Gruppe Enigma - Texthaufen

Inspirationshilfe

Re: Inspirationshilfe

Ich schreib gleich was, mein Bruder regt mich gerade derbe auf, also nicht wundern, wenn das ein wenig... duester wird.
Btw: kannst den Eintrag wieder rein stellen. Mir fiel auf, dass der Charakter nicht genug aehnlichkeit mit mir hat, als dass ich mich aufregen sollte.
Irgendwo find ich es sogar... lustig...

Re: Inspirationshilfe

wenn ich mal ein thema vorschlagen dürfte: lesungen

wie soll man eine persönliche lesung herangehen?
was ist der zweck einer?
was ist das ausschlaggebende für das publikum, zu einer solchen zu kommen?
wie seht ihr die chancen einer großen resonanz, wenn ich zum beispiel texte von gottfried benn oder ehm, rainer maria rilke vortrage?



Re: Inspirationshilfe

Zuerst einmal Johannes Zwiebelsuppe.

Kuehle Haende, wie lebloses Wachs hielten die Schuessel Zwiebelsuppe.
Bleich, zitternd hingen sie da, waehrend das warme Zwiebelaroma in die Nase stieg.
Alles war totgefrohren von Aggression, kalter, verachtender Schweiss kroch den Ruecken herab.
Innen war alles Leblos, aussen war alles zusammen gezogen.
Alles nur ein Traum. Alles nicht wahr.
So viele Erinnerungs- und Beziehungskonstrukte, die doch nicht bestaendiger als die Fettaugen auf der Suppe waren.
So viele Dinge und alle verschwanden wie die durchweichten, gelben Zwiebelscheiben im Munde.
Der Mund schmeckte sie nicht, doch sie schmeckten ihn.
Waerme glitt die Kehle hinunter, landete im brodelnd-sauren Magen.

Re: Inspirationshilfe

Eins vor der Zwiebelsuppe: Morgue, du bist ein Chaot! Und die Frage mag ich, aber - hier? Dann lieber Zwiebelsuppe.



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Leben heißt Suchen

Re: Inspirationshilfe

Ähem... DAS ist nicht so ganz die Idee dieses Threads "Inspirationshilfe". Hier geht es nicht darum, ein Essay oder ein Handbuch zu schreiben, sondern darum, ein Stichwort zum Anlass für einen (literarischen) Text zu nehmen.
Zugegeben: Die Disziplin ist hier auch ein wenig aus den Fugen geraten, aber die Grundidee wird immer noch verfolgt.



Frauen neigen zum Gegenteil.


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Hier stand früher: "Frauen neigen zum Gegenteil." Aber jetzt nicht mehr.

Re: Inspirationshilfe

Neues Wort:
Splitter

Re: Inspirationshilfe

Wenn irgendwer jemals Andrea Pachisi in ihrer kleinen Dachwohnung in der Georgstraße besuchen gekommen wäre, hätte er sich sicherlich über den riesigen alten Eichenschrank aus dunklem Mahagoniholz gewundert, der ihrem Flur sämtliches Licht stahl, was auch sonst den Weg dorthin kaum gefunden hätte, dafür war diese absurd geschnittene Wohnung auch einfach zu verwinkelt und sowieso zu vollgestellt. Die Wohnung sah aus, als hätte sie jemand eingerichtet, der 20 Jahre seines Lebens auf einem U-Boot verbracht hat, und nicht eine Frau, die ihre Kindheit unter Hühnern, Schweinen, Katzen und grünen Matten verbracht hatte. Aber in all dem Gerümpel ihrer, naja, ansonsten wenigstens recht bunten Zweizimmer-Vierdachschrägen-Behausung war wirklich dieser Schrank, dieser monströse Kasten aus einem Holz, der einem Fantasyfilm der besonders düsteren Art entsprungen sein mochte, dieser Familiensarg von einem Kleiderbehältnis, dieses Etwas aus Türen und geschnitzten Bärenfüßen und erschreckend expliziten Ornamenten, das absolut Groteskeste. Er war der Mittelpunkt der Wohnung und damit auch das Zentrum ihrer kleinen Lebenswelt, und durch seine bloße Existenz verbreitete er eine Schwere und Düsterkeit, die jeden Gast, der aus irgendwelchen Gründen an ihrer Tür klopfte, entweder in eine spontane Depression oder rückwärts wieder zur Tür hinaus warf. Andrea Pachisis Schrank war kein Möbelstück, das sich irgend jemand, der noch alle Tassen im Schrank hatte, in die Wohnung gestellt hätte!

