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Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Zwischenrufe zu dieser aufregenden Diskussion.

Am 13.02.2007 um 06:40 schrieb Alechadro:

Gemeint hast Du, daß Fantasy und SF (was ist mit Horror) mehr Auslauf und damit Möglichkeiten haben. — Einspruch: Alltägliches, Banales, Triviales, ›Normales‹ als Hauptaugenmerk eines F/SF/H-Romanes ist mir noch kaum untergekommen. Das Perverse: ich würde das gern mal lesen. Einen Cyberpunkflick der 300 Seiten vom Leben in einem durchschnittlichen Akrologieding erzählt; ein Fantasyroman, der mir vom Leben in einem Stadtkarree erzählt usw. Magisches oeder SF-iges dürfte geschehen, nur eben ohne ›große Spannungshandlung‹, ohne ›epische Überhöhung‹. Stephenson ist mir augefallen, dass er seine SF streckenweise lange im ›Unspektakulären‹ laufen läßt (z.B. Nells Alltag als Kind und Reaktice). Ebenso hat das das Comic Transmetropolitain sehr viel Alltagskleinkram als Würze (Werbung, Konsum, Verkehr, Medien, Mode usw). DAS war ja auch einer der wichtigen Leistungen von Filmen wie Blade Runner, oder von Künstlern wie Giraud/Mœbius (dem seine Beiträge zu Mode in Genre z.B. sind unschätzbar. Man verliehre sich in den entsprechenden Wimmelbildern der Inkal-Comics). — Ich messe Genre-Phantastik sehr stark daran, wie gut Alltag/Banales intergiert sind, denn auf dieser Ebene schlagen alle Verinfachungen durch. Ich denke an die entsprechenden Kommentare von Diane Wynne Jones in ihrem Tough Guide to Fantasylands (Pferde vermehren sich durch Pollenflug usw). Man gucke sich nur die Zähne bei Pirates of the Caribean an. Das passt!

Zum Verhältnis Setting und Inhalt:
Warum häufen sich auf bestimmten irdischen/›realen‹ Settings mehr Stoffe an, auf anderen weniger? Welche realen Settings/Genres darf man denn als direkte Vorfahren der modernen Phantastik-Trias nehmen? Reiseberichte (fiktive wie faktische), Romance (slightly bigger than life), Western, Piraten, Ritter, usw. — WIRKLICH originell wäre ein Phantastik-Genrebuch, daß statt bei Homer, Grimm, Morris und Co sich z.B. Flaubert, Zola oder so zum Vorbild nimmt :-)

Ich finde, man kann sofort einen ganzen Haufen Interessantes von heutigen Kunstdiskursen 1 zu 1 auf Genre-Phantastik übertragen, wenn man statt ›Setting‹ eben ›Insterlation‹ sagt. Für mich (ich komm von der bildenden Kunst) ist der Unterschied zwischen Kabakov und Tolkien, zwischen Warhol und Gibson, zwischen Pollock und Joyce nur sehr marginal.

Zu Lomax Ork-Bemerkungen:
Stimme Dir 100 Pro zu, bis auf eine Ausnahme. Auch wenns mich ein wenig graust, finde ich diese Bier-, Fußball-, Rock-Orks von Warhammer herzig. Das passt einfach. Hier wurden aus der Realität sehr sinnig Eigenheiten auf die Orks übertragen. (Doch wo soll das noch hinführen: Partyorks, Naziorks, Zeckenorks, Prollorks?) — Ich finde, daß z.B. Fantasy um so besser ist, desto weniger sich solche fiktiven Arten (Orks, Elfen, Wichtel, Trolle, Drachen) auf tatächliche Gruppen/Millieus zurückführen lassen. — Ich mein, sind nicht z.B. von Indianern, über Orks bis hin zu Weltraumkäfern viele ›Bösen‹ funktionell schlicht dazu da, eben (a) eine Bedrohung darzustellen die dann (b) von den Helden bekämpft wird. Das ist ja z.B. die großartige Stärke von Zombies: das sind ›menschenartige Wesen‹, die man metzeln darf/muss.

