denn sie war den Beamten schon als Christine Walter bekannt. Herr Krossmann hatte alles geschickt eingefädelt und Christine als vermisst gemeldet. „So´n Misst!“, dachte Christine und rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her. Dieses Mal war alles ganz anders. Warum setzten die Bullen sie nicht einfach wieder vor die Tür ihrer Großeltern? Warum musste der Alte den Weg hier her auf sich nehmen, nur um sie abzuholen!? Christine verstand die Welt nicht mehr. „Ich muss mal auf kleine Mädchen!“, startete sie noch einen letzten Fluchtversuch. Doch der scheiterte prompt. „Mädchen, gleich ist dein Großvater hier, es dauert nicht mehr lange! Du wirst dich doch wohl gedulden können!?“, meinte der Polizeibeamte und versank wieder in seiner Zeitung.
Christine schwieg, es blieb ihr also nichts anderes übrig, als sich ihrem Großvater zu stellen und bei der Wahrheit zu bleiben. Bereuen!?, fragte sie sich. Nach kurzer Überlegung war die Antwort „Nein!“ Sie bereute kein bisschen, dass sie die Fliege gemacht hatte, denn ihr Großvater hatte ihr allen Grund dazu gegeben. Krampfhaft brütete sie vor sich hin, ihr musste doch irgendwas einfallen. Was sollte sie ihrem Großvater sagen, wenn er gleich zur Tür hereinmarschieren würde!? Ihr wurde ganz anders bei dem Gedanken, er würde sie schlagen, wenn sie frech und ungezogen reagieren würde. Also probierte sie es doch vorerst lieber auf die nette Tour, so entfuhr es ihr schweißgebadet...

Als Christine in einen Verhörraum gerufen wurde, dachte sie schon die Gefahr ihren Großvater zu begegnen war vorüber, aber da hatte sie sich gewaltig getäuscht, denn ER saß da, kreidebleich und durchgeschwitzt. Seine weißen Haare trieften und sein langer Bart zitterte. Denn der Alte hatte furchtbares Herzrasen und seine Wangenmuskeln arbeiteten gewaltig. Christine blieb mit offenem Mund in der Tür stehen, so sehr war sie angewidert. Sie hatte Schiss, gewaltigen Schiss und sie musste sich dem Entziehen, aber wie!? Sie wollte zurück, doch ein Beamte hinter ihr schob sie langsam aber sicher wieder zur Tür herein. „Dein Großvater hat sich schreckliche Sorgen um dich gemacht! Willst du dich nicht entschuldigen? Es tut dir doch leid, oder?“, fragte eine junge Beamtin und schaute Christine fragend und zugleich auffordernd entgegen. „Ich mich bei dem entschuldigen!? Nie im Leben! Der soll sich bei mir entschuldigen!“, war ihre klare Antwort auf diese bescheuerte Frage. Sie sah ihrem Großvater resigniert in die Augen. Sie versuchte stark zu sein und lächelte frech grinsend. Herr Krossmann ballte die Hände zusammen, Christine hielt seinem zornigen Blick stand, auch wenn sie furchtbare Angst hatte. Sie ließ sich nichts davon, aber auch gar nichts anmerken. Hier fühlte sie sich sicher, denn der Alte würde niemals zuschlagen, wenn Zeugen in der Nähe waren. „Was ist denn geschehen, dass du einfach so von zuhause ausgebrochen bist!? Hattet ihr streit, dein Großvater und du?“, fragte die Beamtin weiter. „Streit ist wohl nicht der richtige Ausdruck! Der Alte hat...“, doch bevor Christine ihren Satz vervollständigen konnte, platzte Krossmann dazwischen: „Ich verbiete mir diesen Ton junge Lady! Deine Großmutter und ich haben uns schreckliche Sorgen um dich gemacht!“, versuchte er sich zu beherrschen. „Aber du...du hast wieder das gemacht, was du immer machst, wenn du nicht mehr weiter weißt!“, fuhr er fort. Die Beamten wand sich wieder an Christine: „Ich hoffe das kommt kein zweites Mal fort, oder sollte ich besser drittes Mal sagen!? Ich hoffe du und deine Großeltern werdet euch einigen können und somit die Probleme beseitigen!“ „Das klappt eh nicht.“, widersprach Christine und ließ ihren Kopf sinken. „Was meinst du damit?“, hakte die Beamtin nach. „Mit denen kann man nicht reden, stattdessen wird ein anderer Ton bevorzugt!“ Christine schaute wieder zu ihrem Großvater. Er platzte beinahe vor Zorn, denn er wusste worauf Christine hinauswollte. „Es reicht Christine! Du kommst jetzt mit und wir, ich, deine Großmutter und du werden über diesen Vorfall in aller Ruhe reden!“, versuchte er Ruhe zu bewahren, obwohl er innerlich kochte vor Zorn. Christine wollte noch einmal gegen an gehen, aber da wurde sie auch schon wieder von der Beamtin unterbrochen. „Wie ich sehe, bekommen Sie das schon in den Griff! Ich will dich hier nie mehr sehen Christine, tu mir doch den Gefallen! Sie können gehen, alle beide!“
In Christines Augen spiegelte sich die Panik. Die Bullen hatten ja keine Ahnung was da zuhause abging und was der Alte gleich wieder mit ihr machen würde. Sie rang nach Worten, aber wurde so schnell von ihrem Großvater mitgerissen, so dass ihr nichts anderes übrig blieb als ihm zu folgen...

