"Bist du jetzt endlich wieder zu dir gekommen, Raoul de Chagny?" fragte Eric. Er hielt die Handgelenke des jungen Mannes noch immer fest, aber nicht so, dass er ihm Schmerzen zufügte. Schmerzen würde er ihm von jetzt an nicht mehr zufügen, denn er hatte endlich erkannt, dass er doch noch am Ziel seiner Wünsche angekommen war. Zwischen Christine und Raoul bestand in seinen Augen kein Unterschied. Beide waren beinahe überirdisch schön und beide hatten Stimmen, die etwas in ihm zum Leben erwecken konnte. Das Einzige was sie doch noch unterschied war, dass er in Raouls Augen mehr Verständnis las. Christine hatte ihn mystifiziert, aber Raoul kam ihm wirklich nahe. Eine Nähe, die er einmal als gefährlich empfunden hatte, aber jetzt nicht mehr. Statt Christine hatte er nun Raoul in seiner Gawalt. Das würde früher oder später dazu führen, dass dessen Hass übermächtig werden würde. Aber selbst, wenn er ihn doch noch tötete, wäre Eric letztendlich am Ziel gewesen. "Komm Raoul" er legte zärtlich einen Arm um den erschöpften jungen Mann und geleitete ihn aus dem Wasser. "Lass deine Sorgen und Ängste hinter dir und gib dich meiner ewigen Musik der Nacht hin. Sie wird dich einschließen, dich umhüllen, bis du alles andere vergisst." Seine Stimme war hypnotisch und wie Christine konnte auch Raoul ihr für den Moment nicht widerstehen. Beinahe willenlos ließ er sich zu einem Tisch geleiten, an dem er sich verwirrt niedersetzte. Eric zauberte wie aus dem Nichts einen Becher roten Wein hervor und stellte ihn vor Raoul hin. "Trink. Das wird dir gut tun und dich alles für eine Weile vergessen lassen."
Re: The Phantom's Rose
Raoul schloss für einen Moment die Augen. Er fühlte sich unendlich müde und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Vergessen, das war tatsächlich alles, was er jetzt noch wollte. Nicht nachdenken über diese unwirkliche und auswegslose Situation, in die er sich selbst hinein manövriert hatte. Keinen Gedanken zulassen an Christine oder seine eigenen uneindeutigen Gefühle. Einfach nur noch vergessen... Dankbar ergriff er das Weinglas, hob es an seine Lippen und trank es in einem Zug leer. Vielleicht konnte er sich hier unten ja wenigstens zu Tode trinken, dachte er bitter. Genug Wein schien jedenfalls wundersamerweise da zu sein. Über den Glasrand hinweg sah er, dass das Phantom ihn still beobachtete und er konnte nichts Feindseliges mehr in seinem durchdringenden Blick entdecken. Eine leise Stimme in Raouls Hinterkopf schien ihn vor diesem Blick zu warnen und für einen kurzen Augenblick fragte er sich, woher dieser plötzliche Sinneswandel des Phantoms gekommen sein mochte. Doch Raoul verdrängte den Gedanken, er wollte ihn nicht weiter denken, da sonst unweigerlich die Wut auf das Phantom zurückkehren würde, der Hass darüber, dass er ihn hier unten festhielt und offenbar ein teuflisches Spiel mit ihm spielte, dessen Regeln er Raoul vorenthielt. Doch für den Moment wollte der junge Mann sich diesen Gedanken und ihren Konsequenzen nicht stellen. Er wollte einfach nur vergessen. Und dafür würde er dieses Spiel mitspielen, wenn es denn sein musste. Er stellte sein Weinglas ab und blickte sein Gegenüber herausfordernd an "Wenn das so ist, gib mir mehr davon. Und lass uns gemeinsam auf unser Schicksal trinken."