Originelles, was man mit Orks machen kann: nehmen wir Tolkiens Aussage, daß er niemals wirklich abbildet, was Orks so reden. Deren Umgang und Sprache sind zu übel und anstößig, weshalb er (Tolkien) eben nur ›Platzhalter-Dialoge‹ lieferte, und man sich als Leser selber das Übelste und Gröbste an Ausdrücken ausmalen darf. Also, lieber Fantasy-Adept, schreibe einfach eine unbeschönigte, reale Geschichte mit Tolkienorks (Irvine Welsh wäre dafür vielleicht ein guter Kandidat, grins). — Diese Platzhalter-Strategie ist übrigens ein guter Einblick in die fundamentale Euphemismus-Praxis/Gutenacht-Stilistik von Tolkien, die Anlaß für viel (berechtigte) Kritik ist.

Ich halte Setting nicht für DAS wichtigste Merkmal von Narrationen. Mir erscheint der Mitteilungsmodus bedeutender (sowohl sprachlicher Modus im Besonderen, als auch allgemeiner struktureller Modus … man denke nur an so grundlegend entgegengesetzte Stuktur-Möglichkeiten wie ›runde Sache/roter Faden‹ und ›offenes Ende/Kunterbuntchaos‹, oder eben solche Sprach-Ebenen wie ›hoher Stil‹ {Ross}, ›normaler Stil‹ {Pferd} und ›vulgärer/niederer Stil‹ {Gaul}).

Grob nach Aristoteles/Frye kenn ich die Einteilung nach der Handlungsmacht des Helden, die größer, geringer oder etwa gleich zu der von ›uns Lesern‹: sein kann: dementsprechend kann man unterscheiden zwischen:
(i) Mythischer Modus: Held (göttliches Wesen) ist anderen Menschen und Umwelt überlegen (Homer, Superman)
(ii) Romantischer Modus (engl. Romance!): Held ist anderen Menschen und Umwelt bis zu einem gewissen Grad überlegen; Naturgesetzte sind leicht außer Kraft gesetzt (anzutreffen von Dumas bis Dan Brown, der allgemein verbreiteste Abenteuer-Modus, deshalb auch in der Genre-Phantastik am meisten anzutreffen).
(iii) Hoher mimentischer Modus: Held (oftmals Anführer) ist anderen Menschen überlegen, aber nicht der Umwelt (z.B. »Amadeus«).
(iv) Niederer mimetischer Modus: Der Held ist einer von uns, weder der Umwelt, noch seinen Mitmenschen überlegen (das, was man heut am meisten in der realistischen Literatur antrifft. Nehmen wir z.B. George Orwell).
(v) Ironischer Modus: Kraft und Intellgenz des Helden sind niederer als die von ›uns Lesern‹ (eben z.B. der Scheibenwelt-Modus).

Das ist um einiges wichtiger, als die Kulisse und Kostüme, denn der Modus hat schon Auswirkung auf Stil und Anwednung von Kulisse, Figuren, Requisiten usw. (sowas wie »Wahnwitzige Geschwindigkeit« bei Spaceballs geht eben nur im Ironischen Modus und wäre z.B. bei James Bond ein heikler Scherz. Umgekehrt ists heikel, einen ironischen Roman {Modus v} mit einer ernsten Liebesbeziehung {Modi iii und iv} anzureichern, ) — Heutzutage trifft man freilich kaum noch Reinformen dieser Modi an, aber es gibt andererseits so ein Gravitationszentrum an Konvention. So sind ›Untergaltungsromane‹ überwiegend an Spannung orientiert, weniger an panoramischer Abschweiferei. Man kann hier z.B. Flauberts Madame Bovary als Zeitenwende nehmen.

Zuetzt: Am wichigsten erscheint mir das Verhältnis von ›Überhöhen‹ und ›Vernachlässigen‹. Welche Aspekte, Eigenschaften, Perspektiven, Annahmen werden überhöht, herausgestellt, mit Spannung aufgeladen und welche Dinge werden vereinfacht, hintangestellt, ausgeblendet. Hier findet meiner Meinung nach auch die eigentliche ›Auseinandersetzung‹ um den speziefischen Eskapismus-Modus in der Phantastik statt.

