ich habe mich mal in das türkische Starfgesetzbuch vertieft. Manchmal ist es interessanter zu erfahren, was der türkische Staatsanwalt NICHT fordert.
Kindesmissbrauch ist in Art. 103 des türk. StGB geregelt und sieht eine Strafe von 3 - 8 Jahren vor, für Erwachsene. Für Jugendliche wird 1/3 abgezogen, also geht hier das Strafmaß von 2 - 5,33 Jahre, wobei in minderschweren Fällen die Strafe zur Bewährung ausgesetzt wird bzw. auch in eine Geldstrafe umgesetzt werden kann.
Kommt es zum Geschlechtsverkehr greift Abs. 2 des gleichen Artikels und das Strafmaß geht von 8 - 15 Jahren für Erwachsene, also 5,33 - 10 Jahre für Jugendliche.
Im Fall einer schweren seelischen Störung kann sogar Lebenslänglich verhängt werden, für Jugendliche 15 Jahre.
Wir wissen alle, dass Charlottes Anwalt genau das versucht hat.
Der Staatsanwalt berücksichtigt also schon das Gutachten des gerichtsmedizinischen Zentrums in Istanbul, welches keinen Beweis einer seelischen Störung und eines Vergewaltigung im medizinischen Sinne gesehen hat. Beide Punkte wurden vom Staatsanwalt daher fallen gelassen.
Er bezieht sich "nur" noch auf den ersten Absatz von Art. 103 beruft sich dabei allein auf die Aussage von Charlotte und fordert die Erkennung auf schweren Kindesmissbrauch und einer Vergewaltigung im juristischen Sinne, um das Strafmaß möglichst voll auszunutzen. Interessant ist aber, dass er dabei immer nur sagt, "er glaube" Charlotte. Beweise gibt es dafür nämlich nicht und das weiß er auch. Nach Aussage des deutschen Staatsanwaltes reicht die Aussage von Charlotte allein nämlich nicht aus.
Eigentlich sollte es Marcos Anwälten daher nicht schwer fallen, die Forderungen des Staatsanwaltes zurückzuweisen und einen Freispruch zu erwirken.
Viele Grüße
Andreas
Gerechtigkeit für Marco!
Re: Hoffen wir auf Gerechtigkeit!
Staatsanwalt gegen Staatsanwalt
Opinio Autor DerTerraner | Karben
Bei der Beurteilung der Beweislage zum Fall Marco Weiss kommen zwei Staatsanwälte zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Wie passt das zusammen?
Das Ermittlungsverfahren gegen Marco Weiss wurde im Jahr 2007 kurz nach bekanntwerden der Vorwürfe in Lüneburg eröffnet. Damals noch mit dem ursprünglichen Ziel, das Verfahren nach Deutschland zu holen. Dieses Begehren wurde von den türkischen Behörden zwar abgelehnt, aber Lüneburg wurde mit allen prozessrelevanten Akten versorgt, so dass der dortige Staatsanwalt nach Abschluss der Beweisaufnahme in der Türkei über die vollständige Prozessakte verfügte. Basierend darauf wurde das Ermittlungsverfahren Anfang Mai 2009 eingestellt, da sich der Anfangsverdacht gegen Marco Weiss nicht erhärtet hätte (https://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C55736576_L20.pdf).
Wie ist es möglich, dass zwei Staatsanwälte bei exakt gleicher Beweislage zu derartig unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen? Hier reicht es nicht einmal für eine Anklage und in der Türkei soll es für eine mehrjährige Gefängnisstrafe reichen? Das überschreitet den Rahmen der möglichen juristischen Interpretationen bei weitem. Wie passt das zusammen?
Nun, die Ausgangslage ist für beide Staatsanwälte völlig unterschiedlich. Der deutsche Staatsanwalt denkt nicht einmal daran, mit so einem miesen "Blatt" einen Prozess zu wagen, während der türkische Staatsanwalt entscheiden musste, ob er nun aufgibt oder bis zum bitteren Ende (für wen auch immer) weitermacht. Er hat sich für letzteres entschieden. Bei positiver Auslegung weil er sich als Ankläger dem Mädchen verpflichtet fühlt und der Nebenklage das Feld nicht alleine überlassen möchte, bei negativer Auslegung weil er keine Verantwortung für die überlange U-Haft übernehmen möchte oder vielleicht auch als Trotzreaktion auf die Entscheidung der deutschen Staatsanwaltschaft.
