Mist, mir ist gestern Abend noch was zu Gott eingefallen! Ich mach noch einen dazwischen, ja?
Neulich habe ich Gott im Supermarkt getroffen, bei Realkauf in Altwarmenbüchen. Er stand vor mir an der Kasse, ich glaube, es war sogar die Kasse 7. Zuerst habe ich ihn ja gar nicht erkannt, er sieht ja sowieso eher aus wie ein Penner, aber dann hat er sich etwas umgedreht und mich angesehen, da wußte ich Bescheid. Das ist schon was, wenn Gott ein Auge auf einen wirft! Da wird einem echt warm. Also ich finde das auch richtig gut, dass Gott sich so unters Volk mischt. Wenn der jetzt zum Beispiel Kekse braucht, könnten er ja eigentlich die Engel losschicken, aber nein, er geht selber. Man stelle sich einmal vor, der Ratzinger in Rom würde mal so eben zum Gemüsehändler gehen und Bananen kaufen, weil die sich in seiner venizianischen Dekoschale aus dem 16.Jahrhundert so gut machen. Das ginge ja gar nicht! Die Leute würden doch alle kreischen und außerdem wird der ja auch von diesen Soldaten mit den Hüten bewacht. Im Prinzip hätte Gott auch seinen Sohn schicken können. Jetzt nicht zum Zigarettenkaufen, aber so kleinere Besorgungen könnte der schon machen. Eigentlich warten ja auch alle auf den. Nicht auf Gott. Mit dem rechnet ja keiner! Deswegen finde ich es aber besonders stark von Gott, dass er persönlich runtergekommen ist. Ich hab mich nicht getraut, ihn anzusprechen, hätte auch nicht gewußt wie. Herr Gott? Sehr geehrter Gott? Hochwohlgeboren? Ich weiß es nicht! Oder womöglich noch Mr. Gott, wie in diesem Buch mit dem Kind am Telefon. Nene, ich hätte ja auch gar nicht gewußt, was ich sagen soll. Über das schöne Wetter wollte ich nichts sagen, hinterher hätte er mich ironisch gefunden und wir hätten uns gestritten! Aber neugierig, was er sich kaufen will, war ich dann doch.....
.........muss zur Arbeit, schreibe später weiter.
Re: Inspirationshilfe
Herr Feusal, den alle nur Scheusal nannten, war klein und dick und hatte einen bescheuerten Bartschnitt. Das wären unter normalen Umständen schon drei Gründe für Nicole gewesen, einen weiten Bogen um ihn zu machen. Die Umstände waren jedoch nicht normal, Scheusal war nämlich Nicoles Ausbilder. Diese Situation führte dazu, dass sie noch eine Reihe weiterer Unannehmlichkeiten ertrug, wie zum Beispiel sein Grinsen, seine Angewohnheit, zu Nicole "mein Engel" zu sagen, sowie die Art und Weise, mit der er ihr permanent unter irgendwelchen Vorwänden auf die Pelle rückte. Er war wie ein Schatten, nur dass ein Schatten normalerweise nicht redete und redete und redete. Und was für einen Quatsch er erzählte. Und alles tausendmal. Und auf eine Art und Weise, als ob dies hier eine beschützende Werkstatt wäre. Oder ein Heim für Blöde. Nicole war nicht blöd. Blöd war nur, dass sie sich auf diese Lehrstelle im Kaufhof Zentrallager Nord eingelassen hatte. Bescheuerter konnte man seine Karriere als Groß- und Einzelhandelskauffrau nicht beginnen. Echt nicht.
"Die letzten vier Stellen der Artikelnummer auf der Liste, von rechts aus gesehen, ja, Nicole, nicht drei, nicht fünf, nicht links, nicht Mitte. Nicht die glorreichen, nicht die fantastischen, sondern die letzten vier, das machen wir eben so, frag nicht warum, das hat sich so eingespielt. Die vergleichst du mit den Artikelnummern auf dem Regalbrett, in dem Fall K131, das ist die fette Nummer hier, am Regal steht sie hier außen, hier die 131, da drüben das K, und wenn die Nummer, also die vier Stellen, gleich sind, dann rein mit dem Artikel in den Korb und abhaken, Nicole, verstandibus?"