Soweit mein Bündel Gedanken zum Thema.
Grüße
Alex / molosovsky

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Molosovsky sagte:

Geht nicht gibs nicht.
Gemeint hast Du, daß Fantasy und SF (was ist mit Horror) mehr Auslauf
und damit Möglichkeiten haben.


Ja Horror, hab ich vergessen, weil ich den so gut wie nie lese. Aber
nicht weil ich ihn grundsätzlichn nicht mag, eher weil er mir nie in die
Hände fällt und ich nicht nach ihm suche. Ich habe aber gerne Lust mal
einen guten Grusel zu lesen, kenne aber niemanden von dem ein guter Tipp
zu erwarten wäre, außer nun in diesem Forum. Bitte empfehle mir einen
von dem du sagst, dass er unbedingt mal gelesen werden muss. Würde mich
freuen, ganz ehrlich.

Molosovsky sagte weiter:

Gemeint hast Du, daß Fantasy und SF (was ist mit Horror) mehr Auslauf
und damit Möglichkeiten haben. — Einspruch: Alltägliches, Banales,
Triviales, ›Normales‹ als Hauptaugenmerk eines F/SF/H-Romanes ist mir
noch kaum untergekommen. Das Perverse: ich würde das gern mal lesen.

Würd ich auch gerne mal lesen.
Ich meinte aber eher, dass man in der Fantasy im weitesten Sinne jede
Geschichte erzählen kann. Es gibt kein ...gibts nicht...,...geht
nicht...,...is ja unrealistisch...,...übertrieben.... Es muss nur
richtig erzählt werden und die Fantasie des Erzählers und des Lesers
kann zu üppiger Vielfalt explodieren. Und so entsteht dann so
wunderbares wie PSS, Die Narbe, und nat. anderes. Alltägliches, Banales,
Triviales, ›Normales‹ kann sicher auch zur Prosa werden, wenn es aus der
richtigen Feder kommt. Und das würde ich dann auch gerne mal lesen.

Gruss Alechadro

Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?

Das ist streng genommen nicht richtig, denn jede Geschichte hat ihr eigenes Setting. Darauf zielt Harrison ja ab: Fiktionen bilden nicht die Realität ab, sondern nur die Vorstellung des Autoren davon; bei phantastischen Geschichten gibt es nicht mal eine Realität. Streng genommen, müsste man sagen, dass dieses und jenes Setting sich ähneln. Man sagt dann eher, dass sie dasselbe Setting haben. Also eigentlich meine ich: Wenn ich eine Reihe von Signalen erhalte, dass der Autor beim Setting einer Tradition folgt und nicht etwas Neues schaffen will, dann bin ich abgeneigt das zu lesen.

Ich sehe einen deutlichen Unterschied zwischen: "Ich lese keine Genre-Literatur, weil die schlecht ist," und "Ich lese keine Bücher, von denen ich annehmen muss, dass sie schlecht sind." Es geht ja nicht darum, dass ich Fantasy-Literatur aussortiere; ich habe ähnliche Kriterien um 'Hochliteratur' und Krimis auszusortieren. Es geht ja nicht um ein Aussortieren ohne Informationen über das Werk gesammelt zu haben. Und umgekehrt sehe ich nicht ein, warum ich ein Buch bevorzugen soll, von dem ich glaube, dass es mir nicht gefallen wird, gegenüber einem Buch, von dem ich annehme, dass es mir gefallen wird, nur weil dass eine Fantasy ist und das andere nicht.

Komplett ohne Action und so wird schwer werden - in der Genre-Literatur vielleicht unmöglich. Aber schau dir mal von Steve Cockayne die "Die Glückssucher" Reihe an - gerade der letzte Band beschreibt irrsinnig viel Alltag. Horror: Julio Cortázar: "Das besetzte Haus" - ganz großartig, denn hier wird kein Wort vom Grauen gesprochen und doch ist es stets präsent. Schau doch mal weiter in Richtung "Magischer Realismus"; vielleicht wirst du da fündig.

Ich mag am liebsten phantastische Elemente, die auf (philosophische) Gedankenspiele zurückgehen.

