Re: Im Auftrag des Falgathen IV
Jocke trieb mit Hein die Gefangenen zusammen. "Ein wenig überrascht wirken die Franzosen Plötzlich, oder Hein?" Grinste er in seinen Bart.
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ICH HAB AUCH MAL SPAGHETTIS GEGESSEN!!!
Jocke trieb mit Hein die Gefangenen zusammen. "Ein wenig überrascht wirken die Franzosen Plötzlich, oder Hein?" Grinste er in seinen Bart.
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ICH HAB AUCH MAL SPAGHETTIS GEGESSEN!!!
Unter Deck lauschte Roxsana bei der Arbeit angestrengt dem Donnern der Kanonen und versuchte sich auszumalen, was oben vor sich ging. Bei ihr und Frauke war es zum Glück noch recht ruhig ... irgendwann verstummte das Donnern, stattdessen brandete Jubel zu ihr nach unten. Schnell sah sie sich um - Frauke schien im Moment keine Hilfe zu brauchen - steckte noch hastig ein Verbandende zurecht und stürmte, etwas wie "Kommgleichwieder" murmelnd, nach oben, um die Lage zu begutachten.
"Die haben wir mit herunter gelassenen Hosen erwischt." grinste Hein zurück. Und er war insgeheim sehr froh darüber. Die Lame war von der Geschwindigkeit und Bewaffnung eines der wenigen Schiffe, die der Braut ebenbürtig war. Eine direkte Konfrontation hätte gut anders ausgehen können.
Hein brüllte einige Befehle an einige Gruppenführer, die sich um die Brände am Franzosen kümmern sollten. Andere teilte zur Aufsicht der Gefangenen ein. So ganz traute er dem Braten noch nicht.
Mit seinem Enterbeil schlug er einige Tampen los und ließ Trümmer über Bord gehen. Unter einigen Segelfetzen wurde ein Frau sichtbar. Sie hatte eine schwarz unterlaufene Beule über der Stirn und der rechte Arm lag in einem unmöglichen Winkel hinter ihrem Rücken. Hein schaute kurz auf ob er einen der Knochenflicker erspähen konnte, als in diesem Augenblick Roxsane an Deck der Braut erschien. Hastig winkte er sie herüber.
Etwas unsicher kletterte sie auf das andrere Schiff.
"Roxsane, gut dass du kommst..." Hein zeigte auf die verletzte Frau.
"Das ist Fiderallala oder so, eine Gefolgsfrau von Corneille."
Erstaunt blickte Roxsane ihn an.
"Ich möchte, dass du tust was du kannst, um sie am Leben zu halten. Wir schulden Corneille noch etwas, und ich möchte es gern begleichen."
Das Fragezeichen in Roxsanes Gesicht wurde eher noch größer.
"Wenn du kannst, versuche doch bitte die Versorgung der Verwundeten hier an Deck zu organisieren. Schließlich sind das hier alle Seeleute und keiner verdient es, so einfach nach dem Kampf zu verrecken. Aber bitte bleibt erst einmal über Deck."
Roxsane nickte und hatte schon angefangen, sich um die Frau zu kümmern. Hein stand auf, zog den Bolger und nahm sein zweischüssiges Schätzchen.
"Jocke, Pöpke nehmt die Drebassen und eine brennende Lunte. Ihr begleitet mich. Fedder und Hauke auch. Wir müssen noch einen Passagier auf die Braut begleiten."
Jocke nickte grinsend.
Hein betrat den kurzen Niedergang vom Zwischendeck zu den Offizierskabinen - falls die übliche Schiffsaufteilung bei diesem Franzosen nicht deutlich anders war. Hinter ihm gleich Jocke und Pöpke. Der Gang war wie zu erwarten war kurz und fünf Türen - zwei steuerbord, zwei backbord und eine schwerere nach achtern. Hinter den ersten beiden Türen waren Offizierskabinen, und viel zu viel Schnitzereien und Polierte Flächen. Ein bischen weibisch fand Hein. Franzosen halt.
Die steuerbord Tür führte in einen kleinen Kartenraum. Nur ein kleiner Stehtisch und Regale mit Kartenmaterial füllten ihn. Heins Augen leuchteten hell.
