Sisto setzte sich sofort auf, ging um das Bett herum und half Nathaniel, aufzustehen. "Ist es sehr dringend?", fragte er. Der Junge nickte mit brennenden Wangen und gesenktem Blick, und Sisto wägte kurz ab, entschied dann aber, ihm nichts anzuziehen. Das würde zu lange dauern, und sie würden sowieso gleich wieder drinnen sein. Sich selbst zog er auch nichts über, und er legte sich Nathaniels Arm um die Schultern und brachte ihn vorsichtig die Treppen hinunter nach draußen. Es war eisig kalt, und es lag ungeheuer viel Schnee. Sisto brachte Nathaniel die Verandastufen hinunter; der Junge war so schwach in seinem Arm, dass es Sisto wieder Angst machte. "Ich muss auch", sagte er. "Macht es dir etwas aus, oder soll ich warten bis du fertig bist und dich erst wieder hochbringen?"
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Re: Heulende Hütte
"Es macht mir nichts aus" sagte Nathaniel und lächelte ein bisschen. Es machte ihm gar ncihts aus, Wasser zu lassen, während Sisto neben ihm stand. Und dem schien es genauso zu gehen. Nathaniel lehnte sich sogar ein bisschen gegen ihn. In diesem Moment war es, als sei nie etwas zwischen ihnen passiert. Als seien sie einander immer noch so nah wie damals, als Nathaniel Sisto vollkommen vertraut hatte. "Ich hätte nicht gedacht, dass es nochmal so schön werden würde mit dir" sagte er leise.
Re: Heulende Hütte
'Ich auch nicht', wollte Sisto sagen, aber er schwieg. Es war wirklich schön - zu schön. Zwar wünschte er sich nichts mehr als dass sie zusammen von hier weggehen und ein neues Leben anfangen konnten, aber dennoch zweifelte er daran. In seinem ganzen Leben war er nie glücklich gewesen, und er konnte sich nicht vorstellen, dass es jetzt soweit sein würde. Mit einem Schlag. Als wäre alles, was er bisher erlebt hatte, Geschichte, und jetzt würde ein neues Kapitel anfangen. Er wollte es glauben, aber er tat es nicht. Er durfte nicht so ein Narr seon, sich zu sicher zu fühlen. "Du musst wieder ins Bett", sagte er statt dessen, und er hob den Jungen kurzerhand auf seine Arme und trug ihn nach oben, wo er ihn zudeckte und sich dann anzog. "Ich mache dir eine Suppe", sagte er. In Wirklichkeit wollte er nur etwas zu tun haben. Jetzt neben Nathaniel zu liegen hätte förmlich weh getan, denn je länger er darüber nachdachte, umso weniger glaubte er, dass er sich wirklich so sehr geändert hatte. Und je mehr er zweifelte, um so mehr schien es zuzutreffen. Er war ein eiskalter, grausamer Killer. Er war ein Lügner und Verbrecher. Er war sogar ein Monster. Und jetzt sollte er geläutert sein? Mit einem Schlag? Gut, im Moment fühlte er sich weder wie ein Lügner noch wie ein Mörder noch wie ein Verbrecher. Er fühlte sich wie ein Mann, der einen Kranken pflegt. Aber es würde wiederkommen. Bestimmt. Er hatte seine alte Haut nicht abgestreift, er hatte lediglich eine neue übergezogen. Darunter war das alles noch vorhanden. Und vielleicht würde er Nathaniel wieder wehtun... Er glitt mit dem Messern, mit dem er die Kartoffeln geschnitten hatte, aus und schnitt sich in den Finger. Blut quoll hervor, und in dem Moment fühlte er eine solche Verzweiflung, dass er am liebsten alles hingeschmissen und sich weinend auf den Boden gesetzt hätte wie ein trotziges Kind. Er fühlte sich wie ein Gefangener seiner eigenen Vergangenheit. "Nate", sagte er, um ein Gespräch anzufangen. Er musste sich ablenken. "Was tust du gern?" Er wusste, dass der Junge in den letzten Jahren wohl so einiges getan hatte, und überwiegend Dinge, die keinen Spaß gemacht hatten. Aber dazwischen musste es Momente gegeben haben, in denen er Sachen getan hatte, über die er sich gefreut hatte - zumindest ein bisschen. Sisto wollte wissen, was das war.