Eh, nur wenn das Setting ein bloßes Ambiente ist - wenn es ein Milieu ist, bestimmt es die Handlungen der Figuren: Dickens Figuren funktionieren eben nicht in der Feuchtwangers "Der jüdische Krieg".

Ironisch scheint mir übrigens zu kurz gedacht zu sein: In Horror-Geschichten können die Figuren auch klar schwächer sei, ohne dass es ironisch wird. Auch Erzählungen von 'Unterschichten' können die Schwäche herausstellen ohne ironisch zu sein.

So, ich muss weg. Zum Horror vielleicht heute Abend mehr.

Theophagos

Horrortip für Alechadro:
Fast peinlich weil auch ich schon länger keinen Horror mehr verfolgt
habe.
—Wer hat den hier letztens über »Jeckyll & Hyde« gejubelt? DAS ist z.B.
guter Horror. Ich lese auch »Dorian Gray« als sehr feinen Horror, auch
wenn es wohl immer weniger (junge nachkommende) Leser gibt, die solchen
alten Sachen wie R.L. Stevenson und Oscar Wilde.
—Der Lovecraftband »Cthulhus Ruf« enthält (imho) einige der besten
Geschichten von HPL.
—Wer sich Englisch lesen traut, sollte sich die »Borderlands«-Anthos
angucken, hrsg. Thomas F. Monteleone;
—Ich unterstütze China Miéville ›kuriosen‹ Tipp: lest »Jane Eyre« von
Charlotte Bronte als Horror.

Ich werd mich aber nochmal umgucken, ob ih noch bessere Tips
zusammentragen kann.
Seit ein paar Monaten versuche ich wieder mehr Horror zu gucken und zu
lesen. Lesenderweise komme ich aber Klassiker nicht hinaus (und halte
Louis-Ferdinand Celine oder Orwell oder Henry Meyhew für ärgeren
Horror, als die heutige Genrekost). Film-guckenderweise finde ich die
SF/Fantasy-Horror-Schiene (Resident Evil, Underworld, Wächter der Nacht
und Co) um einiges überzeugender, als die neue Serienmörder und
Teenmetzelwelle (öde z.B. sowohl »Saw« und »Hostel«, obwohl: das Making
of von »Hostel« war unterhaltsam).

Ansonsten noch ein kleines Ping zu Alechadros Pong:
> Ich meinte aber eher, dass man in der Fantasy im weitesten Sinne jede
> Geschichte erzählen kann.
In der ›Fäntäsy‹ werden einem vergleichsweise enge Erwartungs-Vorgaben
gegeben, denn die ›Fäntäsy‹ ist ein mißverständlicher Genre-Begriff,
grad im Deutschsprachigen. Wenn Du aber meinst, daß man in der
›Phantastik‹ (denn das ist der Begriff ›Fäntäsy‹ übersetzt) jede
Geschichte erzählen kann, dann frage ich zurück: Was ist eine
Geschiche? DAS ist nämlich für entsprechende Autoren und auch Leser die
eigentliche Final Frontier. Was ist noch eine Geschichte, und was nur
ein Haufen Wörter? — Zudem denke ich, daß es eben doch erstaunlich
viele Geschichten gibt, die nicht erzählbar sind. Nimm das folgende
Rätsel von J.L. Borges: Man schreibe einen Krimi, bei dem sich am Ende
der Leser als Mörder entpuppt. — Hat meines wissens noch keiner
geschafft.


Aus Theophagos letzter Mail:

> Das Problem, was ich damit habe, ist nur, dass man sich damit
> denselben Mechanismus zueigen macht, mit dem wiederum die deutsche
> Hochliteratur SF und Fantasy 'grundsätzlich ausklammert.
Guckt Euch dazu mal spaßeshalber z.B. die Rezis zum neuen Peter Handke
an.
https://www.perlentaucher.de/buch/26301.html
und mein Geläster dazu bei literaturwelt.de
https://www.perlentaucher.de/buch/26301.html
In der hiesigen Literaturszene gibt es diese besondere Begeisterung für
empfindsame Langeweile (Ralf Rothman, Judith Herrmann, Patrick Roth,
Andras Maier — austauschbar und alle faaaaaaad). Kann ich verstehen,
bei der Arbeitswelt usw. Seh ich ja auch bei meinen wenigen
TV-Einblicken. Deutsche TV-Krimis sind das ödeste, was gibt.