Er raste mordsmäßig schnell über die Straßen, hielt an keiner Ampel, hupte und gab Gas wie ein Wahnsinniger. Christine bekam es mit der Angst zu tun, er schwieg. Das hatte nichts gutes zu bedeuten, dachte Christine und war nah davor, die Tür aufzureißen und sich hinausrollen zu lassen. Sie hielt es hier drinnen nicht länger aus, die Luft war stickig und es roch nach abgestandenen Bier. Der Alte hatte gesoffen und das nicht zu knapp, erschrak sie und schaute auch ein wenig ängstlich hinüber zum Alten, der nicht einmal nach links oder rechts schaute, sondern immer nur starr geradeaus. Sie räusperte sich nur kurz, doch dies wurde ihr zum Verhängnis. Der Alte machte eine Vollbremsung. Christine wusste gar nicht wie ihr geschah und wo sie eigentlich lang gefahren waren. Sie schaute kurz nach draußen, alles ruhig, kein Straßenverkehr weit und breit. Nur Wald und Wiesen – Landstraße! Der Alte schaute das erste mal wieder in ihre Richtung. „Was hab ich falsch gemacht Christine?“, fragte er zum Fürchten leise und besonnt. Christine hatte zu viel Angst, um sich jetzt gegen ihn zu stellen. „Nichts.“, antwortete sie. „Das glaub ich dir nicht. Ich habe sicherlich viel falsch gemacht.“, klang er einsichtig. Christine dachte, sie befinde sich im falschen Film. „Na ja, du hat mich ins Zimmer gesperrt.“, fing sie vorsichtig an zu erzählen. „Und? Das war doch bestimmt nicht alles!“, beharrte ihr Großvater. „Du warst aggressiv und hast mich ständig unter Druck gesetzt. Andreas übrigens auch. Kein Wunder, dass er...“ „in Urlaub gefahren ist!?“, unterbrach sie der Alte. „Oder ist der Bengel abgehauen?“ Christine lief der Schweiß von der Stirn, sie wusste nicht was sie darauf antworten sollte. „Er hat mich in Stich gelassen, dass ist alles!“, kämpfte sie erneut mit den Tränen. Der Alte schnallte sich los und riss die Wagentür auf. „Sitzen bleiben!!!“, fuhr er sie an und stieg aus. Christine bangte um ihr Leben, was hatte der Alte vor? Er sah wütend aus, nah vor dem explodieren. Er drehte seine Runden und lief die Straße mehrmals auf und ab. Dann stieg er wieder zurück ins Auto und blieb sitzen. Er rührte sich nicht, nur seine Wangenknochen zitterten wie verrückt. „Du meinst ich habe ihn vertrieben, ja?“, fragte er. „So würde ich das nicht sagen...“ „Sondern!?“, unterbrach Krossmann barsch. „Und am Ende so meinst du, bin ich schuld, dass du auf die schiefe Bahn gerätst, ja!?“ „Nein! Schiefe Bahn?“, stellte sich Christine dumm. „Aber nicht mit mir...nicht mit mir! Das hast du ganz alleine zu verantworten! Deine Lügengeschichten wird dir sowieso keiner glauben, verlass dich drauf! Und wagst du es noch ein einziges Mal, mich in irgendeiner Weise anzuschwärzen, dann kann ich dir gerne mal zeigen, wie sich richtige Schmerzen anfühlen!“ Christine wagte es sich nicht zu widersprechen.
Der Alte schnallte seinen Gurt wieder fest und fuhr eisern weiter.