"Ja."
Scheusal arbeitete seit 20 Jahren in der Firma und so sah er auch aus. Sein Bartschnitt war der eines Perversen, sein Humor der eines Zurückgebliebenen und sein Alltag der eines Endzeitsingles. Nicole war angewidert. Naja, morgen war wieder Berufschule, und zweimal die Woche Lager würde sie vielleicht gerade noch überstehen. Außerdem würde sie mittags wieder am Tisch mit Azuz, dem Palästinenser sitzen, der immer so sexy lächelte. Aber bis dahin war es noch eine halbe Stunde hin.
"4313. Das sind die Weihnachtsengel da oben!"
"Ja."
"Holst du mir mal einen runter?"
"Wie bitte?"
"Na, einen runterholen." Er grinste breit. "Von den Weihnachtsengeln!"
"Ach so. Jaja."
Mein Gott, war der Typ ekelhaft. Noch 29 Minuten. Vielleicht sollte sie Azuz zu einem kleinen Selbstmordattentat überreden oder so, jedenfalls war das ja hier nicht auszuhalten. Nein, lieber nicht, es wäre schade um ihn.
"Wenn du jetzt hier nach oben guckst, was siehst du dann da?"
"Wo?"
"Da oben. Wo eben noch der Engel stand."
"Nichts."
"Genau, nichts! Jetzt ist er ja hier im Korb, der Engel. Da oben ist keiner mehr. Statt eines Engels ist da jetzt eine Leerstelle. Fast wie bei uns in der Firma. Nur dass wir statt einer Lehrstelle jetzt einen Engel haben."
"Oh Mann!"
"So, mein Engel. Und was machen wir dann? Wenn wir eine Leerstelle haben?"
"Keine Ahnung. Füllen?"
"Ganz genau. Dafür gibt's hier diese Spalte. Da machst du ein F rein. Für Füllen!"
"Könnte ich nicht einfach ein Häkchen machen?"
"Hör zu, mein Engel. Wenn hier jeder die Spalten füllen würde, wie er wollte, dann würde die Firma bald den Horten machen. Aber wenn du schön machst, was Chefchen sagt, dann wird sie blühen und gedeihen, und da haben wir dann alle was davon. Wenn's den Großen gut geht, fällt auch was für die Kleinen dabei ab!"
Nicole musste ein wenig grinsen, als Scheusal von den "Kleinen" sprach, immerhin war sie zwei Köpfe größer als er. Sie neigte den Kopf ein wenig zur Seite und besah sich die Schneekugeln mit den Zwergen darin. Schneekugeln und Weihnachtsengel im Juli, wie bescheuert war das denn? Einer der Zwerge, ein mittelgroßer, aber besonders gnubbliger, erinnerte sie an Scheusal, was sie noch mehr zum Grinsen brachte.
"Na, gefallen dir die Schneekugeln?" Scheusal stand wieder direkt hinter ihr, mit explizitem Körperkontakt, und schielte an ihr vorbei in die Regale. "Schau mal, hier gibt's auch eine mit nem Engel. Sieht aus wie du, nicht wahr? Hier, ich schenk sie dir!"
"Die gehört ihnen doch gar nicht, sondern der Firma?"
"Und jetzt gehört sie dir! Steck ein, ich sag niemandem was." Er steckte Nicole die Kugel in die Vordertasche in ihrem Pulli. Er zwinkerte ihr zu: "Kein Problem. Wir verstehen uns, oder?"
Nicole nahm die Schneekugel wortlos wieder aus ihrem Pulli und stellte sie zurück ins Regal. Dann blickte sie auf die Liste und suchte weiter Spieluhren, Christbaumkugeln, Strohsterne, Weihnachtsdecken, Kerzen, Lametta und allerhand Nippes aus Glas und Kristall aus den Regalen, legte es in ihren Korb, hakte es ab und malte ab und zu ein F. Scheusal plapperte jetzt nicht mehr so viel, scharwenzelte aber immer noch um sie herum und überprüfte, dass sie auch nichts falsch machte.
