Das ist jedenfalls ein Gränzgängertext. Die Idee finde ich gut. Das Präteritum hat mich anfangs gestört. Und die häufige Formulierung der Gedanken, die machen, finde ich unglücklich. Der Sinn ist klar, aber der Ausdruck holpert für mein Gefühl.
Wie ich den Text insgesamt finde, weiß ich noch nicht. Einerseits ist das ein spannendes Thema, andererseits mag ich es nicht lesen.
Re: Grenzgänger
Ein unglücklicher Titel, eine bedrückende Geschichte, gut erzählt.
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Re: Grenzgänger
Der Titel war tatsächlich vorher ein anderer. Eigentlich hab ich ihn andauernd gewechselt. Ich bin damit auch nicht zufrieden! Besser vielleicht: -Blitz statt Donner -Donnergrollen oder nur -Niedertracht ?
Re: Grenzgänger
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Paula sieht die Welt mit anderen Augen. Ihre sind aus Knöpfen. Unterschiedlich groß, eines grün, das andere braun. In ihrem kleinen Stoffkörper (ursprünglich eine alte Socke) jedoch schlägt ein großes Puppenherz. Manchmal erinnert sie sich zurück, damals, als sie ebenfalls Teil eines Kinderherzens war. Doch das ist lange her.. Jahre liegt sie nun schon in der Pappschachtel. Weggelegt mit dem Rest der Kindheit. Der Gummiball neben ihr meinte einmal, dass dies nun ihr Lebensziel sei. Von hier aus ginge es nicht mehr weiter. Man könne es als Glück betrachten, wenn sich irgendwann endlich jemand ein Herz faßt und sie in den Müll wirft. Doch Paula will daran nicht glauben. Eines nachts, als sie vor Kälte und Einsamkeit wieder mal nicht schlafen kann, schleicht sie ich heimlich aus der Schachtel. Das alte Springseil hilft ihr, von der Dachbodenluke zum Balkon zu gelangen. Dort drückt sie ihre abgewetzte Stoffnase an die Fensterscheibe und schaut hinein. Längst ist das alte Kinderzimmer einem modernen Wohnraum gewichen. Kaum etwas erscheint ihr noch vertraut. Und doch spürt sie ein kleines bißchen Wärme zurück. Ihre Gedanken schweifen weit zurück und der genähte Lächelmund wird weich. Hinter ihr wackelt das Springseil ungeduldig mit dem Griff: Es ist Zeit zurückzugehen. Einen letzten Blick wirft Paula. Meint, im Dunkeln eine vertraute Nasenspitze zu erkennen. Sanft streicht sie zum Abschied die Silhouette auf dem Glas nach. Schade, dass Knopfaugen nicht weinen können, denkt sie und klettert über die Brüstung. Unten steht der große Müllcontainer.
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Re: Grenzgänger
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Gemächlich blinzelt er in den Sonnenschein. Tippt die Zeit auf späten Vormittag. Ein träger Blick auf die Wohnzimmeruhr gibt ihm recht. Leise blubbert der Fernseher vor sich hin. Er ist gestern Nacht davor eingeschlafen. Auf der Couch. Wie immer. Kalter Rauch schwebt durch das Zimmer. Kratzt auf seiner Haut. Er hat zuviel geraucht. Mal wieder. Mühsam erhebt er sich, vollbekleidet. Schiebt die Wolldecke zur Seite und überlegt sich kurz, ob er sich umziehen sollte. Die Kleidung ist noch von... ja, von wann? Samstag? Er entscheidet sich dagegen. Hat ja doch nichts vor. Mechanisch führt er seine allmorgendlichen Handgriffe durch. Zigarette. Kaffeemaschine. Computer. Microwelle. Nein, er ist kein Freak. Es gibt Nudeln, selbstgemacht... keine bestellte Pizza. Zum Essen dreht er die Lautstärke von Fernseher höher. Liest nebenbei seine Mails. Einsam ist er nicht. Er hat Leute, die ihm schreiben. Was will man mehr? Er hat noch 10 Minuten bis zur nächsten Talkshow. Die kann er zum Aufräumen nutzen. Es soll ja niemand sagen, dass er schmuddelig wäre. Hastig räumt er die leeren Verpackungen vom Couchtisch. Zusammen mit den Bierdosen landen sie in einem frischen Müllsack. Ein Blick aus dem Fenster: Es regnet nicht. Da kann er ohne Jacke runter. Eine Fliege landet an der Scheibe. Dieses Glas trennt dich nun von der Welt, dachte er und beobachtete, wie sie verzweifelt dagegen anflog. Und wahrscheinlich wirst du es niemals mehr überwinden. Ruckartig packte er den Müllsack. Ihm war plötzlich kalt und er beschloss, doch besser die Jacke anzuziehen.
(Draussen, neben dem Mülleimer fand er eine kleine Sockenpuppe. Nachdenklich hob er sie auf.)