Die hintere backbord Tür war eisenbeschlagen und - welch Wunder - verschlossen. Hein merkte sich die Tür für später vor. Gut dachte er und nickte Jocke und Pöpke und Hauke und Fedder zu. Die letzte Tür stand an. Vorsichtig drückte er die Klinke und trat dann die Tür in den Raum. Was dann geschah, war eher eine Sache von kurzen Augenblicken, doch im Nachhinein kam es den Ameländern wie Glasen vor. Zwei mal kurz hintereinander ertöne ein scharfes Klacken und ein Surren von zwei Bolzen. Einer von beiden schrammte Pöpke über den Scheitel, der zweite landete mit einem dumpfen Geräusch in Heins rechter Schulter. Zwei weitere Klacker zeigten, dass auch er den Finger am Abzug gehabt hatte. Beide Bolzen jagten in einen viel zu großen Kristalllüster.
Dann zischte etwas und böses heiseres Bellen zusammen mit einer schwefeligen Wolke erfüllte den Raum. Vielleicht konnte man auch viele winzigkleine Objekte durch den Raum fliegen sehen, aber wahrscheinlich war das nur Einbildung. Als der Schwefelrauch sich langsam auflöste waren nur ein Stöhnen von Hein zu hören. Und ein entsetzlicher Anblick von zwei völlig zerfetzten Körpern die steuerbord und backbord von einem großen Tisch lagen. Weiße Knochensplitter in einem blutigen faserigen Matsch. Von den Beinen konnte man noch etwas erkennen. Ein stattlicher Mann mit einer Brokatweste über einem weißen Seidenbluson begann zu würgen und übergab sich hinter dem Tisch.
"Guten Tag , Tarq!" konnte Hein sich trotz des Bolzens in der Schulter nicht verkneifen.
"Corven von Herodin, Ihr seid unser Gefangener!"
Iuvart von Balberith kratzte sich seinen spärlich behaarten Schädel. Solange nicht ein Kommandeur für den Feldzug gegen Hargon und dann -was sonst kaum einer wußte - gegen den Kopf des Gegners selbst gefunden war, mußte er sich mit der Organisation und auch der Logistik dieses unglaublich improvisierten Feldzugs herumschlagen. Es fehlte an allen Ecken und Enden.
"Gebt mir eine Einkaufsliste!" hatte dieser Pirat immer wieder geprahlt. Verflixt nocheins, als ob es mit dem reinen Material allein getan war. Er brauchte vor allem an Waffen ausgebildete Männer und Frauen. Er brauchte Heiler, Schmiede, Werkzeugmacher, Pferde, Ochsenkarren und, und, und...
Er hatte sie bekommen, seine Einkaufsliste. Iuvart bezweifelte, dass auch nur ein Bruchteil dessen was darauf stand, bei ihm ankommen würde. Folglich würde er den Kampf mit unzulänglichen Mitteln vorbereiten müssen. Das sah düster aus. Zu wenig Männer, zuwenig Material, gegen besser ausgerüstete, zahlenmäßig überlegene Gegner. Aber Herz besaßen sie, da war er sicher. Aber nur mit dem Herz am rechten Fleck waren die unsäglichen Gegner nicht zu schlagen. Dabei war der Zeitpunkt günstig. Wenn alles gutging, war es jetzt möglich, dass dieser Krieg ende des Jahres beendet war. Nunja, wenn alles schlechtging wahrscheinlich auch. Wieder schubberte er über seine Reststoppeln.
An der Tür klopfte es und drei Kathul stapften mit schneebedeckten Kisten herein.
Iuvart stutzte einen Augenblick.
"Was ist das?" fragte er ziemlich schroff.
"Eine Lieferung vom Danglarischen Reichs-Quartieramt." antwortete einer der Männer.
Danglarisches Reichs-Quartieramt? Er war sich ziemlich sicher, dass es sowas überhaupt nicht gab.
Er runzelte die Stirn.
Die drei verließen die Hütte laut stapfend, wie sie gekommen waren. Er erhob sich von seinem Tisch und seinen Grübeleien.
Drei Kisten, gut je eine Elle breit und hoch. Fest vernagelt.
Mit seinem Rabenschnabel brach er eine auf.