Danach ließ er ein bisschen von ihr ab und begann selbst, ein paar Artikel nach einer anderen Liste aus den Regalen zu holen, nicht ohne ihr ab und zu zwischen den Regalen zuzuzwinkern oder eine kleine Bemerkung über ihr Arbeitstempo oder ihre Beine zu machen.
In der Mittagspause setzte sie sich neben Azuz, der, wie sie wusste, hier nur für ein paar Wochen als Aushilfe arbeitete und eigentlich Maschinenbau studierte. Sonst saß niemand an ihrem Tisch. Nach ein paar einleitenden Worten kam sie schnell zur Sache:
"Scheusal baggert mich voll an. Und ich glaube, er will mir eine Falle stellen. Heute wollte er mir eine Schneekugel unterjubeln, ich hab sie aber wieder zurück ins Regal gestellt."
"Das ist eine seiner Maschen. Er will dir drohen, dich bei der Leitung zu verpetzen. Wahrscheinlich will er, dass du ihm einen runterholst. Da steht er drauf."
"So ne Andeutung hat er auch schon gemacht. Kann man nichts gegen den Typ tun? Habt ihr nicht ne Idee für einen kleinen Anschlag oder so?"
"Klar doch. Wir Palästinenser sind ja auf sowas spezialisiert."
"Soll das ein Witz sein?"
"Ja."
"Hahaha. Jetzt mal im ersnst. Ich bin echt verzweifelt mit dem Typ. Vielleicht sollte ich zum Betriebsrat gehen?"
"Scheusal ist der Vorsitzende. Das hat die Leitung so eingefädelt."
"Ich pack's nicht. Ich pack's echt nicht!"
"Weißt du was? Ich habe eine Idee!" Azuz beugte sich zu Nicole herüber und flüsterte ihr etwas zu.
Später steckte Nicole unauffällig Azuz eine Schneekugel in die Jackentasche an der Garderobe. Es war das Modell mit den Zwergen.
Zwei Tage darauf kam sie auf Scheusal zu und meinte zu ihm, sie hätte es sich überlegt und würde das angebotene Geschenk doch gerne annehmen. Scheusal, der das unerwartete Glück kaum fassen konnte, suchte ihr eine schöne Engelsschneekugel aus und überreichte sie ihr grinsend. In Gedanken hatte er schon einen Ständer. So merkte er nicht, dass Nicole im nächsten Augenblick die Kugel wieder unauffällig zurück ins Regal stellte.
Tatsächlich war Scheusal durchschaubar genug, Nicole kurz vor Feierabend vor dem Damenklo anzusprechen: "Ich weiß da was über ein Ding in deinem Pulli, von dem die Betriebsleitung nicht erfreut wäre zu erfahren."
"Ach, weißt du, ich wollte sowieso grade gehen!"
"Dafür wirst du aber kein gutes Zeugnis bekommen, Nicole. Wenn du ein bisschen freundlich zu mir bist, sorge ich allerdings dafür, dass dein Zeugnis astrein wird!"
"Leck mich am Arsch, Scheusal!" Der Satz kam spontan und direkt aus Nicoles Mund und traf Scheusal wie ein Kanonenschlag. Er zitterte am ganzen Leib, sein Kopf wurde rot und es erweckte fast den Anschein, als ob er anfinge zu dampfen. "Werkschutz!" rief er schließlich mit dünner Stimme und dann noch einmal: "Werkschutz!"
Als er wieder die Fassung erlangt hatte, begann er, ihr hinterherzurennen. "Das war sehr dumm von dir!" rief er, und dann lauter: "Halt, stehenbleiben! Werkschutz!" Kurz vor Erreichen des Eingangstors kamen sie am Büro des Betriebsleiters, Herrn Mattis, vorbei. Vor seiner offenstehenden Bürotür ergriff Scheusal Nicoles Oberarm und rief noch einmal:" Stehenbleiben! Was haben wir denn da in unserer Tasche?"
