Nathaniel fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch und das erset was er begriff war, dass Sisto neben ihm saß und offensichtlich Hilfe brauchte. Immer, die ganzen sechs Jahre hindurch hatte er jedes Mal wenn er aufgewacht war etwas Zeit gebraucht um zu merken, dass Sisto nicht mehr bei ihm war. Dass er nicht nur nicht neben ihm lag, sondern aus seinem Leben verschwunden war und alles mitgenommen hatte. Aber jetzt war Sisto neben ihm und natürlich begriff er nicht so schnell, wie anders jetzt alles war ... Er war wieder 13 und Sisto war der wichtigste Mensch in seinem Leben. Und er brauchte Hilfe. "Sisto!" rief er ängstlich und tastete im Dunkeln nach ihm. Seine Hände trafen auf Sistos Oberkörper und er kroch näher um sich an ihn zu pressen. "Was ist los, hast du Schmerzen? Kann ich dir irgendwie helfen? Sisto, bitte ich habe Angst." Er hatte wirklich große Angst um Sisto. Hin und wieder war es vorgekommen, dass Sisto aus einem Alptraum hochgeschreckt war, aber niemals war es so schlimm gewesen wie diesmal. "Es war bestimmt nur ein Traum..." In dem Moment fiel ihm alles wieder ein und er fuhr erschrocken zurück. "Och ich... ich dachte für einen Moment..." Er sank in sich zusammen, während die Erkenntnis ihn traf. "hattest du einen Alptraum?" fragte er dann trotzdem.
Re: Heulende Hütte
"Mach es weg, mach es weg", schrie Sisto panisch, und seine Hand krallte sich so fest in Nathaniels Oberarm, dass die Male davon am nächsten Tag deutlich zu sehen sein würden. Zitternd hob er die andere Hand vor seine Augen, aber es war kein Blut daran. Ängstlich betastete er noch einmal die Stelle an seiner Stirn. Da wuchs kein Horn. Das war... "Eine Beule", flüsterte er, und beinahe hätte er laut aufgeschluchzt vor Erleichterung - ein bißchen tat er es auch. Jetzt merkte er auch, dass die Hitze fehlte, und er erinnerte sich, wie er vorhin zur Toilette gegangen war und sich den Kopf gestoßen hatte. Eigentlich hätte er sich schämen müssen, dass er blind Alarm geschlagen hatte, aber er fühlte einfach nur Erleichterung. Riesige Erleichterung. Sein ganzer schweißdurchtränkter Körper zitterte, und er fühlte sich an, als würde er nur aus Wackelpudding bestehen. Völlig fertig stützte er den Kopf in die Hände und atmete zitternd ein und aus. "Ein Traum, ja..." sagte er matt und mit bebender Stimme. "Entschuldige... Nichts weiter..." Er fuhr sich durch die Haare, unfähig, sich wirklich zu beruhigen. Es war nur die Beule... Aber was, wenn es wiederkam? Jederzeit konnte das passieren, das machten ihm diese Träume nur allzu deutlich klar. Und er wusste, dass es heute kurz davor gewesen war - er hatte bereits die Hitze gespürt, und dieses unkontrollierbare rasende. Und seine Hand hatte die Dielenbretter glatt durchgeschlagen...
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Re: Heulende Hütte
"Das muss aber ein ziemlich schrecklicher Traum gewesen sein" sagte Nathaniel, während er sich ebenfalls wieder neben Sisto sinken ließ. Er war sehr erschrocken, als Sisto so geschrien hatte und der Schreck saß ihm noch immer in den Gliedern, aber er konnte nicht umhin zu denken, dass Alpträume etwas sehr menschliches waren. Diese Seite von Sisto gab es also auch noch. Immer noch. Mit einem ganz kleinen Lächeln auf den Lippen drehte er seinen Kopf zu Sisto. "Weißt du, es tut gut, dich auch mal so ängstlich zu sehen" sagte er. "Eben hast du dich jedenfalls nicht verstellt, oder? Das war zu echt. Du hattest wirklich Angst. Auch wenn ich mir kaum vorstellen kann, wovor du solche Angst haben solltest, Sisto." Erst in diesem Moment fiel ihm ein, dass er Sisto heute Nacht wahrscheinlich hätte umbringen können. Er war nur mit einer Hand an das Bett gefesselt und die Kette war lang. Er hätte sie Sisto um den Hals legen können, während dieser schlief und sie fest zusammenziehen. Aber dieser Gedanke kam ihm vollkommen absurd vor. ZUmindest in diesem Moment. "Meine Güte, du zitterst sogar" flüsterte er. "Soll ich dich trösten?"
Re: Heulende Hütte
Sisto war so kurz davor, einfach zu nicken und einmal aufzugeben. Sich einfach einmal fallenzulassen, so wie ganz, ganz früher, vor hundert Jahren bei seinen Brüdern. Damals, als er noch rei und unverdorben gewesen war. Oder war er das überhaupt jemals gewesen? Aber dann kam wieder das Misstrauen in ihm durch, und die Unfähigkeit, Vertrauen zu empfinden. Seine Überlebenstaktiken, mit denen er soweit gekommen war, so viele Male überlebt und dabei doch soviel verloren hatte. "Ich brauche dein Mitleid nicht", zischte er und drehte sich auf den Rücken. Er zitterte immer noch, und er hatte eine Gänsehaut am ganzen Körper. Soll ich dich trösten? Wie lange hatte das keiner mehr zu ihm gesagt? Aber brauchte keinen Trost. Das war wie alles andere eine Illusion, die die Menschen sich schafften, um nicht allein zu sein. Er konnte allein sein. Er war schon oft allein gewesen. Selbst unter vielen Leuten war er allein. Immer. Egal wer mit ihm spazierenging, ind er Bar saß, das Bett teilte - er war immer allein. Soll ich dich trösten? Verdammt, warum ging es ihm nicht aus dem Kopf. Warum schoss es ihm einen Pfeil an die schmerzende Stelle, die einmal sein Herz gewesen war? Warum klammerte sich etwas in ihm so sehr an diese Worte? Es machte ihn schwach. So etwas durfte nicht geschehen. Soll ich dich trösten? Sisto presste die Kiefer aufeinander und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. Er starrte mit offenen Augen an die Decke. "Das sind nur Träume", sagte er mit fester Stimme. "Für Träume braucht man keinen Trost. Nur wenn man so ein verweichlichter kleiner Hosenscheißer ist, wie du einer warst."