Nun, das lag vielleicht daran, dass Andrea Pachisi wirklich nicht alle Tassen im Schrank hatte. Sie hatte genaugenommen überhaupt nichts in ihrem Schrank. Absurderweise stand diese Ausgeburt von einem Möbelstück, in das man, ordentlich gestapelt, wahrscheinlich sämtliche Regalsysteme von IKEA inklusive der erforderlichen Lieferfahrzeuge hätte parken können, vollkommen leer! Er stand einfach nur da und verbrauchte Platz! Und das war ausgerechnet das, wovon man in dieser Wohnung, wenn man sie als solche bezeichnen mochte, am wenigsten vorhanden war. Ihr glaubt mir nicht, dass es so etwas gibt? Dann klingeltmal an einem Samstag abend oder Mittwoch morgen oder egal wann, sie ist sowieso immer zuhause, in der Goethestraße Nr. 13, ganz oben, rotes Klingelschild mit der Aufschrift "Pachisi", und ihr werdet schon sehen! Die Wirklichkeit ist eben doch abgefahrener als jede Phantasie.

Nun, ich will nicht den Eindruck erwecken, dass ich hier nur über irgend einen Schrank oder eine vollgestellte Wohnung oder eine langweilige Frau referiere, die nicht aus dem Haus geht, und die man von daher sowieso nie trifft. Nein, der Grund für diese lange und anstrengende Einleitung ist der, dass der wuchtige, fette und wirklich und wahrhaftig überdimensionierte Schrank in Andreas Flur, den man allein von seiner Größe her auch als eigenständiges Appartment vermieten hätte können, also dass dieses Möbelstück eben ein Möbelstück besonderer Art war. Es war nicht einfach bloß ein Schrank. Nein, es war ein völlig einzigartiger Schrank, ein Schrank, den man eben nicht bei IKEA und auch sonst nirgendwo kaufen konnte. Dieser Schrank war ein Zauberschrank! Ja, ihr lest richtig, er steckte so voller Magie, dass der Kleiderschrank aus Narnia dagegen wie ein Billy-Regal dasteht. Dieser Schrank war wirklich und wahrhaftig der Hammer! Nur leider wusste das außer Andrea Pachisi niemand.

Ihr fragt, woher Andrea Pachisi diesen Schrank überhaupt hatte. Wisst ihr, früher überdauerten Möbelstücke über längere Zeit als heute unter der Schreckensherrschaft von IVAR dem Schrecklichen! Der Schrank war so alt, dass alle Bäume der mittleren Breiten vor Schrecken ihre Blätter fallen lassen würden, würde man in ihrer Gegenwart auch nur daran denken. Niemand wusste, aus welchem Zeitalter er kam, und warum er dieses unfassbare Alter erreicht hatte. Niemand wusste, ob er überhaupt aus Eichenholz geschnitzt war oder aus dem Holz eines ausgestorbenen Baumes, an dem sich schon die Triceratopier die Hörner gewetzt hatten. Dar Schrank war einfach so alt, dass es sich nicht geziemt, die Frage nach seiner Herkunft zu stellen. Er hatte sie gewissermaßen überdauert. Für Andrea war dies kein Problem, überhaupt kannte sie Probleme nur noch vom Hörensagen, denn seit sie den Schrank hatte - und sie hatte ihn schon so lange, wie sie sich an ihn erinnern konnte - interessierte sie sich sowieso für nichts anderes mehr.

