Giordano Bruno und Dr. John Dee
Während sich in Italien die Renaissance-Kultur schon seit mehr als hundert Jahren etabliert hat, ist England in dieser Beziehung noch ein Neuling. Geistiger und wissenschaftlicher Träger der englischen Renaissance im elisabethanischen Zeitalter ist Dr. John Dee (1526-1608). Dee ist nicht nur Erfinder bedeutender Navigationsinstrumente für die Seeschiffahrt, sondern er interessiert sich als wahrer Renaissance-Mensch für sämtliche alten und neuen Wissenschaften seiner Zeit. Wie zahlreiche andere Eingeweihte der kabbalistischen Tradition reist John Dee durch halb Europa, immer auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, seine Kenntnisse zu erweitern. Nicht nur in England, auch während seiner Reisen, veröffentlicht er seine Schriften und hält Kontakt zu Universitäten und den Mächtigen seiner Zeit. Wie Bruno geht es ihm darum die Schriften der Alten wiederzuentdecken, auszuwerten und für die Nachwelt zu erhalten. Am 20. Januar 1556 ersucht Dee die englische Königin Maria um eine Vollmacht zur Wiederentdeckung und Bewahrung altertümlicher Schriften und Monumente. Die Schriften will er in einer Art Nationalbibliothek zugänglich machen. Doch von staatlicher Seite erhält er wenig Unterstützung. So beginnt er auf eigene Faust, die Reste der Wissensschätze aus in den religiösen Wirren der Zeit geplünderten oder vom Verfall bedrohten Klöstern zu retten. Einen Großteil seines väterlichen Erbes hat er hierfür investiert. Allein schon ohne die Urkunden umfasst seine Bibliothek nahezu eintausend Handschriften , dazu kommen im Laufe der Jahre noch unzählige gedruckte Bücher.
Diese Bibliothek stand allen Freunden und Gelehrten zur Verfügung. Angehörige des Hofes und Dichter wie Sir Philip Sidney (Neffe des Grafen von Leicester), Seefahrer und Mathematiker, Historiker und Antiquare kamen hierher und versorgten sich mit neuem Wissen aus Dees Vorratskammern.
Es kann nicht anders gewesen sein, auch der Sidney-Freund Giordano Bruno muss an diesen Ort geführt worden sein, an dem die eigentliche Wissenschaft auch außerhalb des verkommenen Universitätsbetriebes stattgefunden hat. Dieselben Kontakte, die gleichen Interessenlagen, alles spricht dafür, ja sogar der historische Ablauf, wie wir gleich zeigen werden.
1563 treffen wir Dee in Zürich, wo er mit Conrad Gesner über Paracelsus diskutiert. Kurze Zeit später veröffentlicht John Dee in Antwerpen sein Buch Monas hieroglyphica. Ein interessanter Verlagsort, denn bereits 1533 ist hier, neben anderen Werken, Agrippas Buch De occulta philosophia erschienen. Agrippa hat ab 1528 in Antwerpen als Arzt praktiziert und mit Unterstützung wohlhabender Bürger erneut alchimistische und mechanische Experimente durchgeführt, bei denen es um die Geheimnisse der Natur gegangen ist.
