Irgendwann war Pöpke dann wohl doch eingeschlafen, und als sie erwachte, war es ganz dunkel und sie lag unbequem verrenkt auf dem Boden.
Sie stand auf, reckte die schmerzenden Glieder und ging ihren Vadder suchen. Sie fand ihn bei der Bertha, schlafend. Ein wenig überlegte Pöpke, ob sie ihm nicht seinen Schlaf lassen sollte nach diesem Tag, aber ihr Gewissen quälte sie zu sehr. Sie schaute hinauf in den Himmel. Das Stählerne Tor, der Eingang zu den Stätten der Werke, stand weit, weit offen, um all die Opfer der Schlacht zu empfangen, die heute gestorben waren. Ein kalter Schauer lief Pöpkes Rücken herunter - auch sonst hatte sie, wenn das Tor groß und rund zu sehen war und nicht nur eine kleine Sichel, einen Spalt offen, das Gefühl, das weiße Licht dahinter schiene direkt auf sie herab, aber heute war das Gefühl viel stärker. Und es schien auf sie zu warten. Sie schüttelte Vadder, bis er schnaufend erwachte und sie schlaftrunken und verständnislos anstarrte. "Vaddi, Vaddi!", rief Pöpke. "Woher weiß ich, dass jemand zeitig gestorben ist, oder unzeitig?" Sie holte tief Luft und zitierte den vierten Grundstein, der ihr im Schlaf glühend vor Augen gestanden hatte: "'Sollte ein Gläubiger einem anderem unzeitig das Leben beenden, so wird diesem die schlimmste Strafe widerfahren, die es nach dem Willen unseres Erbauers geben wird. Ihm selbst wird der Glaube abgesprochen und er wird dem Tode übergeben, denn die nicht Gläubigen stehen auch nicht im Buch der Grundsteine und haben daher kein Recht auf ein nicht unzeitiges Ende.' Ich habe Kharator getötet, und die Kharator sind Gläubige. Und wenn man jemanden tötet, kann es sein, dass das unzeitig ist." Panisch sah sie ihren Vadder an.
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Vadder wurde aus seligem, beduseltem Schlummer gerissen. Wie jetzt? Unzeitiger Tod? Kharator töten eine Sünde? Vadder schaute zum panischen Gesicht seiner Tochter herauf. Oha, da war die Feuertaufe wohl doch schwerer gewesen als gedacht. "Moment, ich muss gerade mal wachwerden." Vadder erhob sich schwer und suchte einige Zeit an Deck umher, wobei er allzu auffälliges Schwanken einigermaßen vermeiden konnte. Betrunken umherzutorkeln, während seine Tochter Seelenpein litt? Vadder schämte sich etwas. Dann fand er das Gesuchte und kippte sich den Eimer mit Wasser über den Kopf. Glücklicherweise war er schon mit Blut und Dreck verschmiert, sonst hätte der Inhalt des Eimers ihn merklich besudelt.
"Also mein Kind, Du machst Dir Sorgen, dass Du Leute vorzeitig in die Hallen des Erbauers geschickt hast? Dass die Kharator als Gläubige von Dir getötet wurden, obwohl ihre Seite noch nicht aufgeschlagen war und Du auch an den Erbauer glaubst? Nun, ich bin natürlich kein Preadin und kann das nicht genau begründen, aber ich sehe es so: Der Erbauer in seiner Weisheit und Macht würde es nicht zulassen, dass ein Gläubiger einen anderen Gläubigen tötet, bevor dessen Zeit gekommen ist. Wenn also ein Erbauergläubiger einen anderen tötet, von dem er annimmt, dass er auch erbauergläubig ist, so ist es entweder dem unergründlichen Ratschluss des Erbauers geschuldet, dass dies möglich ist, oder des anderen Zeit war einfach schon gekommen. Oder er war schlicht nicht gläubig." Pöpke schaute ihn mit einer Mischung aus Panik, Unglauben und gläubiger Entrüstung an. "Ich will Dir mal was über die Kharator erzählen. Vor einigen Jahren habe ich miterlebt, wie ein paar Kharator einen Fischer mit seinem Boot verbrannt haben, weil sie ihn als Waldfürstenanhänger gesehen haben. Nicht nur, dass der arme Mann wahrscheinlich in seinem Leben noch keinen Wald betreten hatte, seine einzige Sünde bestand darin, dass er ein Blümchen auf seinem Schiff mit sich führte, dass seine Geliebte, die nicht aus Danglar war, ihm einst geschenkt hatte. Er hat mir die Geschichte erzählt, sie schenkte ihm die Blume, bevor er auf eine längere Fahrt ging. Und er nahm sie in aller Vorsicht an und hat diese Blume scharf bewacht. Aber die Blume machte nichts Böses, sie blühte und erfreute ihn mit ihrem Duft. Und als er von der Fahrt zurückkam, war seine Geliebte tot. Denn ihr Vater hatte sie zwingen wollen, einen reichen Fischer zu heiraten. Das wollte sie nicht und hat dann Gift genommen. So war die Blume das Einzige, was ihn auf seinen langen, einsamen Fahrten an sie erinnerte. Und diesen armen Mann haben sie wegen dieser Blume verbrannt. Das sind keine Gläubigen, mein Kind, das hat der Erbauer niemals gewollt, da bin ich mir sicher."