>> Einspruch: Alltägliches, Banales, Triviales, ›Normales‹ als
>> Hauptaugenmerk eines F/SF/H-Romanes ist mir noch kaum untergekommen.
> … schau dir mal von Steve Cockayne die "Die Glückssucher" Reihe an
Danke für den Tipp. Magischen Realismus hab ich einiges hier, ua. eben
den kompletten deutschen Borges, einiges von Cortazar bis hin zu
aktuellen Hoffnungen wie Pablo de Santis.
Was ich aber eine wäre folgendes: ein Alltagsroman aus einer ›typischen
Fäntäsywelt‹. Nur statt dem üblichen Heldenpack stehen die sonstigen
Statisten als Protags im Vordergrund, und statt einer Reise gibts
entsprechend stationären Alltag (vom Schuheflicken bis zum Buttermachen
und Stofffärben).

> Ich mag am liebsten phantastische Elemente, die auf (philosophische)
> Gedankenspiele zurückgehen.
Genau. Überhaupt toll, wenn phant’Elemente auf Vorherdenken beruhen,
und nicht auf begeistertes Deuten&Zusammenklauben auf D&D-Cover :-)

> Ironisch scheint mir übrigens zu kurz gedacht zu sein: In
> Horror-Geschichten können die Figuren auch klar schwächer sei, ohne
> dass es ironisch wird. Auch Erzählungen von 'Unterschichten' können
> die Schwäche herausstellen ohne ironisch zu sein.

Horror ist insofern oft ironisch, wenn die Möglichkeit ›angeboten‹
wird, sich vom Monster/Bösen usw begeistern/faszinieren zu lassen.
Kommt halt nicht selten bittere Ironie bei raus.
Und Arbeiter-, Proll-, Unterschichtserzählungen sind imho fast immer im
niederen mimetischen Modus erzählt.

Grüße
Alex / molo

Re: SUBs...oder was lest Ihr derzeit?

Das ist eine gute Gegenüberstellung, um das Problem zu illustrieren: Denn diese an sich unterschiedlichen Ansätze laufen dann zusammen, wenn man sagt: "Ich lese keine Bücher, von denen ich annehmen muss, dass sie schlecht sind - und das muss ich dann annehmen, wenn sie dem Genre XX zugehörig sind."

Wo mein Problem liegt, kann ich am besten an einem Beispiel aus meinem Studium deutlich machen: Dort hat ein Professor ein Hauptseminar eingeleitet mit den Worten: "Trivialität macht sich nicht am Genre oder an Inhalten fest. Es gibt strikt formale Merkmale der Trivialität ..." Und die hat er den Rest der Sitzung über erklärt. Sie waren wissenschaftlich, algorithmisch nachvollziehbar, prinzipiell wertfrei - und haben mich so überzeugt, dass ich sie auch heute noch als Maßstab akzeptiere.
Und danach ging es darum, welche Bücher wir den Rest des Hauptseminars über bearbeiten. Dabei kam ein Vorschlag von einem Teilnehmer, auf den hin der Professor mit deutlichem Naserümpfen meinte: "Aber das ist doch Fantasy - das ist trivial!"
Nun, ich weiß nicht mehr, welches Buch es war, und ob es wirklich Fantasy war oder nicht doch SF. Aber ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass der Professor von diesem Buch nicht mehr wusste als das Genre. Und dass er es daraufhin als minderwertig einstufte - obwohl er selbst vorher in seinem Seminar erklärt hatte, dass Trivialität zunächst mal nicht werthaft ist und dann auch nichts mit dem Genre zu tun hat.