Auf dem Titelbild des Dee-Buches befindet sich, wie bereits bei einem vorhergehenden Buch, die Monade aus dem Stab des Hermes Trismegistos. Das Buch soll mathematische, magische, kabbalistische und analogische Inhalte gehabt haben. Seltsam. Nachdem Giordano Bruno 1591 ebenfalls in Zürich gewesen sein wird, veröffentlicht er im gleichen Jahr sein Werk Von der Monas, der Zahl und der Figur mit derselben Thematik. Was mag wohl die Monas hieroglyphica darstellen? Wenn man Monas als den Urgrund allen Seins übersetzt und hieroglyphisch mit heiliges Zeichen darstellend, die Abbildung mit uns heute geläufigen Symbolen vergleicht, dann kommen wir zu dem Schluss, dass es sich um eine Urzelle gehandelt haben muss. Somit liegt bereits 1564 ein Buch zur Zellbiologie vor. Ein ungeheuerlicher Gedanke. Doch schauen wir uns einmal an, was im einzelnen von der Monas gesagt wird. Sie stellt unter anderem dar:
-ein heiliges Einheitszeichen,
-eine universelle Einheit natürlichen und göttlichen Wissens,
-ein alchimistisches Gefäß, in dem die Transmutation abläuft,
-einen Speicher, in dem sich die ganze Vielfalt des Universums verdichtet,
-sie ist für Zeugung und Tod des Lebewesens verantwortlich.
Wie anders würden Sie die Funktionen einer Urzelle beschreiben, wenn Ihnen die modernen biologischen Bezeichnungen nicht geläufig wären?
Eine Zelle ist der kleinste eigenständig lebensfähige Organismus und alle höheren Lebewesen sind Mehrzeller, bauen ihre Körperstruktur aus Zellen auf. Die Zelle muss daher zu Recht als Grundeinheit, als Einheitszeichen allen Lebens bezeichnet werden. Biologen, wie der Nobelpreisträger und Mit-Entdecker der Struktur der DNS-Doppelhelix, Francis Crick, gehen davon aus, dass die Struktur der DNS im ganzen Universum identisch ist. Die DNS ist in jeder Zelle im weiteren Sinne Träger der Erbinformation. Eine universelle Einheit also. Und natürlich laufen in einer Zelle eventuell auch Vorgänge ab, die zu einer Mutation, einer Umwandlung der gewöhnlich vorhandenen Strukturen führen. Und dies beruht auf biochemischen Vorgängen innerhalb der abgegrenzten Einheit der Zelle. Nichts anderes als ein alchimistisches Gefäß, in dem eine Transmutation ablaufen kann. Wenn am Anfang der Schöpfung eine Urzelle mit dem universellen Code der DNS gestanden hat, dann sind aus ihr alle Lebensformen des Universums hervorgegangen. Die Zelle stellt so den Speicher dar, in dem sich auf geringstem Raum die ganze spätere Vielfalt des Universums verdichtet. Ein Gedanke, den Giordano Bruno in seinen Schriften aufgreifen wird, wenn er von einem homogen aufgebauten Universum schreibt, das eine unendliche Vielzahl von belebten Welten beherbergt, die von Lebewesen und Menschheiten der unterschiedlichsten Entwicklungsstufen bevölkert werden. Und letztendlich sind die Keimzellen für die Zeugung verantwortlich und geben gleichzeitig das Programm für ein späteres Absterben an alle ihre Tochterzellen weiter.
Wenn Michael Kuper feststellt, dass viele Gelehrte aus John Dees Epoche und auch in unserer Zeit das Buch Monas hieroglyphica aufgrund seines rätselhaften Charakters für schlicht nicht verstehbar halten , dann können wir uns denken warum. Niemand würde auf die Idee kommen, ein 436 Jahre altes Buch mit den Erkenntnissen unserer Zeit zu interpretieren. Erst wenn man den Schlüssel Genetisches Wissen in Altertum, Mittelalter und früher Neuzeit auf die alten Texte anwendet, dann beginnen sie ihre Erkenntnisse zu offenbaren. Und das noch über unseren jetzigen Erkenntnisstand hinaus, wie die Entdeckung der genetischen Rekonstruktion menschlicher Organe zeigt. Sollen wir denn wirklich glauben, dass die größten Wissenschaftler ihrer Zeit nur Unsinn und nicht verstehbare Bücher verfasst hätten? Das wäre nicht nur Zeitverschwendung, sondern ziemlich teuer, wenn man an die zuzuschießenden Druckkosten denkt. Wer hat eigentlich die Drucklegung der Bücher des entlaufenen Dominikanermönchs Giordano Bruno finanziert? - Sind es jene Gruppen von Eingeweihten gewesen, die Träger der alchimistisch-hermetisch-kabbalistischen Tradition, die er in jeder größeren Stadt seiner Reisen hat antreffen können? Ein anderer ständig Reisender ist Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim (1486-1535) gewesen, der berühmte Verfasser des Werkes De occulta philosophia(dt. Von der verborgenen Philosophie). Er hat zu seinen Lebzeiten nicht nur nahezu dieselben Orte wie später Bruno aufgesucht, sondern soll auch Mittelpunkt eines Geheimbundes gewesen sein, der sich mit Alchimie und der Erforschung hermetischer, neuplatonischer und kabbalistischer Texte befasst habe. Frances Yates: Solche Verbindungen sind immer schwer nachzuweisen; nichtsdestoweniger legt die Tatsache, dass bestimmte Kreise stets bereit waren, Agrippa auf seinen unablässigen Reisen aufzunehmen und zu unterstützen, den Gedanken nahe, dass irgendeine Art von Organisation bestanden haben könnte.