Herr Mattis blickte leicht irritiert, erhob sich dann von seinem Schreibtisch und ging auf die beiden zu: "Immer sachte, Herr Feusal. Könnten Sie mir erklären, was hier vor sich geht?" In dem Augenblick kam auch Herr Wondratschek, der Werkschutzbeauftragte, gemächlich um die Ecke gebogen. Scheusals Alarmrufe hatte er schon oft genug gehört, um sich in so einer Situation nicht mehr zur Eile gerufen zu fühlen.
"Sie hat geklaut. Hier, in ihrem Pulli. Komm, zeig her, Kleine, was du da hast!" Lässig nahm Nicole die Hände aus den Taschen und zeigte vor, was sie unter ihrem Pulli versteckt hatte: Eine Schneekugel. Scheusal grinste und baute sich breitbeinig vor ihr auf. Mattis legte die Stirn in Falten, schüttelte den Kopf und streckte langsam die Hand nach der Kugel aus. Wondratschek senkte den Kopf und legte Nicole seine Hand auf die Schulter, mehr zum Trost als um sie festzuhalten.
Als Mattis die Kugel in der Hand hatte, vertieften sich die beiden Furchen zwischen seinen Augen noch ein gutes Stück. Dann begann er zu grinsen. Erst zu grinsen und dann lauthals zu lachen. Er gab die Schneekugel an Wondratschek, der ebenfalls anfing, loszuprusten. Dann ging er kurz zurück in sein Büro, drückte einen Knopf an der Sprechanlage, und kurz darauf ertönte eine Durchsage im gesamten Betrieb: "Alle Mitarbeiter bitte zum Ausgang kommen. Hier gibt's was Lustiges zu sehen!"
Der sichtlich irritierte Scheusal besah sich nun auch die Scheekugel etwas genauer, worauf ihm seine eben noch so strammen Gesichtszüge schwerwiegend entgleisten. In der Kugel war kein Engel zu sehen und auch keine Zwerge. Naja, ein Zwerg schon. Aber dieser war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, er hatte sein Gesicht, seinen Bart und seinen Bauch und sogar seine immer eine Nummer zu großen Kleider an. Nur die Bundfaltenhose, offensichtlich aus Wachs oder einem ähnlichen Material mit großer Kunstfertigkeit hergestellt, war bis zu den Füßen des Zwerges heruntergezogen. Darunter kam ein ebenfalls mit großer Liebe gefertigter kleiner Schniedel zum Vorschein, den der Zwerg grinsend in Richtung der heranströmenden Menge hielt.
"Das ... ist ... eine Unverschämtheit! Das hat diese Person gemacht, um mich zu brüskieren! Das wirst du büßen!" Als er mit den Fäusten auf Nicole losgehen wollte, hielt ihn Wondratschek am Gürtel fest und hob ihn ein klein wenig an, bis er den Boden unter den Füßen verlor und wild um sich zu schlagen begann.
"Jetzt ist es gut, Herr Feusal. Ein solches Produkt haben wir wirklich nicht im Sortiment, hier kann es sich unmöglich um einen Diebstahl handeln. Obwohl ich es ja amüsant finde, vielleicht sollte man mal mit dem Art Director sprechen, möglicherweise gibt es ja dafür einen Markt. Allerdings findet unter Umständen nicht jede junge Auszubildende ihre Art von Geschenken lustig, stimmt's, Frau ..."
"Schmalz-Kuhlbrodt. Dankeschön, Chef, sie können auch Nicole sagen. Würde es eigentlich viele Umstände machen, mir einen anderen Ausbilder zuzuweisen. Ich finde die Geschenke von Herrn Feusal in der Tat nicht sehr witzig. Hier, sie können es behalten, Herr Mattis."
"Vielen Dank, Nicole. Und ihre Bitte erfülle ich gerne, die Zufriedenheit unserer Mitarbeiter hat bei uns absoluten Vorrang. Herr Feusal, bitte packen sie für heute ihre Sachen. Und kommen Sie morgen früh mal in mein Büro."