Und damit möchte ich den Bogen zu deiner Gegenüberstellung schlagen: Ich würde dann einen unterschied zwischen "Ich lese keine Bücher, von denen ich annehmen muss, dass sie schlecht sind" und "Ich lese keine Genre-Literatur, weil die schlecht ist" sehen, wenn man in ersterem Falle - wie es besagter Professor selbst vorher in der Theorie vorgestellt hat - individuelle Qualitätsmerkmale der Bücher prüft und nicht nur auf Äußerlichkeiten achtet, aus denen man allenfalls Inhalte und Zugehörigkeit zum (Sub)genre entnehmen kann - wie es besagter Professor später in der Praxis getan hat.
Denn gerade dieser Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist es, der dazu führt, dass die fantastischen Genres in ihrem literarischen Wert kaum wahrgenommen werden: Weil nämlich selbst Literaturwissenschaftler sich oft genug weigern, sie methodisch korrekt zu betrachten, sondern sie ungesehen in eine Schublade stecken. Da, denke ich, kann man es sich gerade als Phantastik-Fan nicht erlauben, auf der einen Seite zu klagen und auf der anderen genau dasselbe zu tun.
Es geht mir ja auch nicht darum, dass jetzt jeder zwanghaft jedes Buch erst mal liest, um zu sehen, ob es nicht doch was taugt. Ich lese auch keine Western, keine Liebesgeschichten ... es sei denn, ich bekomme zufällig nähere Informationen über ein Einzelwerk aus dem Genre, die nahe legen, dass es mir vielleicht doch gefallen könnte, obwohl ich mit den Inhalten ansonsten nichts anfangen kann.
Mir geht es eher darum, dass man nicht die einfache Abkürzung gehen sollte und sagen: Ich lese dieses Buch nicht, weil es schlecht ist - obwohl man über das Buch nichts weiter weiß als den groben Inhalt, mit dem aus rein geschmacklichen Gründen nichts anfangen kann. Daran ändert dann auch die Tatsache nichts, dass dieser Geschmack womöglich dadurch geprägt wurde, weil man zu viele schlechte Vertreter mit ähnlichem Inhalt/Setting/Subgenre gelesen hat.

Denn wenn Seblon beispielsweise die Theorie aufstellt, dass "Autoren die völlig neue Welten schaffen, sich zumeist auch sehr viel mehr Gedanken um soziale Gefüge und gesellschaftliche Zusammenhänge in der geschaffenen Welt machen", so mag das zutreffend sein oder nicht - es ist zumindest eine gültige These, gegen die ich ohne exakte quantitative Erhebung erst mal nichts einwenden kann.
Sie enthält allerdings zwei Arten von Aussagen, die man nicht verwechseln darf. Zunächst mal drückt sie eine Korrelation aus, also: "Das Vorkommen von neuen Welten und Gedanken um Zusammenhänge korreliert." Implizit kommt auch eine Abhängigkeit zum Ausdruck: "Gedanken um Zusammenhänge sind ein Wert."
Wenn man aus der von Seblon genannten These den Schluss zieht: "Bücher, die keine neue Welt enthalten, enthalten mit größerer Wahrscheinlichkeit keine Gedanken um Zusammenhänge, also meide ich sie (erst) mal", dann ist das eine korrekte Operation.
Wenn ich hingegen den Schluss ziehe: "Bücher, die keine neue Welt enthalten, sind schlechter", dann ist das eine unzulässige Operation, weil ich einen Zusammenhang konstatiere, wo nur eine Korrelation existiert. Ein wissenschaftlicher Kardinalsfehler und Quell der meisten Fehleinschätzungen gerade in den Naturwissenschaften.
Die einfache und in der Regel nur durch persönliches Erleben "erfühlte" Korrelation mag ausreichen, um seinen persönlichen Lesegeschmack durch den Buchmarkt zu navigieren, aber für allgemeine Werturteile erwarte ich doch eine etwas präzsiere Differenzierung.


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Endlich bin ich auch dabei: Lomax' Weblog lockt ins Lohmannsland - www.lohmannsland.de

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Über letzteres könnte man einiges diskutieren, was dann aber wirklich meine Tippkapazitäten übersteigt. Aber die "ungeschönten" Orks finde ich jedenfalls interessanter, als die modernen "sozialpädagogischen Grauorks", wo die Orks aus Gründen der "political correctness" nicht mehr böse sein dürfen, sondern menschliche Motive für ihr Verhalten bekommen. Das macht Orks denn vollends sinnlos - und damit meine ich nicht die Motive, sondern die Vermenschlichung.