Endlich waren sie zuhause angekommen. Christine wollte sogleich in ihr Zimmer verschwinden, da hielt sie der Alte auf. „So leicht wie du glaubst kommst du mir nicht davon!!!“, schrie Her Krossmann. „Wo ist Oma?“, wich Christine ihm aus. „Oma ist nicht hier, die hat wegen dir nen Herzinfarkt bekommen!!!“, schrie er außer sich vor Wut. Christine stellte sich fragend. „Nen Herzinfarkt!!! Weißt du eigentlich was du angestellt hast!!!??? Sie hatte solche Angst um dich, da hat ihr Herz versagt, verstehst du!!!??“ Christine zitterte am ganzen Körper. Das hatte sie nicht gewollt, es tat ihr im nächsten Moment alles total leid, doch der Alte ließ nicht locker. Die Situation geriet außer Kontrolle und endete – mit mehreren Schlägen auf Christine und einem letzten entgültigen Schlag für den Alten mit einem Kerzenständer, direkt auf seinen Kopf.

Leichenblass lag er am Boden, er atmete nicht mehr, keinen Puls, rein gar nichts mehr! Christine stand unter Schock. Der Alte hatte sie geschlagen, oder besser gefoltert! Sie hatte ja wohl das Recht sich zu wehren, sich endlich einmal gegen ihn zu stellen, oder war das Unrecht?
Sie wusste nicht mehr was richtig und was falsch war, sie sah nur eins und zwar ihren Großvater tot am Boden liegen und das war scheiße!
Sie ging neben ihn in die Hocke, fühlte seinen Puls, dabei konnte sie sich gar nicht auf seinen Puls konzentrieren, da ihr Puls in diesem Moment alles übertraf und ihre Adern durchblutete. „Opa?“, begann sie das erste mal seit langer Zeit wieder das Wort „Opa“ über ihre Lippen kommen zu lassen. Sie war wieder Kind – ein kleines liebes Mädchen, was ängstlich um ihren Großvater bangte. Sie stützte ihren Kopf in ihre Hände und fing einfach an zu heulen, weil sie etwas ganz schlimmes getan hatte. Sie gab sich auf einmal für alles die Schuld. Sie war Schuld daran, dass Andreas abgehauen war, dass Claudia nen Abgang gemacht hatte, dass Oma im Krankenhaus lag und jetzt auch noch der Alte tot war. Mit so einer wollte niemand etwas zutun haben, jetzt wurde ihr einiges klar und sie hatte recht – Sie war schlichtweg unbeliebt. Es gab hier keinen Platz für sie und das hatte man sie immer wieder deutlich spüren lassen...