Leider ist die Berichterstattung der verschiedenen Medien zum Fall Marco Weiss mal wieder ziemlich unzureichend. Schlagzeilen wie die obige und ähnliche hätten sich durch etwas Recherche leicht vermeiden lassen.
Kindesmissbrauch wird in Art. 103 des türkischen StGB geregelt und sieht Freiheitsstrafen von 3-8 Jahren vor, für Erwachsene. Für Minderjährige reduziert sich die Strafe üblicherweise um 1/3 also auf 2-5,33 Jahre(!). Strafen bis zu drei Jahren können zur Bewährung ausgeschrieben werden. Auch eine Umwandlung in eine Geldstrafe ist möglich. Bei vollzogenem Geschlechtsverkehr kommt Abs. 2 von Art. 103 zur Geltung und die Strafe erhöht sich drastisch auf 8 - 15 Jahre (5,33 - 10 Jahre für Minderjährige) und bei schweren seelischen Störungen droht sogar lebenslänglich (https://www.tuerkei-recht.de/Der_Fall_Marco_W.pdf).
Das Gutachten des gerichtsmedizinischen Zentrums in Istanbul hatte keine Beweise für eine seelische Störung und/oder einer Vergewaltigung (mit vollzogenem Geschlechtsverkehr) gesehen. Daher bezieht sich der Staatsanwalt auch nur auf Art. 103 Abs. 1 und strebt ein Strafmass von 2-5,33 Jahren für Marco Weiss an. Auch wenn das immer noch nach viel klingt, so darf man doch nicht vergessen, dass die Klägerseite sich noch am Tag vor Marcos Entlassung sicher gab, dass das Gericht Marco zur Höchststrafe von 10 Jahren für Jugendliche verurteilen würde. So gesehen backt die Anklage inzwischen deutlich kleinere Brötchen.
Das Problem besteht für den türkischen Staatsanwalt trotzdem darin, dass er sich in seinem Plädoyer nur auf die schriftliche Aussage des Mädchens stützen kann (Die Samenspuren können schließlich auch durch Petting erklärt werden). Nach Aussage des deutschen Staatsanwaltes reicht das aber für eine Verurteilung nicht aus und auch im türkischen Recht dürfte das nicht anders sein. Auch ist eine Aussage ohne Befragungsmöglichkeiten durch den Richter und die Verteidigung für eine Verurteilung wertlos.
Der Richter hatte zudem im Prinzip schon am 14.12.07 über den Fall entschieden. Er hatte Marco Weiss ja nicht nur einfach aus der U-Haft entlassen, sondern auch keine Kaution verlangt und ihn zudem auch ausreisen lassen und sich damit jeder Möglichkeit beraubt, eine höhere Strafe auch durchzusetzen. Später hat er seine Einschätzung noch einmal bekräftigt, indem er Marco Weiss von der Pflicht befreit hatte, noch beim Prozess persönlich anwesend zu sein. Da sich die Beweislage zudem seit damals weiter zu Gunsten von Marco Weiss verbessert hat, ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Richter dem türkischen Staatsanwalt folgen wird.
Aber auch ein Urteil im Rahmen der verbrachten U-Haft dürfte schwierig sein. Marcos Aussage, dass er Charlottes wirkliches Alter nicht kannte, ist durch Zeugen glaubhaft belegt und der Richter kann Charlottes Aussage nur ganz oder gar nicht glauben.
Meiner Meinung nach ist daher ein Freispruch oder eine Verfahrenseinstellung die juristisch sauberste und wahrscheinlichste Option für den 15. Juli.
Dass Marco Weiss durch die überlange U-Haft und den Belastungen durch die Prozessdauer für sein Leben bereits aufs schwerste vorabbestraft und traumatisiert wurde, steht dagegen auf einem ganz anderem Blatt.
Fotos: Die Bilder stammen von Marcos Bruder, Sascha Weiss, von der Seite www.hilfe-fuer-marco.de
Eine aus meiner Sicht sehr gute Darstellung der unterschiedlichen staatsanwaltschaftlichen Positionen. An unserem Chemiker aus Karben, der in diesem Forum hier als Nathan bekannt ist, ist ein Jurist verloren gegangen - oder sollte ich mich bei dem Artikelschreiber irren ?