Und damit finde ich diese Aussage eigentlich sehr sympathisch:
Lustigerweise war genau das der Ansatz einer SF-Geschichte, die ich mal geschrieben hatte. Allerdings natürlich auch nur durch einen Trick: Indem ich nämlich den Leser mit der "Du"-Form gekidnappt und in die Haut der Hauptfigur geschoben habe.
Aber eigentlich sollte auch der Krimi mit dem Leser in seinem realen Leben als Mörder heutzutage kein Problem mehr sein - im Zeitalter personalisierter Bücher und BoD


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Endlich bin ich auch dabei: Lomax' Weblog lockt ins Lohmannsland - www.lohmannsland.de

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Hi Lomax.

Nur zur Ergänzung:
ich schrieb:
>> Man schreibe einen Krimi, bei dem sich am Ende der Leser als Mörder
>> entpuppt. — Hat meines wissens noch keiner geschafft.
> Lomax Kommentar:
> Aber eigentlich sollte auch der Krimi mit dem Leser in seinem realen
> Leben als Mörder heutzutage kein Problem mehr sein - im Zeitalter
> personalisierter Bücher und BoD
Richtig, als personalisiertes BoD wäre diese Aufgabe lösbar (etwa :»Der
Mörder meines Chefs«). Aber einen Krimi zu schreiben, bei dem der Leser
der Mörder ist, egal wer die Story nun liest, ist noch nicht geschehen
(soweit ich weiß).

Grüße
Alex / molo

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

Ich würde Dir bedenkenlos, Clive Barkers grandiose Bücher des Blutes und einen meiner Lieblingsromane von ihm: Cabal ans dunkle Herz legen.
Von den Klassikern des Horrors sind natürlich Edgar Allen Poe und der zu Unrecht oft vergessenen Algernon Blackwood zu nennen. Auch die Spukgeschichten von Henry James sind sehr lebenswert. Bei den neueren Autoren ist neben Clive Barker unbedingt auch noch der hervorragende Richard Matheson zu nennen.

Es grüßt





Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.

Re:

molosovsky schrieb:

In der ›Fäntäsy‹.........

Dann eben Phantastik. Man was man hier alles lernen kann, is ja echt
Phantastik.
Und zu Deiner Frage was eine Geschicht ist: Eine Ansammlung ausreichend
vieler Wörter, welche mir Unerhörtes (meinetwegen auch schon Gehörtes)
berichten, möge eine Geschichte sein. Sie möge sich bei Bedarf Fabel,
Novelle, Kurzgeschichte oder Erzählung nennen. Ferner möge eine
Ansammlung ausreichend vieler Wörter, welche Sinnreiches oder auch
Sinnarmes betrachten ein Essay sein.
So , jetzt schick mir ne Antwort, auf dass Blut aus meinen Augen tropft
Hessie James. ;-)

Ach ja , ich war der mit Jeckyll & Hyde neulich!


An Seblon:

Hab grad das erste Buch des Blutes von C. Barker in meinem Regal
gefunden. Habs mir mal hingelegt, les ich dann mal.

Gruss Alechadro

Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen

@Lomax: So wie ich das sehe, projizierst du einige deiner Befürchtungen in meine Äußerungen. Ich sage nicht: Fantasy ist schlecht, weil es Fantasy ist; ich sage: Fantasy (und Literatur insgesamt) neigt dazu schlecht zu sein, wenn sie unoriginell (das ist übrigens ein Synonym von 'fantasielos') ist.
Nun kann man natürlich entgegnen, dass es keine objektiven Kriterien zum Beurteilen von Bücher gibt und es daher subjektive Geschmacksurteile sind, man also nicht sagen sollte: "Das Buch ist schlecht," sondern: "Das Buch gefällt mir nicht." Dem würde ich entgehen halten, dass es allerdings intersubjektive Kriterien gibt, aber das ist eine andere Diskussion, die ich auch ein anderes mal führen wollte.