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Re: Heulende Hütte
Nathaniel grinste. Dieses Mal schafften Sistos Worte es nicht ihn hart zu treffen. Er gab ihm recht. Genau das war er gewesen. Ein verweichlichter kleiner Hosenscheißer. Und wenn Sisto nicht gewesen wäre, wäre er das wohl auch geblieben bis zu seinem Lebensende, welches dann nciht weit entfernt gewesen wäre. Ohne Sisto hätte er höchstwahrscheinlich seinen 14 Geburtstag nicht erlebt. "Ja, du hast recht, das war ich. Und ohne dich wäre ich es auch geblieben, aber ich hatte dich ja. Und es gibt schlimmere Dinge auf der Welt als ein Hosenscheißer zu sein." Er rutschte noch ein Stück näher an Sisto. Ich mochte es damals bei dir zu sein und ich mag es jetzt auch. Auch wenn ich weiß, dass du mir irgendwann wieder alles wegnimmst. Ich kann nichts dagegen tun." Vorsichtig legte er eine Hand auf Sistos Schulter. " Und nach Träumen braucht man Trost, Sisto. Gerade nach Träumen. Weil sie von innen kommen. Weißt du noch? Ich hatte damals ständig Alpträume und du hast mich dann im Arm gehalten und mir gesagt, dass Alpträume eigentlich etwas gutes sind, weil sie das schlechte und böse, das in einem ist nach außen bringen, so dass es einem nicht mehr schaden kann. Und der Satz ist wahr Sisto. Es war nicht alles Lüge was du zu mir gesagt hast."
Re: Heulende Hütte
Es stimmte. Es war nicht alles Lüge gewesen, und das hatte er gewusst. Auch wenn er gern etwas anderes geglaubt hätte. Aber er war nicht so ein Narr, sich diesbezüglich etwas vorzumachen. Sein Experiment hatte so funktioniert, wie er es sich vorgestellt hatte, und doch wieder nicht. Als er das bemerkt hatte, war er gegangen. Sofort. Er hatte es spät bemerkt, aber immerhin hatte er es bemerkt. Wahrscheinlich hatte sein Unterbewusstsein sich so heftig gegen diese Erkenntnis gewehrt, weil das, was ihn umgab, einmal im Leben wirklich gut für ihn war. Er hätte eine Chance gehabt. Und er hatte sie weggeworfen. Er schloss die Augen, während sein Atem immer noch zitternd ging. Er konnte nicht anders, als Verwunderung darüber empfinden, wie vertrauensvoll der Junge sich ihm gleich wieder mit Leib und Seele anbot. Verwunderung? Nein, Bewunderung. Woher nahm er noch dieses Vertrauen? Er hatte ihn doch derart zerstört, dass er eigentlich nie wieder jemanden vertrauen können sollte, ganz besonders ihm nicht. Aber es war ganz anders. Er vertraute ihm, und nur ihm. Voll und ganz. "Du bist erbärmlich", sagte er, aber gleichzeitig gab er auf. In diesem Moment, für diese Nacht, gab er auf, und er schloss die Augen, die zu brennen schienen, und überließ sich Nathaniel.
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Re: Heulende Hütte
"Nein, bin ich nciht" sagte Nathaniel leise. Aber er hatte gemerkt, dass Sistos Worten diesmal die Schärfe fehlte. Sie waren mehr ein Aufbegehren, als ein Angriff. Dann zog er den Mann neben sich in seine Arme, legte seinen Kopf auf Sistos Schulter und schloss die Augen. Eigentlich war es so dumm von ihm, sich wieder darauf einzulassen. Sisto hatte sich nicht geändert, wenn überhaupt war er wohl noch schlimmer geworden. Es war gut möglich, dass ihm das alles hier nicht das geringste bedeutete. Auch wenn Nathaniel. dachte, dass es ihm etwas bedeutete. Es war gut möglich, dass er eines Tages, oder vielleicht schon Morgen alles wieder zerstörte. Die Wahrheit war: Nathaniel fühlte sich zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder ... ganz. Es war so, als habe er einen wichtigen Teil von sich selbst wiedergefunden und auf einmal schien nicht mehr die ganze Welt leer zu sein. Außerdem hatte er einen verrückten Plan. Er hatte sich oft gewünscht, dass Sisto ihn umgebracht hätte, anstatt ihm zu sagen, dass alles gelogen war. Dass er ihm das verlängerte Leben, das er ihm gegeben hatte einfach wieder genommen hätte. Dann hätte er es nicht ertragen müssen ohne Sisto zu sein. Vielleicht konnte er das diesmal wahr machen. Er würde noch eine Weile warten, bis er merkte, dass er sich wieder voll und ganz auf Sisto einließ. Denn er spürte, dass er das tun würde, auch wenn, oder gerade weil Sisto jetzt anders zu ihm war. Weil er ihm diesmal ehrlicher vorkam. Er musste sich nur selbst versprechen, dass er sich in dem Moment das Leben nehmen würde, in dem er vollkommen glücklich war und Sisto wieder vertraute. Was gab es denn schöneres, als im glücklichsten Moment seines Lebens zu sterben? Immer noch an Sisto gekuschelt schlief er lächelnd ein.
