Ich
So, hier kommt ein Bericht, den ich vor längerer Zeit mal geschrieben habe, um mir ein wenig über meine Gedanken klar zu werden. Mir ist irgendwie auch klar, dass das hier sowieso kaum jemand lesen wird, aber ich musste es einfach jetzt mal aufschreiben.
Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht so recht, wie ich anfangen soll. Es sei nur schon mal vorweg gesagt, dass ich mich nicht als richtiger SVVler sehe, da ich mich nicht jeden Tag und eher in unregelmäßigen Abständen selbst verletze und ich wurde auch weder vergewaltigt noch habe ich einen anderen schweren Schicksalsschlag hinter mir.
Aber ca. im September letzten Jahres fing es an, mir [aus einem mir unerklärbaren Grund] immer schlechter zu gehen. Ich weiß nur noch, dass ich in dieser Zeit mal wieder ziemlich häufig Streit mit meinen Eltern hatte, vor allem mit meiner Mutter.
Eines Tages dann hat sie mal wieder total mit mir gemeckert. Ich weiß nicht mehr genau, was sie dazu veranlasst hat, aber wahrscheinlich hatte sie auf der Arbeit mal wieder viel zu tun. Und in solch einer Situation ist es leider nicht unüblich, dass sie ihren Frust an meinem Vater oder an mir auslässt. Auf jeden Fall war ich völlig gekränkt, da ich schon immer sehr sensibel und verletzlich war und oft alles sofort persönlich nehme. So war es auch in dieser Situation und irgendwie hat mich das alles fertig gemacht, ich war mit den Nerven ziemlich am Ende. Ich saß in meinem Zimmer, starrte vor mich hin und überlegte, was ich tun sollte. Ich wollte so nicht mehr leben. Da fiel mein Blick auf die Schere auf meinem Schreibtisch. Ich weiß nicht wieso, aber auf einmal musste ich an einen Artikel über Autoaggression, den ich einmal gelesen hatte, denken. Ich erinnerte mich, dass es Menschen gibt, die sich selbst verletzten, da es bekanntlich leichter sei, körperliche anstatt seelische Schmerzen zu ertragen. Ich nahm also die Schere und ritzte wie eine Wahnsinnige immer wieder in meinen linken Unterarm. Ich tat es so lange, bis es anfing zu bluten, so lange, bis ich einen Schmerz fühlte, der stärker war als mein Kummer. Ich war erleichtert und fühlte mich besser, als ich das Blut sah und den Schmerz fühlte, jedoch war ich gleichzeitig auch geschockt und ich fühlte mich schuldig, konnte im ersten Moment gar nicht begreifen, was ich soeben getan hatte. Doch so reglos und erschrocken ich auch war, fühlte ich, dass mein Körper von einem positiven Gefühl durchströmt wurde.
Das war das erste Mal, dass ich mit SVV in Kontakt gekommen war.
Mir war bewusst, dass es schädlich ist sich zu ritzen und dass es durchaus schlimme Folgen haben kann. Also beschloss ich, es bei diesem einmaligen Ausrutscher zu belassen, ich sagte mir, dass ich mir nie wieder etwas antun würde.
Doch leider musste ich schon nach wenigen Wochen die Erfahrung machen, dass aus anfänglicher Neugierde bitterer Ernst werden kann. Denn auch das nächste Mal, als es mir schlecht ging und ich Probleme hatte, griff ich zu meiner Schere und ritzte mir die Arme auf. Auch dieses Mal war ich geschockt jedoch war ich immer noch in dem Glauben, dass ich mich unter Kontrolle habe und dass es nur ein weiterer Ausrutscher war und ich dachte mir: Ach, das ist schon nicht so schlimm. Irgendwann verletzt sich doch jeder einmal selbst und solange man es nicht immer macht, ist es in Ordnung.
Dabei bemerkte ich gar nicht, dass ich in einen Teufelskreis zu rutschen drohte. Denn ich hörte nicht auf damit, mich selbst zu verletzen. Oft ritzte ich mich schon, wenn meine Probleme noch so klein waren. Mit der Zeit erzielte natürlich meine anfänglich so heiß geliebte Schere auch nicht mehr den gewünschten Effekt. Ich wollte mehr Blut vergießen sehen, mehr Schmerzen fühlen. Also arbeitete ich mich langsam vor.
Ich fing an, mich mit einem Messer zu ritzen. Dann war ich eines Abends, als ich mal wieder mit den Nerven am Ende war, allein zu Hause und entdeckte in einer Schublade zufällig ein Päckchen Rasierklingen. Nach kurzem Überlegen nahm ich eine Klinge heraus und ich ging in mein Zimmer. Ich hielt die Klinge fest in meiner Hand und richtete sie gegen ein Stück Papier, um zu sehen, wie scharf sie war. Ich musste das Papier nur mit der Klinge anticken und schon entstand in dem Papier ein langer Riss. Ich wusste genau, dass das das perfekte Werkzeug für mich sein würde. Also nahm ich die Klinge, richtete sie gegen meinen Arm und begann, mit der Klinge ein paar Linien in meinen Arm zu schneiden. Es war ein tolles Gefühl, das Blut in solchen Mengen fließen zu sehen und es war befriedigend, diesen Schmerz zu fühlen, der meinen Verstand für einen kurzen Moment völlig auszuschalten schien.