Das führt uns zu der Überlegung, ob nicht auch Giordano Bruno das bereits bestehende Netz der Organisation benutzt hat.
Nach seinem Besuch in Oxford reist der bereits erwähnte Fürst Albert Laski weiter nach Mortlake und besucht den berühmten Gelehrten John Dee. In seinem Gefolge befindet sich auch ein anderer Mann, der in den kommenden Jahren noch viel von sich Reden machen wird - Giordano Bruno. Laski interessiert sich, ebenso wie der Nolaner und John Dee, für Alchimie und Magie. Und während der Arzt Paracelsus zu seinen Lebzeiten immer Probleme mit der Veröffentlichung seiner Schriften gehabt hat, sorgt inzwischen Fürst Laski für die Herausgabe einiger ausgewählter Texte. In Mortlake haben sich damals zwei seelenverwandte Geister getroffen. Vielleicht sind es aber auch gleich drei gewesen, wenn man Giordano Bruno mitrechnet. Es wird berichtet, dass der Fürst am 18. Mai 1583 im Hause des John Dee mit zwei weiteren Herren eingetroffen sei. Philip Sidney und Giordano Bruno?
Michael Kuper führt aus: In seinem ständig anbaubedürftigen Landsitz ließ er [John Dee] sich auch ein Laboratorium einrichten, in dem er viel Zeit für mechanische Experimente und praktische Versuche chemischer Art opferte. Von Kontinentaleuropa seien ständig neue Apparaturen und neue Bücher nach Mortlake gelangt. John Dee hat zusammen mit seinem Partner Edward Kelley versucht, praktische Kabbala mit praktischer Alchimie zu verbinden. Kurz nachdem Dee mit seiner Familie und Kelley in Begleitung von Fürst Laski nach Kontinentaleuropa abgereist ist, zerstört eine aufgebrachte Menschenmenge Wohntrakt, Teile der kostbaren Bibliothek und mehrere Laboratorien des Dee´schen Anwesens.
Giordano Bruno gibt sich in seiner 1584 gedruckten Schrift Das Aschermittwochsmahl als Meister der Kabbala zu erkennen. Spätestens in Frankreich muss er die 1552 in Paris gedruckt erschienene erste lateinische, von Guillaume Postel kommentierte, Ausgabe des Sefer Jezira kennengelernt haben. Postel interpretiert die zehn Sefira der Kabbalistik als kosmische Sphären und schiebt daher zwischen die sieben von Aristoteles für die Planetenbahnen erfundenen noch eine achte und neunte Sphäre vor der zehnten, an der die Fixsterne befestigt seien, ein. Gegen den Unsinn einer christlich-mystischen Interpretation der Himmelswelt schreibt Bruno wortgewaltig, dass er entdeckt habe, wie man zum Himmel steigt, den äußersten Sternenkreis durchschreitet und die oberste Wölbung des Firmaments hinter sich lässt. All dies, um den menschlichen Geist und die Erkenntnis zu befreien:
Da kam der Nolaner und hat die Lufthülle hinter sich gelassen, ist in den Himmel eingedrungen, hat die Sterne durchmessen, die Grenzen der Welt überschritten und die erdichteten Mauern der ersten, achten, neunten, zehnten und weiteren Sphären zerstört, die törichte Mathematiker und das blinde Sehen gemeiner Philosophen noch hätten hinzufügen wollen. So hat er für jeden, der Sinn und Verstand besitzt, mit dem Schlüssel unermüdlicher Nachforschung diejenigen Hallen der Wahrheit geöffnet, die sich überhaupt von uns öffnen lassen.