Re: Heulende Hütte
Woher nahm dieser Junge nur das Vertrauen?, fragte sich Sisto, als Nathaniel die Arme um ihn legte und sich an ihn kuschelte. Diesmal zeigte er selbst sehr viel mehr von sich, das wusste er. Dunkle, angsteinflößende Seiten, die er vorher nie durchscheinen hatte lassen. Kein einziges Mal. Aber war es vielleicht gerade das? Nathaniel hatte schließlich gewusst, dass er ein Lügner und Mörder war. Und damit wusste er auch, dass er sich jetzt authentischer verhielt. War es, weil er einmal sein wahres Gesicht zeigte, und das, so erschreckend und scheußlich er es auch fand, einfach einmal echt war? Er starrte an die Decke, während sein Herzschlag sich beruhigte und der Schweiß auf seinem Körper trocknete, die Arme des Jungen um sich. Er hätte ihn einfach umbringen können. Jetzt und hier. Oder ihn im Schnee liegen lassen, bis es zu spät war. Aber wenn er daran dachte, dass das beinahe geschehen wäre, fühlte es sich so falsch an, und er schauderte. Er wollte den Jungen nicht umbringen. Damals nicht, und heute nicht. Er hatte ihn zerstört, bis er nur noch ein Wrack gewesen war, und dennoch war er das wertvollste gewesen, was er je besessen hatte. Voll und ganz besessen. Und nach ihm sollte ihn keiner mehr haben. Es war wie bei einem geliebten Spielzeug, an dem man so sehr hängt, dass man es zerstört, damit nur ja kein anderer jemals damit spielen kann. Sisto drehte den Kopf leicht und sah in das Gesicht des Jungen. Er lächelte. Sisto hatte ihn bedroht, gedemütigt, geschlagen, ausgezogen und in den Schnee gestellt, dort vergessen, angekettet wie ein Tier - und er lächelte. Woher nahm er das? Wie war das möglich? Es bestätigte eigentlich nur, wie gut es funktioniert hatte. Es hatte besser funktioniert, als es jemals sollen hatte. Und jetzt war er hier, konfrontiert mit seiner 'Schöpfung', und wusste nicht mehr, was er tun sollte. Er hatte Nathaniel nie als gefährlichen Gegner betrachtet, er war nie vor ihm davongelaufen - und doch hatte er sich nie wirklich von ihm finden lassen. Sie waren sich nie gegenübergestanden, bis gestern. Und als er jetzt hier lag, musste er sich eingestehen, warum das so war. Nathaniel war sein gefährlichster Gegner überhaupt. Und zwar, weil er ihm etwas gegnüberstellte, das schlimmer war als Waffen: Sistos eigenes Selbst. Das war etwas, das ihm wirklich Angst einjagte, vor dem er wirklich floh. Irgendwo musste er die ganzen Jahre gewusst haben, dass Nathaniel so gefährlich für ihn war. Dass etwas passieren würde, wenn er ihn fand und ihm gegenüberstand. Und hier waren sie nun, und es passierte mehr, als Sisto je befürchtet hatte. Aber er konnte es nicht aufhalten. Wenn er daran untergehen würde, dann hatte Nathaniel seine Rache mehr als verdient, dachte er. Und er würde daran untergehen, früher oder später. Nathaniel würde es doch noch schaffen, ihn umzubringen, aber nicht mit Waffen. Sisto selbst war Gift genug für sich selbst. Er stöhnte leise, als er das alles dachte, aber irgendwo hatte er es immer gewusst. Seine Zeit war gekommen, wie lange er es auch hinauszögerte. Aber eigentlich rannte er nur immer weiter darauf zu, egal was er tat. Er schloss die Augen vor dem lächelnden Gesicht des Jungen, und als er einschlief, träumte er Träume, die ihn gequält ächzen ließen wie eine verlorene Seele.
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Re: Heulende Hütte
Als Sisto erwachte, beherrschten ihn zwei widerstreitende Gefühle. Zum einen fühlte er sich seltsam - getröstet. Und zum anderen hatte er das sichere Gefühl, dass dieses erste Gefühl nichts wert war. Dass es nichtig war, weil von jetzt an alles nichtig war. Und doch so unheimlich wichtig. Er stöhnte, als er die Augen aufschlug und die Arme des Jungen immer noch um sich fühlte. Er löste sich von ihnen und setzte sich auf, und er fühlte sich mindestens zwanzig Jahre älter als er war. Alt, leer, verbraucht und grau. Wie hatte sich alles so schnell ändern können? Gestern noch hatte er alles in der Hand gehabt. Er hatte das Spiel bestimmt, er war überlegen gewesen, und er war sogar zufrieden damit gewesen, zu sterben. Er hatte Nathaniel sogar so weit bringen wollen, dass er ihn umbringen konnte. Aber nun fühlte er, dass es auf eine andere Weise geschehen würde als die, die er sich vorgestellt hatte. Seine Schöpfung war nichts mehr, was so funktionierte wie er es wollte. Sie wandte sich gegen ihn, indem sie sich ihm zuwandte. Sisto strich sich mit den Händen über sein müdes Gesicht und schloss schmerzlich die Augen. Er fragte sich, ob er es denn überhaupt noch abwenden konnte. Ob er aus dem Spiel aussteigen konnte, das er selbst Jahre zuvor begonnen hatte. Aber er musste es wenigstens versuchen. Er sah auf den immer noch schlafenden Jungen herab, und ein scharfer Schmerz durchzuckte seinen Kopf. Hass mich, Nate, dachte er. Bitte hass mich. Er schwang die Beine aus dem Bett, ging auf die andere Seite und schloss die Handschelle auf, die am Bettpfosten befestigt war. Dann nahm er sie in die Hand und zog ruckartig daran, so dass Nathaniel herumgeschleudert wurde und auf den Laken ein bisschen in Richtung Sisto rutschte. Erschrocken sah der Junge ihn an. "Aufwachen", sagte Sisto. "Steh auf. Du wirst jetzt zur Toilette gehen. Besser gesagt, nach draußen. Ich will nicht, dass du ins Bett pinkelst wie ein Baby, nur weil du dich weigerst, dass ich dich bringe."
