Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Zitat: Theophagos
Im Kern steht sicherlich die übernatürliche Gruselgeschichte:
Stephen Kings "Shining" und Shirley Jacksons "Spuk in Hill House" sind beide ganz hervorragende "Hounted House" Geschichten: Es geht um einen verdorbenen Ort, das Haus, das seine Bewohner aufzehrt.
Zwei meiner All-Time-Favorites. Aber ich bin auch ein riesiger Spukhaus-Fan. Beide Romane wurden auch bereits ganz wunderbar verfilmt: Kubricks Meisterwerk kennt vermutlich jeder, aber auch Robert Wises "Haunting of Hill House" (deutscher Titel: Bis das Blut gefriert) von 1961 ist meiner Meinung nach ein Meilenstein des Horrorfilms.
Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Miszellen:
@Lomax: Ich habe mir den Thread noch einmal angesehen und den Eindruck gewonnen, dass wir inhaltlich gar nicht so weit auseinander liegen, sondern uns eher begrifflich unterscheiden. Es würde mich mal sehr interessieren, was du für gute Fantasy mit altbekanntem Setting hältst - vielleicht kannst du ein paar Beispiele geben?
Ich hege die Vermutung, dass der zweite Link nicht derselbe wie der erste sein sollte.
@Alechandro: Den psychologischen Horror hatte ich vergessen: Ich zähle mal drei unterschiedliche Typen auf:
Joseph Conrads "Herz der Dunkelheit"; die Vorlage für "Apocalypse Now"
Robert Blochs "Psycho" - für die, die die Verfilmung nicht kennen
Thomas Harris' "Das Schweigen der Lämmer" - ebenfalls verfilmt
Dystopien gibt es ja zahllose Bekannte. Ich mag Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" und Anthony Burgess' "Uhrwerk Orange" sehr.
Generell: Bei den Verfilmungen schließe ich mich Seblon an, warne aber vor Verwechslungen der Verfilmungen von "Spuk in Hill House": "Bis das Blut gefriert" und "Das Geisterschloss" basieren beide darauf, aber der letzt genannte Film ist wesentlich weniger verstörend.
Theophagos
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
> Ich hege die Vermutung, dass der zweite Link nicht derselbe wie der > erste sein sollte. Ähhh, rrrrichtig. https://blog.literaturwelt.de/archiv/handke-peter-kali-eine- vorwintergeschichte/ Tüdeldü, komm grad von der Zahnärztin und bin nun einen Zahn mit mutierten Wurzeln leichter.
Grüße Alex / molo
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Zitat: Theophagos
Fantasy (und Literatur insgesamt) neigt dazu schlecht zu sein, wenn sie unoriginell (das ist übrigens ein Synonym von 'fantasielos') ist ... Dem würde ich entgehen halten, dass es allerdings intersubjektive Kriterien gibt
Dem habe ich jetzt eigentlich nichts entgegenzusetzen. An der hier angesprochenen, allgemeinen Theorie stört mich nichts, sondern nur an der in der praktischen Diskussion anklingenden Fokussierung auf das "Setting" als maßgeblichem Ausdruck von Originalität und Fantasielosigkeit. Und dem wollte ich entgegenhalten, dass zum einen gerade nach gängigen "intersubjektiven Qualitätskriterien" das Setting von eher marginaler Bedeutung ist; und dass, wenn man als Kriterium eine so breite und allgemeine Definition wie "Mittelalterfantasy" heranzieht, viele originelle Spielartien davon mit pauschalisiert werden.
Zitat: Theophagos
Es würde mich mal sehr interessieren, was du für gute Fantasy mit altbekanntem Setting hältst - vielleicht kannst du ein paar Beispiele geben?