Re: The Phantom's Rose
Eric schenkte Raoul noch mehr von dem schweren herben Wein ein, der ihn innerhalb kürzester Zeit benommen machen würde. Auch sich selbst goß er ein Glas ein und sie stießen miteinander an. Das Klirren der kostbaren Kristallgläser schien ihr Schicksal endgültig zu besiegeln. Er sah zu wie der Wein Raouls Lippen benetzte und sie in einem noch dunkleren rot färbte, bevor er selber einen Schluck nahm. Es hatte eine Zeit gegeben in der er versucht hatte seine Einsamkeit mit diesem Wein erträglicher zu machen, aber es war ihm nicht gelungen. Das blutrote Getränk hatte seine Leidenschaft und Sehnsucht nur noch stärker auflodern lassen, hatte ihn nach oben getrieben zu den Menschen und hatte es ihm fast unmöglich gemacht, sich zu beherrschen. Keine Erleichterung war aus der Trunkenheit für ihn zu erwarten. Er beobachtete Raoul, der auch sein zweites Glas schnell leerte. Der glasige Ausdruck in seinen hellen Augen und die leichte Röte auf seinen Wangen ließen ihn noch schöner werden. Erics Hass und Eifersucht hatten den Sinn für Raouls Schönheit bisher verschleiert, aber als er ihm jetzt gegenübersaß erkannte er, dass der junge Mann von einer noch exqusiteren und charismateischeren Schönheit war, als die naive und unschuldige Christine. Eric betrachtete Raoul mit denselbem Augen, mit denen er auch eine gelungene Oper genoss, mit denen er seine künstlich erschaffenen Figuren begutachtete. Raouls Schönheit war für ihn losgelöst von dessen Geschlecht und anzeihend wie ein starker Magnet. "Raoul, von heute an bist du mein kostbarster Besitz." flüsterte er.
Re: The Phantom's Rose
Der Wein wirkte schnell. Und Raoul hieß die süße, bleierne Schwere, die sich nun unaufhaltsam seines Verstandes bemächtigte, dankbar willkommen. Plötzlich wirkte die schummerige, nur von Kerzen erhellte Höhle nicht mehr ganz so beklemmend und furchteinflössend, sondern beinahe gemütlich. Still und nachdenklich betrachtete er das Phantom, dessen markante Gesichtszüge vor seinen Augen ein wenig verschwammen. Unwillkürlich musste er lächeln. "Darf ich fragen, was dich so erheitert?" fragte sein Gegenüber leise und erwiderte das Lächeln mit festem Blick. Raoul zögerte, doch der Wein hatte seine Zunge gelöst. "Welch Ironie des Schicksals" stieß er beinahe flüsternd hervor und betrachtete nachdenklich die feine blutrote Spur, die sein Degen kurz zuvor am Hals des Phantoms hinterlassen hatte. "Ich dachte gerade, dass wir unter anderen Umständen vielleicht hätten Freunde werden können." Er lachte bitter und leerte mit einem entschiedenen Zug das zweite Glas.
Re: The Phantom's Rose
"Freunde?" Eric sah ihn überrascht an. "Eine interessante Idee, Raoul. Du meinst, wenn ich keine zerstörerische, mörderische BEstie geworden wäre? Oder meinst du vielleicht, wenn ich makellos wie du auf die Welt gekommen wäre?" Er dachte über Raouls Aussage nach. Freundschaftliche Gefühle waren ihm sein Leben lang fremd geblieben. Er kannte brennenden Hass, lodernde Eifersucht, quälende Leidenschaft, vielleicht sogar Liebe. Aber die zart wirkenden und dennoch fest haltenden Bande die eine Freundschaft ausmachten waren ihm gänzlich unbekannt. Auch Freundschaft war eine Erfahrung, die er wohl niemals machen würde.
Re: The Phantom's Rose
Raoul lachte schallend. "Makellos wie ich? Mein Freund, ich bin alles andere als makellos." Und mein größter Makel ist wohl, dass ich es nicht über mich bringe, dich einfach zu töten, setzte er in Gedanken hinzu. Sein Lachen erstarb ebenso schnell, wie es gekommen war. Langsam hob er sein leeres Weinglas und betrachtete für einen Moment fasziniert, wie das Kerzenlicht im Kristall zu tausend schillernden Farben zerbrach. Das Phantom folgte stumm seinem Blick. "Aber davon einmal abgesehen", fuhr Raoul plötzlich fort, "zeichnet sich Freundschaft doch genau dadurch aus: dass man vom anderen trotz oder gerade wegen seiner Makel geliebt und respektiert wird...nicht wahr?" Ohne eine Antwort abzuwarten setzte Raoul klirrend das Glas ab und erhob sich. Was redete er da eigentlich? Versuchte einem egozentrischen Besessenen die Tugenden der Freundschaft nahe zu bringen. Ebenso gut könnte er einem Blinden von der Schönheit der Farben vorschwärmen, er würde es ja doch nie verstehen. Raoul hielt inne und blickte sich in der Höhle, seinem Gefängnis um. Es gab keinen Ausweg, es gab nichts zu tun. Und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte er sich vollkommen ratlos. Wie zum Teufel sollte es nun weitergehen?