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Re: Heulende Hütte
Nathaniel hatte tief und ruhig geschlafen und als Sisto ihn jetzt so unrewartet hochriss war er völlig verdattert. Ihm war immer noch sehr kalt und jetzt, wo Sisto nicht mehr neben ihm lag fühlte er das um so deutlicher. Er wollte jetzt nicht aufstehen. Er fühlte sich gar nicht wirklich in der Lage dazu "Ich muss nicht" murmelte er verschlafen. Aber das stimmte nicht. Er fühlte, dass er musste und Sisto hatte auch Recht damit, dass es ihm unangenehm war, sich von ihm sozusagen aufs Klo bringen zu lassen. Obwohl das auch nichts neues war. Er erinnerte sich daran, dass Sisto ihn früher sogar manchmal auf die Toilette getragen hatte, wenn er sehr krank gewesen war. Er war so todmüde, dass er kaum nachdenken konnte. Er wollte nur noch wieder zurück in sein Bett. MIt Sisto. Da ihm ein bisschen schwindelig war musste er er sich an Sisto fest halten. Der ließ ihn zwar gewähren, machte aber keine Anstalten ihm zu helfen. Sein Gesichtsausdruck war immer noch hart. Ohne Nathaniel Zeit zu lassen wenigstens etwas über zu ziehen schob er ihn nach draußen. . Draußen dämmerte er gerade und alles war weiß. Nathaniel hielt einen Moment den Atem an. Eine so weiße Landschaft hatte er noch nie gesehen. Die ersten Sonnenstrahlen glitzerten auf der Schneedecke und es tat fast in den Augen weh. "Ow" flüstert er staunend. "Los" trieb Sisto ihn erbarmungslos an. "Aber es ist so kalt" gab Nathaniel Zähneklappernd zurück. Jetzt schon fühlte es sich so an, als hätte er sich nie wirklich aufgewärmt. MIt zitternden Knien trat er ein Stück vor um zu pinkeln. Einen Moment musste er warten, bis überhaupt etwas kam. Dann verzog er schmerzhaft das Gesicht. Es brannte. Nicht nur seine Harnröhre, siondern sein ganzer Unterleib schmerzte plötzlich krampfartig. Er stöhnte auf. Diese Schmerzen waren ihm nicht unbekannt, auch wenn er sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Er musste sich gestern die Blase verkühlt haben udn jetzt hatte er eine Entzündung. Er konnte froh sein, wenn es die Nieren nicht schon angegriffen hatte. "Verdammt" flüsterte er, als ihm vor Schmerzen Tränen in die Augen traten. "Ich kann nicht" sagte er mit zusammengebissenen Zähnen und drehte sich zu Sisto um.
"Sei nicht so ein Würstchen!", herrschte Sisto ihn an. Er stand zwei Schritte hinter Nathaniel und hatte ihn fest an der Leine. "Mach schon!" Er riss einmal scharf an der Kette. Er hatte jetzt keinen Nerv, sich für Nathaniels kleine Spleens zu erweichen. "Früher konntest du auch vor mir pinkeln. Ich erinnere mich sehr gut." Er grinste böse. "Manchmal hattest du eine Blasenentzündung, und du hast geheult vor Schmerzen, während ich bei dir war und versucht habe..." Er stockte, als ihm aufging, das selbst das sich wiederholte. Die Härte verschwand aus seinem Gesicht und er trat zu Nathaniel und legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Versuch es", sagte er sanft. "Es muss raus, Nate, du musst es versuchen. Ich bin da. Du schaffst das."
"Hör auf Sisto" flüsterte Nathaniel. "Ich weiß, dass es nicht mehr so ist wie früher. Du kannst mir nicht mehr helfen.´" Aber sein Körper dachte anders darüber. Noch während er das sagte klappte es plötzlich. Wie früher immer, als Sisto sein Allheimlmittel gewesen war. Er krümmte sich zusammen vor Schmerzen, aber er war froh, dass es klappte. Danach fühlte er sich allerdings regelrecht gedemütigt vor Sisto. Es war kein gutes Gefühl, dass er diesem immer wieder zeigte, was für eine Wirkung er noch auf ihn hatte... Er sagte einfach nichts weiter dazu. K...können wir wieder ins Haus gehen?" fragte er zitternd. "M...mir ist so kalt Ich w...will wieder ins Bett." Er legte die Hände auf seinen Unterleib, wo er jetzt drückenden Schmerzen fühlte. Das würde nicht angenehm werden.
"Noch nicht", sagte Sisto, seine Stimme plötzlich wieder kalt wie die morgendliche Winterluft, und er zerrte Nathaniel grob zu dem Baum, an den er gestern gekettet gewesen war, ließ die Handschelle zuschnappen und sah mit Genugtuung, wie sich die Angst wieder in die Züge des Jungen schlich. Sisto trat ein, zwei Schritte weg von ihm, als wolle er sich abwenden und wieder ins Haus gehen, aber dann blieb er stehen und öffnete den Reißverschluss deiner Jacke. Er ließ sie zu Boden glieten, dann stieß er aus seinen Stiefeln, zog sich sein Oberteil über den Kopf, öffnete seine Hose und stieg heraus. Er genoss dabei die verwirrten, ängstlichen Blicke Nathaniels, und als er nackt vor ihm stand trat er wieder an ihn heran. Er war sich bewusst, dass Nathaniel jetzt die Einschussnarbe sehen konnte, die es damals, als er ihn wohl das letzte Mal nackt gesehen hatte, nicht gegeben hatte. Er fühlte Nathaniels Blick darauf, und er legte ihm fest die Hand ans Kinn und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. "Sag mir, Nate", sagte er leise und gefährlich. "War es für dich befriedigend oder erschreckend als ich zweimal fast umgebracht wurde?" Er ließ Nathaniel los und drehte sich um, so dass der Junge auch die Narbe zwischen seinen Schulterblättern erkennen konnte. Der Totenkopf auf seinem Rücken verdeckte sie nicht wirklich. Dann fuhr er wieder herum. "Das musst du doch mitbekommen haben. Hat es dich erschrocken dass andere dir zuvor gekommen waren? Immerhin wolltest du doch derjenige sein, der mich umbringt, oder?"