Papier war darin. Viel Papier guter Qualität. Und bedruckt. Er nahm eines heraus.
"Guthscheihn!
- Niesrecht vom Danglarischen Rheichsquarthieramth -
Dieser Guthscheihn erlaubigt den berechtigten Überbringer selbigens
zur Reparhathur seiner gesamtigen Ausrüstung!
Einzulösen bei jeder Zweigstelle der Perlhavener Schmiedegilde
"Falghathenthreu ewiglich!"
Ein Entgelth ist hierfür nicht nothmüßig! "
Die Runzeln auf seiner Stirn wurden tiefer. Er öffnete die nächste Kiste.
Wieder Papier.
"Guthscheihn!
- Niesrecht vom Danglarischen Rheichsquarthieramth -
Dieser Guthscheihn erlaubigt den berechtigten Überbringer selbigens
zu einer Thruppenbethreuhung in vollem Umpfanghe!
Einzulösen bei "Danulas Falghathenthreues mobile Etthablissementhes!"
Ein Entgelth ist hierfür nicht nothmüßig!"
Langsam begann er zu ahnen um was es sich handelte. Er riss die Tür auf und brüllte in das Schneetreiben einen der drei Kathul herbei.
"War das alles? Oder habt ihr mir noch weiteres zu sagen?"
Der Kathul nahm Haltung an und schien nachzugrübeln.
"Oh Sethem, ja, da war noch was. Ein Schreiben war den Kisten begefügt."
Er griff in sein Wams und zückte einen versiegelten Brief hervor.
Iuvart riss ihm das Ding aus der Hand und verschwand wieder in der Hütte.
Der Brief was in einer schnörkeligen Handschrift an ihn adressiert. Ein Absender war nicht angeführt.
Das Siegel war unleserlich, vielleicht etwas mit H?
Er öffnete das Papier.
"Hochwohlgebohrenster Bhan Iuvart, unterthänigste Grüße sendtigt Euch zu threuen Händen Hein van Fleet, Fleetgraf zu Ameland etcpp. in der demüthigensten Hoffnung, dass es Euch whol ergehigen möge und Ihr Euch einer woniggsten Gesunthheit zu erfreuhigen geruth. Anbei eine Lhieferung von 4000 Ghtutscheihnen zur Reparathur von Rüstungen und 2000 Ghutscheihnen zur Betreung durch Madame Danulas Mädchen. Es ist mir zu meiner allegrößten Freude gelunghen, den pathriothischen Eifer der Perlhaverner Schmiedeinnung zu erwecken und Uns ihrer Untherstützung zu befleißigen. Sie werden mit zumindest treißig Gesellhen Euren, besser Unserigen Feldzhug gegen den unsäglichen Ursurpathor mit aller gegebener Khraft unterstütztigen die Ehre habigen. Wir daroselbst haben uns befleißigt Ihnen dafür den Thietel "Falghatenthreu" zu verleihen. Das geringe Entgelt für die 4000 Rüstungrepharathuren ist zudhem ebenfalligst schon beglichen. Nach der Einlöhsung der Ghutscheihne haben Wir uns befleißigt, den Schmieden für die Reparathur von Rüstungsgghut sieben Kupferlinge - Schekel - zu gharanthieren die Ehre zu habigen. Die allerliebste und patriotischste Danula, ihrer Gnaden die Leiterin eines mir persönlich langjhärig bekannten Hauses zeigte ebenfalls Ihre Falghathenthreue Ghesinnungh und wird Eurigen Unserigen Feldzug ebenfalls zu begleiten geruhen. Die Lhizenz und den Thietel "Falghatenthreu" haben Wir Uns ebenfalls erdreistigt zu verleihen die Ehre zu habigen, deren Erlöhse wurden zur Gewinnhung der Schmiedeinnung verwendigt. Nach Einlöhsung der Ghutscheihne werden die Preise zur Thruppenbethreuhung wie üblich freih verhandeligt werden.
Sowohl angegebenen Damen alsauch die besprochenen Herren werden sich alsbald erfrechen, zu den falghatenthreuen Thruppen zu stoßigen die Freiheit sich zu befleißigen geruhen. Erwartigt zudem erste Lieferunghen Euriger Matherialliste. In unfreundlichster Kürze verbleibigen Wir in unverbrüchlicher Threue und unerschüttherlicher Freundschaft demüthigst
Hein van Fleet
Fleetgraf zu Ameland
Hoher Lord der See.