Unter allgemeinem Gekicher ging Scheusal mit hängenden Schultern zu seinem Spind. Als er ihn öffnete, fielen ihm unter dem entsetzten Blick des hinter ihm stehenden Kollegen Wondratschek hundertfünfzig sauber gestapelte Schneekugeln vor die Füße.
Re: Inspirationshilfe
Sehr schöne Geschichte! hab ich gern gelesen!!
Re: Inspirationshilfe
Das Ende finde ich wirklich genial!
Re: Inspirationshilfe
Die Geschichte ist sehr gut. Nur zwischenzeitlich gab es eine Schneekugelzusteckaktion, bei der mir nicht klar war, ob Nicole es bemerkt hatte oder nicht und so wartete ich vergebens darauf, dass sie trotzdem erwischt wurde. Natürlich war ich dann erleichtert....
Johann, ein Stichwort?
Re: Inspirationshilfe
Die zweite zugesteckte Schneekugel hab ich weggelassen. Danke für die schönen Worte. Nun mein neues Wort: Liebesentzug
Owl owl!
Re: Inspirationshilfe
Das klingt nach Suchttherapie und Substitution.....
Re: Inspirationshilfe
Zitat Johann: Keine Angst vor langen Texten! Bittschön!
Muhammads Lösung
Johann hatte nie Zeit. Er litt böse an diesem Mangel und an nicht wenigen Tagen fühlte er sich schier getrieben von der Lust, sämtliche Uhrwerke auf dieser Erde mit einer großen Bombenexplosion zu zerstören, um fortan in anarchistischem Einklang mit Sonne, Mond und Sternen zu leben.
Johann hatte auch nur zwei Hände. Gott weiß, wie sehr er diesen Tatbestand bedauerte, denn immer waren diese Hände gefüllt oder ergriffen oder auch nur zum Festhalten oder Tragen verurteilt. Waren sie gerade leer, so schlief Johann, denn das musste ja auch mal sein. Johann wollte mindestens noch drei Hände zusätzlich, das würde dann insgesamt fünf machen. Das würde doch genügen, meinte er und litt auch an diesem Mangel sehr, sehr böse.
Johann wollte schreiben. Eigentlich immer. Zu viele Ideen bevölkerten sein Hirn, schafften sich mehr Platz, als ihm lieb gewesen wäre, aber im Prinzip war er ja froh über ihre Anwesenheit. Er wolle sie nur unbedingt aufschreiben, dachte er oft, ehe er senil werde und alle seine kostbaren Ideen auf Nimmerwiedersehen im ewigen Gedankennichts verloren gingen. Die Ermangelung an Zeit und Händen brachte zwangsläufig diesen Schreibmangel mit sich. Johann litt also auch an Jenem und zwar fürchterlich böse.
Eines Tages stand er, an der rechten Hand ein Kind, an der linken zwei schwere Einkaufstüten, vor den Toren eines großen Einkaufszentrums am Fahrradständer. Das Kind quengelte und er beugte sich gerade hinab, um den Grund der Missstimmung zu erfragen, da tippte ihn von hinten jemand auf die rechte Schulter. Augenverdrehen fuhr er herum und sah in das breite Gesicht eines schnurrbärtigen Mannes mittleren Alters.
Du wollen gute, billige Ware kaufen? Ich haben alles!, rief der Mann mit offensichtlichem Migrationshintergrund und überraschend greller Stimme. Johann atmete hörbar aus.
Nee danke, ich hab auch alles muss schnell los , sagte er müde und zückte den Fahrradschlüssel.
Du haben nie Zeit? Ich haben Löööösung, großartige Löösung für Dich. Du werden wundern.
Johann stutzte kurz. Woher wusste der Mann von seinem bösen Mangel?
Es gibt keine Lösung, mein Herr, ich muss da einfach durch und nun Tschüss!
Ich haben hier, momentemal, der Typ kramte in seiner verschlissenen Manteltasche, Adresse von Laden. Da geben wunderbare Dinge für Menschen mit zu wenig Zeit und Händen. Musst Du gucken, ist mein Laden, macht Muhammad für mich, ich müssen ofters Familie."
