Gruppe Enigma - Texthaufen

Grenzgänger

Re: Grenzgänger

Das arme Fahrrad....

Nici, es gefällt mir. Ein Hauch mehr Klarheit wäre schön gewesen. Ich mag die Schwingung im Text.

Re: Grenzgänger

Ich habe ein Bild von Vergewaltigung im Kopf. Vielleicht aber auch nur, weil ich so viel böse Musik gehört und so viel böse Spiele gespielt habe, dass mein Gehirn dieses Bild haben will.

Re: Grenzgänger

Ich finde einfach nur die Bluse geil, der neue Knöpfe wachsen!

Re: Grenzgänger

vielleicht ist wirklich zu wenig klarheit im text. andererseits finde ich gerade die unterschiedlichen wahrnehmungen interessant und wichtig. sie lassen die worte schliesslich leben und ein bisschen wurzeln. nicht?
eigentlich ging es hier in keiner sekunde um das fahrrad, was den text letztlich auch zum grenzgaengertext machte. vielleicht hoere ich auch zuviel boese musik. :)




Re: Grenzgänger

Das Brausen des Kollektivs

Es raschelt im Geäst. Kaum hörbar krächzt es in der Ferne.

Heute scheint die Sonne, Du meine liebste Baumdame. Ich sitz in dir, auf meinem Stammplatz und deine Äste hüllen mich ein. Sie streben nach oben, Deine zahlreichen Arme, eine ganze Weile nach oben und dann der Schwerkraft zufolge im Bogen wieder hinab. In diesem Knick sitze ich. Wie immer. Deine Asthände erreichen knapp den Boden und bilden so ein Kreisrund um deinen Stamm. Der breite Kranz legt sich in einem großen Abstand um mich und ich lehne mich an dich, fühle mich von dir beschützt. Ich stelle mir wieder einmal vor, wie ich damals das erste Mal unter den Rock deines Ballkleides schlüpfen durfte, weil du mich höflich dazu eingeladen hast. Husch, husch, meintest du und hobst ihn kurz für mich an. Damals. Solange warte ich schon.

Pscht…Hihihi…Pscht, leise…Hat uns jemand gesehen…Nein? ...Gut, komm her…Er nimmt sie in den Arm. Sie schmiegt sich an ihn, legt ihren Kopf weit in den Nacken und lässt sich küssen. Komm her, du bist dran. Sie zieht ihn herum und nun lehnt er gegen deinen Stamm. Das junge Ding lehnt sich an ihn. Ich beobachte die beiden von oben, sehe ihre Köpfe, ihr blondes und sein braunes Haar und ihre Hände, wie sie hinauf und hinabfahren, ihre beiden Körper zum abertausendsten Mal nachzeichnen. Ich kenne all ihre Bewegungen, ich studiere sie jedes Mal, wenn ich über ihnen sitze und herunter schaue, sicher bin, dass sie nicht nach oben blicken werden, weil sie viel zu vertieft sind. Flüstern, Streicheln, Kichern, Tuscheln. Schnödes Spiel. Immer wieder. Aber spätestens wenn sie sich niederkniet, wende ich meinen Blick höflich zur Seite. Es gibt ja auch Grenzen, selbst für mich.

Ich werde ganz flatterig da oben, schaue gen Himmel und der Sonnenstand sagt ja. Ja, sie kommen bald. Gut.

Ein Käfer läuft direkt auf mich zu, hat ja gar kein Arg und ich wende meinen Kopf, schnappe zu und schlucke ihn hinunter. Proteine müssen sein. Doch heute entschwindet das Pärchen schneller als sonst, ich war wohl kurz abwesend, denn plötzlich raschelten die beiden durch deinen Astkranz und sind fort. Nun sind wir beide wieder allein, du und ich und ich mache es mir auf dir bequem, döse einen Augenblick. Warte und denke nach.

Früher, in meinem anderen Leben, war ich zu schwer für deine Äste gewesen. Ich hatte es probiert. Früher war ich plump und konnte nicht einmal fliegen. Früher habe ich gesprochen und Kleidung getragen. Doch jetzt beflügelt mich die Macht und die Freiheit und ich genieße es. Jetzt erkenne ich meine Fähigkeiten, erst jetzt habe ich welche. Das Kollektiv stimmt mir da zu.

Es raschelt erneut. Eine große Gestalt schwankt herein. Ich ahne Böses. Wieder so ein betrunkener Strolch, der dir deine überirdischen Wurzeln voll kotzen will! Ich schwinge hoch und lasse mich auf seiner Schulter nieder. Er dreht den Kopf und atmet mir faulig entgegen. Dann greift er nach mir und huch, er reißt an meinen Schwanzfedern! Er hat es nicht anders gewollt, ich beginne, auf ihn einzuhacken, nehme mir schwerpunktmäßig seine Augen vor. Er fuchtelt fahrig mit seinen haarigen Armen herum, viel zu langsam für meine schnellen Bewegungen. Erst als seine Blutspritzer an meinem schwarzen Federkleid abperln, lässt er sich jammernd und zuckend zu Boden fallen. Ich kehre zu meinem Aussichtspunkt zurück und warte.

Die Sonne scheint plötzlich nicht mehr und es ist nun ungewöhnlich still, zu dunkel für diese Tageszeit. Nach einer kurzen Weile fliege ich hinaus, um nachzusehen, ob Regen zu erwarten ist, ob meinesgleichen vielleicht schon naht oder ob ich flüchten muss.