Bewahrer des Glaubens
Admiral der 6. Danglarischen Flotte
Danglarischer Rheichsquarthiermeister
Quartiermeister
Etwas erschöpft faltete Iuvart den Brief wieder zusammen. Er war sich sicher, dass die verbleibenden Haare auf seinem Kopf diesen Feldzug nicht überstehen würden.
Wieder klopfte es an der Tür.
Bevor er das Herein auch nur ganz ausgesprochen hatte, steckte Piroschka ihren hübschen Kopf herein.
"Ja?" brummelte er.
"Sethem, die ersten Parvesen sind angekommen."
"Und? Deshalb störst du mich?"
"Nun..." druckste seine Knappin herum."...nunja, sie sind wohl angekommen. Aber..."
"Was aber? Jetzt sag es ruhig frei heraus."
"Sethem, die Parvesen, nunja, sie sind angekommen. Aber..." Sie holte noch einmal tief Luft. "...aber die Hälfte davon hat Klinken."
Iuvart von Balberith war froh, dass er saß.
Ihr seid sicher?
Absolut.
Aber diese fünf sollten verschont bleiben.
Ja, das ist wahr. Das hat sich jetzt geändert. Sie sind zu nichts mehr nutze.
Das heißt, sie sind entberlich und somit vogelfrei.
Nein, sie sind nur noch eine Gefahr ohne Nutzen. Sie müssen handlungsunfähig gemacht werden. Endgültig
Das lässt sich einrichten. Was ist mir ihren Gütern, ihren Vermögen?
Benutzt sie für einen guten Zweck. Lasst sie einmal in ihrem Leben etwas Gutes tun. Als Wiedergutmachung.
In ihrem Leben?
Ja, ja, ihr wisst schon was ich meine.
Ich denke doch. Versichert eurem Herrn die Loyalität der Dons.
Ich werde es weitergeben. Sobald ich ihn sehe.
Die Ratssitzung war wieder wie üblich gewesen. Wassilj Andrejew Paruschka hatte als einziger dagegen gestimmt. Sie wollten es nicht wahrhaben. Partout nicht. Der Kharad war der einzige rechtmäßige Vertreter des Falghaten. Punkt. Gegen ihn zu agieren war Rebellion. Niemand konnte ihn dazu bringen, gegen die rechtmäßige Regierung Danglars zu oponieren. Das wollten sie einfach nicht einsehen. Ja, die meisten Kharator waren üble Schläger. Ja, die Anweisungen waren vielleicht nicht immer nett. Ja, es hat viele Läuterungen gegeben. Ja, auch von Personen mit möglicherweise fraglicher Schuld. Aber wo kämen wir hin, wenn jeder das Gesetz in die eigenen Hände nimmt? Wenn jeder dahergelaufene Danglari behauptete der Sohn des Falghaten zu sein? Chaos wäre die Folge. Man konnte es ja jetzt sehen. Chaotische Zustände wohin man nur blickte. Ganz Herodin verbrannte im Chaos. Und in Krat sollte es noch schlimmer sein.
Nein, nicht mit ihm. Er hatte gegen die freiwillige Sonderzulage für die Kaufleute gestimmt. Er hatte - wie schon so oft - die versteckten Morddrohungen ignoriert und war standhaft geblieben für das Recht, für die Ordnung und für Danglar. Er stapfte durch den kniehohen Schnee in Richtung seines Anwesens. Die Geschäfte gingen schlecht, wenige kauften noch bei ihm, aber er hatte die ersten Plünderungen gut überstanden. Schließlich hatte man es ja kommen sehen.
Beide Lampen vor dem Tor brannten. Das sollte auch so sein. Damit kein lichtscheues Gesindel dem Haus zu nahe kam. Aber das große Tor zum Hof stand offen. Das sollte nicht so sein. Er blieb kurz stehen. Dann beschleunigte er seinen Schritt.
Beide Flügel des Tores standen weit offen. Im Hof war niemand zu sehen. Weder Petja der Stallknecht noch ein anderer vom Gesinde.
