Auswanderungsgrund: keine Steuergerechtigkeit
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Nahrung für den Apparat
Steuern sind keineswegs zum allseitigen Nutzen. Regelmäßig bleibt der Staat die Erfüllung seiner Aufgaben schuldig von Wolfgang Sofsky
"Nur zwei Dinge im Leben eines Menschen sind sicher", heißt es bei Benjamin Franklin, "der Tod - und die Steuern." Im Ernstfall entscheidet der Staat über das Leben seiner Bürger, im Normalfall vergreift er sich an ihrem Besitz.
Einst waren Höhe und Frequenz der Steuern vom Rhythmus der Kriege bestimmt. Jeder neue Feldzug forderte eine volle Goldtruhe. Doch begnügten sich die Fürsten häufig mit dem Zehnten auf Einkünfte und bewegliche Güter. Heute arbeiten die Untertanen mitten im Frieden das halbe Leben für öffentliche Institutionen. Sie zahlen nicht mehr für den Hof eines Grundherrn, für dynastische Kriege oder koloniale Eroberungszüge, sondern für die Organisation ihres gesamten Lebens.
Seit je wirtschaften moderne Staaten ausgabenorientiert. Die Verstaatlichung des Privateigentums folgt zwangsläufig dem Wachstum der Ausgaben. Bis heute setzt der Fiskus alles daran, sein Einkommen aufzubauen, anstatt Begünstigungen abzubauen. Nicht sparen, sondern enteignen, ist seine Devise.
Jahrhunderte sind Gesellschaften ohne zentrale Staatslenkung ausgekommen. Mittlerweile jedoch ertönt bei der geringsten Mißhelligkeit reflexartig der Hilferuf nach der Obrigkeit. Ansprüche und Abgabenquote bedingen sich gegenseitig. Mit den Ausgaben steigen auch die Begehrlichkeiten. Der Staat nimmt dem Bürger, was jener von ihm fordert. Aber das gerechte Entgelt für die Steuer bleibt er meist schuldig.
Steuern sind Abgaben ohne Gegenleistung. Ihr Verwendungszweck ist offen. Das unterscheidet Steuern von Versicherungsbeiträgen oder Gebühren. Sowenig der Steuerzahler einen Anspruch auf eine gleichwertige Leistung erwirbt, sowenig kommt dem Staat das Recht zu, Steuern zu einem bestimmten Zweck zu erheben. Eine Energiesteuer zur Senkung der Arbeitskosten oder ein "Solidaritätszuschlag" zur Hebung des Bildungsniveaus widersprechen dem fiskalischen Grundprinzip. Steuern sind niemals zweckgebunden. Die Vorspiegelung einer politischen Absicht kaschiert nur, was die Steuer zuletzt ist: ein Akt der Willkür, eine Abgabe ohne Äquivalent, eine unerschöpfliche Ressource der Staatsgewalt, mittels derer sie sich selbst finanziert.
Wie willkürlich Steuersysteme sind, zeigt schon ein Blick auf die Tatbestände. Der Raffgier und dem Erfindungsreichtum der Eintreiber waren noch nie Grenzen gesetzt. Keine wirtschaftliche Tätigkeit geht ohne Aufschlag vonstatten, sei es der Kauf eines Blumenstraußes, die Reparatur einer Waschmaschine oder der Verkauf eines Grundstücks. Die Haltung von Hunden wird ebenso besteuert wie der Verbrauch von Benzin, Gas, Tabak oder Likör. Der Lohn der Arbeit wird beschnitten, das Einkommen geschröpft, der Gewinn abgeschöpft.
Glück gönnt der Staat seinen Untertanen nicht. Lotteriegewinne und Preisgelder unterliegen der Steuer, ebenso das Spiel an Automaten, Erbschaften und Geschenke. Nicht einmal der Schutz vor dem Unglück, die Versicherung für Not- und Todesfälle, ist vor dem staatlichen Zugriff sicher.
Das Wort vom "totalen Staat" betrifft keineswegs nur die Überwachung des sozialen Lebens, es gilt auch für die vollständige Erfassung ökonomischer Aktivitäten. Transparenz der Transaktionen, Überwachung der Geldwäsche, Einsicht in sämtliche Konten durch Finanz- und Sozialbehörden, Registrierung von Devisengeschäften - der moderne Staat will nicht nur den gläsernen Untertan, er will auch vollständig über dessen Privateigentum informiert sein, um direkten Zugriff zu gewinnen.