Johann nahm wortlos den Zettel und wand sich wieder seiner kleinen Quenglerin zu. Wider Erwarten zog der Schnurrbärtige von dannen und Johann tobte mit Kind, Einkauf und Fahrrad heim, um seiner Frau das versprochene Essen zu zaubern. Er wollte sich unbedingt für heut Abend ein, zwei Stunden Zeit erwirtschaften. Denn er hatte eine neue Geschichtenidee, die partout aufgeschrieben werden musste.
Aber als nach sämtlichen und überdies zahlreichen Erledigungen seine Gattin auch noch mit Grundsatzdiskussionen über gesunde Ernährung anfing, klappte Johann erschöpft seinen gedanklichen Ideensekretär zu und ging lieber schlafen. In der Nacht träumte er von Muhammads Laden, von wundersamen, zeitspendenden Sachen und von Warenregalen voller gestapelter Hände. Sein Traum war so schön, dass er am nächsten Morgen ganze zwei Stunden früher als sonst aufstand und die Wohnung blitzblank putzte, Butterstullen für die Kleinen schmierte und seiner Liebsten Kaffee ans Bett brachte. Diese staunte nicht schlecht und gab ihm zum Dank eine dreiviertel Stunde am Vormittag für jene besondere Erledigung, die Johann so geheimnisvoll andeutete, frei. Er radelte sofort los.
Alis Basar, stand über den verrammelten Schaufenstern. Johanns Hoffnung sank ob jenes ordinären Eindruckes, den dieser Name auf ihn machte. Trotzdem das kleine Ladengeschäft im tiefsten steintorschen Milieu geschlossen anmutete, drückte er die Klinke herunter und siehe da, sie öffnete sich mit leisem Bimmeln fast wie von selbst. Aus einer dunklen Ecke schoss eine massige Kopftuchfrau heran.
Johann zeigte ihr schnell den Zettel. Sie nahm ihn und verschwand im Hinterraum. Fremdländisches Gemurmel war zu hören, dann drang eine Kopie des Schnurrbärtigen von gestern in den Verkaufraum und fasste Johann an beide Schultern. Strahlend und ebenso radebrechend wie der Gestrige stellte sich die Kopie als Alis Schwager Muhammad vor und pries sogleich die vielen Wunderdinge in seinem Geschäft an, führte Johann dabei am Rücken schiebend durch den engen Raum. Hie und da holte er nicht gerade neuwertig anmutende Gegenstände wie Autoradios und Handys aus den schmutzigen Regalen und Johann musste fortwährend den Kopf schütteln und versichern, genau solch Dinge suche er nun gerade nicht.
Und dann schob dieser Muhammad einen Vorhang beiseite und legte einen überaus antiken Sekretär frei, den er sogleich öffnete. Einer Schublade entnahm er einen kleinen Karton.
Darin liegen Lööösung, Du werden sehen. Ich geben Garantie und Du sagen Bescheid, ob funktionieren. Klar?
Johann öffnete den Karton. In ihm lag ein klitzekleiner Gegenstand, der einem dieser komischen Mikrochips aus James-Bond-Filmen sehr ähnelte. Das interessierte ihn nun doch, dachte er und nickte langsam. Und schon stürmte Muhammads Frau aus dem Hinterstübchen und fasste ihn an die Hand, zog ihn mit sich nach hinten. Und weil die Frau soviel unverständliches Zeug redete und ständig an ihm herumfuhrwerkte, ließ sich Johann etwas verwirrt auf einer schmuddeligen Kunstlederpritsche mitten im schummrigen Raum nieder. Er lag schon auf der Seite, als er plötzlich einen Pieks am Ohr bemerkte.
