Re: Ich glaub da muss man hin
BADEN-WÜRTTEMBERG / Entdeckungen in der 400 Jahre alten kurpfälzischen Stadt Mannheim
Metropole der Sinne / Schmelztiegel der Ideen und Kulturen im Quadrat
Schon der Kurfürst holte Emigranten ins Land - Erholung im Luisenpark - Tüfteln im Landesmuseum für Technik und Arbeit
Mannheim ist ganz anders als sein gängiges Image: Baden-Württembergs zweitgrößte Stadt ist im 400. Gründungsjahr eine sinnenfrohe Metropole mit vielfältigen Angeboten für Einheimische und Gäste. Hier lassen sich Erlebnisse und Entspannung bestens kombinieren.
Das Mannheimer Schloss ist eines der größten und schönsten barocken Bauwerke Europas - mit sage und schreibe 956 Zimmern. Ein Großteil des Schlosses wird heute von der Universität Mannheim genutzt. Sie hat hier ein ideales Domizil für ihre über 13000 Studenten gefunden.
Mit einem leichten Ruck beginnt die Stadtrundfahrt in 125 Metern Höhe. Vom Restaurant Skyline in der Drehkanzel des 205 Meter hohen Fernmeldeturms eröffnen sich faszinierende Ausblicke auf die Stadt Mannheim und die Umgebung bis zum Schwarzwald und Spessart, bis zum 673 Meter hohen Kalmit in der Pfalz und nach Heidelberg. Von oben wird bei der einstündigen Umdrehung klar, warum Kurfürst Friedrich IV. 1607 den Grundstein für seine neue Residenz am Zusammenfluss von Rhein und Neckar gelegt hat. Die Stadt hat sich vom Fischernest über eine Festung zur pulsierenden Metropole entwickelt.
Mannheim ist ein Schmelztiegel der Ideen und Kulturen, ein Schauplatz der Superlative. Das Barockschloss mit 956 Räumen ist eines der größten, der Forstmeister Karl Drais verdutzte mit seiner Fahrrad-Premiere, Carl Benz ließ in Mannheim das erste Auto rollen, Heinrich Lanz schraubte den ersten Bulldogg zusammen, der Platz am Wasserturm ist eine der schönsten europäischen Jugendstilanlagen, der Luisenpark gilt mit 42 Hektar als eines der großartigsten Erholungsareale der Republik, in Mannheim wurde der Blitzableiter erfunden, hier steht die erste und noch immer einzige Popakademie, die Sultan-Selim-Moschee direkt neben der Liebfrauenkirche war 1995 bei der Eröffnung der größte Gebetspalast für Muslime in Deutschland, das vegetarische Restaurant "Heller"s" wird gerühmt als eine der edelsten fleischfreien Verpflegungsstätten, die SAP-Arena ist die größte Multifunktionshalle im Südwesten, nirgendwo im Land gibt es gratis ein größeres Open-Air-Spektakel als die Arena of Pop, im Institut für deutsche Sprache sitzen die höchsten Wortwächter, Schiffe legen an in Deutschlands zweitgrößtem Binnenhafen.
Schon lange Multikulti
Die Bedienung trägt im rotierenden Turmlokal das Weizenbier auf, als unten die Brauerei Eichbaum sichtbar wird. Was sich urdeutsch anhört, ist fremdländischen Ursprungs. Die Gründer entstammten der französischen Sippe "du Chêne", von der Eiche, die den Namen eindeutschte. In Mannheim sind derlei Einflüsse total normal, hier war Multikulti schon üblich, als das Wort noch niemand kannte. Der Kurfürst war um Migranten so sehr bemüht, dass er entsprechende Edikte auch in Latein, Französisch und Niederländisch veröffentlichen ließ. Heute ist die Großmutter aus dem Odenwald, der Opa aus dem Elsass und ein Vater aus Kroatien selbstverständlicher Bestandteil des Stammbaums. Auf Toleranz und Liberalität sind Mannheimer stolz seit der Kurfürst jeder Glaubensgemeinschaft mit mehr als 50 Mitgliedern einen eigenen Lehrer erlaubte. Im Rathaus sind derzeit 163 Nationen registriert.
Zu den heute 325000 Einwohnern in der zweitgrößten Stadt Baden-Württembergs gehören seit jeher Tüftler und Pioniere. Schon Kurfürst Carl Theodor etablierte sein "pfälzisches Athen", wurde doch in keinem anderen deutschen Kleinstaat die Wissenschaft und Forschung so vorangetrieben. "Die Mannheimer konnten Auto fahren, bevor sie sich ordentlich gewaschen haben", meint Oberbürgermeister Gerhard Widder. Der erste Benz wurde ja am 3. Juli 1886 erprobt, ehe die Wohnungen fließendes Wasser hatten.