Doch der Schlosspark liegt verlassen da. Die Wiesen sind frisch gemäht und die Enten schippern verdrossen im Wasser des Schlossgrabens herum. Da entdecke ich zwei Jungen, die langsam herantrotten. Der eine trägt etwas in den Händen, er greift in regelmäßigen Abständen hinein und gibt einen Teil des Inhalts an seinen Freund weiter. Sie reden leise vor sich hin.

Unter mir stöhnt es. Ich schlüpf durch Deinen Rock zurück und sehe den Schurken am Boden herumwälzen. Himmel, gibt er denn gar keine Ruh! Erneut lass ich mich auf ihm nieder und picke, er beginnt wieder herumzufuchteln, rappelt sich nun endlich auf und schleppt sich hinaus. Zurück bleibt sein Blut und ich tippele ein wenig darin herum. Es ist lustig, wie meine Füße auf dem Boden rote Spuren hinterlassen. Für einen Moment lasse ich mich gehen.

Doch schon werden deine Äste wieder beiseite gedrückt und die Bengels von eben erscheinen. Ich flattre auf und verschwinde nach oben. Hey, guck mal, hier ist Blut… Zeig mal, iiiih, komm lass uns gehen, es ist so still hier…Der Dickere von beiden hebt ein wenig den Kopf und ich hüpfe schnell auf einen anderen Ast, befinde mich nun gut versteckt im Schatten deines Stammes. Nee, lass mal, komm her, das ist noch ganz frisch, gucke…Sie hocken sich nieder und tuscheln, nun leiser. Ich versteh sie nicht. Das ärgert mich. Und weil es mich ärgert, kacke ich dem Schmächtigen kräftig auf die eine Schulter. Doch er merkt es nicht, fuhrwerkt nur gedankenverloren mit einem Stöckchen in der zähflüssigen Masse herum. Die mitgebrachte Tüte liegt neben ihm, unbeachtet, und ich gleite hinab. Leise, leise tappe ich heran und schau nach, was drinnen ist.

Schnöde Kirschen sind’s! Ich schnappe mir ein paar von ihnen und der säuerliche Geschmack bringt mich fast um den Verstand.

Plötzlich wird es laut um Dich. Ich erschrecke zutiefst und flattere in die Höhe, raus aus Deiner Baumkrone und weiter in die Luft. Da stehen lauter Leute, laute Leute und reden durcheinander, zeigen auf Dich. Sie haben grelle Westen an und Helme auf den dummen Menschenköpfen und sie tragen Maschinen umher. Die Jungens stehen an einer nahen Fichte und grinsen dümmlich. Der Strolch steht daneben, hält sich beim Saufen die eine Hand vors Auge. Das Liebespaar verlässt den Park. Keine Enten mehr auf dem Wasser.

Endlich höre ich entferntes Krächzen. Es wird lauter und lauter. Mein Herz macht einen Sprung, ich selber mache einen in der Luft. Ich schaue nach unten, auf dich, meine liebste Baumdame, höre dich leise rascheln. Ich flüstre Das Kollektiv ist da, erhebe mich noch höher in die Luft, um ihnen entgegen zu fliegen. Die Zeit, sie ist gekommen. Wir Auserwählten sind nun stark genug. Das Brausen kann beginnen. Deine Rettung naht.

Die Menschen sind zu dumm für diese Welt, sie sind nicht kollektiv. Nur die Auserwählen, die Verwandelten, sie haben die Chance und ich bin einer von ihnen. Genieße die Ruhe noch ein wenig, Du meine liebste Baumdame, ehe der Krach, unser kollektives Brausen beginnt.

Re: Grenzgänger

Das ist ein geiler Text!
Supergern gelesen trotz der Länge!

Diese Stellen fallen mir auf:
Als die Jungens im Park erscheinen, sprichst du plötzlich von dem Schurken und ich brauchte einen Moment, zu begreifen, dass du nicht einen der Jungs meinst.

Auf beide Schultern kacken, links UND rechts, finde ich übertrieben. Eine fände ich lustiger.

Warum stehen Penner bei den Grellwestigen? Die Situation ist mir nicht klar. Sie kommen um den Baum abzuholzen, aber fangen sie gleich an, oder sind es erst die Forstamtsplaner?


Ansonsten sind da viele tolle Ideen drin, die ich fieserweise nicht aufzähle.
Aber am Besten gefällt mir das Kollektiv!

Re: Grenzgänger

Du hast nicht genau gelesen, der Penner ist der Schurke, an dem ich rumgepickt hab und es ist nur und genau der, der später bei den Westenleuten steht!

Das mit dem Kacken stimmt, ich ändere das. Vielleicht formulier ich die Stellen noch mal um, sodass das mit dem Penner eindeutiger wird.

Re: Grenzgänger

Nuanciert geändert.

Entschuldige fürs nicht genau lesen, es ist an mir, es klarer zu formulieren.

Re: Grenzgänger

Entschuldigung angenommen:-)

Den Strolch verstehe ich jetzt besser, weil er vorher auch so hieß.

Re: Grenzgänger

Im dritten Absatz von unten sprichst du in der zweiten Person. Meinst du damit den Baum? Ich finde das etwas unklar. Ansonsten kann ich auch nur sagen, lustiger kleiner Horrorclip, die Vögel aus einer anderen Perspektive.



Owl owl!