Das Problem mit den Beispielen ist, dass sie versickern, solange die Diskussion sich um allgemeine Pauschalvorwürfe dreht. Denn ich hatte es oben schon erwähnt: Würde man die Vorwürfe konkretisieren und das "ausgelutschte Setting" konkret und präzise fassen, hätte ich auch keine Probleme. Ich nenne also einfach mal einige Titel, die eine gewisse Anzahl von Settings aufspannen - und dann muss jeder sehen, welche davon noch unter das böse "Mittelalter-Setting" fallen und als Gegenbeispiel dienen können, und welche man "ja gar nicht damit gemeint hat". Aber in letzterem Fall muss man dann auch seine Genrevorstellungen differenzieren und sich überlegen, warum genau man wo seine Grenzen zieht - was eigentlich alles ist, was ich wollte. Denn gestört haben mich nicht die Vorwürfe gegen "unoriginelle Fantasy", sondern gegen "mittelalterliche" oder "rückwärtsgewandte" Fantasy.
Zunächst einmal will ich Tolkien selbst nennen, der als Begründer eines Subgenres ja irgendwas richtig gemacht haben muss Und der selbst auch deutlich vielschichtiger und differenzierter ist als seine Plagiatoren.
Als zweites habe ich schon Mervyn Peake und seinen Gormenghast-Zyklus genannt, vor allem Band 1 und 2: Rein äußerlich auch ein mittelalterlich- bis frühneuzeitliches Setting, das noch dazu (böse, böse) feudalistische Strukturen thematisiert. Trotzdem ein Vorbild von Mieville und sehr ... eigen.
Geraldine Harris: Die Sieben Zitadellen. Der Roman wirkt sehr "klassisch", und ich hatte den Zyklus 10 Jahre ungelesen im Schrank stehen, gerade weil Handlung und Setting, wie sie im Klappentext beschrieben standen, mich eine Geschichte erwarten ließen, die ich schon hundertmal gelesen habe. Schließlich habe ich mich aufgerafft und die Bücher doch gelesen, und anderthalb Bücher lang dachte ich, eine recht nette und gut geschriebene, aber doch konventionelle Geschichte zu lesen - bis mir ganz plötzlich im Rückblick auffiel, dass kein Konflikt so gelöst worden war, wie ich es erwartet hatte. Und das blieb auch so. Eine Reihe, die ich für subtil und genial halte - und die man zuunrecht wegen des konventionellen Settings leicht unterschätzt und übersieht.
Ursula K. LeGuin: Erdsee. Zählt nicht zu meinen "All-Time-Favorites", ist aber in vielerlei Hinsicht auch ein "gutes" Buch.
Stephen Donaldson: First Chronicles of Thomas Covenant. Ich nenne hier den englischen Titel, weil ich die dt. ÜS zum Abgewöhnen fand.
Barry Hughart: Die Brücke der Vögel. Zwar definitiv keine Tolkien-Fantasy - aber märchenhaft und rückwärtsgewandt.
Alexander Lloyd: Taran. Eine Kinderbuchreihe - aber gute Kinderbücher.
Michael Ende: Die Unendliche Geschichte. Keine Tolkienfantasy, aber trotzdem die "klassische Queste".
Hans Bemman: Stein und Flöte: Archaisch, rückwärtsgewandt und märchenhaft. Aber trotzdem ein "modernes" Stück Literatur.
Diana Wynne Jones Dalemark-Zyklus ist auch ein sehr interessanter Beitrag zum Thema: Die meisten Bände sind in einem frühneuzeitlichem Ambiente angesiedelt und thematisieren nicht zuletzt politisch/gesellschaftliche Konflikte. Und "Der Fluss der Seelen" führt dann plötzlich in die Vergangenheit, und plötzlich ändert sich auch die Atmosphäre ins mystisch-märchenhafte. Ein anderes Buch - aber nicht schlechter als die Bände vor dem "anderen Setting". Nur wird nicht jeder, dem das eine gefällt, auch mit dem anderen etwas anfangen können. Ein Beispiel also, das nach meinem Empfinden recht gut illustriert, dass die Frage nach dem Setting oft doch mehr mit persönlichem Geschmack zu tun hat, und mit der Frage, welche Art Thema einem liegt, nicht so sehr mit der Qualität.