Spendable Geldgeber
In Mannheim hat auch das Mäzenatentum eine lange Tradition. Spendable Geldgeber öffneten erst jetzt wieder das Portemonnaie bei der 15 Millionen Euro teuren Sanierung der Beletage des Schlosses, sie ermöglichen erstklassige Museen getreu der Devise von Julia Lanz aus der Schlepper-Dynastie: "Ich brauche keine Millionen, ich stifte sie lieber."
Mannem vorne - diese Kurpfalz-Parole wird im Rest des Landes lange Zeit hämisch vor allem auf Verbrecher und Arbeitslose bezogen. Aber die Kriminalitätsrate ist mit 11 172 Straftaten auf 100 000 Einwohner nicht so hoch wie in der Grünen-Hochburg Freiburg (12908). Die Agentur für Arbeit meldet zwar eine Erwerbslosenquote von 6,8 Prozent, registriert aber eine "weiter positive Entwicklung, die überproportional vom Aufschwung proftiert". Mannheim wandelt sich von der Arbeiterstadt der rauchenden Schlote zur grünen Dienstleistungscity, auch wenn täglich 130 Traktoren produziert werden und der Weltmarktführer der Teermaschinen hier seinen Sitz hat. An die Maloche-Epoche erinnert die Gartenstadt, wo die mit genossenschaftlicher Hilfe errichteten Häuser an Straßen mit programmatischen Namen stehen: Zäher Wille, Frohe Arbeit, Eigene Scholle, Frischer Mut, Neues Leben.
Das Leben pulsiert in den Quadraten des Zentrums. Zwischen A 1 und U 6 ist der Verzicht auf Straßennamen zwar eine wirksame Methode, fremde Besucher nachhaltig zu verwirren und den Absatz von Stadtplänen zu steigern. Aber verlockende Einkaufstempel stehen Spalier und erleichtern die Orientierung ebenso wie den Geldbeutel. Es soll Besucher geben, die des Angebots wegen fürs Shopping einen Extratag einplanen. Billiger trotz Eintritts kommen jene Ausflügler weg, die im 42 Hektar großen Luisengarten lustwandeln.
Müßiggang darf nicht abhalten vom Besuch im Schloss, von Spaziergängen auf den Spuren Mozarts, der viermal in Mannheim war, dort zwar keinen Job, aber die große Liebe fand und nach einer Abfuhr deren Schwester Constanze heiratete. Beim Gottesdienst in der imposanten Jesuitenkirche mit dem 18 Meter hohen und 243 Tonnen schweren Altar wundert sich kaum jemand über den beleibten Herrn, der sonntags aus Oggersheim herüberpilgert.
Berühmte Musikszene
Aus dem Staunen kommt man ein paar Schritte entfernt im Reiss-Engelhorn-Museum, benannt nach den Spendern, nicht heraus. Auf überaus kurzweilige Art wird die Vielfalt des Sammelns unter der Devise "Augen auf, Sinne an" präsentiert. Grüne Aufkleber mit weißem Ausrufezeichen laden ein zum Mitmachen und Anfassen, ganz gleich, ob es um Musikinstrumente oder Mode geht. Kompakt und spannend ist die Stadtgeschichte erklärt. Zu den Exponaten gehört die Schallplatte des Grand-Prix-Schlagers "Ein Lied kann eine Brücke sein" (Platz 17) der 1975 noch schlanken Joy Fleming ebenso wie der Hut von Xavier Naidoo, dem Star der aktuellen Musikszene, der auf einem Bunker im Stadtteil Feudenheim lebt.
Wie lehrreich und kurzweilig Naturwissenschaften sein können, erfahren Kinder und Erwachsene im Landesmuseum für Technik und Arbeit. Elementa 1 und 2 verblüffen mit Dutzenden von Experimenten, bei denen jenes Wissen vermittelt wird, das Grundlage für die moderne, hochtechnisierte Welt von heute ist. Da heben zwei Knirpse im Tretradkran einen 275,52 Kilo schweren Sandstein oder pusten eine Botschaft durch das Rohrpostlabyrinth. Zur Stärkung gibt es in der "Arbeiterkneipe" des Museums eine üppige Portion Spaghetti.
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Die Neigungen des Herzens sind geteilt wie die Äste einer Zeder.
Verliert der Baum einen starken Ast, so wird er leiden, aber er stirbt nicht.
Er wird all seine Lebenskraft in den nächsten Ast fließen lassen,
auf dass dieser wachse und die Lücke ausfülle. [ Khalil Gibran ]
In Deine Hände übergebe ich mein Leben...