Als er zu sich kam, stand er schon wieder auf der Straße. In der einen Hand den kleinen Karton, in der anderen seinen Schlüssel, stand er dort und fragte sich, ob er das nicht vielleicht doch nur geträumt hatte. Er öffnete die Schachtel und in ihr lag kein kleiner Chip mehr. Dafür aber ein gefaltetes Papier und ein Kabel. Ein Blick zur Uhr trieb ihn jäh zur Eile an und er schwang sich flugs auf seinen Drahtesel. Während der Fahrt dachte er an seine Geschichte, die er eigentlich schon gestern hatte schreiben wollen und sponn sie in Gedanken einfach weiter und weiter und kam schließlich mit einer sagenhaften finalen Showdownidee und leichtem Kopfschmerz zuhause an.
Um 22.30h war endlich Ruhe im Haus. Seine bessere Hälfte war ausnahmsweise einmal unterwegs und so hatte Johann Zeit für seine Geschichte und diese Sachen in der Schachtel. Er entnahm den Zettel und las.
Das war ja nun komplett fragwürdig, befand er nach der Lektüre. Er holte sich erst einmal einen Rotwein und steckte danach kopfschüttelnd das beigelegte Kabel in sein linkes Ohr. In Jenes, hinter dem er mit den Fingerspitzen eine minimale Erhebung ausmachen konnte. Am Ende des Kabels, welches nun in seinem Ohr verschwunden war, befand sich laut Anleitung ein Sensor. Das USB-Ende des Kabels fummelte er folgsam in die dafür vorgesehene Buchse am PC. Johann musste leise lachen. Etwas peinlich war ihm das schon, so vor sich selber. Aber er betätigte gemäß der Anleitung den Kippschalter am Kabel und in seinem Kopf begann es zu brummen.
Auf dem Bildschirm erschien ein sehr langer Text. Sofort erkannte er den Plot seiner gedachten Geschichten. Der Schweiß brach ihm aus. Doch er las weiter und entdeckte zwischen dem ohne Punkt und Komma geschriebenem Wortwust auch Sätze, die er offensichtlich zwischendurch gedacht haben musste und die nichts mit der Geschichte zutun hatten. Scheiß-Ampel stand da zum Beispiel, oder weiter unten blöde Kuh und wenig später sogar etwas von Hilfe, ich will hier raus! Als er Meine Kimme juckt so widerlich las, schoss ihm die Schamesröte ins Gesicht.
Etwas hysterisch goss er Wein nach und scrollte bis zum Ende runter. Tatsächlich, alles stand da, die komplette Geschichte, auch der geniale Showndown. Wenn er die störenden Zwischengedanken löschte, ersparte er sich diese ganze Tipperei und damit enorm viel Zeit. Innerlich jubelnd stürzte er den Wein hinunter, goss wieder nach und machte sich an die Arbeit. Schon nach einer halben Stunde war er fertig. Er löschte seine Gedankenaufzeichnungen vom Chip, nachdem er alles im Computer abgespeichert hatte. Er entnahm das Ohrkabel, legte es zurück in den Karton und sich betrunken, glücklich und zudem erfrischend früh schlafen.
Doch unvorsichtigerweise vergaß er, vor dem Einschlafen den Off-Schalter zu betätigen und so war schon am Mittag des nächsten Tages der Speicher jener kleinen Zauberminifestplatte voll. Bemerken tat er es an dem leisen Piepen im Ohr. Doch wo war gleich dieser verdammte Schalter, fragte er sich, als er gerade das Rührei für seine Kinderschar briet und fingerte an der Erhebung herum. Doch ja, da war ein noch kleinerer Huckel, er drückte und das Piepen verschwand.
Erst abends fand er wieder Zeit und las erschrocken seine Träume. So etwas träumte er? Wohlmöglich jede Nacht? Igitt, dachte er und löschte alles. Dann nahm er sich mehr Gedankendisziplin vor. Morgen zwei Geschichten. Übermorgen drei. Schluss für heut, Johann, und mach bloß den Chip aus!
In den folgenden Tagen produzierte Johann auf diese Weise dreizehn Geschichten und sieben Gedichte. Pro Tag, wohlgemerkt. Er löschte an jedem Abend schnell und ohne viel Skrupel seine überflüssigen Gedanken und las Korrektur. Der Erfolg gab ihm Recht, denn in seinem Lieblingsforum wurde er als der Geschichtenproduzent vorm Herrn heiß gehandelt. Er bekam sogar von wildfremden Gästen Einladungen zu Leseveranstaltungen. Johann schien glücklicher denn je.