Er eilte die geschwungene Treppe ins Haupthaus hinauf.
Die Eingangtür fehlte. Weg! Die ganze Tür.
Und immer noch keine Menschenseele zu sehen.
Langsam wurd ihm das unheimlich.
Er langte mit der Hand an den Dolch in seinem Gürtel.
Die Eingangshalle leer. Keine Türen.
Kein Gesinde. Auch seine Frau ließ sich nicht blicken.
Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn.
Er rannte die Treppe herauf. Auch hier fehlten die Türen. Auf den Dielen der Galerie waren dunkle Flecken zu sehen. Ein leicht süßlicher Geruch kroch in seine Nase.
Er bog in sein Kathasterzimmer ein. Die schweren Vorhänge waren zugezogen. Auf seinem Schreibpult lag ein Pergament. Soviel konnte er im Dunkeln erkennen. Er nahm es auf und hielt es gegen das aus der Türöffnung einfallende Licht.
"Mein letzter Wille" began dieses Schriftstück.
Er erbleichte.
"Ihr solltet das unterschreiben, Setem Wassili Andrejew. Dann wird für eure Frau und Kinder gesorgt sein." Eine leise, sehr sanfte Stimme flüsterte aus der Dunkelheit.
"Ihr seid eine Zeitlang geschont worden, weil sich gewisse Personen für euch eingesetzt haben. Das hat sich leider geändert, Wassili Andrejew." Die Stimmer schien etwas näher gekommen zu sein. In seinem Nacken stellten sich die kleinen Hährchen auf, den ganzen Hinterkopf hinauf.
"Ihr seid zumindest immer ehrlich gewesen und habt kein falsches Spiel getrieben. Deshalb ermöglichen wir Euch ein sauberes Ende. Wenn ihr keinen Ärger macht, und das Schriftstück brav unterschreibt, werdet ihr das Ende kaum spüren. Das verspreche ich Euch, Wassili Andrejew."
Er konnte sich kaum rühren. Wie in Trance nahm er den Federkiel und setze sein Zeichen unter das Geschriebene. Überrascht stellte er fest, dass seine Hand dabei gar nicht zitterte.
Dann spürte er einen kühlen Windhauch am Hals und einen scharfen Schmerz dort.
Die Brust wurde warm und seine Hände langsam kalt.
Ein wenig fingen seine Beine an zu zittern, dann knickten sie ein.
Sanft glitt er zu Boden. Jemand mußte ihn aufgefangen haben, dachte er noch. Der Boden war ganz schön kalt.
Dann spürte er nichts mehr.
Einundzwanzig Tage! Das war verrrückt. Das konnten sie nicht schaffen. Den Pass nehmen, gegen gut 1000 bis 1200 Kharator schnell und ohne Verluste. Unmöglich. Er hatte Keine Ahnung wie das gehen sollte. Die würden seine Leute - die eh nichts vom Landkampf verstanden - einfach zusammenschießen. Und das war es dann. Er konnte den Pass wahrscheinlich nicht einmal nehmen. Sollte es ihm gelingen wider besseren Wissens den Pass zu nehmen, dann mußte er ihn halten. Drei Wochen! Einundzwanzig Tage! Selbst die zehn Tage, die er dem Bhan versprochen hatte, waren gestrunzt. 21 Tage waren unmöglich.
Hein rieb sich über die Augen. Er hatte das in der letzen Wache bestimmt schon zehnmal durchgekaut. Immer wieder lief dieses Spill herum und herum.
Wie hatte der alte Wiggert immer gesagt, wenn du ein unlösbares Problem hast, zerlege es in viele viele kleine lösbare Probleme. Dann schaffst du alles. Hatte er gesagt und sich danach bis zur Besinnungslosigkeit betrunken. Naja, als er den Rat gegeben hatte war er zumindest noch nüchtern. Aber bei diesem Problem fehlte ihm einfach das Wissen über den Landkampf. Ja, Ausmanövrieren von plumpen schweren Gegner, Aussegeln von stärkeren, Kapern von schwächeren, all dies beherrschte er von der Brasse bis zum Geitau. Bewegung war das Schlüsselwort. Bewegung. Der Pass bewegte sich nicht. Nehmen und bleiben lies nicht viel Raum für Bewegung. Aber gut, das war nicht das nächste Problem. Erst hatten sie noch eine wichtige Fahrt zu tun. Er pfiff eine muntere französische Weise und seine Stimmung hob sich. Mit einem Seufzer rollte er die Karte von Danglar zusammen und rief nach Piet, Jocke, Xiana, Pöpke und Fedder. Dann griff er nach den erbeuteten französischen Karten und den Notizen, die er sich gemacht hatte.