Denn wie schon gesagt wurde: Jede Geschichte hat das ihr angemessene Setting. Wenn einem nun aber eine Geschichte nicht liegt, und diese Art Geschichte, die einem nicht liegt, sich nun mal besonders gut vor einem speziellen Setting erzählen lässt, sollte man nicht gleich das Setting für das Missfallen verantwortlich machen, und nicht automatisch annehmen, eine Geschichte wäre allgemein schlechter, weil man selbst keinen Zugang dazu hat. Denn gerade Geschichten mit mystisch/märchenhafter Komponente lassen sich oft vor mittelalterlich/archaischem Setting besser erzählen. Und man mag solche Geschichten mögen oder nicht - aber das ist in jedem Fall eine reine Geschmacksfrage; und diese Art Geschichte würde einem dann vor anderem Setting auch nicht besser gefallen.
Die von mir genannten Beispiele sind jedenfalls alle so, dass man sie als "rückwärtsgewandt" bzw. das Setting als "mittelalterlich" bezeichnen könnte - dass sie aber trotzdem in zumindest einem entscheidenden Punkt doch anders sind. Manchmal sieht man es sofort, manchmal muss man genauer hinschauen. Hm, soweit ich sehen kann, kommen zudem zwar mitunter "Elfen" und "Zwerge" vor, aber niemals Orks. Wie an anderer Stelle gesagt: Es ist nicht leicht, etwas so Konkretes wie "Orks" zu bringen, aber trotzdem nicht plagiierend zu wirken Und dementsprechend gibt es neben den "Spitzenleistungen", den "preiswürdigen Büchern" (die natürlich die ersten sind, die mir hier einfallen) auch noch weitere Abstufungen: Bücher, die in mancherlei Hinsicht konventioneller sind, aber trotzdem keine reinen Nachzügler. Auch sie schaffen es, einzelne Facetten originell herauszuarbeiten und mehr zu bieten als reine Unterhaltung. Ein breites Mittelfeld gehobener Unterhaltungsliteratur in der Mittelalterfantasy, sozusagen, die im Prinzip auf dieselbe Weise "gut" sind wie die von mir genannten Beispiele, bei denen das "andere" aber oft unter etwas dickerer Firnis verborgen liegt und nicht so stilbildend für das Gesamtwerk ist. Dementsprechend würde ich sagen, dass dieses Subgenre auch nicht schlechter dasteht als andere, die sich ebenfalls nicht von Highlight zu Highlight hangeln, sondern neben einigen Spitzentiteln auch viele Eintagsfliegen vorzuweisen haben, und ein breites Mittelfeld mit dem vollen Spektrum dazwischen, das mal mehr, mal weniger Interessantes zu bieten hat. Was ein wenig den Blick verzerrt, ist nicht etwa eine grundsätzlich geringere Qualität oder fehlende Möglichkeiten des Subgenres "mittelalterliche Fantasy". Es ist schlichtweg der überwältigende Erfolg und ein daraus resultierender, statistischer Mechanismus: Man kann davon ausgehen, dass vorzugsweise schwächere Autoren die Anlehnung an ein größeres Vorbild suchen. Wenn man sich an ein Vorbild anlehnt, nimmt man vorzugsweise das erfolgreichste. Und das ist nun mal Tolkien. Wäre Mieville der kommerziell erfolgreichste Fantasy-Autor, dann hätte man denselben dicken Bodensatz an Plagiatoren in der politischen, urbanen Fantasy - und würde die Diskussion hier unter umgekehrten Vorzeichen führen. Es ist nämlich nicht das spezielle Subgenre mit seinen Eigenschaften, das Geschichten schlecht macht; sondern es ist die Gravitation des kommerziellen Erfolgs, die besonders viele schwächere Autoren in das spezielle Subgenre zieht.
