Spatzennest-Prozess: Bewährungsstrafe und Berufsverbot für Ex-Heimleiter
Kaiserslautern (ddp). Das Landgericht Kaiserslautern hat am Freitag den ehemaligen Leiter des Kinderheims «Spatzennest» im pfälzischen Ramsen zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Das Gericht befand den 41 Jahre alten Stefan S. des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen für schuldig. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt. Darüber hinaus verhängte das Gericht ein auf drei Jahre befristetes Berufsverbot gegen den 41-jährigen Erzieher, soweit die Arbeit mit Mädchen unter 14 Jahren betroffen ist. In den sechs übrigen Fällen wurde der Angeklagte dagegen freigesprochen.
Die Staatsanwaltschaft hatte dem Pädagogen und Krankenpfleger vorgeworfen, fünf unter seiner Obhut stehende Mädchen im Alter zwischen sieben und elf Jahren während einer Ferienfreizeit im Sommer 2007 in Österreich in acht Fällen sexuell missbraucht zu haben. So soll er sie unter anderem im Genitalbereich gewaschen, eingeseift und eingecremt haben. Auch soll er zwei der Mädchen Darmeinläufe verabreicht haben. Im Prozess hatte der Angeklagte die Handlungen an sich eingeräumt, hatte aber ausdrücklich betont, er habe dabei keine sexuellen Motive verfolgt.
Nur wegen zwei Fällen verurteilt Verurteilt wurde er nun wegen zweier Fälle, in denen er zwei Mädchen an Brust, Gesäß und im Genitalbereich eingecremt hatte. «Das Eincremen der Mädchen war nicht erforderlich. Das konnten sie selbst», sagte der Vorsitzende Richter. Die Frage, ob diese Handlungen sexuell motiviert waren, wertete er in seiner Urteilsbegründung dabei als unerheblich. Entscheidend für die Bewertung als Missbrauch sei, dass die Handlungen «nach ihrem äußeren Erscheinungsbild» objektiv sexuellen Charakter besessen hätten und der Angeklagte sich dieses Charakters auch bewusst gewesen sei.
Freigesprochen wurde der 41-Jährige dagegen in einem weiteren Fall, in dem er ein Mädchen gewaschen hatte, vermutlich mit Hilfe eines Waschlappens. Auch hier sei zwar ein sexueller Bezug erkennbar, jedoch sei die für eine Verurteilung relevante «Erheblichkeitsschwelle» nicht überschritten worden. Die beiden Darmeinläufe wertete das Gericht dagegen nicht als sexuelle Handlungen. Hier habe die medizinische Indikation einer möglichen Verstopfung den sexuellen Charakter der Handlung klar überwogen.
Grenzüberschreitungen im sexuellen Bereich Bei der Festsetzung des Strafmaßes hielt das Gericht dem Angeklagten unter anderem zugute, dass ein planmäßiges Vorgehen nicht erkennbar gewesen sei. Gegen den Angeklagten spreche allerdings, dass die Taten, wegen denen er letztlich verurteilt wurde, von weiteren «Grenzüberschreitungen im sexuellen Bereich» begleitet wurden. Deshalb sei es geboten, durch das befristete Berufsverbot den Kontakt mit Mädchen unter 14 Jahren bis auf weiteres zu unterbinden.
Gegen das Urteil kann binnen einer Woche Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt werden. Die Verteidiger, die Freispruch gefordert hatten, kündigten an, dies zunächst vorsorglich tun zu wollen. Anschließen werde man dann prüfen, ob man tatsächlich ins Hauptverfahren vor dem BGH gehen wolle. Auch die Staatsanwaltschaft, die drei Jahre Haft und ein fünfjähriges Berufsverbot gefordert hatte, will zunächst die schriftliche Urteilsbegründung abwarten.
Erinnerungen an Wormser Prozesse Durch den Prozess waren Erinnerungen an einen der größten Justizskandale der 90er Jahre wachgeworden. Stefan S. war damals Hauptbelastungszeuge in den sogenannten Wormser Prozessen. 25 Männern und Frauen war damals vorgeworfen worden, sich an ihren eigenen Kindern vergangen zu haben. Am Ende standen Freisprüche für alle Angeklagten. Die Kinder wurden dennoch in Heimen untergebracht, einige davon im «Spatzennest».
Fall Spatzennest - Freispruch oder drei Jahre Haft?
