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DEUTSCHLAND - KINDESMISSBRAUCH IN DER KIRCHE
Für Sie sind wir nichts weiter als Menschenmüll!
Stand: 29.06.2018 | Lesedauer: 6 Minuten
Von Sabine Menkens Politik Redakteurin
[ FOTO: "Sie haben meine Kindheit zerstört": Klaus Kurz macht der katholischen Kirche schwere Vorwürfe --- Quelle: Sabine Menkens ]
Als der Mann im blauen Karohemd das Wort ergreift, ist es, als ob die Zeit gefriert. Kein Wort ist mehr zu hören im Saal der Akademie der Künste [in Berlin], nicht einmal ein Raunen. Nur die Stimme von Klaus Kurz, wütend und unerbittlich. Sie haben meine Kinderseele gemordet und meine Kindheit zerstört, ruft Kurz. Für Sie sind wir nichts weiter als Menschenmüll!
Es ist Bischof Stephan Ackermann, der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, dem die Anklage gilt. Aufrecht und still sitzt er da und hört zu, was Kurz zu sagen hat. Wie er im Kinderheim Hänsel und Gretel in Oberammergau gequält und vergewaltigt wurde, von zwei Priestern und einer Nonne des Ordens der Niederbronner Schwestern vom Göttlichen Erlöser.
Von 1965 bis 1978 hat Kurz dort gelebt. Dem 55-Jährigen zufolge begannen die sexuellen Übergriffe, als er sieben Jahre alt war, begangen durch einen Priester, den er Onkel Herrmann nennen sollte. Mit zehn Jahren sei es dann zur ersten Vergewaltigung gekommen, durch einen Gastpriester aus Chile, der die Sommerferien in Oberammergau verbrachte. Kurz berichtet von täglichem Analverkehr, der wochenlang andauerte. Und zur Belohnung gab es eine Kugel Eis. Im Sommer darauf war es dann Onkel Herrmann, der den Jungen vergewaltigte, im Keller, Tag für Tag.
Und auch eine Nonne habe sich an ihm vergangen, erzählt Kurz. Drei Jahre lang war ich ihr Prügel- und Liebesknabe. Einsperren im Keller, Essensentzug, Tritte gegen den Kopf, das Auflecken von Erbrochenem, das sei so das Repertoire gewesen, erzählt Kurz in knappen, harten Sätzen.
Verlorenes Seelenheil
Dann wieder habe die Nonne sexuelle Dienste gefordert, mit der Hand und mit der Zunge. Erst mit knapp 14 Jahren konnte Kurz das Heim verlassen, eine Familie adoptierte ihn. Sein Seelenheil hat er nicht wieder gefunden. Doch inzwischen sind er und andere Opfer des Priesters bereit zu sprechen. Für Sie sind wir doch nur Menschenmüll, sagt er noch einmal.
Es ist ein öffentliches Hearing der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs, auf dem Kurz seine Geschichte erzählt. Vor zwei Jahren im Nachgang des großen Missbrauchsskandals gegründet, will die Kommission Sprachrohr sein für all jene, die in der Familie, in Vereinen, Kirchen und Heimen Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sind und über das Erlebte oft jahrzehntelang geschwiegen haben.
904 Betroffene hat die Kommission bisher angehört, darunter auch 65 Opfer von Übergriffen kirchlicher Würdenträger. Mit dem öffentlichen Hearing will Kommissionspräsidentin Sabine Andresen erreichen, dass ihre Geschichten gehört werden und die Kirchen sich ihrer Aufgabe stellen, das in ihrem Namen begangene Unrecht aufzuarbeiten. Die beiden Kirchen haben häufig nur so viel getan, wie sie vor allem auf Druck der Betroffenen und der Öffentlichkeit hin tun mussten, sagt Andresen.
Matthias Katsch vom Betroffenenrat des Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung geht sogar noch weiter. Am liebsten sprechen die Vertreter der Kirche von dem, was sie heute zum Schutz der Kinder tun. Diese Flucht in die Prävention ist aber kein Ersatz für die Aufarbeitung. Die Betroffenen bleiben resigniert zurück, ohne Chance auf eine Wiedergutmachung für das Versagen der Institution.