Das ging dann noch einige Zeit so weiter und irgendwann schnitt ich mich auch an den Beinen, damit niemand die Narben sieht. Aber eines Tages dann, kam meine Mutter auf einmal völlig unverhofft in mein Zimmer gerannt, als ich gerade ein T-Shirt anhatte. Natürlich hat sie sofort meine Narbe am Oderarm bemerkt und gefragt, was ich dort gemacht habe. Ich erfand natürlich schnell eine Ausrede und sagte, dass ich mich da wohl irgendwo dran gekratzt haben muss. Dann sah sie mich ernst an und meinte: Du hast das doch nicht mit Absicht gemacht, oder? Wie Recht sie doch hatte. JA, ich habe es absichtlich getan! Aber das konnte ich ihr nicht sagen. Also redete ich mich wieder raus, fragte sie, wie sie denn auf so was kommt? Ich und SVV? Nie im Leben!
Tja, das hat sie mir dann auch abgenommen und im ersten Moment war ich erleichtert. Dennoch war ich andererseits auch traurig, da ich mich nicht getraut hatte, ihr die Wahrheit zu sagen, obwohl ich doch so gerne mit ihr darüber geredet hätte
Doch ich bekam eine zweite Chance. Denn als im TV bei Zwei bei Kallwass auch ein SVV-Fall gezeigt wurde, da fragte mich meine Mum plötzlich wieder nach meiner Narbe, ob sie weg sei und so. Sie wollte meinen Arm sehen und dann fragte sie mich noch mal: Du hast dich da auch wirklich nicht geritzt? Oh doch Mama, das habe ich! Und dieses Mal habe ich es auch ausgesprochen, ich habe es nicht mehr verleugnet, ich wollte diese scheiß Last einfach nicht mehr alleine tragen, ich wollte mit jemandem reden! Doch in dem Moment, in dem ich JA, ICH HABE ES GETAN sagte, rastete meine Mum völlig aus. Sie ist vom Stuhl aufgesprungen, hat im ganzen Haus rumgebrüllt, wie geisteskrank ich sei und dass ich doch bekloppt wäre, meinen Körper so zu verunstalten. Sie schrie rum und sagte, dass ich mich mit meinen Narben doch zum Gespött der ganzen Schule machen würde. Sie sagte: Willst du, dass die Leute im Sommer, wenn du ein T-Shirt trägst, sagen: Oh, guckt mal, Kathi hat sich geritzt? Sie hielt mir tausend Mal vor, wie krank ich sei und wie ich ihr denn so was antun könnte, wo sie sich doch all die Jahre den Arsch für mich aufgerissen hat. Und angelogen habe ich sie ja auch noch
Ich konnte nicht mehr. Das war definitiv der schlimmste Tag meines Lebens. Ich habe den ganzen Tag nur geweint, geweint und geweint
Es tat so weh, so was von seiner eigenen Mutter direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen. Sie hat mich noch niemals gefragt, wieso ich das tue. Sie hat einfach nur gesagt, was ich denn schon für Probleme hätte, um mich zu ritzen. Ich sei ja schließlich nicht vergewaltigt worden und zu wenig Liebe haben mir meine Eltern ja auch nicht gegeben. Das stimmt ja auch alles, aber ich war einfach nur so unendlich traurig, weil sie sich nicht für meine Probleme interessiert hat. Sie hat mich einfach nur abgeschoben, hat den ganzen Tag nicht mit mir geredet.
Als mein Vater dann nach Hause kam, ging es mir schon etwas besser, denn mit ihm konnte ich besser über das Thema SVV sprechen, ihn interessierten meine Probleme wenigstens. Klar, er war maßlos geschockt, als ich ihm sagte, dass ich mich selbst verletzt hab, aber er wollte wenigstens alles wissen und das Wichtigste ist, dass er mich nicht so angeschrieen hat wie meine Mum. Er hat mich gefragt warum ich das tue, womit usw. Er wollte einfach ALLES wissen. OK, ich gebe zu, dass es für mich ziemlich schwer war dieses Gespräch mit ihm zu führen, weil er wirklich ALLES wissen wollte und das war mir irgendwie unangenehm. Ich hab in dem Augenblick eigentlich noch gar kein so tiefgründiges Gespräch gewollt, weil ich erstmal die Tatsache verdauen musste, dass meine Eltern mitbekommen hatten, dass ich mich schneide. Aber er gab mir wenigstens das Gefühl, dass er sich noch für mich interessiert. OK, so ganz egal wird es meiner Mum auch nicht gewesen sein, da sie ja, außer dass sie heftig geschimpft hat, auch noch geweint hat. Und wenn jemand (um eine andere Person weint) dann zeigt das ja, dass er sich auch Sorgen macht. Aber in meiner Mutter hab ich in dieser Situation nichts anderes als Wut gesehen. Erst heute beginne ich so langsam zu begreifen, dass sie es ja eigentlich nur gut gemeint hat.