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
@Molo: Ein wenig Unbehagen empfinde ich auch, wenn du die spezielle deutsche Bedeutung von Fantasy mit dem allgemeinen, amerikanischen "Fantasy-Schwamm" vom Tisch wischen willst, und das ganze dann auch noch in den deutschen "Phantastik-Bottich" wringst. Dein Hinweis auf die "moderne Phantastik-Trias" macht deutlich, wo die Probleme liegen: Ich gehe mal davon aus, dass du Fantasy/Horror/SF meinst, was die gängige Einteilung für die Genre-Literatur ist. Aber aus der Perspektive der allgemeinen Literaturwissenschaft ist das allenfalls die Peripherie der Phantastik, wobei noch darüber zu streiten ist, wie weit SF und Fantasy überhaupt zur phantastischen Literatur zählen. Der Kernbereich der Phantastik wären eher die Geschichten mit phantastischem Element, die nicht den drei Genres angehören - oder wo würdest du "Fool on the Hill" in dieser "Trias" einordnen?
Ich wäre also dafür, eher die engstmögliche Definition für die jeweiligen Begriffe zu verwenden, und möglichst darauf zu verzichten, die Genreliteratur unter "Phantastik" zu subsumieren, damit man noch ein Wort hat, wenn man über phantastische Werke reden will, die in keines der Genres passen. Sonst reden angesichts dieser verwirrenden Begriffslage bald alle aneinander vorbei, und jeder verwendet dieselben Begriffe und meint was ganz anderes damit. Ich bin ehrlich gesagt ganz froh darüber, dass wir im Deutschen wissen, was gemeint ist, wenn jemand "Fantasy" sagt
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Einspruch: > Als zweites habe ich schon Mervyn Peake und seinen > Gormenghast-Zyklus genannt, vor allem Band 1 und 2: Rein äußerlich > auch ein mittelalterlich- bis frühneuzeitliches Setting, das noch dazu > (böse, böse) feudalistische Strukturen thematisiert. Trotzdem ein > Vorbild von Mieville und sehr ... eigen. Im Gegensatz zu Tolkien war Peake kein Exeget frühchristlicher Glaubensdiskurse. Die alte Welt die in Gormenghast verhandelt wird, ist das viktorianisch/edwardische England, bzw. die ständischen Rituale der chinesischen Gesellschaft, die Peake als Kind erlebte. - Freilich hängt diese Sicht davon ab, was ich als typisch mittelalterlich ansehe, oder was ich vermute, was für die Fäntäsy-Verköstiger als typisch mittelalterlich gilt. Für mich ist zum Beispiel der durch Mangelernährung geschwächte Pächter, der auf der harten Ackerkrume rumkratzt um einiges typischer mittelalterlich, als ein Vertreter der Adels- und Ritterschicht. Natürlich denken die Meisten eher an die tollen Aspekte einer Epoche. Aber wie groß auch die romantische Sehnsicht nach richtigen Kerlen, klarem Weltbild und Lagerfeuerromantik sein mag, zu einem typisch mittelalterlichen Zahnarzt würde wohl kaum einer freiwillig gehen (nebenbei: »The Beach« berhandelt das sehr schön). Typisch Mittelalter ist für mich ein König, der nicht lesen und schreiben kann (siehe Karl der Große). Für andere Leut sind prächtige Rüstungen, Schwerter (die nebenbei geklagt oftmals gar nicht praktikabel sind) mit Runen, Burgen mit aberwitzigen Zinnen usw als typisch mitelalterlich gelten. Kurz: vor allem in den USA (aber auch anderswo) ist Fäntäsy zu einem Großteil ein Trost, weil man selber in einem Land wohnt, das keine europäischen Burgen un antike Stätten usw aufzuweisen hat. Entsprechend sind auch eher die romantischen Geschichtsverklärungen des 18/19. Jhds der Quell dieser Art von Fäntäsy (man vergleiche Moritz von Schwind mit den Gebrüdern Hildebrandt!).
Ich stimme zu, daß wohl kaum ein Subgenre an sich schlecht ist. Aber, man kann eine Sache zu Tode reiten. Ein solcher toter Gaul ist die Mittelalterfäntäsy. Resummee: nein, nicht das Setting an sich bestimmt die Qualität, sondern eben die Inszenierung und Instrumentalisierung des Settings (man beachte zum Beispiel, welche Aspekte des Wilden Westens in einem Popkorn-Western wie der »Young Guns«-Reihe überhoht und vernachlässigt werden, und was nun ca. 15 jahre später so eine anthropologisch harte Serie wie »Deadwood« aus dem Genre macht).