Staatsanwaltschaft: Erhebliche kriminelle Energie bei Missbrauch von Schutzbefohlenen/Verteidiger: Angeklagter wollte helfen
Vom 14.08.2008 KAISERSLAUTERN Freispruch fordern die Verteidiger für Stefan S., den ehemaligen Leiter des Kinderheims Spatzennest in Ramsen. Drei Jahre Haft und ein fünfjähriges Berufsverbot für den Pädagogen verlangt die Staatsanwaltschaft: In sechs Fällen habe sich S. des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen, Mädchen im Alter zwischen 7 und 11 Jahren, schuldig gemacht. Von Reinhard Breidenbach
Am 22. August will das Landgericht Kaiserslautern sein Urteil sprechen.
Am Ende der Plädoyers an diesem vierten Verhandlungstag hat der Angeklagte selbst das letzte Wort. "Aus den Erfahrungen dieser Hauptverhandlung würde ich heute vieles anders oder gar nicht machen", sagt er in ruhigem Tonfall. Stets habe er in bester Absicht gehandelt, "keine Handlung war irgendwie sexuell motiviert, dabei bleibe ich, ohne Wenn und Aber".
Nach Überzeugung der Staatsanwältin Astrid Gebing hat S. dagegen mit "erheblicher krimineller Energie" gehandelt, als er im Sommer 2007 während einer Ferienfreizeit in Österreich Mädchen auch im Genitalbereich wusch und eincremte und ihnen mit Tuben Mini-Klistiere verabreichte. S. habe eine "Vorliebe für kleine Mädchen, vor allem für deren Genitalbereich", so die Anklägerin. Dass er in der Ferienfreizeit die Anweisung erteilte, Mädchen sollten ohne Unterhosen schlafen, dass sich zudem zwei Fotos mit kinderpornografischen Tendenzen auf seinem Computer fanden - für die Staatsanwältin klare Zeichen, dass S. mit sexueller Motivation handelte. Er wisse nicht, wie die Fotos auf seinen Rechner kamen, hatte S. erklärt.
Eine Zeugin war sich in der Hauptverhandlung allerdings nahezu sicher, das Mädchen auf einem der Fotos zu erkennen: eine heute 15-Jährige, die im Zuge der so genannten Worms-Prozesse in den 90-er Jahren ihren Eltern weggenommen und ins Spatzennest zu S. gebracht worden war. 1993 - 97 standen 25 Angeklagte wegen Kindesmissbrauchs vor dem Mainzer Landgericht. Es gab ausnahmslos Freisprüche. Dennoch wurden sechs Kinder auf Weisung von Amtsgericht und Jugendamt Worms ihren Eltern nicht zurückgegeben, blieben vielmehr bei S. im Spatzennest. Die Staatsanwältin Gebing weist in ihrem Plädoyer auf diesen Zusammenhang hin: "Der Angeklagte war Hauptbelastungszeuge in den Worms-Prozessen. Auch nach den Freisprüchen kamen sechs Kinder nicht zu ihren Familien zurück." Die Brisanz, die dahinter steckt: Betroffene Worms-Eltern werfen S. vor, er habe die Kinder einer Gehirnwäsche unterzogen, um sie an sich zu binden. Vor dem Hintergrund des Kaiserslauterer Verfahrens gewinnt dieser Vorwurf wie von selbst an Schärfe.
Bei der Ferienfreizeit in Österreich habe S. vorsätzlich gehandelt, so die Anklägerin, "er hat bewusst und planvoll Vertrauensverhältnisse aufgebaut, um sexuelle Handlungen ausführen zu können - ein legitimiertes Umfeld für pädophile Doktorspiele". Rechtsanwältin Carmen Alsentzer, die als Nebenklägerin eines der laut Anklage betroffenen Mädchen vertritt, weist auf einen besonders sensiblen Punkt hin: Das Mädchen ist stark lernbehindert. Das wiege besonders schwer zulasten des Angeklagten.
Die Auffassung der Verteidiger Helmut Schneider und Dr. Hans Dieter Bäcker steht alledem diametral entgegen: S. habe zwar Grenzen überschritten und zuweilen unsensibel gehandelt, aber er habe sich nicht strafbar gemacht. "Wenn es anders wäre, dann stünde ich als Vater von zwei Mädchen heute nicht hier", erklärt Schneider, ohne dabei pathetisch oder anderweitig emotional zu wirken.
Ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern habe S. nicht aus sexuellen Motiven aufgebaut, "sondern um zu helfen". Eine Kernfrage: Warum hat S. die Mädchen nicht von den an der Freizeit beteiligten sieben Helferinnen eincremen und duschen lassen? "Weil er sich darüber keine Gedanken gemacht hat", so die Verteidiger. Die Anweisung des S., dass Mädchen nachts keine Unterhosen tragen sollten? Verteidiger Schneider berichtet, er habe im Internet recherchiert und bei Google herausgefunden, dass 50 Prozent der Menschen nachts ohne Unterwäsche schliefen. Die Mikro-Klistiere, die S. Mädchen - nach seiner Aussage wegen Verstopfung - verabreichte? Das habe nicht den geringsten sexuellen Bezug, sei vielmehr medizinisch notwendig gewesen.
Soweit S. Mädchen im Intimbereich eingecremt habe, sei dies allenfalls unabsichtlich geschehen, "die Grenze der Erheblichkeit" sei nicht überschritten worden, deshalb liege keine strafbare sexuelle Handlung im Sinn des Gesetzes vor, argumentieren die Verteidiger. Sie bezweifeln zudem die Glaubwürdigkeit von Mädchen, die - auch in der Hauptverhandlung - davon berichteten, S. habe sie im Intimbereich eingecremt, obwohl sie das nicht wollten. Solche Vorwürfe hatten Mädchen auch frühzeitig gegenüber der Polizei geäußert; doch an deren Vernehmungsmethoden üben Schneider und Bäcker Kritik: "Wenn die ein lernbehindertes Kind befragen, müssten sie eigentlich einen Psychologen hinzuziehen."
So stehen sich die Auffassungen nach einem sehr sachlich und zügig durchgeführten Prozess völlig unvereinbar gegenüber. Das allerletzte Wort hat nun das Gericht.
Kaiserslautern (ddp-rps). Im Missbrauchsprozess gegen den ehemaligen Leiter des Kinderheimes «Spatzennest» im pfälzischen Ramsen wird am Freitag (22. August, 12 Uhr) das Urteil erwartet. Die Staatsanwaltschaft hatte vergangene Woche wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in fünf Fällen eine Gesamtstrafe von drei Jahren sowie ein Berufsverbot für den 40-jährigen Angeklagten gefordert. Die Verteidigung plädierte hingegen auf Freispruch.
Laut Staatsanwaltschaft soll der Pädagoge fünf unter seiner Obhut stehende Mädchen während einer Ferienfreizeit in Österreich im Sommer 2007 sexuell missbraucht haben. So soll er sie unter anderem im Genitalbereich gewaschen, eingeseift und eingecremt haben. Auch soll er in Einzelfällen Darmeinläufe verabreicht haben. Der Angeklagte bestritt jegliches sexuelle Motiv seines Handelns.
Bezug war ihm bewusst" Bewährungsstrafe und Berufsverbot I'm Spatzennest"-Prozess - Gericht spricht auch Worms an
KAISERSLAUTERN (ahb). Mit einem Urteil, das zwischen den Forderungen von Anklage und Verteidigung liegt, ist gestern vor der Großen Jugendkammer Des Landgerichts Kaiserslautern der sogenannte Spatzennest"-Prozess zu Ende gegangen. Der wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern angeklagte Sozialpädagoge und frühere Kinderheimleiter erhielt ein Jahr Freiheitsstrafe auf Bewährung und ein befristetes Berufsverbot.
In 21 Fällen von sexuellem Missbrauch kleiner Mädchen bei einer Freizeit der Kirchengemeinden Ramsen (Donnersbergkreis) I'm Sommer 2007 in Österreich hatte die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern Anklage erhoben. Zugelassen wurden vom Gericht acht Fälle, vier wies es zurück. In den restlichen neun Fällen laufen noch Ermittlungen. Die seit 29. Juli verhandelten Anklagen endeten gestern in zwei Fällen mit einer Verurteilung. In sechs wurde der jetzt 41-jährige frühere Leiter Des Ramser Kinderheims Spatzennest" freigesprochen.
Wie berichtet, ging es bei den Vorwürfen um das Eincremen und Duschen von Mädchen zwischen sechs und elf Jahren, auch I'm Genitalbereich, sowie um zwei Einläufe mit einem rezeptfreien Mittel. Diese Handlungen seien nur vorgeblich medizinisch und hygienisch notwendig, tatsächlich aber sexuell motiviert gewesen, hatte Staatsanwältin Astrid Gebing argumentiert. Die Verteidiger Helmut Schneider und Hans-Dieter Bäcker vertraten demgegenüber den Standpunkt ihres Mandanten, der I'm Verlauf der Verhandlung zwar einräumte, eventuell Grenzen überschritten zu haben. Dies sei aber ohne Vorsatz und nur aus Fürsorge geschehen.