Lares wuchtete seinen Seesack auf den Rücken, griff nach der Kiste, in der ein Großteil seiner Ausrüstung verstaut war, und folgte Hein an Bord der Schwarzen Braut. Sein Zeitplan war eng: Von Danglar aus in Richtung Mittellande, einen Abstecher auf seinen Heimatkontinent Concordia um seinen Lehrling Linoya abzuholen, der jährliche Besuch in der Akademie des Rings der Heiler auf Mythodea und dann irgendwie rechtzeitig zurück nach Danglar. Hoffentlich mit einigen Ringheilern im Schlepptau, die die "Söldner-Heiler" koordinieren sollten, die auf Heins Einkaufs- und Anwerbeliste standen.
Lares hatte Heins Angebot, ihn in die Mittellande mitzunehmen, dankend angenommen, denn die anderen Kapitäne in Perlhafen zogen es vor, auf wärmeres Wetter zu warten. Und das konnte gut und gerne noch Tage wenn nicht Wochen dauern.
An Bord herrschte geschäftiges Treiben. Lares erkannte einige Besatzungsmitglieder wieder, mit denen er bei der Eroberung Perlhafens gekämpft hatte. Sie schienen ihn zu ignorieren. Hein hielt einen kurzen "Das lass an Bord lieber sein"-Vortrag, während sie ihren Weg fortsetzen, der so voller Fachbegriffe war, dass Lares höchstens die Hälfte verstand. Zumindest die Kernaussagen waren aber klar: Offenes Feuer an Bord war mit höchster Vorsicht zu genießen und im Falle von Kampfhandlungen sofort zu löschen. Im Pulverlager, wo auch immer das genau sein mochte, hatte kein Unbefugter etwas verloren. Gleiches galt für die Fässer im Laderaum mit der Aufschrift "Runkels Bester" und den Farbklecksen darauf, die mit etwas Phantasie einen tanzenden, breit grinsenden Mann darstellten.
Der Heiler folgte Hein unter Deck. Er war gespannt, wo man ihn für die Reise unterbringen würde und hoffte, Stuhl und Tisch zur Verfügung zu haben, an dem er ein wenig arbeiten konnte. Die Ergebnisse des Schießpulver-Experiments, das er mit Hein durchgeführt hatte, wollten niedergeschrieben werden, außerdem hatte er dem Freibeuter eine Aufstellung für die Ausstattung eines Feldlazaretts anzufertigen versprochen. Zu guter Letzt nahm er sich vor, einige Briefe zu schreiben, die er aus den Mittellanden nach Mythodea vorausschicken wollte, während er sich auf den Weg nach Concordia machte. Genügend Dinge auf die man sich konzentrieren konnte und, so hoffte Lares, dabei das stetige schwanken des Schiffes zu vergessen.
"Und hier ist das Quartier der weiteren Offiziere, die das Privileg haben, die Hängematte nicht teilen zu müssen. Da kannst du am achteren Ende deine Hängematte aufhängen." Hein deutete auf die letzte Ecke im Zwischendeck.
"Meine Hängematte?" fragte Lares verdutzt.
"Hast du keine Hängematte, stellt dir das Schiff eine. Ebenso Löffel und und Teller. Wer an Bord kein Messer hat, ist ein Idiot oder ein Landmann. Brauchst du ein Messer?"
"Äh, nein, Besteck und Messer hab ich genug."
"Gut." antwortete Hein. "Ich möchte dich bitten an Bord keine Forke zu benutzen, Forken benutzen wir nur zum Ausmisten, beim Essen benutzen wir keine Stallgeräte. Es könnte sein, daß dir ein Seemann dir das Ding in den Hintern rammt. Und das möchten wir alle nicht. Desweiteren solltest du ein Wischtuch benutzen. Das ist wegen der Hygenie, aber da muß ich dir ja wohl nichts drüber erzählen, du bist ja vom Fach."