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Re: Heulende Hütte
Nathaniel verstand irgendwie sehr gut, warum Sisto diese Frage stellte. Sie war wichtig. Beide hatten sie in ihrem Leben kaum etwas Gutes erlebt. Und die einzige schöne Phase in Nathaniels Leben ahtte Sisto damals als Lüge hingestellt. aber es war wichtig, dass es irgendetwas gab, das nicht nur Lüge, Hass und Verrat war. Irgendetwas ehrliches und schönes. Das hier war auf eine gewisse Art auch nicht die Realität. In dieser kleinen eingeschneiten Hütte waren sie auf sich angewiesen. Es gab nur sie beide und alle anderen Menschen und ihre Vergangenheit war ausgesperrt. Selbst wenn sie es hier schafften glücklich zu sein, dann hieß das nicht, dass ihnen das draußen auch wieder gelingen konnte. Nathaniel überlegte angestrengt. Er hatte die letzten Jahre damit zugebracht wie ein Spürhund hinter Sisto herzujagen. Für etwas anderes war kein Platz gewesen. Sogar nachts hatte er davon geträumt. Fast jede Nacht hatte er ihn vor sich gesehen. Sisto hatte ihm ins Gesicht gelacht, wie damals ... er hatte die Pistole gehoben und dann war er cshreiend aufgewacht... Er schüttelte den Kopf. An so etwas wollte er jetzt nicht denken. Plötzlich sah er hoffnungsvoll auf. "Ja, es gibt etwas das ich gerne mache. Wir haben es damals zusammen getan und hin und wieder, wenn ich die Gelegenheit hatte, habe ich sie genutzt. Weißt du noch, damals als wir Zelten waren, waren wir nachts zusammen im See schwimmen. Der Mond schien über uns und es war gar nicht richtig dunkel. Das war wundervoll. Und im Winter mag ich es am Kaminfeuer zu sitzen und etwas warmes zu trinken. In ... in diesen Momenten geht es mir immer besser." Ihm wurde ganz warm, als er an diese wenigen Momente in seinem Leben dachte in denen er sich vielleicht nicht gerade glücklich, aber zumindest zufrieden gefühlt hatte. "Und ich möchte gern mal wieder einen Schneemann bauen" sagte er lächelnd. "Das habe ich seit einer Ewigkeit nicht getan. Und ich mag es dich neben mir zu spüren Sisto."
Re: Heulende Hütte
Sisto spürte wieder einen Stich, als er den letzten Satz hörte. Seine Augen wurden leicht wässrig, aber er lächelte. "Ja, ich erinnere mich an das Schwimmen. Es war schön", sagte er und saugte kurz an seinem blutenden Finger. "Und wer mag es nicht, am Kamin zu sitzen und etwas Warmes zu trinken?" Er überlegte, wann er das letzte Mal an einem Kamin gesessen hatte, bevor er hierhergekommen war. Es musste Ewigkeiten her sein. In den letzten Jahren hatte er in leerstehenden Häusern Unterschlupf gefunden, in schäbigen Absteigen und vermoderten Kellerlöchern. Er hatte nicht gut gelebt, aber er hatte sich dennoch frei gefühlt. Das war etwas, was er sehr mochte: sich frei zu fühlen. "Ich mag es, Motorrad zu fahren", sagte er und gab das Gemüse in den Topf. Motorradfahren bedeutete für ihn auch Freiheit. In letzter Zeit hatte er es nur nachts tun können, aber das hatte ihm nichts ausgemacht. Er mochte die Nacht sehr. Er sah kurz zum Bett, und er wusste, dass es an der Zeit wäre, zu sagen dass es ihm leid tat. Und es tat ihm leid. Sehr. Aber er würde es nicht über die Lippen bringen. Er wusste, dass Nathaniel ihm schon verziehen hatte. Dass er ihn noch genauso selbstlos liebte wie früher; dass er gar nicht anders konnte. Der Junge würde von ihm keine Entschuldigung verlangen. Aber Sisto fühlte, dass es immer an ihm nagen und immer schlimmer werden würde, wenn er dem Jungen keine ehrliche Entschuldigung lieferte. Aber noch konnte er es einfach nicht. Er hoffte, er würde es jemals können. Er hielt den Topf übers Feuer und sah in die Flammen. Die Suppe ist bald fertig, sagte er. Und dann komme ich zu dir und kann dir wenigstens eine Sache geben, die du gerne magst. Er wandte den Kopf zu Nathaniel und lächelte leicht. Und wenn du gesund bist, bauen wir einen Schneemann, sagte er.