Verurteilt wurde der Sozialpädagoge und Krankenpfleger in zwei Fällen wegen Eincremens. Dabei folgte die Kammer dem Bundesgerichtshof, wonach sexuelle Handlungen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig sexualbezogen sein müssen. Die Gesamtumstände relativierten dies in beiden Fällen nicht: Das Eincremen sei nicht notwendig gewesen. Indem der 41-Jährige die Kinder mit der bloßen Hand eingecremt habe, sei zudem die Erheblichkeitsschwelle überschritten worden. Eine tatsächliche sexuelle Motivation spiele keine Rolle. Jedoch sei dem Verurteilten wegen eines früheren Ermittlungsverfahrens der sexuelle Bezug seiner Handlungen bewusst gewesen.
Taten von geringer Intensität"
Dass Grenzüberschreitungen nicht immer als sexuelle Handlungen eingeordnet werden müssen, machte die Kammer am Beispiel Duschen einer Siebenjährigen deutlich, einer der Fälle, in dem der Sozialpädagoge freigesprochen wurde. Das Berühren I'm Genitalbereich sei dabei nicht erheblich gewesen, zudem habe ER die Verantwortung für die Pflege Des Mädchens gehabt. Bei den Einläufen sah die Kammer die Überlagerung eines sexuellen Bezugs durch die medizinische Notwendigkeit, weil beide Kinder an Verstopfung gelitten hätten.
Wegen der geringen Intensität der Straftaten" legte die Kammer ein Gesamtstrafmaß von einem Jahr Haft auf Bewährung fest. Sie glaubt, dass sich der Verurteilte nichts mehr zuschulden kommen lässt, weil ER das Risiko nun gut einschätzen könne. Denn mit diesem Prozess habe ER erfahren, dass sexueller Missbrauch auch dann öffentlich werden könne, wenn ER sich I'm Betreuungsumfeld abspiele.
Dessen ungeachtet erteilte die Kammer dem Sozialpädagogen ein dreijähriges Berufsverbot in der Kinder- und Jugendarbeit mit Mädchen unter 14 Jahren. Bei der Abwägung habe nichts gegen ein solches Verbot gesprochen. Die Taten habe der Verurteilte unter Missbrauch seines Berufs begangen. Und ER würde wieder solche Taten begehen, wenn ER weiterarbeiten dürfte.
Die Prozessparteien behielten sich gestern vor, Revision einzulegen, das Urteil ist also nicht rechtskräftig. Staatsanwältin Gebing zeigte sich froh über das von ihr beantragte Berufsverbot. Ansonsten hätte sie sich allerdings etwas mehr vorstellen können". Auf jeden Fall werde die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln. Nicht sonderlich enttäuscht" waren die Verteidiger Des 41-Jährigen, auch wenn sie auf Freispruch in Allen Fällen gehofft hatten. Doch seien gerade die massiveren Vorwürfe vom Tisch und das oberste Ziel, ihren Mandanten vor einer Haftstrafe zu bewahren, erreicht, so Helmut Schneider.
Die Kammer sprach gestern auch den Zusammenhang zwischen dem Verurteilten und den Wormser Missbrauchsprozessen von 1994 bis 1997 an. Wie berichtet, hatte das Jugendamt Worms damals I'm Spatzennest" sechs Kinder wegen der Prozesse gegen ihre Eltern untergebracht. Nach den Freisprüchen wollten sie nicht mehr in ihre Familien zurück. Die Schuld daran gaben bundesweite Medien dem Sozialpädagogen: Er habe eine Vorliebe für kleine Mädchen, habe die Kinder emotional von sich abhängig gemacht und entsprechend manipuliert. Das Jugendamt Worms wurde verdächtigt, dies zu decken.
Worms sieht Träger in der Pflicht
Zuletzt I'm Spatzennest" untergebracht waren neun Kinder - fünf von ihnen aus Worms -, die aber nicht mehr aus den damaligen Prozessen stammten und auch nicht von den in Kaiserslautern verhandelten Anklagen betroffen waren. Seit der Schließung der Einrichtung Ende 2007 werden sie in anderen Heimen betreut. Die Stadt Worms lehnt es auch nach der gestrigen Verurteilung AB, über frühere Vorwürfe gegen den Heimleiter zu reden. Daneben verweist sie darauf, dass die fortlaufende Überwachung der Eignung Des in Heimen eingesetzten Personals dem jeweiligen Träger obliege, I'm Spatzennest"-Fall der Jugendhilfe-Einrichtungen Südwest I'm südpfälzischen Schwegenheim. Nach Bekanntwerden der jüngsten Vorwürfe habe das Jugendamt sofort reagiert und die Kinder anderswo untergebracht. Bis zu diesem Zeitpunkt I'm November 2007 habe es aber auch bei dem für die Heimaufsicht zuständigen Landesjugendamt keine Anhaltspunkte für eine frühere Herausnahme gegeben.