Re: The Phantom's Rose
Eric lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah Raoul nachdenklich an. Ja, der war tatsächlich tugendhaft genug, um jemand anderen gerade wegen seiner Makel zu lieben und zu respektieren. Die Fähgitkeit über so etwas hinwegzusehen wurde unter den Menschen hoch geschätzt. Aber Eric erinnerte sich an das, was Christine gesagt hatte: seine eigentliche Entstellung war nicht die seines Gesichts, sondern die in seinem Herzen. Wahrscheinlich ahtte sie selber nicht gewusst, wie recht sie gehabt hatte, als sie das gesagt hatte. Aber andererseits glaubte er Raoul tatsächlich, dass dieser davon überzeugt war, dass es für sie eine Chance gegeben hatte, befreundet zu sein. 'Und dabei kennt er nicht einmal meinen wirklich Namen' dachte er. 'Für ihn bin ich noch immer das Phantom Der Feind der ihn hier eingeschlossen hat. Aber auch er kann sich meiner Faszination nicht entziehen und er wird mehr und mehr in meinen Bann gezogen werden.' Er fühlte, wie ihm dieser Gedanke einen teuflischen Genuss bereitete. Mit Raoul zu spielen amüsierte ihn und er beschloss dessen Naivität auszunutzen. "Ein Freund ist tatsächlich etwas, nach dem ich mich immer gesehnt habe." flüsterte er uind beobachtete Raouls reaktion genau. Jetzt hatte er die Situation wieder vollkommen unter Kontrolle und der Wahnsinn, der ihn überwältigt hatte, als sie ihn allein zurückgelassen ahtten, war wieder in seine Schranken gewiesen.
Re: The Phantom's Rose
"So, du hast dich also nach einem Freund gesehnt?" Forschend erwiderte Raoul den unergründlichen Blick seines Gegenübers und suchte nach einem Funken Ironie oder Bitterkeit in seinen Augen. Er erinnerte sich daran, wie er bei der Demaskierung auf der Bühne für einen Moment in die Seele des Phantoms geblickt, für einen Sekundenbruchteil den Mensch hinter der Maske gesehen hatte. Doch dieser Moment war vergangen und jetzt wirkte der Blick des Phantoms wieder starr und geheimnisvoll wie die Maske auf seinem Gesicht: sie verbarg sein Innerstes, versteckte seine wahren Gedanken und Intentionen. Raoul suchte vergeblich nach einer Antwort in seinen Augen, einer Antwort auf die Frage, warum dieser Mann eine solche Faszination auf ihn ausübte, dass er ihn nicht hatte töten können. Und er suchte eine Anwort auf die Frage, ob er ihm jetzt vertrauen konnte. Ob er ihm wirklich ein Freund sein wollte. Doch die Augen des Phantoms verrieten nichts, sie blieben stumm und unergründlich. Es war zum Verzweifeln. "Nun, vielleicht ist es dafür zu spät. Zu viel ist zwischen uns beiden und Christine passiert, als dass wir jemals Freunde werden könnten. Doch da wir nun einmal gemeinsam hier unten festsitzen, sollten wir uns zumindest arrangieren." Erschöpft führte Raoul die Hand an seine Schläfen. Er war es so müde, sich Gedanken über seine Situation, seine Gefühle und die seines Widersachers zu machen. Es kam ihm vor, als drehten sie sich nur noch im Kreis. Und er war nach diesem Tag zu Tode erschöpft. Noch immer hatte er sich mit seinem Schickal nicht abgefunden, wollte einfach nicht glauben, dass es keinen Ausweg aus diesem Verlies gab. Doch für heute sollte es gut sein. "Wenn du erlaubst," wandte er sich an das Phantom. "Ich glaube, der Wein hat mich müde gemacht..."
