Batb Rollenspiel: "Asche zu Asche"
New York, Mittwoch, den 25. Oktober 1989
Tag: 1
"Ich hatte nicht gedacht, Dich jemals wiederzusehen, mein Junge." sagt der alte grauhaarige Mann während der Wasserkessel zu pfeifen beginnt. "Erzähl mal, wie ist es Dir ergangen?" ruft er aus der Küche und bereitet gemächlich den Tee vor.
"Ich habe die Welt aus einem Blickwinkel gesehen, den ich mir vorher nie erträumt hatte. Ich war an Orten, die ich sonst nur aus Büchern und Erzählungen kannte. Das war alles so beeindruckend! Ich hätte mir nie erträumt, dass die Welt so schön sein kann, Jeffrey." sprudelt es vor Begeisterung aus dem jungen Mann auf der Couch heraus. Befremdend schaut er sich die Einrichtung an. Wenn er als kleiner Junge hergekommen war, hatte alles so eindrucksvoll auf ihn eingewirkt. Alles hatte wundervoll und märchenhaft ausgesehen. Vergilbte Tapeten waren von großen Ölbildern in schweren vergoldeten Rahmen verdeckt. Die Fenster mit alten Gardinen und dicken braunen Vorhängen verhangen. Das große dunkle Regal mit den vielen Büchern und der fast undurchsichtigen Staubschicht auf den zu Türmen hochgestapelten Büchern neben dem verschlissenen Sessel in der Ecke. Die Standleuchte, welche den Raum in gedämpftes Licht tünchte und eine Art von Gemütlichkeit ausstrahlte wie es bei Großeltern gewesen sein musste. Neben dem Sessel stets ein kleiner runder Tisch, auf dem immer eine Tasse Tee stand und daneben die Lesebrille mit dem vergoldeten Gestell, welches an einigen Stellen bereits dunkel oder abgenutzt wirkte.
Und nun wirkt alles gewöhnlich und alt, hat sein märchenhaftes Ambiente verloren. Verdeckt vom trivialen Spinnenweben einer schnelllebigen Welt, in der vergessen wird, was einst wichtig war.
"Was hast Du alles gesehen?" Der alte Mann steht in der Küchentür, zwei dampfende Tassen auf einem hölzernen Tablett. "Ich möchte alles wissen, und ich wünsche mir zu hören, dass Deine Suche erfolgreich war, mein Junge." Jeffrey wirkt leicht gebrechlich als er sich über den niedrigen Couchtisch beugt und die Tassen darauf platziert. "Hier ist Dein Pfefferminztee; mit drei Stück Zucker, so wie Du ihn immer gemocht hast." Er schiebt die Tasse zu dem Jungen herüber.
"Danke." sagt er und saugt den Duft genüsslich ein bevor er einen kräftigen Schluck davon trinkt. Nachdenklich dreht er die Tasse in seinen Händen, lässt die Wärme durch seinen Körper strömen. Schatten huschen über sein Gesicht, lassen sein Lächeln verblassen. Verdrängung.
"Nun lass Dir nicht alles aus der Nase ziehen, Johnathan! Erzähl schon! Wo bist Du hingereist? Was hast Du gesehen?" drängt der alte Mann ihn, der sich auf der anderen Couch niedergelassen hatte und ebenfalls an seiner Tasse nippte.
"Ich war in Frankreich und habe den Eifelturm gesehen. Du glaubst gar nicht wie groß er ist!" Johnathan untermalt seine Sätze mit großzügigen Handbewegungen, um Jeffrey zu beeindrucken. Seine Augen leuchten, die Augenbrauen staunend hochgerissen. "Ich war in Holland und in Deutschland. Der Kölner Dom war weitaus weniger imposant als der Eifelturm, aber wenn Du davorstehst und hinaufschaust, wird Dir erst dann bewusst wie unbedeutend und klein Du bist im Gegensatz zu einem überwältigenden Koloss, der den Zeiten trotzt und schon viele Menschenleben überdauert hat." Er hält einen Moment kurz inne. "Achja! Das hätte ich ja beinahe vergessen!" Er kramt in seinen Jackentaschen herum, durchsucht jede Tasche zweimal bis er einen kleinen grünen Stein in Kleeblattform herausholt und Jeffrey in die Hand drückt. "Das habe ich Dir mitgebracht! Du siehst also, dass ich mein Versprechen nicht gebrochen habe. Ich habe immer an Dich gedacht... an Dich... und die anderen..." Das Lächeln verblasst erneut. "Ich war an so vielen Orten und hätte so viele schöne Dinge sehen können, aber ich hatte nicht die Zeit dazu." Gedankenversunken starrt er auf das Spiegelbild, das ihn aus der Tasse heraus anstiert. Sein Blick schweift hinaus aus dem Fenster. Die untergehende Sonne tüncht den Horizont bereits in eine leuchtende Palette von Rosa über Orange bis hin zu Feuerrot. Er sammelt noch einmal seine Gedanken. "Ich kann Dir jetzt nicht alles auf einmal erzählen, Jeff. Wenn ich es noch heute abend schaffen will, muss ich jetzt los. Der Weg ist lang und ich habe kein Geld mehr. Kann ich morgen um dieselbe Zeit wiederkommen? Dann erzähl ich Dir alles bis aufs letzte kleinste Detail. Versprochen!"