HERBERA
Re: Jugendamt Worms: Missbrauchsprozesse
Rheinpfalz vom 30.08.2008
Auch Staatsanwaltschaft legt Revision ein
Reaktion auf Urteil im Spatzennest"-Prozess - Heimträger weisen Jugendamts-Kritik zurück
KAISERSLAUTERN (ahb). Nach der Verteidigung hat nun auch die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern Revision im sogenannten Spatzennest"-Prozess eingelegt. Darüber informierte der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Bleh gestern auf Anfrage.
Wie berichtet, war der frühere Leiter der Kinderwohngruppe Spatzennest" im nordpfälzischen Ramsen am 22. August vom Landgericht Kaiserslautern wegen sexuellen Missbrauchs von kleinen Mädchen bei einer Ferienfreizeit 2007 in Österreich verurteilt worden. Die Entscheidung auf eine einjährigen Bewährungsstrafe und ein befristetes Berufsverbot ist aber noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hatte drei Jahre Freiheitsstrafe, die Verteidigung Freispruch gefordert.
Mit Spannung erwartet worden war die Entscheidung auch in Worms. Wie ebenfalls berichtet, hatte das städtische Jugendamt stets Kinder im Spatzennest" untergebracht, zunächst ab 1993 sechs Kinder aus den Wormser Missbrauchsprozessen. Dabei war dem Amt vorgeworfen worden, Eigenheiten des Sozialpädagogen zu decken. Denn im Gegensatz zu anderen Wormser Prozesskindern wollten jene aus dem Spatzennest" nicht mehr in ihre Familien zurück, als ihre Eltern freigesprochen wurden. Ein Gutachter und Eltern warfen dem Pflegevater 2001 vor, die Kinder entsprechend beeinflusst zu haben.
Für Jürgen Neureuther, FDP-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat Worms, wurde mit dem Urteil schon so etwas wie eine neue Entwicklung" eingeleitet. Entgegen den Aussagen des Sozialdezernenten sei im Spatzennest" eben doch nicht alles in bester Ordnung gewesen. Neureuther geht davon aus, dass sich der Sozialpädagoge im Heim nicht anders verhalten hat als bei der Freizeit.
Als es darum ging, dass die Spatzennest"-Kinder aus den Missbrauchsprozessen nicht mehr in ihre Familien zurück wollten, war auch das Amtsgericht Worms als Vormundsstelle damit befasst. Es stärkte damals dem Jugendamt den Rücken. Unstrittig war aber zwischen allen Beteiligten, dass, egal warum die Kinder sich weigerten, sie nicht gegen ihren Willen aus dem Spatzennest" herausgenommen werden konnten. Damals noch nicht im Amt war der heutige Direktor des Wormser Amtsgerichts, Christof Frank. Während des Kaiserslauterer Verfahrens gegen den Heimleiter hatte er davon gesprochen, sollten die Vorwürfe zutreffen, dies eine absolute Katastrophe" sei. Diese Meinung vertrat er auch gestern noch. Was die Außenwirkung betrifft, gibt diese Verurteilung ein katastrophales Bild ab", sagte Frank auf Anfrage, vorausgesetzt, die Entscheidung werde rechtskräftig. Damals aber hätten Jugendamt und Gericht nach bestem Wissen und Gewissen zum Wohl der Kinder gehandelt, auch wenn sich die Sache nach dem Kaiserslauterer Urteil in einem etwas anderen Licht darstelle. Allerdings würde er persönlich auch jetzt noch nicht von Dingen wie Gehirnwäsche reden wollen, wie es der - im Übrigen vom Gericht bestellte - Gutachter 2001 formuliert habe.
Die Stadt Worms lehnt Stellungnahmen zu den Wormser Prozesskindern ab. Zu der jüngsten Verurteilung des früheren Heimleiters verwies sie auf die personelle Verantwortung des Heimträgers und des Landesjugendamts als Heimaufsicht. Sowohl der letzte Träger, die Jugendhilfe Einrichtungen Südwest in Schwegenheim, als auch die Evangelische Heimstiftung Pfalz als deren Vorgänger, verwahren sich gegen solche Schuldzuweisungen. Wie für alle Wohngruppen habe auch für das Spatzennest" ein enges Kontrollnetz bestanden, so Heimstiftungsdirektor Gerhard Ritter. Die Gruppe sei dem Kinderheim im nahen Stauff zugeordnet gewesen. Bei uns gab es nie eine lange Leine für Außenwohngruppen." Daneben sei es Sache des jeweiligen Jugendamts zu überwachen, ob der Träger den für ein Kinder erstellten Hilfeplan auch erfülle.