Doch sein steter Kopfschmerz nahm zu und seine Ideen verließen ihn mehr und mehr. Schaute er abends auf den Gedankenauswurf, so nahmen die unangenehm störenden und zudem ja auch peinlichen Ergüsse immer mehr Raum ein und Johann war zutiefst beschämt. Je beschämter er wurde, desto gehemmter auch und seiner Frau fiel sein staksiges Verhalten auch schon auf. Ja, sogar sein dreijähriger Sohn meinte einmal: Papa krank?
Johann las dann abends am PC seine unbewusste Sorge, der Kleine könne denken, er strafe ihn mit Liebesentzug. Da löschte er in plötzlicher Eingebung alle Aufzeichnungen ungespeichert und drückte den Off-Schalter am Chip.
Nach nur einer Woche und drei Tagen stand er wieder vor Alis Basar, die Schachtel in der verkrampften Hand. Sein Kopf dröhnte. Er atmete tief durch und öffnete die Tür. In einem Anflug von Deja Vu schoss Muhammads Gattin heran, erkannte ihn sogleich, schoss zurück und kurz darauf schlich Muhammad hervor. Er rieb sich die Hände und lächelte feist.
Nun sein zufrieden?
Johann stammelte sein Entsetzen und seine bedrückenden Kopfschmerzen heraus, vergoss sogar ein bis zwei Tränen. Eische Muhammads Gattin stellte sich erst jetzt namentlich vor- braute ihm erst einmal einen starken Mocca.
Kein Problem sein, keeiiin Problem, Du haben Garantie, ich haben Lööösung. Du kommen mit. Muhammad zog ihn hinter sich her und schob ihn auf die Pritsche. Johann legte sich freiwillig auf das Kunstleder und genoss den Pieks. Beim Aufwachen stand er diesmal jedoch noch im Ladengeschäft, war rechts und links von Muhammad und Eische eingerahmt und hörte gerade ersteren sagen:
Du wollen mehr Hände? Ich haben Löööösung für Dein Problem, Du gucken hier
Ein anderer Vorhang wurde beiseite geschoben und legte ein hohes Regal bloß, in dem sich unzählige Hände übereinander stapelten. Endlich frei von Schmerzen dachte Johann träge, interessant sei das nun auch wieder und nickte geistesabwesend.
Und schon schoss Muhammads Frau heran und schob ihn ins Hinterstübchen. Der nachfolgende Pieks war für Johann kaum spürbar
Re: Inspirationshilfe
Das mit den Händen hab ich dann doch nicht gemacht. Aber ich hab von Mohammad dass Tipp bekommen, dass Juri aus dem Russenladen gegenüber einen ausgedienten Zeitmaschinenprototypen aus dem Forschungszentrum Bajkonur zumindest in Teilen in seinem Keller lagern hat. Man kriegt ihn zwar nicht mehr auf Dauer flott, aber es dürfte reichen, um mich einmal zu verdoppeln. Der Trick ist, dass ich mich fünf Minuten in die Vergangenheit schicke (mehr ist wohl nicht drin), aber wenn ich dabnn fünf Minuten später in die Gegenwart komme, dann lasse ich's einfach. Schon gibt's mich zweimal und ich kann alles erledigen. Das ist besser als fünf Hände. Ich geh da morgen mal hin.
Wie dem auch sei. Das ist eine sehr schöne Geschichte, in der ich mich durchaus wiederfinde. Vielleicht sollte ich sie mal meiner Fru vorlesen, die heute schon wieder so mit mir geschimpft hat (obwohl ich endlich die Küchenstühle und den Kinderwagenreifen und das Puppenbett repariert habe). Dankeschön
Owl owl!
Re: Inspirationshilfe
Oh - hier stehen ja auch längere Texte!
Der Herr Feusal ist ein echter Sympath.
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