Na ja, auf jeden Fall habe ich dann mit meinem Dad noch ein längeres Gespräch geführt, was mir auch ein wenig geholfen hat. Mein Dad hat sich dann noch den ganzen Abend vor den PC gehockt und Informationen über SVV gesucht. Die Berichte einiger Betroffenen scheinen ihn wohl ziemlich mitgenommen zu haben. Denn als ich einmal kurz zu ihm rüberschaute, da sah ich die Tränen in seinen Augen und erst in dem Moment begann ich ein wenig zu begreifen, was ich durch meine Sucht alles kaputt machen könnte. Es war nicht nur mein Leben, das zu Bruch ging, sondern auch das meiner Eltern. Die beiden taten mir in dem Moment unheimlich Leid, insbesondere mein Vater. Er muss wohl wirklich Angst um mich gehabt haben, denn den ganzen Abend sagte er mir, was er sich für Sorgen um mich mache und dass er ja jetzt Angst habe, mich mal einen Abend allein zu Hause zu lassen, da ich mir ja was antun könnte. Er hat auch gesagt, dass er Angst hat, dass ich irgendwann vielleicht noch weiter gehen würde und dass er Angst davor habe, dass ich mich umbringen könnte.
Was hatte ich nur gemacht? Diese Frage schwirrte die ganze Zeit in meinem Kopf herum. Und das Schlimmste war, dass ich meine Eltern ja schon wieder hintergangen hatte, weil sie geglaubt hatten, dass der Schnitt am Oberarm ein einmaliger Ausrutscher gewesen sei und leider habe ich sie auch bis heute in dem Glauben gelassen. Jedes Mal, wenn ich mich schneide oder den Druck verspüre, es zu tun, würde ich so gerne mit meiner Mum oder mit meinem Dad reden und es ihnen sagen, aber das kann ich nicht. Ich habe einfach Angst, dass die Situation wieder genauso eskaliert wie damals. Eigentlich wollte mein Vater noch mal mit meiner Mum und mir zusammen das Thema SVV ansprechen, aber er hat es bis heute noch nicht getan. Entweder, weil er es wirklich vergessen hat (weil er selbst Stress hat) oder weil er es verdrängen will
Ich hab leider keine Ahnung, aber ich bin jetzt glaub ich so langsam an einem Punkt angekommen, an dem ich sage, dass ich vielleicht doch gerne eine Therapie machen würde. Ich mein, ich bin zwar im Nachhinein froh, dass es so gelaufen ist, wie es geschehen ist, weil ich mich seitdem echt mit dem Riten zurückhalte (oder es zumindest versuche), weil ich Angst habe, dass meine Mum wieder so sauer ist, wenn sie bemerkt, dass ich mich öfter selbst verletze. Aber ich denke, dass mir eine Therapie vielleicht doch helfen würde. Vor allem würde mir eine Therapeutin sicher auch helfen, Gründe für mein Verhalten zu finden. Denn ich habe einfach keine Ahnung, warum ich mich ritze. Nur ich mein, irgendeinen Auslöser muss die Sache ja eigentlich gehabt haben. Aber ich kann darüber nachdenken so viel ich will, ich komme einfach zu keinem Ergebnis. Ich meine, ich hatte eine Schöne Kindheit, ich wurde nicht vergewaltigt, meine Eltern haben auch eigentlich immer gut um mich gekümmert und ein Außenseiter war ich auch nie, zumindest kein Richtiger. Ich hab zwar das Gefühl, dass meine Clique und ich in meiner Klasse nicht sonderlich beliebt sind, aber OK
Ich glaube jedenfalls nicht, dass das der Auslöser für die Autoaggressionen ist. Denn eigentlich macht es mir nichts aus, dass ich nicht sooo beliebt bin. Klar, manchmal würde ich mich schon gerne besser mit den Leuten verstehen, vor allem mit den Jungs, weil die glaub ich totale Vorurteile gegen uns haben, [bei den Mädchen geht´s ja eigentlich] aber da stör ich mich eigentlich auch nicht weiter dran.
Tja, bleibt immer noch die Frage: Wieso tu ich das alles?
Ich denke wirklich, dass ich eine Antwort auf diese Frage nur in einer Therapie bekommen werde. Aber die möchte ich (noch) nicht machen weil ich erstens glaube, dass ich eine Thera noch nicht nötig habe und weil ich zweitens auch Angst davor hab. Angst vor der Therapie und Angst vor meinen Eltern. Angst davor, dass meine Mum wieder so ausrastet, wenn ich ihr sage, dass ich mich öfter selbst verletzte. Und wenn ich wirklich eine Thera machen will, dann komme ich ja um ein intensives Gespräch mit meinen Eltern gar nicht drum rum. Jedoch bin ich noch nicht soweit, dass ich mich ihnen anvertrauen und offen mit ihnen über das Thema SVV reden kann.
Na ja, wir werden sehen, was passiert. Vielleicht werde ich mich irgendwann einmal dazu entschließen, eine Therapie zu machen, aber nicht im Moment, nicht solange ich noch denke, dass ich alles unter Kontrolle habe und von selbst mit dem Ritzen aufhören kann
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