Lasst uns alle hoffen, dass seine Einschätzung wahr wird und Marco ab 15.07. endlich sein junges Leben unbeschwert fortsetzen kann. Gebeutelt ist er mehr als genug. Ich könnte meine Hände um gewisse Hälse legen und mit Lust langsam zudrücken ! Ich lass dann wieder los, wenn es am 15. Juli ein positives Endergebnis für Marco gibt.
Helmuth aus Altenberge mit guten Wünschen für ein schönes Wochenende
Re: Hoffen wir auf Gerechtigkeit!
Erwischt !
Hallo Helmuth, vielen Dank für die Blumen. Mein Lieblingspseudonym ist leider manchmal schon vergeben. Also bin ich im Netz halt auch noch mit einem anderem unterwegs.
Bei meiner Arbeit komme ich inzwischen auch nicht mehr an den Juristen vorbei. Zwar geht es dabei mehr um Vertrags- und Patentrecht, aber die (manchmal verquere) Logik dahinter ist doch immer die gleiche. Und unsere Patentanwälte verhalten sich auch nicht anders als der türkische Staatsanwalt. Anstatt etwas zurückzuziehen, heißt es nur: "Dann hätten wir ja gar keine Chance mehr. Die haben wir zwar so auch nicht, aber wir nutzen sie immerhin." Juristen ! Da ist mir die Logik der Natur dann doch lieber.
Ich sehe tatsächlich keine juristisch begründbare Möglichkeit, Marco zu verurteilen (Mal ganz davon abgesehen, dass Marco auch im nichtjuristischen realen Sinn absolut unschuldig ist). Zumindest keine, die nicht auf völlig unbewiesenen Vermutungen und Unterstellungen beruht. Allerdings bin ich mir auch bewußt, wie groß die Versuchung für das Gericht seien muss, Marco zumindest im Rahmen der verbrachten U-Haft zu verurteilen. Für die Klägerseite ist dies das Minimalziel und der Staatsanwalt hat dafür den Weg gewiesen.
Trotzdem, ich bin Optimist und hoffe und glaube daran, dass der Richter über derartige Ungerechtigkeiten im Namen der Gesichtswahrung und nationalen Ehre steht.
Viele Grüße
Andreas
PS. Im Geiste dürfen wir trotzdem unsere Hände um so manche ungewaschene Hälse legen .
Falls noch nicht bekannt, ein recht guter Artikel der FAZ noch am 13. September in der Sonnatgsausgabe ganz groß rausgebracht und später online gestellt:
Falls noch nicht bekannt, ein recht guter Artikel der FAZ noch am 13. September in der Sonnatgsausgabe ganz groß rausgebracht und später online gestellt:
Ich bin von diesem Artikel nicht so angetan. Er geht sehr in die Privatsphäre der Familie hinein. Was mich ua.ärgert ist die Bemerkung:
....Er machte damals ein Praktikum in einem Elektrofachmarkt, wo man ihm später kündigte - wegen Unzuverlässigkeit...
Ich weiß nicht ob das überhaupt stimmt und wenn ja, dann dürften das ja wohl Folgen der Haftpsychose sein !
Das Lob des Prof. aus Trier für die Hannoveraner Anwälte sehe ich unter dem Aspekt "Eine Krähe hackt der Anderen kein Auge aus". Diese Anwälte waren nicht Teil des Verfahrens und haben nicht nur aus meiner Sicht vorwiegend Werbung für die eigene Kanzlei gemacht. Ich denke nicht, dass sie Marco sehr geholfen haben
Ekelig ist auch der Hinweis auf die angeblich üppigen Geldbeträge. Wo will denn die FAZ das im Einzelnen her wissen.
Also, ich kann diesem Artikel nicht sehr viel abgewinnen.
Gruß Helmuth
Re: Hoffen wir auf Gerechtigkeit!
Hallo Helmuth,
Du must sehen, wie der Artkel auf jemanden wirkt, der kein Insider ist. Ein Arbeitskollege berichtete mir ganz begeistert von dem Artikel und brachte mir die Seite. Er fühlte sich sehr gut informiert. Ihm wurde erst jetzt bewußt, welche Schwierigkeiten es für Marco geben muss, wieder in den Alltag zurückzukehren und am wichtigsten waren ohnehin die tollen Ausagen des Staatsanwaltes und von Prof. Kühn.
Also, meiner Meinung kam der Artikel sehr gut und pro Marco an.