Grüße Alex / molo
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Hi Lomax.
Möglichst enge Genrerahmen verwende ich immer nur von Einzelfall zu Einzelfall. Dieses nominalistische Herumdefinieren halte ich für einen großen Spaß, aber eben für einen vergeblichen.
Ich bin ein Freund der Maximal-Definition: alle Kommunikation hat ihre phantastischen Aspekte. Kannst Du mich sehen lassen, für mich erscheinen lassen, wie ich zum Hauptbahnhof gelange? Ja da gehst Du bliblablub, und Du bist da.
Auf dieser pragmatisch, banalen Ebene setzt ich noch nicht an, wohl aber, sobald es philosophisch und spekulativ wird. Was ist der Sinn des Lebens? Was können wir wissen, dürfen wir hoffen? usw. Und erst recht wende ich meine Maximalsicht an, wenn solche philosophischen (oder auch moralischen, politischen usw) Dinge in ästhetischen Medien aufbereitet werden. Grob gesagt: alle Kunst ist Phantastik (fragt sich halt, ob wie beruhigen, vermitteln oder verstören will).
Als Maximal-Phantast frage ich mich zum Beispiel: Warum nicht Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaft z.B. unter dem Schirm der Vergleichenden Literaturanthropologie zusammenspannen. Ja weil Pfründeverteidungen und Deutungsrangeleien dies noch verhindern (die Eisenkugeln der Tradition).
Zitat:
Ich gehe mal davon aus, dass du Fantasy/Horror/SF meinst, was die gängige Einteilung für die Genre-Literatur ist.
Jupp. Schlampig von mir, daß ich bei Fantasy eben immer Fäntäsy denk, oder im Stillen um irgendeine Subgenreschublade ergänze (High, Low, Urban, Dark usw). Das mach ich aber auch nur, um mich wenigstens ein wenig an Markt- und Sprachgepflogenheiten zu halten.
Weil: Englisch Fantasy heißt eben Phantastik. Das Fantasy eben Phantastik bedeutet, ist ja auch ein Punkt, auf dem auch manche englischsprachige Phantasten herumreiten. Ich seh mich da also nicht allein auf weiter Flur stehend, sondern beobachte mal erstaunt, mal amüsiert, mal mit Unbehagen, wie Leser sich Zeugs aneigenen, solange bis Akademiker ihnen auf Irrwege folgen. Frag mal Tolkienfans (vor allem junge!) was denn HDR laut seinem Autor ist. Fantasy oder fairy tale ist falsch (richtig ist heroic romance).
Alles was Du, Lomax, über kommerzielle Gravitationszentren schreibst, läßt sich auf Begrifflichkeiten übertragen. Wenn nur genug Leute etwas Falsches wiederholen und anwenden, schleift es sich halt ein. Als Querulant erfülle ich nur meine Pflicht, wenn ich solchen Leuten nicht recht geb (mitm Fuß aufstampf :-)
Zitat:
Aber aus der Perspektive der allgemeinen Literaturwissenschaft ist das allenfalls die Peripherie der Phantastik, wobei noch darüber zu streiten ist, wie weit SF und Fantasy überhaupt zur phantastischen Literatur zählen. Der Kernbereich der Phantastik wären eher die Geschichten mit phantastischem Element, die nicht den drei Genres angehören
Was Genre-Theorie und Praxis betrifft hinkt unsere Literaturwissenschaft (Germanistik) arg hinterher. Ansonsten klingt dieser Absatz ein bischen nach Todorov, den ich für einen der unglückseligsten Theoretiker des Phantastischen halte. Sein Standardwerk ist eines der großen Mißgeschicke der Lit-Wissenschaft (so wie Freud ein großer Unfall der Philosophie/Medizin war).