Doch der Alte war nicht tot, wie es sich nach ein paar Minuten herausstellte. Er röchelte und schnappte nach Luft, wollte außerdem Christine gleich wieder an den Kragen. Christine erholte sich schnell wieder, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht „Verdammtes Arschloch!“, trat noch einmal zu und rannte zum letzten mal zur Tür heraus.
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 Re: Das Leben der Christine Walter

20. – Ein Goldtreffer

Christine war ziellos durch die Straßen gelaufen, bis sie am Stadtpark ihres Viertels angekommen war. Sie stand mitten auf dem Feld einer Wiese, die freie Welt öffnete ihr die Türen. Nur einen Meter von ihr entfernt plätscherte das Wasser aus dem Maul eines Frosches aus Marmor in einen Teich hinein. Sie lauschte dem Rauschen und setzte sich müde und schweißgebadet auf die Bank die sich ihr bot. Das Wasser klang wie eine Melodie in ihren Ohren und sie sah viele Bilder von Andreas, der sie kaltherzig abserviert hatte, von Claudia, als diese in den Zug stieg und davonfuhr, Bilder von Diana, der blonden Schönheit und zu aller letzt waren da noch ihre gutmütige Großmutter und ihr schlimmster Feind – ihr Großvater. Sie stützte ihr Gesicht in die Hände, da sie nicht mehr weiter wusste. Hatte sie ihren Großvater jetzt wirklich umgebracht? Was war mit Diana? Wo sollte sie nur hin? Würde sie Andreas je verzeihen und könnte sie vielleicht doch irgendwann mal mit ihm übers weite Meer fahren? Jetzt war es soweit, Christine war frei! Warum nur war Andreas nicht da und warum hatte er sein Versprechen bis heute noch nicht eingelöst?
Er wollte sie nachholen, hatte er ihr versprochen. Christine glaubte nicht mehr daran. Sie kam sich auf einmal total verlassen vor. Für einen Moment schossen ihr Gedanken an Selbstmord in den Kopf, diese verflogen aber relativ schnell wieder. Sie war feige, einfach zu feige um sich das Leben zu nehmen. Außerdem hätte sie sich die Aktion mit ihrem Großvater dann auch sparen können. Umsonst war sie nicht hier, allein und...FREI!!!?? Christine rappelte sich auf, fuhr sich einmal durch ihre langen dunkel braunen Haare und setzte ihren Weg fort. Es führte sie wieder in den Bus Richtung Bahnhof Zoo...