Die Heimstiftung habe nach dem Gutachten von 2001 im Zusammenhang mit den Wormser Prozesskindern noch genauer hingeschaut, doch keine Anhaltspunkte für Kritik gefunden, auch wenn", so Ritter, der Gruppenleiter schon ein eigenartiger Mensch war". Beendet worden sei die Trägerschaft 2003 auf Betreiben des Sozialpädagogen. Als Grund habe er nur genannt, selbstständiger arbeiten zu wollen. Dass im Spatzennest" nie Kinder vom Jugendamt in Kirchheimbolanden untergebracht waren, obwohl Ramsen im Donnersbergkreis liegt, wertete Ritter als Zufall. Auch sein Kollege Wolfgang Scherer von den Jugendhilfe Einrichtungen Südwest wollte das nicht so verstanden wissen, dass die Behörde kein Vertrauen zum Spatzennest" gehabt hätte.
Rheinpfalz vom 01.09.2008
Das Interview
Auch Jugendamt steht in der Verantwortung"
Wolfgang Scherer, Geschäftsführer der Jugendhilfe Einrichtungen Südwest, und der Spatzennest"-Fall
Der Leiter des Spatzennest", eine frühere Kinderwohngruppe im nordpfälzischen Ramsen, ist Ende August vom Landgericht Kaiserslautern wegen sexuellen Missbrauchs von kleinen Mädchen bei einer Ferienfreizeit zu einer Bewährungsstrafe und Berufsverbot verurteilt. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Noch vor dem Urteil hatten die Jugendhilfe Einrichtungen Südwest e. V. (JES) mit Sitz in Schwegenheim dem Sozialpädagogen gekündigt - sie waren Träger des Spatzennest". Unsere Redakteurin Anke Herbert sprach mit Geschäftsführer Wolfgang Scherer.
Wie kam es denn zu der Trägerschaft?
Wir haben in Ramsen noch eine Wohngruppe, zu der das Spatzennest" Kontakt hatte. In Gesprächen äußerte der Spatzennest"-Leiter, dass es Differenzen mit dem bisherigen Träger gebe. Wir haben uns dann zusammengesetzt, über eine JES-Trägerschaft gesprochen und auch die betroffenen Jugendämter und das Landesjugendamt haben signalisiert, dass das für sie ein guter Weg sei. Im Oktober 2003 übernahmen wir dann die Trägerschaft.
Die Trägerschaft lag zuvor bei der Evangelischen Heimstiftung Pfalz. Nach deren Angaben hatte der Sozialpädagoge gekündigt, weil er selbstständiger arbeiten wollte ...
Uns gegenüber hat er davon nichts erwähnt. Aber sollte er sich das von einem Trägerwechsel erhofft haben, hat das nicht funktioniert. Auch bei uns war er eingebunden in Hierarchien und Gruppenarbeit, und wir waren ständig vor Ort präsent.
Das heißt, die Zusammenarbeit funktionierte reibungslos?
Man muss klar sagen, dass er eine dominante Persönlichkeit ist und sich nicht immer geschickt verhalten hat. Natürlich gab es Auseinandersetzungen, bei denen ich auch mal ein Machtwort sprechen musste. Strittig war zudem, dass er nie richtigen Urlaub machte. Wohl auch deshalb, weil er über ein vernünftiges Maß hinaus im Beruf und ehrenamtlich engagiert war. Auch vom Landesjugendamt war er darauf angesprochen worden.
Sie waren aber nie in echter Sorge?
Nein, es gab eben nichts, wo wir hätten sagen müssen, hier ist jetzt aber Schluss. Da wäre es sicher hilfreich gewesen, wenn wir gewusst hätten, dass schon früher, im Jahr 2003, wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs gegen den Sozialpädagogen ermittelt wurde. Auch wenn die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern das Verfahren letztlich eingestellt hat.
Die Ermittlung war noch zur Heimstiftungszeit. Auch sie wusste nichts davon. Weil aus Datenschutzgründen bei einem niedergeschlagenen Verfahren nichts weitergegeben werden darf.