"Ich war mir sicher, dass die anderen es nciht schaffen würden dich umzubringen" brachte Nathaniel vor Kälte zitternd hervor. "Und wenn es wirklich jemand geschafft hätte, dann hätte ich denjenigen so lange verfolgt, bis ich dich gerächt hätte. Das hätte ich ihm niemals verziehen, dass er zuvorgekommen wäre." Die Wunden sahen sehr tief aus und sehr ernst. Sisto musste knapp mit dem Leben davongekommen sein. Sehr knapp. Natürlich hatte er damals wirklich davon gehört, dass Sisto schwer verletzt worden war und auch, dass er in Lebensgefahr geschwebt hatte.. Er konnte jetzt allerdings nicht mehr nachvollziehen, wie er sich damals gefühlt hatte. Vielleicht war es damit zu vergleichen, dass jemand den Trum hat als erster den Mount Everest zu besteigen und dann hören muss, dass ihm jemand zuvorgekommen war. Allerdings ... die wahnsinnige Erleichterung, als er gehört hatte, dass Sisto außer Lebensgefahr war... "Wie konntest du das passieren lassen?" fragte er heiser. "Wieso ahst du jemanden nahe genug an dich herankommen lassen, dass er dir das antun konnte?"
Sisto musste schlucken, als er das hörte. Das war eine Frage, die er sich selbst immer und immer wieder gestellt hatte, bis er sich geschworen hatte, dass es nie wieder passieren würde. Nie wieder. "Jeder macht mal einen Fehler", sagte er, und man konnte hören, dass es ihm schwer fiel, das zu sagen. "Ich habe den gleichen Fehler gemacht wie du. Ich habe jemandem vertraut, dem ich nie vertrauen hätte dürfen. Ich war jung, aber ich hätte es besser wissen müssen. Zumindest beim zweiten Mal..." Er dachte daran, wie er seinen Orgasmus gehabt hatte, und gleichzeitig dieser scharfe Schmerz in ihn gefahren war. Und er hatte sich geschworen dass er niemals mehr jemandem vertrauen würde. Er war auf den Laken zusammengebrochen, und er würde nie vergessen, was er damals gefühlt hatte. Die Schmerzen waren nicht vorherrschend gewesen, sondern die Bitterkeit des Hintergangenwerdens, und der Schmerz des Verrats. "Aber das wird nicht mehr passieren"; sagte er hart, und konnte seine GEdanken nicht daran hindern, hinzuzufügen 'Schon deswegen nicht, weil du wahrscheinlich der letzte sein wirst, mit dem ich jemals rede, Nate'. Er legte die Hände an seine Hüften, und mittlerweile fror er auch. Er fror sehr. Er und Nathaniel standen sich nackt im Schnee gegenüber, und er wusste, dass Nathaniel keine Ahnung hatte, was jetzt kommen würde. "Was machen wir zwei Hübschen jetzt, Nate?", fragte er. "Wir sind beide nackt, was bietet sich denn da an?"
Nathaniel fror und er hatte SChmerzen. Die Kälte drang in jede Pore seines Körpers. Und trotzdem hatte er auf Sistos Frage einen andere Antwort als "Ins Haus gehen und uns wieder anziehen", was sicher das vernünftigste gewesen war. Sine Antwort war eine ganz andere. Udn trotz Schmerzen und Kälte reagierte sein Körper sichtbar darauf. Er schluckte. "Ich weiß nicht was du meinst, Sisto" sagte er mühsam. "Findest du nciht langsam, dass du genug mit mir gespielt hast? Wenn du mich umbringen willst gibt es einfachere Wege, als mich hier erfrieren zu lassen. Erfrieren soll der schönste Tod sein, den es gibt. Das gönnst du mir doch nicht, oder?"
Sisto lachte auf, aber sein Lachen war nicht ganz echt. Er rieb sich die Oberarme. "So dumm kannst du nicht sein", sagte er. "Denkst du vielleicht, ich habe mich ausgezogen, um mich neben dich zu legen und mitzuerfrieren?" Einen Moment lang überlegte er; wäre das nicht vielleicht das vernünftigste? Aber so sollte es nicht ausgehen, das wusste er. Und er fügte sich. In diesem Spiel war sogar er nur Mitspieler und nicht der Fädenzieher. Auch wenn es nicht den Anschein hatte. Er bückte sich und hob eine Handvoll Schnee auf. Dann trat er sehr nahe an Natheniel heran und klatschte ihm den Schnee an die Brust, ihn mit der Hand immer noch festhaltend. "Wir werden uns waschen, Nate", sagte er. "Ich bin vielleicht kein Mensch, aber ein Tier bin ich auch nicht. Und ich will auch nicht, dass du eins wirst." Er begann, den Schnee auf Nathaniels Brust zu verreiben. "Lass nur, ich mach das", sagte er fast beiläufig und verrieb den Schnee auf dem Körer des anderen.
Nathaniel hätte fast aufgeschrien, als er den eisigkalten Schnee auf seiner Brust spürte. Er hatte geglaubt abgehärtet zu sein, aber das hier war so kalt, dass er glaubte gleich einen Herzinfarkt zu bekommen. Seine Erregung verschwand sofort. Sisto hingegen schien der SChnee nicht das geringste auszumachen. Das war wirklich nicht menschlich, schoss es ihm durch den Kopf. Sisto musste so eine Art Übermensch sein. Entweder das, oder er hatte eifnach keine Gefühle. Er versuchte sich zusammenzureißen, während Sisto seinen körper abrrieb. Die Intimität der Situation entging ihm trotzdem nicht völlig. "W...wie früher in der Bvadewanne" sagte er Zähne klappernd. "aber damals hattest du mich noch gern und hast warmes Wasser genommen, statt Schnee. Aber ich weiß deine Art mir deine Zuneigung zu zeigen zu schätzen. Wirklich Sisto."