Ein Lächeln breitet sich auf dem sorgenvollen Gesicht des alten Mannes aus. "Du weißt doch, Du bist immer willkommen und ich höre mir gerne Deine Geschichten an. Wenn Du an meine Tür klopfst, werde ich öffnen." Beide umarmen sich herzlich wie Vater und Sohn es täten. Der alte Mann verabschiedet sich nur ungern von ihm, fühlt sich aber nicht dazu imstande, die Jugend festzuhalten. Johnathan streift sich seine schwarze Jacke über. Es würde bestimmt kalt werden. Der Sommer war bereits Vergangenheit und war dem herbstlichen Wind gewichen. Noch einmal schaut er zurück. "Ich werde da sein." Lächelnd verlässt er das kleine Apartment. Die Tasche über die rechte Schulter geworfen geht er pfeifend die Treppe hinunter.
Noch lange starrt Jeffrey auf die geschlossene Tür bevor er sich den Tassen annimmt und sie zurück in die Küche zu dem Haufen Geschirr stellt, der nur darauf wartet von ihm gespült zu werden. Straßenlärm schallt von unten hinauf durch das halb geöffnete Fenster. Nachdenklich betrachtet er den kleinen grünen Stein auf dem Tisch. Entzückt von dem Farbenspiel von hellgrünen Tönen und dunklen Flüssen und Bächen, die sich wie kleine Adern auf die Oberfläche legen, lässt er den Stein in seiner Hand hin und herwiegen. Er wendet den Stein zu allen Seiten und freut sich darüber. Der Stein ist von nun an etwas Besonderes für ihn. Nicht nur weil er schön aussieht; es ist ein Geschenk von Johnathan. Ein unbezahlbares Geschenk, das von Herzen kommt, denkt er sich während der Stein in seiner Westentasche verschwindet.
Lautes Geschrei dringt durch die dünnen Mauern. Hohe unerträgliche Töne, wie eine gequälte Katze.
"Herr Gott nochmal! Hat man denn hier nie seine Ruhe?!"
Wie an jedem Abend nimmt er den Besen aus der Ecke und klopft mit dem Stiel gegen die Decke, obwohl er weiß, dass ihm das seine Ruhe auch nicht wiederbringen würde. Die Schreie werden immer lauter, ohrenbetäubender, nicht von Menschenstimme. Verwirrt presst Jeffrey seine Hände gegen die Ohren, der Besen fällt wie in Zeitlupe zu Boden. Der Aufprall des Stiels donnert unerträglich durch seinen Körper als wenn er die Geräusche erfühlen könnte. Angst pflügt sich durch sein Inneres. Herzrasend fließt der Schweiß in Rinnsälen über sein Gesicht. Alles dreht sich in seinem Kopf bis ihm die Orientierung den Dienst versagt. Unter dem unsäglich quälenden Geschrei leidend bemerkt er nicht, dass er selbst zu schreien begonnen hat. Verloren dreht er sich im Kreis, die Hände fest gegen die Ohren gepresst. Schmerzen kriechen seine Wirbelsäule hinauf, brechen durch sein Mark, fressen ihn von innen auf. Rücklinks versucht er die Tür zu erreichen, um dem unerklärlichen Horror zu entkommen. Seine Füße schlurfen tastend über den Teppich, vorsichtig, und doch bemerkt er nicht den Besenstiel hinter ihm. Die Schmerzen scheinen ihn nicht zu erreichen als er mit dem Kopf voran mit voller Wucht auf den Boden prallt. Blut rinnt aus seinem Mund als die Flammen sich durch seine Wohnung fressen.
* * *
"Hier ist Robert Quinn von Kanal 9. Ich stehe hier vor dem Hochhaus, das heute Nacht in Flammen aufging. Augenzeugen berichten, dass das Feuer gegen 21Uhr abends ausgebrochen sein soll. Die Feuerwehrleute, die hinter mir noch die letzten Funken löschen, haben die ganze Nacht gebraucht, um die Flammen unter Kontrolle zu bekommen und das Feuer nicht auf die umstehenden Gebäude übergreifen zu lassen. Die meisten Bewohner konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Wieviele Menschen von den Flammen eingeschlossen wurden, ist noch nicht bekannt. Die Polizei ermittelt noch und ich erfahre grade, dass die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wurde. Handelte es sich womöglich um Brandlegung? Oder sogar um einen gezielten Anschlag? Ich sehe grade den Staatsanwalt Joe Maxwell.... Mr. Maxwell, können Sie uns etwas über den Vorgang des Brandfalls sagen? Handelt es sich hierbei um Mord?"
"Kein Kommentar."
"Mr. Maxwell, warum wird die Staatsanwaltschaft in einen normalen Brandfall eingeschaltet? Hat die Polizei schon näheres herausgefunden?"
"Kein Kommentar!"
"Tja, meine Damen und Herren, das war Joe Maxwell. Ich gebe zurück ins Studio. Wir benachrichtigen Sie sofort, wenn näheres bekannt geworden ist. Das war Robert Quinn für die 8 Uhr Nachrichten auf Kanal 9."
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