Zitat:
oder wo würdest du "Fool on the Hill" in dieser "Trias" einordnen?
Wenn man einordnen will, dann ist Ruffs Erstling Fantasy (wie auch »Ich und die Anderen«˛ »G.A.S« ist SF). So mach ich das halt immer von Fall zu Fall.
Als Maximalist interessiere ich mich eben mehr für die globalen Eigentümlichkeiten der Phantastik. Phantastik als Bezeichnung für Metaphernpraxis (das Boot ist voll; das Haus Europas; Gesichtsmoos = Bartwuchs; Erdakhne = Maulswurfhühel; Pilgerwege durch moralische Landschaften; Innenwelt-Ereignisse mit Außenwelt-Begriffen fassen; Unbelebtes mit Begriffen den Lebendigen beschreiben {ES blitzt Wer blitzt?}; Gedankenexperimente).
Entsprechend kann ich eben irgendwelchen kleinen Betrachtungs-Rahmen nicht als was fixes oder Allgemeineres nehmen. Frei nach Friedell: «Die Wirklichkeit ist immer und überall gleich˛ nämlich unbekannt«.
Grüße Alex / molo
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Ich habe den Eindruck, die Diskussion hat sich ein wenig verselbstständigt. Meine Thesen will ich gar nicht als allgemein gültig verstanden wissen. Mich ganz persönlich langweilt Fantasy im Fantasy-Mittelaltersetting in der Zwischenzeit. Wenn dies andere völlig anders sehen, ist dies natürlich ihr gutes Recht. Mein Problem mit diesen Werken ist, dass sie den Markt beherrschen und es dadurch für anspruchsvollere Autoren, die neue Wege beschreiten wollen schwer ist, überhaupt einen Verlag zu finden.
Ich halte die klassische Post-Tolkien-Sword&Sorcery-Fantasy für zutiefst abgedroschen. Ein Autor, der einen phantastischen Roman schreibt, bei dem er das klassische Fantasy-Mittelalter mit den klassischen Fantasy-Archetypen und Klischees benutzt, muss mir als Leser sehr deutlich machen, warum er gerade diese für meinen Geschmack ausgebluteten Versatzstücke nutzt, um eine Geschichte zu erzählen. Nur passiert dies zu 90% eben nicht. Zurück bleibt meist ein triviales kommerzielles Produkt, dass weder mehr kann oder im schlimmsten Fall mehr will, als Popcorn-Literatur für jugendliche Leser zu sein.
Ich halte es nicht für sehr verwunderlich, warum gerade schlechte bis sehr mittelmäßige Autoren, diese Versatzstücke wieder und wieder nutzen. Ich halte es nur für problematisch, dass gerade diese Autoren enorm erfolgreich sind und damit das Genre für Phantastik-ferne Literaturfreunde ein zu tiefst triviales und eskapistisches Stigma geben.
Auch in der erwähnten Diskussion zum Thema "CRPG's fern der Fantasy-Klischees" wird immer wieder gesagt, dass man auch mit Elfen, Zwergen und Drachen noch neue und interessante Geschichten erzählen kann. Ich frage mich nur, warum dies 1. scheinbar so selten passiert und 2. warum ich ständig die selben klischierten Versatzstücke benutzen sollte, um interessante Geschichten erzählen zu können. Warum sollte der Autor es dem Leser zu bequem machen, mit bekannten Klischees und Archetypen? Warum sollte ich als Bochumer ständig Geschichten lesen wollen, die in Bochum spielen? Warum sollte ich ständig den üblichen Verdächtigen begegnen wollen? All dies entspricht nicht dem, was ich in Literatur suche.
Mich stört, dass die phantastische Literatur sich selbst ganz enge Grenzen setzt, gerade weil sie sich ständig banal selbst zitiert.
Übrigens habe ich nichts gegen historisch rückwärts gewandte Phantastik, ich frage mich nur, wo vermehrt die Romane bleiben, deren Handlung z.B. im Barock, im Biedermeier, zu Zeiten des 1. und/oder 2. Weltkriegs etc. ansetzt.