Der Dialog Das Aschermittwochsmahl ist daneben eine Abrechnung mit den Oxforder Professoren und den von ihm als grobschlächtig empfundenen Engländern. Als Gast des französischen Botschafters führt die Vorgehensweise des Nolaners im weiteren Verlauf noch zu diplomatischen Verwicklungen, so dass er im folgenden Werk Über die Ursache, das Prinzip und das Eine die Wogen wieder glätten muss. Einmal wird sogar die französische Botschaft von einer aufgebrachten Menge gestürmt. Nicht auszuschließen, dass hinter dieser Aktion dieselben Kräfte stehen, die schon das Labor von John Dee haben vernichten lassen.
Nicht vergessen werden darf auch der Umstand, dass einige der 1492 aus ihrer wichtigsten mittelalterlichen Heimat Spanien vertriebenen Juden unter der Herrschaft Heinrichs VII. nach England gelangt sind. Und mit ihnen natürlich auch die Kabbala. Der jüdische Leibarzt Elisabeth I. ist übrigens eines Tages - ebenfalls von einer aufgebrachten Menge - am nächstbesten Laternenpfahl aufgehängt worden.
In London entstehen in kurzem Abstand zahlreiche weitere Schriften, unter anderem zur Kosmologie. Hans-Joachim Ulbrich und Michael Wolfram fassen den Inhalt von Giordano Brunos Werk Vom Unendlichen, dem Universum und den Welten (1584) folgendermaßen zusammen:
Sorgfältig trennt Bruno alles Wissen von Sonne, Mond, und Sternen aus den magischen, mystischen, religiösen Gewändern. Aus den vielzähligen und jahrtausendealten Quellen filtert er aus, was allein vor der Logik des Denkens besteht, vor der soeben formulierten philosophischen Vernunft. Wo sind die Kristallschalen, wo eine Grenze in der Nacht des Raumes? Wie kann die Weite des Alls einen Mittelpunkt haben und von wo aus sollte er bestimmt werden? Nur weil bisher niemand mehr Planeten gezählt hat, soll unser Sonnensystem lediglich sechs umschwingende Körper umfassen? Thesen, die mehr als 2000 Jahre unerschütterlich schienen, fegt er hinweg. Alle Fixsterne sind Sonnen, so wie unsere Sonne ein Fixstern ist. Und so wie unsere Sonne umkreist wird von den bekannten und noch unbekannten Planeten, werden auch die von uns fernen Sonnen von Planeten umkreist. Alle Gesetze der Bewegung und des Stoffes, die auf der Erde gelten, haben Gültigkeit auch auf allen übrigen Himmelskörpern. Nicht nur auf unserer Erde existiert Leben und welche Eitelkeit, nur bei uns Intelligenz zu vermuten. Und er stellt Hypothesen auf, deren Kühnheit weit voraus weist in die Erforschung des Kosmos.
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"Wer Perlen vor die Säue wirft, darf sich nicht wundern, wenn sie zertreten werden."
DAS ASCHERMITTWOCHSMAHL, 1584
von Giordano Bruno (1548 - 1600)