Re: The Phantom's Rose
Eric erhob sich. "Entschuldige raoul, ich bin ein schlechter Gastgeber" sagte er sanft. Er selbst brauchte schon lange kaum noch Schlaf, aber selbstverständlich musste raoul nach allem was geschehen war zu Tode erschöpft sein. "Erlaubte mir, dir deinen Schlafplatz zu zeigen." Er nahm Raohl am Arm, der es müde gechehen ließ und führte ihn noch ein Stück weiter in die Höhle hinein. Als sei es mit dem Gestein der Höhle verwachsen, ragte aus einer der Wände ein prunkvolles Himmelbett hervor. Es war ganz in rot und gold gehalten und die schweren Vorhänge die man rundherum zuziehen konnte, versprachen Schutz und Geborgenheit. "Ruhe süß, Raoul". sagte er noch, bevor er sich umwendete und in das andere Höhlengemach zurückging. Er ließ sich wieder in seinem Sessel nieder, in dem er am besten Ruhe fand. Seine Gedanken wanderten zu Christine, aber sie kam ihm weit weg vor, so als habe sie in einem Traum existiert. Viel wichtiger war im Moment der Gedanke daran, wie lange er Raoul bei sich würde halten können.
Re: The Phantom's Rose
Obwohl Raoul zu Tode erschöpft war, fand er keinen Schlaf. Er wusste nicht, wie lange er schon wach in diesem gigantischen Himmelbett gelegen und in die Dunkelheit gestarrt hatte, doch es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Dabei sehnte er nichts mehr herbei, als den süßen Schleier des Vergessens, den der Schlaf ihm versprach. Doch er wusste auch, dass es nichts helfen würde. Morgen würde sich seine Situation nicht geändert haben und er würde erneut vor der Frage stehen, wie es hier unten mit ihm weiter gehen sollte. Immer wieder hatte er diesen schicksalsträchtigen und ereignisreichen Tag vor seinem inneren Auge Revue passieren lassen. Immer wieder hatte er Christines unschuldiges Gesicht vor sich gesehen und der Gedanke, dass sie sich um ihn sorgte, womöglich dachte, dass er tot sei, brachte ihn beinah um den Verstand. Und dann, wie ein Schatten, tauchte immer wieder das Phantom in seinen düsteren Gedanken auf. So sehr Raoul sich auch bemühte, die Anwesenheit seines Widersachers hier unten zu verdrängen, es gelang ihm nicht. Seine Gefühle waren in heller Aufruhr und ließen sich nicht einordnen. Hatte er Verständnis und Mitgefühl für das Phantom und sein Leid? Oder überwog in seinem Inneren doch noch der Hass auf den Mann, der ihm Christine genommen und dadurch diese Kette an Ereignissen in Gang gesetzt hatte, an deren Ende nun Raouls und seine eigene ewige Verdammnis in den Gewölben der Pariser Oper stand? Raoul fand keine Antwort auf diese Frage und über allem schwebte wie ein Fluch die faszinierende, einnehmende Aura des Phantoms, die Raoul - wie zuvor Christine - wie schwarze Magie umfing und keinen klaren Gedanken mehr zuließ. Raoul resignierte und richtete sich langsam auf. Er würde ja doch keinen Schlaf mehr finden, also konnte er den Rest der Nacht auch ebenso gut in Gesellschaft verbringen. Vielleicht konnte es auch nicht schaden, wenn er mehr über das Phantom in Erfahrung brächte, vielleicht sogar sein Vertrauen gewann. Raouls Finger betasteten das feine, seidene Laken und unwillkürlich fragte er sich, wie viele einsame und dunkle Nächte sein Gegner an diesem Ort schon zugebracht haben musste. Langsam stand er auf und ging barfuss zu der großen Höhle zurück, wo er das Phantom unverändert in seinem Sessel sitzend fand. Schlief er überhaupt jemals? Raoul wusste nicht, ob er ihn diesmal gehört hatte, seine Anwesenheit spürte. Er blieb einfach stehen, unschlüssig, und wartete ab.