"Wo soll ich denn hier warmes Wasser hernehmen, du Weichei", knurrte er und widerstand der Versuchung, Nathaniel wieder hart ins Gesicht zu schlagen. Er würde den Jungen vielleicht wieder schlagen, aber nicht für etwas, für das er nichts konnte. Das er richtig erfasste, obwohl Sisto alles dafür gegeben hätte, dass es nicht stimmte. Er rieb Nathaniel überall mit Schnee ab, sehr gründlich und sehr genau. Dann bückte er sich wieder und hob eine handvoll Schnee auf. Er nahm Nathaniels freie Hand, ließ ihn sie ausstrecken und klatschte ihm den Schnee darauf. Dabei sah er ihm fest in die Augen. "Jetzt du mich", sagte er
Nathaniels Augen weiteten sich etwas. Früher hatte Sisto ihn oft berührt. Er hatte ihn eingeseift, gewaschen, abgetrocknet und ihn untersucht. Seine Berührungen waren immer sanft und liebevoll, aber nie erotisch gewesen. Genausowenig wie eben. Er selbst hatte allerdings noch nie dir Gelegenheit gehabt Sistos nackten Körper zu berühren. auf einmal war es wider weniger kalt. er nahm den Schnee aus Sistos Hand und verteilte ihn vorsichtig auf dessen Körper. Der Schnee schmolz langsam von der Körperwärme und er bobachtete die klares Wassertropfen, die über Sistos Haut rannen. Es sah schön aus. "Seit wann lässt du dich von mir berühren?" fragte er und sein schroffer Ton bildete einen Gegensatz zu seinen GEfühlen. "Findest du mich plötzlich nicht mehr so mickrig und verachtenswert? Oder bist du nur so tief gesunken, dass dir schon meine Berührung lieber ist als gar keine?"
Sisto sah zu, wie Nathaniel den Schnee beinahe zärtlich auf seinem Oberkörper verteilte. Er war wütend, und seine Oberlippe war hochgezogen, wie bei einem wütenden Tier, das seine Zähne entblößt, um alle anderen zu warnen, sich besser nicht mit ihm anzulegen. Er schwieg auf Nathaniels Bemerkung hin, wusste, dass es nur ein weiterer Versuch war, ihn herauszureizen, und wusste, dass er darauf hereinfallen würde. Aber besser später als früher. Er drehte sich um, bückte sich, spreizte die Beine, hob die Arme wann es nötig war und ließ sich überall von Nathaniel berühren. Ihm war eiskalt, aber seltsamerweise merkte er kaum etwas davon. Vielleicht verließen ihn seine menschlichen Gefühle wirklich ein für allemal. Und doch konnte das nicht sein, wo er sich doch auf einmal so voll davon fühlte. "Für mich warst du nie mickrig und verachtenswert", sagte er.
Nathaniel ließ die Arme sinken bei Sistos Worten. Sie gaben ihm einen Stich mitten inder Brust. Er hatte sich früher so dafür gehasst, dass er so schwach und kränklich war. Er war für Esmeralda nur eine Last gewesen und das hatte er gefühlt. Sisto war der erste gewesen, wirklich der allererste, der ihm das GEfühl gegeben hatte, etwas wert zu sein. "Es kommt nicht darauf an, ob du klein bist, und dein körper schwach sit" hatte er ihm gesagt. "Wichtig ist das, was hier ist." Dabei hatte er ihm die Hand auf seine Brust gelegt. "Und dort bist du tapfer und stark Nate. Viele andere Menschen sind nicht so mutig wie du und kämpfen so tapfer gegen ihre Krankheiten. Für mich bist du ein kleiner Held." Wie eine Flut strömten diese Worte auf ihn ein, die er damals so oft vor sich hergesagt hatte, wenn er sich wieder sehr schlecht gefühlt hatte. Aber das war doch alles nur ein Spiel gewesen, oder? "Sisto?" fragte er leise, aber sehr ernst. "Hattest du mich etwa wirklich gern?"
Sisto sah Nathaniel eine Weile an und verzog er die Lippen zu einem hässlichen Grinsen. Dann lachte er. "Oh Nate!", sagte er, drehte sich um und hob seine Klamotten vom Boden auf. Rasch begann er, sich anzuziehen. "Du bist wirklich ein Kracher. Nach all dem, was ich dir angetan habe - der Betrug, die Demütigung, das Verlassen... nach all dem kannst du mir immer noch glauben, was ich sage?" Er knöpfte sich die Hose zu und ging zu Nathaniel. Er nahm seine Hand und legte sie an seinen Kopf. "Was hier drin ist, kommt niemals" - er legte die Hand an seine Lippen - "da raus." Er lächelte Nathaniel an, dann legte er die Hand auf seinen Schritt. "Daran sind schon viele gekommen." Er hob die Hand wieder und drückte sie kurz an seine Brust. "Aber was da drin ist, weiß niemand." Er ließ Nathaniels Hand fallen und fuhr fort, sich anzuziehen. Als er fertig war, löste er die Handschelle vom Baum und nahm sie wieder in die Hand. "Lass uns reingehen, mein kleiner Nate", sagte er. "Wir machen es dir schön warm, und dann werde ich nachsehen ob ich eine Medizin für dein spezielles kleines Leiden da unten habe."
Nathaniel sah verwirrt auf seine Hand. Warum sagte Sisto ihm überhaupt, dass er niemals die Wahrheit sagte. Wenn er ihn das wissen ließ, sagte er dann nicht um eine Ecke herum doch die Wahrheit? Wenn alles, aber auch wirklich alles gelogen war, was er sagte ... war dann auch das eben gelogen .... Nein, er war jetzt nicht in der Lage darüber nachzudenken. Aber er musste vorsichtiger sein mit dem was er sagte. Wenn er sich Sisto zu sehr auslieferte hatte der leichtes Spiel mit ihm. Auf keinen fall durfte er sofort auf jede Bemerkung von Sisto anspringen. Das war das Dümmste was er tun konnte. Er hatte das GEfühl, dass er ungefähr wusste, wie er am besten mit Sisto umging. Für ihn war er nicht, wie sicher für viele andere, eine tickende Zeitbombe, aber er war auch alles andere als leicht durchschaubar. nathaniel war nur froh, dass sie wieder rein gingen. Er zitterte mittlerweile wie Espenlaub. "Ich will, dass du mich wärmst" sagte er zitternd. "Du konntest das schon immer am besten."