Auch an diesem Abend stand Andrea wieder splitterfasernackt vor dem besagten Möbelstück und streichelte ihn mit dem gebotenen Abstand von wenigen Vertrauensmillimetern über seine entsetzlichen Ornamente. Nach wenigen Minuten anregenden Zitterns, während derer sich einige anwesende, träge in einem dünnen aus dem Küchenfenster in den Flur dringenden Lichtstrahl herumfliegende Staubkörner verdrückten, öffnete sich knarrend erst die eine, dann die andere die Tür des entsetzlichen Riesendings und machten Platz für eine subtil entweichende Wolke geballter, durcheinander wirbelnder und unsortiert auftretender Emotionen, die sich verstört, aber interessiert umguckten und nach wenigen Sekunden auf Andrea einstürzten, sie umkreisten und umströmten und auf sie einprasselten, als gäbe es kein Morgen. Die Gefühle waren erwacht, und ihre Herrin, Andrea Pachisi aus der Goethestraße 13, ließ sie voller Vorfreude auf sich einwirken, ohne bisher eine Idee zu haben, für welches sie sich heute entscheiden sollte.

An besagtem Abend gab es eine gute Portion Wut, Angst und Verzweiflung, gepaart von der übrigen inneren Leere, Hin-und-Hergerissenheit und jeder Menge kleiner Unzufriedenheiten im Programm. Zwischendrin blitzten ein paar Fetzen Wahnsinn auf, um die ein paar ausgeglichene Gluckser der Sattheit in ihrer Selbstgefälligkeit flirrten. Ab und zu blitzte etwas Wollust auf, Hand in Hand mit einem Quentchen manischer Depression (die fast immer mit von der Partie war) und, ein bisschen verschüchtert, ganz hinten zwischen den verstört zu Boden purzelnden Staubkörnchen, einem kleinen, aber hartnäckigen Glücksgefühl. Andrea mochte das Glück nicht. Glück muss man teilen. Wenn man gerne allein ist - und Andrea war gerne allein, das würde kein Einziger der wenigen Menschen, die sie in ihrem Leben jemals kennengelernt hatte, abstreiten - nun, wenn man gerne allein ist, dann ist man besser traurig. Und Andrea war gerne traurig. Nichts machte sie zufriedener als ein Gefühl der Ausweglosigkeit angesichts eines schrecklichen Erlebnisses, denn niemand hasste sie mehr als die selbstgefälligen, unreflektierten Mitläufer, die selbst im Angesicht des Todes noch Witze machten. Andrea Pachisi war gerne traurig.

Nun ist es jedoch so, dass diese Geschichte nicht nur von seelischen Abgründen in den Innenstadtwohnungen Hannovers handelt, ganz im Gegenteil, mit einem Mal passierte etwas, was die Dinge in einem ganz anderen Licht erscheinen ließ! Als Andrea Pachisi gerade ihre Hand nach einer jungen und noch ungestümen Depression ausstreckte, klingelte es an der Tür! Das war absurd, und zwar aus dem einfachen Grund, dass Andrea Pachisis Türklingel noch nie funktioniert hatte! Andrea Pachisi legte großen Wert darauf, dass ihre Klingel nicht funktionierte, denn schließlich war ihr ihre Privatsphäre mehr wert als irgend wem sonst in dieser ansonsten vor Menschen, die ihr Leben lang darauf warten, dass jemand die Mauern, die sie um sich erreichten einreißt, nur so strotzenden kleinen Stadt! Niemand klingelte bei Andrea Pachisi!

Und weil die Situation sowieso schon so absurd war, verlor Andrea Pachisi für eine Sekunde die Oberhand über ihre Kontrolle und ergriff anstatt der gewünschten Depression eine handfeste Portion Irrsinn, gepaart mit einer ausgewachsenen Manie! Sie schlug die Tür des Schrankes zu, so heftig, wie sie es nie zuvor getan hatte und im Nachhinein auch nie wieder tun würde. Ein Grollen brandete durch ihren Flur und schwallte gegen die Wohnungstür, vor der tatsächlich jemand stand, der seine eigene Klingel mitgebracht haben musste! Wie krank waren die Menschen nur! In ihrem Zorn warf sie sich einen afrikanischen Wandbehang um, der gerade in Griffweite über einem vollgerümpelten Aktenregal hing, stapfte zur Tür, wobei sie einige Terracottavasen und andere Kleinodien zu Boden warf, riss die Tür auf und stand plötzlich Auge in Auge mit einem schlecht rasierten, etwas dicklichen jungen Mann, der verlegen von einem Bein auf das andere trapste und sie fragte, ob sie eine Sekunde für ihn Zeit hätte. Er hätte es nun schön öfter probiert, und nie habe jemand aufgemacht, und da hätte er nun seine eigene Klingel mitgebracht. Vor einiger Zeit - es mochte durchaus schon einige Jahre her sein - hätte nämlich hier jemand gewohnt, eine Frau, die ihm mal wirklich wichtig gewesen sei. Ihr Name sei Pia Winkel, wahrscheinlich habe sie noch nie von ihr gehört, aber ob er vielleicht dennoch kurz hereinkommen könne.