Lares antwortete lieber nicht darauf.
"Wir gehen an Bord sechs Wachen. Die 1. oder Morgenwache das würdest der Uhrzeit 04:00 bist 08:00 zuordnen. Die 2. oder Vormittagswache von 08:00 bis 12:00, die 3. oder Nachmittagswache von 12:00 bis 16:00, die 4. Wache oder der Plattfuß von 16:00 bis 20:00, die 5. oder Abendwache von 20:00 bis 24:00 und die 6. oder Hundswache von 00:00 bis 04:00. Jede Wache dauert 8 Glasen."
Lares nickte, obwohl er sich nicht sicher war, was Glasen waren. Vielleicht das ständige Gebimmel mit der Schiffsglocke.
"Einmal in der Woche duscht ein jeder von uns. Wenn immer möglich. Dazu haben wir neben dem Küchenschapp ein Vorrichtung installiert, die wir mit Seewasser betreiben. Ebenfall wegen der Hygenie."
Lares schaute auf einen Eimer am Haken.
"Natürlich nur mit Seewasser. Wir sparen Süßwasser wo immer es geht."
"Aha!" antwortete Lares etwas unmotiviert.
"Ich würde vorschlagen, du schaust dir das Leben an Bord hier einfach einemal an und in einer Woche werde ich dich dann einer Wache zuteilen."
"Soso!" Kommentierte Lares Heins Aussage.
"Du kannst dich im allgemeinen frei an Bord bewegen. Natürlich solltest du hier keinem im Weg stehen, und die Leute nicht vo der Arbeit abhalten. Wenn das Schiff gefechtsklar geht, finden sich normalerweise alle Heiler und Knochenflicker in der Messe ein, die dann zum Lazarett umgebaut wird. Da könnten wir deine Hilfe gut gebrauchen."
"Oh, ja, das ist kein Problem. Wo kann ich denn meine Sachen lassen? Ich hab einen Seesack und auch Verbandsmaterial und Salben und so?"
Hein wies auf einen Verschlag mit Sitzkissen in der Messe.
"Hier in diesem Schapp kannst du deine Heilutensilien lagern, in den Schapps daneben sind bordeigene Materialien. Nutze was immer du brauchst und gib mir Meldung, wenn etwas zur Neige geht oder fehlt."
Hein holte einmal tief Luft. Er schien diesen Vortrag schon öfter gehalten zu haben.
"Deine privaten Sachen kannst du in der Seekiste unterbringen, die an der Bordwand bei deiner Hängematte angebracht ist. Wenn du ein Schloß benötigst, kannst du eines vom Schiff gestellt bekommen. Das gleiche gilt für die Waffen. Für die Ordnung und Sauberkeit deiner Ausrüstung bist du selbst verantwortlich. Zum waschen und auskochen von Verbandsmaterial kannst du auf die Sanitätsgäste zurückgreifen."
Lares nickte.
"Wie sieht es denn mit Schreibmöglichkeiten aus, wo kann ich denn hier etwas zu Papier bringen?"
"Etwas zu Papier bringen? Generell steht die Manschaftsmesse für allgemeine soziale Aktivitäten zur Verfügung. Aber ich denke nicht, das du in dem Trubel von 174 Seelen an Bord, mit dir 175, dort einen ruhigen Fleck außer zur Hundswache finden wirst."
Hein schaute Lares tief in die Augen.
"Gut, ich vertraue dir, du bist ein gebildeter Mann. Du bekommst von mir die Erlaubnis, den Kartenraum zu benutzen. Das ist mit bestimmten Regeln verknüpft. Wird das Schiff gefechtsklar gemacht, sind sofort sämtliche Lampen zu löschen und ebenfalls alle Tintenfässer gefechtstauglich zu sichern. Das ist höchst wichtig. Ist es für die Navigation oder gar für die Sicherheit des Schiffes nötig, den Kartenraum zu nutzen, wird sofort Platz gemacht und sofort bedeutet dann tatsächlich sofort."
Lares mußte grinsen.
"Da seh ich kein Problem."
"Dann willkommen an Bord, Lares."
Und Lares nickte.