Immerhin, die katholische Bischofskonferenz hat inzwischen mit Ackermann einen Missbrauchsbeauftragten, ein Amt, das in der evangelischen Kirche noch fehlt. Auch ein Forschungsprojekt über sexuellen Missbrauch an Minderjährigen hat die Bischofskonferenz in Aufrag gegeben, der Bericht soll am 23. September in Fulda vorgestellt werden.
Doch echte Konsequenzen habe keiner der Verantwortlichen zu spüren bekommen, sagt Katsch, der 2010 über die Aufdeckung von Missbrauchsfällen am Berliner Canisiuskolleg den Missbrauchsskandal mit ins Rollen gebracht hat. Kurz merkt man die Enttäuschung über und die Wut auf Ackermann an. Gerade einmal 5000 Euro Entschädigung habe er von der Kirche erhalten, sagt er. Es ist ein jämmerliches, erbärmliches Almosen, sagt Kurz. Sie scheren sich einen Dreck um mich.
Ich verstehe seine Wut
Ackermann bleibt ganz ruhig, als er die Klage hört. Er sei in Kontakt mit Kurz, sagt er anschließend. Ich verstehe seine Wut. Es stockt einem der Atem, wenn man solche Geschichten hört. Die Erschütterung nimmt nicht ab, sagt der Bischof. Auch wenn er nicht persönlich verantwortlich ist, weiß er, dass er jetzt Kristallisationspunkt ist für das Leid und die Emotionen der Betroffenen. Ich muss einfach standhalten und stellvertretend für andere der Fels sein, an dem die Menschen sich reiben können.
Ackermann betont, dass der Missbrauchsskandal einiges in Bewegung gebracht habe in der katholischen Kirche. Der Pfarrer, der unangreifbar auf einem Podest steht, den gibt es nicht mehr. Trotzdem bleibe ein Seelsorger eine Person des Vertrauens. Damit angemessen umzugehen, Übergriffigkeiten zu vermeiden, das sei inzwischen auch Inhalt der Ausbildung.
Und auch die evangelische Bischöfin Kirsten Fehrs aus Hamburg berichtet, die Evangelische Kirche in Deutschland habe sich dazu verpflichtet, flächendeckend Schutzkonzepte einzuführen. Entscheidend sei aber, dass die Kirchen in ihrer inneren Haltung Ernst machten mit der Aufklärung und gegen den Reflex angingen, zuerst die Institution schützen zu wollen: Es geht um Opferschutz, sagt Fehrs.
Gerade an einer solchen reflektierten Haltung fehle es teilweise aber bis zum heutigen Tag, sagt der Psychologe Heiner Keupp. Die Kirchen haben einen ausgeprägten institutionalisierten Narzissmus, sagt Keupp, der auch Mitglied der Aufarbeitungskommission ist. Die glänzende Fassade muss unter allen Umständen bewahrt bleiben und sei es durch komplizenhaftes Schweigen.
Wie perfide gerade kirchliche Täter ihre Machtposition auszunutzen verstehen, wie sie ihre schändlichen Handlungen teilweise sogar spirituell aufladen, um Kinder und Jugendliche auf der Sinnsuche an sich zu binden, das hat die Kommission bei vielen ihrer Anhörungen erlebt.
Und dann war da noch der Pfarrer, der sich der jungen Ministrantin nicht nur seelsorgerisch annahm. Vom elften bis zum 16. Lebensjahr missbrauchte er das Mädchen. Es war keine Gewalt im Spiel, sagt Mönius. Er sagte, durch die Nähe zu ihm komme ich auch näher zu Jesus. Manchmal dachte ich sogar: Vielleicht ist er ja sogar Jesus.
Nie mehr schweigen
Erst Jahre später durchbrach Mönius, die jahrelang unter schweren Depressionen litt, ihr schamhaftes Schweigen und konfrontierte die Kirche mit dem Missbrauch. Auch Schadenersatz erstritt sie. Der Pfarrer zahlte obwohl sie die Verschwiegenheitserklärung, die er ihr auferlegen wollte, nicht unterschrieb.
Mönius wendet sich ebenfalls persönlich an Bischof Ackermann. Ich kenne Sie nicht. Aber es ist das erste Mal, dass sich ein Vertreter der katholischen Kirche meine Geschichte anhört und mir dabei in die Augen sieht.
Nie mehr schweigen. Das ist wohl die wichtigste Botschaft dieses Tages. . |