Eine kalte Nacht war vorüber gegangen. Als Christine erwachte, erschrak sie etwas, aber dann kamen ihr die Erinnerungen an gestern, an ihre Flucht. Sie konnte sich erinnern, dass sie hundemüde war. Sie musste tatsächlich auf dieser Bank eingeschlafen sein, so entfuhr es ihr. „Ach du scheiße, hoffentlich hat mich niemand gesehen und beim Schlafen beobachtet.“, dachte sie angestrengt nach. Ihre Haare waren zerwühlt und ihr Gesicht verknautscht, als sie sich wenige Zeit später im Spiegel einer Bahnhofstoilette betrachtete. „Ich seh ja aus wie nen Junkie!“, schrie sie außer sich. Dann wand sie sich um und vergewisserte sich, ob niemand in der Nähe war, der sie gehört haben könnte. Die Luft war rein und sie konnte sich wieder ganz auf sich und ihr Spiegelbild konzentrieren. Es war ihr gelungen wenigstens ihre Haare wieder in Ordnung zu bekommen, dann marschierte sie hinaus. Christine schüttelte mit dem Kopf, als sie die Schilder betrachtete, die alle in verschiedene Richtungen und Stationen zeigten. Sie wusste einfach nicht wohin sie fahren sollte. Sie kannte sich nirgends aus und dementsprechend fühlte sie sich auch. Mit leerem Magen konnte sie sowieso keinen klaren Gedanken fassen. Plötzlich war da diese ältere Dame, deren Handtasche nur leicht über deren Schulter baumelte. Christine blieb stehen, faltete die Hände zusammen und gab dem ganzen einen Kuss drauf. „Lass alles gut gehen.“, betete sie noch schnell. Ehe irgendjemand bis drei zählen konnte, hatte Christine die Handtasche in ihren Besitz genommen. „Sorry.“, sprach sie mehr zu sich, ging etwas schneller als sonst und drehte sich mehrmals zu der älteren Dame um. Schnell hatte Christine begriffen, dass diese „Oma“ rein gar nichts mitbekommen hatte. Sie stand noch genauso hilflos vor dem Fahrkartenautomat herum wie vorher auch. Alles schien ruhig. „Die Oma hat wirklich nichts geschnallt.“, lachte Christine beinahe vor Freude, doch dann schaute sie an sich herunter auf die Handtasche. Schnell ließ sie diese unter ihrer Jacke verschwinden und dampfte ab. In einer abgelegenen Straßengasse begutachtete sie das erste mal ihr Diebesgut und schaute nach dem Inhalt. Die Alte Frau hatte Wimperntusche, ein paar Taschentücher, eine Lesebrille und noch vieles mehr in dieser Handtasche. Christine staunte, hob die Augenbraunen und lächelte. „Na Alte, dann lass mal sehen was du mir noch so anzubieten hast.“ Sie holte das Portmonee heraus – das wichtigste von allen! Aufgeregt öffnete sie mit zitternden Händen den Knopf und schaute sogleich in das Fach der Geldscheine. „LEER!?“ Christine wurde immer nervöser und drehte und wendete die Geldbörse und schaute in jedem Fach nach. Außer ein paar Personalien war kein müder Pfennig vorzufinden. „Das gibt es doch nicht! Die Alte hat mich voll gelinkt!“, kämpfte Christine mit den Tränen und schmiss die Tasche gefrustet auf den Boden, direkt vor ihre Füße. Doch was war das!? Christine ging in die Hocke und hob einen kleinen alten Lederbeutel vom Boden. Sie öffnete das Band und ließ den Inhalt in ihre offen gelegte Hand rutschen. „Cool!!!“, sprach Christine aus und ihre Augen begannen zu funkeln. Das waren 125,81 Mark zusammen! Schnell ließ sie das Geld zurück in den Beutel rutschen, zog das Band wieder zu, steckte ihn sich in ihre Jackentasche und wand sich noch einmal zu den Sachen die am Boden lagen. Sie hob die Taschentücher vom Boden. „Wer weiß, vielleicht seid ihr ja noch zu was Nütze.“ Steckte sie sich ebenfalls in die Brusttasche und zu aller letzt hob sie noch die Schachtel Zigaretten und das Feuerzeug auf. „Für schlechte Tage.“, meinte sie und spitzte ihre Lippen. Dann packte sie alles zurück in die Tasche und ließ sie in einen der Mülleimer am Straßenrand verschwinden und machte endlich einen Abgang.

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 Re: Das Leben der Christine Walter

21. – Hilfesuchend

Christine saß mit einer großen Portion Pommes, zwei Big Macs und einer Cola bei MC Donalds und ließ es sich gut gehen. Trotzdem plagte sie im Unterbewusstsein immer das Gefühl allein zu sein und das Falsche getan zu haben. Wo sollte sie nur hin? Sie konnte ja noch nicht mal den Stadtplan lesen. Und wenn, wie lange würde sie die Einsamkeit noch ertragen? Sie musste sich ihre Tränen schwer zurückhalten und versteckte ihre Trauer hinter dem riesigen Big Mac, von dem sie beherzt abbiss. Sie lächelte stets, wenn ihr Leute entgegen sahen, dabei hätte sie am liebsten das Fastfood Geschäft sofort wieder verlassen. Sie ging noch einmal alles gedanklich durch und stieß am Ende auf Diana. Sie war jetzt ihre einzige Freundin, eine sehr gute sogar. Es war nicht Dianas Schuld gewesen, dass die Bullen bei ihr zuhause aufgekreuzt waren, sie hatten nur unheimliches Pech gehabt. Immer wenn es am schönsten ist, kommt irgendetwas dazwischen, dachte Christine und musste doch tatsächlich wieder schmunzeln. Sie hatte Dianas Brüste berührt und sie geküsst. Es war zu schön um wahr zu sein... Und was tat sie!? Sie war wieder abgehauen und lief alleine, ohne Ziel vor Augen durch die Straßen. Wie gerne hätte sie Diana jetzt noch einmal gesprochen, aber das war leider schier unmöglich, denn Christine konnte schlecht wieder zurückkehren. Die Polizei suchte bestimmt schon nach ihr, dem Alten war alles zuzutrauen. Aber dieses mal würde sie lieber ins Heim gehen, als mit dem Alten alleine zu sein. Er hatte sie geschlagen und gedemütigt und noch nicht mal ihr Bruder konnte ihr mehr helfen. Hatte sich der Idiot noch nicht mal verabschiedet und zwischenzeitlich gemeldet, versank Christine wieder in Gedanken.