@Alex: "Die Glückssucher" nutzt in mancherlei Belang durchaus Elemente der epischen Fantasy - bloß Hosen flicken, Tee kochen und Kühe melken wirst du also nicht finden. Zudem ist es auch eher ein industrielles Setting (wenngleich es so gar nicht wirkt), aber die großen Heldentaten kommen sehr beiläufig daher: Im dritten Band (den ich gerade gelesen habe) geht es darum einen Evil Overlord zu Fall zu bringen - dieser allerdings wirkt wie ein Computervirus und einer der zentralen Helden macht so auch nichts anderes, als 'Antiviren-Software' entwerfen; nach getaner Arbeit geht er dann zu seiner Frau nach hause, die ihn daran erinnert, dass er schon wieder sein Mittagessen auf dem Küchentisch vergessen hat. Von der anderen Hauptfigur - Ashleigh - erfährt man viel über das Leben als fahrender Anstreicher/Maler.
John Crowleys "Little, Big" könnte auch was in der Richtung sein, das habe ich allerdings noch nicht gelesen.

@Alechandro: Gute Horror-Geschichten kann man m. E. nur schwer empfehlen, da Angst etwas sehr persönliches ist: Der eine kann kein Blut sehen und wird Ohnmächtig, wenn Angelhaken, Augen und Schreie in einem Satz erwähnt werden, den anderen lässt das völlig kalt, der bekommt Panik, wenn es um Spinnen geht.
Eine andere Sache ist die Frage, was man alles dazu zählt: Nur Literatur, die ängstigen soll? Was ist mit der 'grausamen' Literatur? Was mit Splatter/Ekel-Literatur? Muss es immer Übernatürlich sein? Wie stehts mit der Dystopie? Ich ziehe mal weite Kreise.

Im Kern steht sicherlich die übernatürliche Gruselgeschichte:

Stephen Kings "Shining" und Shirley Jacksons "Spuk in Hill House" sind beide ganz hervorragende "Hounted House" Geschichten: Es geht um einen verdorbenen Ort, das Haus, das seine Bewohner aufzehrt.

E.F. Bensons "Die Turmstube" und H.P. Lovecrafts "In der Gruft" haben beide den lebenshungrigen Toten zum Inhalt, der es mir besonders angetan hat.

Vampire sind ein weiteres zentrales Thema:

Bram Stoakers "Dracula" will ich nicht verschweigen, unheimlicher finde ich allerdings die Russen: A.K. Tolstois "Die Familie des Vampirs" und "Der Vampir" sind beide sehr stimmungsvoll. Nikolai Gogols "Der Wij" schildert den Vampir als brutale Urmacht des Bösen.
Aber Seblon kennt sicherlich mehr.

Arthur Machens "Furcht und Schrecken" schließt da locker an: Hier geht es um unheimlich, unmögliche Morde.

Beim Splatter kenne ich mich nicht so aus; die Stephen King Romane, die unter dem Pseudonym "Richard Bachman" erschienen sind - bes. "Menschenjagd", "Sprengstoff" und "Der Todesmarsch" - hatten mir vor Jahren gefallen.

Und zum Schluss noch ein paar besondere Lieblinge:
Ambrose Bierce ('Bitter-Bierce'): "Die Brücke über den Eulenfluss"; im amerikanischen Bürgerkrieg soll ein grauer Saboteur von blauen Soldaten gehenkt werden - ein Wunder geschieht und das Seil reißt ohne dem Saboteur das Genick zu brechen - er versucht zu fliehen. Eine wahrhaft bitter-böse Comte Cruel.

Ich hatte es Alex gegenüber schon erwähnt, aber hier noch mal explizit: Julio Cortázars "Das besetzte Haus"; Bruder und Schwester leben alleine im Elternhaus. die beiden gehen ihren alltäglichen Geschäften nach, müssen aber einige Zimmer räumen, als die anderen kommen. Irgendetwas Schreckliches geht vor - aber es wird niemals darüber gesprochen, nur der Alltag wird thematisiert.

Franz Kafkas "Ein Landarzt"; der Titelgeber wird in einer unangenehmen Nacht noch einmal zu einem Kranken gerufen. Keine Ahnung wie Kafka das macht, aber ich finde die Geschichte echt beklemmend.

Soviel von mir. Viele der genannten Sachen sind Kurzgeschichten; wenn dich was interessieren sollte, kann ich dir eine passende Sammlung raussuchen.

Theophagos