Das sollte man überdenken. Zumindest das Landesjugendamt sollte in solchen Fällen informiert werden. Da muss bei der Abwägung das Kindeswohl mehr zählen als Datenschutz.
Wussten Sie auch nichts von der Verbindung Ihres früheren Mitarbeiters zu den Wormser Missbrauchsprozessen? Sechs Kinder wurden im Spatzennest" untergebracht, weil ihre Eltern in Untersuchungshaft waren. Später wollten sie nicht mehr in ihre Familien zurück. Dem Pflegevater wurde vorgeworfen, seine Schutzbefohlenen entsprechend manipuliert zu haben, weil er von der Schuld der später freigesprochenen Eltern überzeugt gewesen sei.
Wir wussten zwar von diesen Kindern, aber kaum etwas über die Hintergründe. Auch darüber haben wir erst später aus der Presse erfahren. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass der Sozialpädagoge eben auch die Begabung hat, Menschen für sich einzunehmen. Er war ja sehr beliebt. Vielleicht hat er dabei Leute in eine gewisse Richtung manipuliert. Zudem ermöglichte ihm sein unbestritten hohes Fachwissen, sich entsprechend zu präsentieren.
Ihre Reaktion?
Wir waren fassungslos. Auch diese Information hätte uns geholfen, anders auf die Arbeit des Sozialpädagogen zu sehen.
Die fortlaufende Überwachung der Eignung des in Heimen eingesetzten Personals obliegt dem Träger. So hat das Jugendamt Worms auf eine mögliche Mitverantwortung reagiert, weil es seit langem Plätze im Spatzennest" belegt. Das sehen Sie sicher anders?
Es ist sehr ärgerlich, dass sich das Jugendamt von Verantwortung frei sprechen will. Weil Träger, Jugendamt und Landesjugendamt stets eng zum Kindeswohl zusammenarbeiten. Es ist ja nicht so, dass ein Kind in ein Heim kommt und das Jugendamt dann raus aus der Sache wäre.
Das Jugendamt argumentiert, nach Ihrer Kündigung des Mitarbeiters sofort reagiert und die Kinder herausgeholt zu haben.
Dieses Herausreißen war nicht unproblematisch für die Kinder. Und auch nicht notwendig. Zu jenem Zeitpunkt Mitte November standen die Vorwürfe gegen den Sozialpädagogen schon seit gut fünf Wochen im Raum. Seitdem musste er sich vom Spatzennest" fernhalten.
Schaden den Jugendhilfe Einrichtungen Südwest solche Schuldzuweisungen zusätzlich?
Da uns die Vorgänge um das Spatzennest" bereits sehr geschadet haben, ist ein solches Abwälzen von Mitverantwortung weder professionell noch objektiv. Wegen des Falls sind die Anfragen von Jugendämtern aus Rheinland-Pfalz nach Heimplätzen bei uns rückläufig. Ich hoffe, dass sich dies bald wieder normalisiert.
Re: Jugendamt Worms: Missbrauchsprozesse
Rheinpfalz vom 01.09.2008
Das Interview
Auch Jugendamt steht in der Verantwortung"
Wolfgang Scherer, Geschäftsführer der Jugendhilfe Einrichtungen Südwest, und der Spatzennest"-Fall
Der Leiter des Spatzennest", eine frühere Kinderwohngruppe im nordpfälzischen Ramsen, ist Ende August vom Landgericht Kaiserslautern wegen sexuellen Missbrauchs von kleinen Mädchen bei einer Ferienfreizeit zu einer Bewährungsstrafe und Berufsverbot verurteilt. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Noch vor dem Urteil hatten die Jugendhilfe Einrichtungen Südwest e. V. (JES) mit Sitz in Schwegenheim dem Sozialpädagogen gekündigt - sie waren Träger des Spatzennest". Unsere Redakteurin Anke Herbert sprach mit Geschäftsführer Wolfgang Scherer.
Wie kam es denn zu der Trägerschaft?
Wir haben in Ramsen noch eine Wohngruppe, zu der das Spatzennest" Kontakt hatte. In Gesprächen äußerte der Spatzennest"-Leiter, dass es Differenzen mit dem bisherigen Träger gebe. Wir haben uns dann zusammengesetzt, über eine JES-Trägerschaft gesprochen und auch die betroffenen Jugendämter und das Landesjugendamt haben signalisiert, dass das für sie ein guter Weg sei. Im Oktober 2003 übernahmen wir dann die Trägerschaft.