"Ich werde dich wärmen, mein kleiner Nate", sagte Sisto, und als sie ins Haus gingen, legte er bereits einen Arm um ihn. Er brachte ihn wieder ins Bett und deckte ihn fürsorglich mit den beiden Decken zu, die sie hatten. Dann ging er zu seinen Taschen und kramte darin herum. Als er hatte, was er suchte, ging er ans Feuer und zerschlug zwei Eier in den Topf. In Nullkommanichts hatte er ein Spiegelei zubereitet. Mit dem Topf setzte er sich an den Bettrand, holte den Löffel vom Nachttischchen und hielt Nathaniel einen Löffel Spiegelei hin. "Iss, mein kleiner Nate", sagte er. "Du kannst es brauchen. Du musst groß und stark werden." Er lächelte. Nathanies Zähne klapperten, aber er aß, und er aß fast alles. Sisto aß den Rest, wusch den Topf mit Schnee aus und holte schließlich ein Medikament aus einer der Taschen. Er nahm es mit zum Bett, füllte einen Löffel voll und stützte den Kopf des Jungen, der immer noch zitterte vor Kälte, damit er es einnehmen konnte. "Das wird dir helfen", sagte er sanft, und dann kroch er zu Nathaniel unter die Decken und zog ihn in seine Arme. Er hielt ihn eine Weile schweigend, bis das Zittern sich gelegt hatte. Es dauerte nicht einmal sehr lange. Sisto fragte sich, ob da früher schon diese Hitze in ihm gewesen war, die den Jungen gewärmt hatte, oder ob wirklich nur er es gewesen war - und wie es jetzt war. Er hätte einiges darum gegeben, das wirklich sicher zu wissen. "Sag mir, Nate", sagte er schließlich leise. "Erinnerst du dich daran, was ich euch vorgeflunkert habe, als ich euch sagen musste, als was ich arbeite?" Er sah den Jungen neben sich aus halbgeschlossenen Augen an. "Sicherlich erinnerst du dich. Ich konnte euch ja nicht sagen, dass ich praktisch ein Killer bin. Also habe ich gesagt, ich wäre Kellner. Killer, Kellner. Es fiel mir einfach so ein. Lügen fiel mir nicht schwer, Nate, aber das weißt du ja." Er strich ihm abwesend über die Schulter. "Ich habe extra ein Restaurant am anderen Ende der Stadt ausgewählt, weil ich wusste, dass Esmeralda so gut wie nie daran vorbeikommen würde. Sicher nicht auf dem Weg zu ihrer eigenen Arbeit, also nicht ohne mich. Ich kannte den Kellner - er war natürlich auch in meinem Clan - und er hat sofort zugestimmt, mitzuspielen wenn es einmal nötig sein sollte. Und es war einmal nötig, erinnerst du dich?" Er musste Nathaniel nicht ansehen, um die Antwort zu wissen. Nathaniel wusste alles noch. "Du hattest schulfrei, und ich hatte gesagt dass ich an dem Tag arbeiten musste. Also habe ich dich mit zu Salvatore genommen, und du hast es dort geliebt. Du durftest soviel Spaghetti essen wie du wolltest, und Salvatore und seine Familie haben dich sofort ins Herz geschlossen. Du hast sogar mit seinen Kindern geredet, wo dir das sonst immer so schwerfiel." Er lächelte Nathaniel an. "Ich habe den Kellner gespielt und Unsinn für dich gemacht, und du hast gelacht und dich gefreut. Du warst so süß, wenn dein Gesicht einmal ein wenig Farbe bekommen hat. Und wenn du gelacht hast." Er zog den Jungen enger an sich und strich ihm ein paar Strähnen aus der Stirn. "Einmal waren wir dort essen, mit Esmeralda. Es war ein wunderschöner Abend, und du bist neben uns gesessen, mit leuchtenden Augen, und hast Salvatores Kindern gewunken." Er seufzte leise. "Niemals wärt ihr darauf gekommen, dass ich anderntags losgezogen bin und mit meinen Brüdern Leuten die Köpfe weggepustet habe. Ich musste mir oft das Blut von den Händen waschen, bevor ich nach Hause kam. Einmal hatte ich noch einen Spritzer Blut an der Stirn, und weißt du, was du gesagt hast, als ich heimgekommen bin?" Er lächelte wieder bei der Erinnerung daran und schloss die Augen. "Du sagtst 'Du hast da noch Tomatensoße, Sisto', und ich habe dich umarmt und bin mir dann das Blut abwaschen gegangen. Du konntest ein echter Kracher sein, Nate. Ein echter Kracher."
"Woher hätte ich denn damals wissen sollen, dass es Blut ist?" fragte Nathaniel "Ich hätte dir alles geglaubt Sisto. Wenn du mir erzählt hättest, dass die Erde eine Scheibe ist und der Mond ein Schweizer Käse, dann wäre es eben für mich so gewesen. Manchmal macht es gar icht so einen großen Unterschied, ob etwas wirklich so ist, oder ob man nur ganz sicher glaubt es ist so. Manchmal ist es sogar dasselbe. Wenn ich fest daran glaube jemanden zu lieben, dann liebe ich ihn doch, nicht wahr?" Er sah Sisto enst an. "ich weiß, du würdest mir da widersprechen. Aber egal wie falsch und gelogen alles war was du damals getan und gesagt hast Sisto ... meine Gefühle waren echt. Und das kann ich auch im Nachhinein nicht mehr ändern." Er schmiegte sich eng an Sisto und er wusste, dass er das auch getan hätte, wenn Sisto ihm jetzt in dem gleichen ruhigen Tonfall seine Morde detailliert geschildert hätte.