Hätte sie gewusst, dass ihr Großvater die Briefe, die Andreas ihr geschickt hatte, bewusst abgefangen hatte, währe sie um einiges schlauer und hätte bestimmt anders gehandelt. Denn im letzten Brief von Andreas stand:

„Hey Tinchen,
ich weiß, dass ich dich enttäuscht habe und du jetzt sauer bist. Ich hab dich trotzdem total lieb. Hätte mir so sehr eine Antwort von dir gewünscht, hatte dir doch meine Adresse bekannt gegeben. Dann klappt es mit dem Schreiben noch immer nicht so richtig, was!? Aber du hättest mich doch besuchen können. So weit ist Schwerin nun auch wieder nicht. Ich konnte nicht weg, hatte viel zu erledigen. Mein Boss wird schnell ungemütlich, wenn irgendwer trödelt. Jeden Tag gebe ich deinem Bild einen fetten Kuss von mir und sage diesem wie sehr ich dich liebe und wie sehr ich mir wünschen würde, dass wir uns wieder sehen und ich dich in die Arme schließen kann. Du bist und bleibst meine Schwester, vergiss das bitte nicht. Es war falsch dich mit dem Alten alleine zu lassen. Ich kann mir vorstellen was da bei euch abgeht. Deshalb hab ich beschlossen dich zu holen, ich hab es dir doch versprochen. Ich bin übermorgen an Land, wir bringen Güter zum Großhandel. In der Fritz-Reuter Straße 31. Da steht ein großes weißes Lagerhaus. Ich werde gegen 10:00 Uhr da sein, Gruß und Kuss
dein Andreas.


Demnach hatte Christine dieses Treffen schon längst verpasst. Dem Brief zu urteilen, stammte dieser von letzter Woche. Hätte sie das geahnt, wäre sie natürlich sofort dort hin gefahren. Denn wenn sie ehrlich war, liebte auch sie ihren Bruder noch immer sehr. Das war ja das Schlimme...

Christine fiel ein älterer Mann auf, der einen Salat aß und nebenbei auf seinen Laptop schaute. Internet!!!, dachte Christine, ließ ihren Big Mac zurück auf ihr Tablett fallen und steuerte hinüber. „Entschuldigen Sie die Störung, aber könnten Sie mir einen kleinen Gefallen tun, der bei mir von großer Bedeutung wäre!?“, fragte sie ganz aufgeregt und lächelte verschmitzt. „Was willst du denn Mädchen?“, stellte der Mann eine Gegenfrage. „Ich bräuchte eine Telefonnummer. Und im Internet kann man doch das Telefonbuch aufrufen hab ich mal gehört. Könnten Sie vielleicht mal nachschauen?“ Christine machte zuckersüße Augen und überzeugte dem Mann mit ihrem liebewürdigen Lächeln. „Na gut. Wessen Telefonnummer suchst du denn?“ Der Mann fing an auf die Tasten seines Laptops zu hauen. „Diana Ulme.“, gab Christine freudestrahlend zu verstehen und schaute dem Mann über die Schulter. Er riss ein Stück Papier seiner Juniortüte ab und schrieb Christine die Telefonnummer darauf. „Hier Mädchen.“ „Danke, vielen Dank.“ Christine steckte sich das Papier in die Hosentasche und ging zurück zu ihrem Tisch. Das war ihre Chance noch einmal Kontakt zu Diana aufbauen zu können. Sie konnte es kaum erwarten Diana anzurufen, also schnappte sie sich ihre Pommes und ihre Cola, verließ den Laden und ließ sich in der nächstgelegenen Telefonzelle nieder...

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