Die Trägerschaft lag zuvor bei der Evangelischen Heimstiftung Pfalz. Nach deren Angaben hatte der Sozialpädagoge gekündigt, weil er selbstständiger arbeiten wollte ...
Uns gegenüber hat er davon nichts erwähnt. Aber sollte er sich das von einem Trägerwechsel erhofft haben, hat das nicht funktioniert. Auch bei uns war er eingebunden in Hierarchien und Gruppenarbeit, und wir waren ständig vor Ort präsent.
Das heißt, die Zusammenarbeit funktionierte reibungslos?
Man muss klar sagen, dass er eine dominante Persönlichkeit ist und sich nicht immer geschickt verhalten hat. Natürlich gab es Auseinandersetzungen, bei denen ich auch mal ein Machtwort sprechen musste. Strittig war zudem, dass er nie richtigen Urlaub machte. Wohl auch deshalb, weil er über ein vernünftiges Maß hinaus im Beruf und ehrenamtlich engagiert war. Auch vom Landesjugendamt war er darauf angesprochen worden.
Sie waren aber nie in echter Sorge?
Nein, es gab eben nichts, wo wir hätten sagen müssen, hier ist jetzt aber Schluss. Da wäre es sicher hilfreich gewesen, wenn wir gewusst hätten, dass schon früher, im Jahr 2003, wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs gegen den Sozialpädagogen ermittelt wurde. Auch wenn die Staatsanwaltschaft Kaiserslautern das Verfahren letztlich eingestellt hat.
Die Ermittlung war noch zur Heimstiftungszeit. Auch sie wusste nichts davon. Weil aus Datenschutzgründen bei einem niedergeschlagenen Verfahren nichts weitergegeben werden darf.
Das sollte man überdenken. Zumindest das Landesjugendamt sollte in solchen Fällen informiert werden. Da muss bei der Abwägung das Kindeswohl mehr zählen als Datenschutz.
Wussten Sie auch nichts von der Verbindung Ihres früheren Mitarbeiters zu den Wormser Missbrauchsprozessen? Sechs Kinder wurden im Spatzennest" untergebracht, weil ihre Eltern in Untersuchungshaft waren. Später wollten sie nicht mehr in ihre Familien zurück. Dem Pflegevater wurde vorgeworfen, seine Schutzbefohlenen entsprechend manipuliert zu haben, weil er von der Schuld der später freigesprochenen Eltern überzeugt gewesen sei.
Wir wussten zwar von diesen Kindern, aber kaum etwas über die Hintergründe. Auch darüber haben wir erst später aus der Presse erfahren. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass der Sozialpädagoge eben auch die Begabung hat, Menschen für sich einzunehmen. Er war ja sehr beliebt. Vielleicht hat er dabei Leute in eine gewisse Richtung manipuliert. Zudem ermöglichte ihm sein unbestritten hohes Fachwissen, sich entsprechend zu präsentieren.
Ihre Reaktion?
Wir waren fassungslos. Auch diese Information hätte uns geholfen, anders auf die Arbeit des Sozialpädagogen zu sehen.
Die fortlaufende Überwachung der Eignung des in Heimen eingesetzten Personals obliegt dem Träger. So hat das Jugendamt Worms auf eine mögliche Mitverantwortung reagiert, weil es seit langem Plätze im Spatzennest" belegt. Das sehen Sie sicher anders?
Es ist sehr ärgerlich, dass sich das Jugendamt von Verantwortung frei sprechen will. Weil Träger, Jugendamt und Landesjugendamt stets eng zum Kindeswohl zusammenarbeiten. Es ist ja nicht so, dass ein Kind in ein Heim kommt und das Jugendamt dann raus aus der Sache wäre.
Das Jugendamt argumentiert, nach Ihrer Kündigung des Mitarbeiters sofort reagiert und die Kinder herausgeholt zu haben.
Dieses Herausreißen war nicht unproblematisch für die Kinder. Und auch nicht notwendig. Zu jenem Zeitpunkt Mitte November standen die Vorwürfe gegen den Sozialpädagogen schon seit gut fünf Wochen im Raum. Seitdem musste er sich vom Spatzennest" fernhalten.
Schaden den Jugendhilfe Einrichtungen Südwest solche Schuldzuweisungen zusätzlich?
Da uns die Vorgänge um das Spatzennest" bereits sehr geschadet haben, ist ein solches Abwälzen von Mitverantwortung weder professionell noch objektiv. Wegen des Falls sind die Anfragen von Jugendämtern aus Rheinland-Pfalz nach Heimplätzen bei uns rückläufig. Ich hoffe, dass sich dies bald wieder normalisiert.