Es grüßt
Actibus aut verbis noli tu adsuescere pravis.
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Zitat: molosovsky
Freilich hängt diese Sicht davon ab, was ich als ›typisch mittelalterlich‹ ansehe
Genau Das war einer meiner Punkte, dass sich unter "mittelalterlicher Fantasy" eine Menge Dinge verbergen können, die sehr unterschiedlich sind. Denn manches Buch erfüllt bestimmte kritisierte Aspekte - andere aber auch nicht.
Zitat: molosovsky
Für mich ist zum Beispiel der durch Mangelernährung geschwächte Pächter, der auf der harten Ackerkrumerumkratzt um einiges ›typischer‹ mittelalterlich, als ein Vertreter der Adels- und Ritterschicht.
Nun, für mich wäre ein Pächter schon nicht mehr mittelalterlich, sondern im Gegenteil bereits Ausdruck einer neuzeitlichen Wirtschaftoptimierung. Mittelalterlich ist der unfreie Bauer oder der freie Bauer auf "eigenem" Land; und das Entrichten einer ertragsabhängigen Abgabe statt einer festen Pacht.
Zitat: molosovsky
Resummee: nein, nicht das Setting an sich bestimmt die Qualität, sondern eben die Inszenierung und Instrumentalisierung des Settings
Mach aus dem "bestimmt" ein "bestimmt mit" oder "hat Einfluss auf", und ich stimme zu Und damit wäre man dann wieder vom Betrachten der Äußerlichkeiten zum Betrachten von Abhängigkeiten gekommen - denn "Inszenierung" und "Instrumentalisierung" ist ja eine Antwort auf die Frage "wie", nicht mehr auf die Frage "was". Und genau dafür habe ich plädiert.
Re: Pro & Contra bekannte Fantasy-Settings und -Archetypen
Zitat: molosovsky
Weil: Englisch Fantasy heißt eben Phantastik. Das ›Fantasy‹ eben ›Phantastik‹ bedeutet, ist ja auch ein Punkt, auf dem auch manche englischsprachige Phantasten herumreiten. Ich seh mich da also nicht allein auf weiter Flur stehend, sondern beobachte mal erstaunt, mal amüsiert, mal mit Unbehagen, wie Leser sich Zeugs aneigenen, solange bis Akademiker ihnen auf Irrwege folgen.
... und das englische "stark" bedeutet im Deutschen "starr". Das bedeutet aber nicht, dass man jetzt etwas falsch macht, wenn man im englischen "stark" verwendet und etwas anderes meint als das deutsche "stark", oder umgekehrt. Es bedeutet nur, dass ein und derselbe Begriff in beiden Sprachen unterschiedlich besetzt ist. Legitim und üblich, und ein Problem nicht für all diejenigen, die die Begriffe in der jeweiligen Sprache korrekt verwenden, sondern für diejenigen, die den Bedeutungsunterschied nicht berücksichtigen - wie auch bei den fehlerhaften Übersetzungen der amerikanischen "Billion". Also: Es gibt keinen Grund, hier im Deutschen den Begriff "Fantasy" nicht als Bezeichnung für ein spezielleres Genre zu gebrauchen statt als Synonym für "Phantastik". Ich denke, Ersteres braucht man nötiger als Letzteres
Das größere Problem bei dem Begriff "Phantastik" sehe ich darin, dass er zum einen "landläufig" als Oberbegriff für die übliche Genreliteratur dient, zum anderen aber auch als spezieller Ausdruck für alles, was nicht den Genres zuordbar ist. Ich persönlich bemühe mich, den Begriff "kontrafaktische Literatur" zu verbreiten, den ich in der "Cities"-Anthologie kennen gelernt habe und als Oberbegriff sehr sympathisch fand. Also, ich sage seitdem nicht mehr: "Ich schreibe Phantastik", sondern: "Ich schreibe kontrafaktische Literatur". Klingt auch gleich viel intellektueller und macht deutlich, dass nicht nur die "klassische Trias" gemeint ist