Sisto schwig zu dem, was Nathaniel sagte. Er schloss ihn ledglich fester in die Arme, als er näher an ihn heranrutschte. Er besaß ihn wirklich immer noch voll und ganz. Er hatte erreicht, was er wollte. Aber jetzt fühlte es sich nicht mehr gut an, sondern hinterließ nur noch einen bitteren Nachgeschmack. Denn was hatte er ihnen beiden denn damit gegeben? Dem Jungen hatte er in egoistischer Absicht das Leben zerstört, weil er sich erhofft hatte, sein ohnehin schon zerstörtes Leben irgendwie wieder flicken zu können. Dazu brauchte man nur Macht, hatte er gedacht. Grenzenlose Macht. Er hatte zwei Menschen vollkommen unterwerfen wollen, und so vollkommen von sich abhängig machen, dass sie ohne ihn nicht mehr leben konnten. Und es hatte geklappt. Besser als er damals vielleicht gedacht hatte. Aber was blieb ihm davon jetzt noch? Es war ein Irrglaube gewesen, seine eigene Hilflosigkeit in diesem Machtspiel ertränken zu können. Er hatte sich dadurch nur immer weiter entmenschlicht, und das, nachdem er einmal im Leben wieder wirklich Mensch gewesen war. Es hatte keinen Sinn, das jetzt noch abstreiten zu wollen. Hatte er sich so sehr davor gefürchtet? Fürchtete er es mehr, ein Mensch zu sein als ein Monster? Er fühlte einen schmerzenden Stich an der Stelle, die einmal sein Herz gewesen sein musste, und seine Finger gruben sich ohne dass er es merkte, tief in Nathaniels nackte Haut. Er hatte den Eindruck, dass er etwas hinterherrante, das schon lange außer Reichweite war. Und zusätzlich hatte er sich selbst zwei Eisenkugeln an die Füße gekettet. Wenn er die nicht abschnallte, hatte er keine Chance mehr, einzuholen was auch immer er hinterherrannte. "Ich mochte dich wirklich, Nate", sagte er. "Du warst nur ein kränklicher, blasser, dämlicher kleiner Junge, aber du warst das wertvollste was ich jemals hatte in meinem Leben."
Nathaniel lächelte und streichelte über Sistos Hand, die sich schmerzhaft in sein Fleisch bohrte. "Ich bin froh, dass du mir schon gesagt hast, dass du bei allem was du sagst lügst." sagte er leise. "So kannst du jetzt auch solche Sachen zu mir sagen." Er sah zu Sisto auf. "Ich hab mir ständig gewünscht, dass du irgendwann noch einmal etwas liebes zu mir sagen würdest. Und weißt du was das seltsame ist: Es war mir fast egal, ob es wieder eine Lüge ist. Ich wollte es einfach hören und nicht wissen, wie du es meinst. Und genauso ist es jetzt. Ich kann mir aussuchen ob alles was du sagst eine Lüge ist oder nur dieser eine Satz in dem du mir gesagt hast, dass du immer lügst." Einen Moment lang schwiegen sie beide. Nathaniel warf einen Blick aus dem Fenster, wo es jetzt wieder angefangen hatte zu schneien. "Dicke weiße Flocken kamen vom Himmel. "Glaubst du wir werden eingeschneit?" fragte er.
Sisto fühlte sich, als wäre er gegen eine Wand gerannt. Und er hatte es ja so sehr verdient, sich so zu fühlen. Ägrlerich schüttelte er den Kopf und sah in Richtung Fenster. Seit wann dachte er so? Seit wann hatte er etwas verdient, was sich nicht gut anfühlte? Seit er hier war und gezwungen, zum Mensch zu werden, antwortete er sich selbst. Aber er spürte, dass er noch die Wahl hatte: Mensch oder Monster. Für eines der beiden musste er sich entscheiden, und zwar endgültig. Er bekam ein siedendheißes Gefühl im Bauch, ähnlich einer Panik, als ihn der Gedanke beinahe erschlug, dass es vielleicht letztendlich nicht auf seinen Tod hinauslaufen würde, sondern nur auf seine komplette Zerstörung, gegen die der Tod ein Geschenk sein würde. Er wäre gezwungen, als Mensch oder als Monster zu leben, bis in alle Ewigkeit. Er würde sich den Tod herbeisehnen. Darum betteln. Vielleicht würde er sogar Nathaniel darum anflehen, ihn umzubringen, wenn es soweit wäre. Aber ob der es tun würde? Sein ganzer Körper brannte, als er aus dem Fenster sah, vor dem wieder zahlreich und dicht weiße Flocken herabfielen. Froh, etwas anderes in den Kopf zu bekommen, setzte er sich auf. Er fühlte sich wieder so alt und müde wie frühmorgens, aber diesmal kam noch das dumpfe Pochen einer nahenden Verzweiflung dazu. Es würde alles schrecklich werden, und er konnte nicht mehr heraus. "Es kann sein", sagte er, und seine Stimme klang trocken und brüchig wie die des alten Mannes nach dem er sich fühlte. Er schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. "Ich werde ins Dorf gehen. Sag mir, was du möchtest, und ich werde versuchen, es zu kriegen", sagte er. "Ich gehe zu Fuß, es kann sein dass es sehr lange dauert." 'Es kann auch sein, dass ich gar nicht wiederkomme', dachte er, aber das sagte er nicht. Der Weg ins Dorf war lang, und es schneite sehr stark. "Ich werde soviel wie möglich ins Feuer werfen, damit es lange brennt. Und falls - " Falls ich nicht wiederkomme, hatte er sagen wollen, aber er verschluckte es. "- falls das Feuer ausgeht..." Er trat auf Nathaniels Seite des Bettes und löste die Handschelle vom Bettpfosten. Dann ging er seine Satteltaschen ausräumen, verband sie und schulterte sie wie einen Rucksack. "Also, was möchtest du gerne?", fragte er.
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~ I know it's not considered right The way I live my days and nights But I always thought I'd rather be Considered lucky than good ~
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~ Sevvie kann man nicht vergessen... er ist ein markerschütternder Schrei in der Geschichte der Menschheit... ~
*~* Wenn die Natur nur Perfektion erschaffen hätte, wo wären dann die vierblättrigen Kleeblätter? *~*