Andreas Gesichtszüge reagierten auf die absurde Anmache zunächst wie eine Leiche auf einen Mückenstich. Dann flackerte ein angedeutetes Grinsen über ihre rechte Gesichtshälfte und sie öffnete die Tür für den eigentlich doch nicht mehr ganz so jungen Mann: "Kommen sie herein in die gute Stube, nehmen sie sich einen Tee und erzählen sie mir etwas mehr von ihrer Kindheit!" Zaghaft überschritt der Mann die Schwelle und stieg mühsam über die auf dem Boden verteilten und an den Wänden und überall platzierten Gegenstände. "Hier entlang, hier entlang!" geleitete ihn die krächzende Stimme der mit ihren langen, glatten und geschmeidig im Durchzug des Flurs wehenden dunklen Haaren durchaus recht hübschen Frau Pachisi, die in diesem Augenblick genau wusste, was sie wollte. "Hier entlang, die Tür steht offen!"

Und tatsächlich stand die Tür sperrangelweit offen, obwohl sie sie gerade erst zugeknallt hatte. Nun, ihr Schrank wusste wohl auch, was er wollte. Und right now war er unzufrieden, um nicht zu sagen: hungrig. Er lechzte nach einer kleinen Seele, nach etwas, das er von Andrea Pachisi nie bekommen würde. Und der wirklich nicht mehr ganz junge Mann trat in den Flur hinein, und Andrea Pachisi meinte zum wiederholten Male, auf den offenstehenden Schrank zeigend: "Hier entlang, hier entlang!" Und der Gast ging mit wachsender Verängstigung auf das Möbelstück zu, das inzwischen zu zittern begonnen hatte, es schien sogar, als ob es ein bisschen schwitzte, und unsicheren Schrittes ging er langsam, aber zielstrebig voran. "Sicher hier entlang? Das sieht aus wie ein Kleiderschrank!" "Ja, mein Herr, ein Kleiderschrank! Gehen Sie schon einmal vor, und schließen Sie die Tür hinter sich, und dann werden sie ihre Pia treffen! Gehn sie schon mal vor!"

Und der Mann hielt inne. Er schwitzte. Dann kramte er umständlich eine fettige Visitenkarte aus seiner Gesäßtasche und reichte sie der kaum reagierenden Frau: "Hier, rufen Sie bitte diese Nummer, falls mir etwas passiert! Bitte, nehmen sie!" Nach einer zweiten Aufforderung nahm die Frau die Karte an sich, und nach einem weiteren Winken des jungen Mannes warf sie einen flüchtigen, ja widerwilligen Blick darauf. Dann einen zweiten. Auf einmal wurden ihre Augen groß wie Untertassen, und sie hob den Kopf, staunend und mit weit geöffnetem Mund. Doch der junge Mann war schon durch die Tür geschritten, die sich mit einem rülpsenden Knall hinter ihm geschlossen hatte.



Owl owl!

Re: Inspirationshilfe

Hihi, das ist ein netter Text, ein wenig zu lang zwar, aber doch nett!

Re: Inspirationshilfe

Scheiße Johann, was steht denn nun auf dieser verdammten Karte????

Ansonsten hast Du wirklich, wirklich laaaange Sätze produziert. Ich weiß noch nicht genau, ob es störend ist, weil es ansich ja mutig ist, lange Sätze zu produzieren und nunja, ich liebe sie auch. Vielleicht ein Hauch kürzerer Spannungsbogen?
Ich habe leider gar nicht richtig Zeit, um Deinen laaaangen Text angemessen zu feedbacktieren, die Idee find ich schon mal sehr schön, den Stil vertraut und ich höre gedanklich schon Deine Stimme dazu.
Der Rest muss warten, sorry.

Re: Inspirationshilfe

Keine Angst vor langen Texten ;-)



Owl owl!