Die Suche nach verborgenen Schätzen gehört zu den Hauptaktivitäten der Zöllner und Fahnder. Und die undankbaren, vaterlandslosen Gesellen, welche das heimische Steuerterritorium zu verlassen trachten, sollen an den Zollschranken möglichst alles zurücklassen, was sie über die Jahre verdient und durch Tausch, Kauf, Arbeit oder Schenkung rechtmäßig erworben haben. Nur Arme und Besitzlose dürfen der heiligen Staatsnation unbehelligt den Rücken kehren.
Souverän ist nicht nur, wer den Ausnahmezustand verhängen kann, sondern wer sich ungestraft das Recht nehmen kann, tagtäglich die Untertanen zur Kasse zu bitten. Seit je ist Steuerhoheit ein Kriterium der Souveränität. Kein Staat ohne Steuerzwang. Noch vor den Wehr- und Schulpflichten ist die gemeine Steuerpflicht die Grundlage moderner Staatsmacht. Nachdem die Privilegien von Adel und Klerus beseitigt sind, ist niemand mehr steuerlich immun. Die Idee der Steuergerechtigkeit fordert die Gleichheit aller vor dem Fiskus.
Doch sichert Steuergleichheit keineswegs Gerechtigkeit. Denn gerecht wäre die Gleichheit von Leistung und Gegenleistung. Steuern aber sind einseitige Abgaben, über welche die politische Klasse frei verfügen kann. Der Zwang der Steuer ist die Freiheit des Staates. Was der Bürger an Eigentum verliert, gewinnt der Staat an Verfügungsmasse.
Steuern sind keineswegs zum allseitigen Nutzen. Regelmäßig bleibt der Staat die Erfüllung seiner Aufgaben schuldig. Weder Frieden noch Sicherheit vermag er zu garantieren.
Er bewahrt nicht vor materieller Not, vermag weder Arbeit noch Wachstum zu schaffen, läßt Verkehrswege und Bildung verrotten. Die alljährliche Liste von Verschwendung und Mißwirtschaft zeigt nur die Fälle, die nicht zu übersehen sind. Die einzige "Gegenleistung", deren sich der Bürger sicher sein kann, ist das Wachstum staatlicher Ämter und Pfründe. Die Steuer finanziert das Staatspersonal, die Armee des öffentlichen Dienstes. Denn Steuern sind die Nahrung der bürokratischen Herrschaft.
Nur die Staatsgläubigen aller Couleur halten Steuern für ein Gebot der Gerechtigkeit. Für sie ist der Staat das Zentralorgan der Umverteilung. Ihre Politik konzentriert sich jedoch allein auf die Frage, wer gewisse Güter empfangen soll. Zur Freiheit des Eigentums gehört jedoch zuerst die Freiheit, Güter ohne äußeren Zwang geben zu dürfen. Die Gerechtigkeit unter den Empfängern ist der Maßstab des Verteilungsstaates, die Freiheit der Übertragung, der Gabe, des Geschenks hingegen das Merkmal einer freien Gesellschaft.
Jedes Jahr monatelang unfreiwillig und unentgeltlich für den Staat arbeiten zu müssen, erfüllt den Tatbestand der Zwangsarbeit. Nicht die Knute von Aufsehern oder die Bluthunde von Sklavenbesitzern zwingen die Untertanen zur Arbeit, sondern ein undurchsichtiges Verwaltungssystem, das von jedem Lohn sogleich den Bruchteil einbehält, der für die öffentlichen Kassen bestimmt ist und das Budget der politischen Klasse füllt. Der Staat stiehlt den Beschäftigten Lohn und Arbeitszeit. Entreißt man jemandem die Früchte seiner Anstrengung, so ist dies gleichbedeutend damit, daß man ihm Stunden, Tage, Monate seines Lebens raubt. In dem Maße, wie der einzelne für andere arbeitet, werden jene Eigentümer an der Arbeitskraft des Betroffenen. Sie erlangen ein Eigentumsrecht über ihn, dem er nur entgehen kann, wenn er die offizielle Arbeit einstellt. Daher hat sich längst eine Schattenwirtschaft ausgebreitet, in der die Menschen nicht mehr für alle anderen, sondern nur noch für sich selbst arbeiten.
Man erinnere sich! Große Rebellionen nahmen ihren Ausgang von Steuerprotesten: der Aufstand der Bauern, die Französische Revolution. Noch vor dem Fall der Bastille wurden die Finanzbüros geplündert, die Zollschranken niedergerissen und die Steuereintreiber in die Flucht geschlagen. Die Vergesellschaftung des Staates begann mit der Freilassung der Schmuggler und Schwarzarbeiter - und der Eröffnung neuer Wirtshäuser mit steuerfreiem Ausschank.
Wolfgang Sofsky ist Soziologe und Privatgelehrter in Göttingen. Artikel erschienen am Di, 16. Mai 2006