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Pöpke hörte andächtig zu und beruhigte sich wieder. Der Jocke hat sie Kindermörder genannt, murmelte sie. Ich muss ihn unbedingt danach fragen. Das Bild formte sich in ihrem Kopf, und es war nicht sehr hübsch. Sie erfuhr langsam Dinge über ihr Heimatland, die ihr ganz und gar nicht gefielen. Und irgendwie war sie froh, weit weg zu sein ... Sie umarmte Vadder. Geht es dir auch wieder gut?, fragte sie besorgt.
Re: Im Auftrag des Falghaten...
"Ja, mir geht es angesichts der Umstände sogar sehr gut. Und ich bin sehr froh, dass wir beide einigermaßen heil aus dieser Prüfung herausgekommen sind. Aber mir tut es um all jene leid, die sich jetzt nicht mit uns freuen können." Vadder drückte sein mutiges Töchterchen voller Stolz.
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Pöpke ließ ihren Vadder dann mal weiterschlafen und ging wieder unter Deck. Sie legte sich auf den Boden, diesmal in bequemerer Position, aber sie konnte einfach nicht einschlafen. Dafür bemerkte sie, dass Nala neben ihr lag, ihre tapfere Mitstreiterin, die wohl von ihrem über-die-Planken-Gerenne aufgewacht war. Pöpke guckte Nala an. "Was weißt du über die Khardin und die Kharator?", fragte sie auf gut Glück.
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Ein Blinzeln - Erinnerung. Khardin. Nässe, Stroh, Wimmern. Sie schüttelte den Kopf - und die Gedanken rasch ab. Nur weg damit. Ein abweisender (oder abwesender?) Blick in Richtung Pöpke, dann soetwas wie ein lapidares Schulterzucken mit dem man sich jede Last der Welt von den Schultern hebeln kann. "Sie sind miese, fanatische Schweine." Zugegeben - so ganz rechtschaffen war auch Nala nie gewesen. Das ein oder andere Huhn hatte sich schon irgendwie aus dem Stall verirrt, ein paar Münzen beim fairen ("Ich schwörs!") Kartenspiel den Besitzer gewechselt und auch das Abenteuer in Danglar war eher am Rande jedweder Legalität ... aber das alles durfte man schließlich nicht so eng sehen. Man nahm sich halt was man brauchte. Die Khardin ... Sie blickte Pöpke an. "Wenn sie einen Grund brauchen, um Dir etwas anzutun, suchen sie sich einen." stellte sie fest und schloss die Augen - vielleicht kaufte man ihr ja ab, zu schlafen.
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Hein saß auf dem Achterdeck der Braut. Die Trümmer waren beiseite geräumt worden und die Leichen ebenfalls. Die der Kharator waren sang und klanglos über Bord geworfen worden. Aber im Zwischendeckladeraum lagen zweiundzwanzig Besatzungsmitglieder, die den Kampf nicht überlebt hatten. Zweiundzwanzig. Das war die Hälfte der Besatzung der Braut. Der Rest war mehr oder weniger schwer verwundet worden. Ohne die Kameraden von der Witwe hätte die Braut nicht einmal mehr gesegelt weden können. Es war ruhig an Bord. Nur das Auf und ab der Lenzpumpe war zu hören und das Knarren der Taue und der Segel. Hein hatte immer noch ein Fiepen im Ohr. Das hatte ihn seit der Schlacht begleitet. "Hein!" sprach ihn die Frauke an."Hein, du solltest besser unter Deck gehen und dich ausruhen." Sie hatte seinen linken Arm geschient und wieder zusammengeflickt und auch seine Seite genäht. Hein schaute sie nur an und antwortete nicht. Sie seufzte kurz und lies dann Hein wieder mit seinen Grübeleien allein. Woher hatten diese verdammten Kharator Mörser? Woher Mörser mit einer solch immensen Reichweite? Wie konnten sie ein solches Monstrum erschaffen wie die Akeron? Wie hatten sie eine Galeere so nah heranbekommen können, daß sie entern konnten? Wie, verdammt nochmal...WIE. Er schien die letzten Worte wohl laut geschrien zu haben, den Helga die an der Pinne stand, drehte sich zu ihm herum. Diesmal hatten sie gewonnen, ja das hatten sie. Aber nicht weil die Braut besser war, sondern weil die Kharator wohl aus Unerfahrenheit die Möglichkeiten ihrer Schiffe nicht voll genutzt hatten. Verdammt! Er schaute auf die Schwarze Braut. Seine Braut. Seine verwundete, geschändete Braut. Und es tat ihm weh was er sah. Schäden wohin er blickte. Planken fehlten, Einschüße überall, Fecken von Feuer und Blut... Es schmerzte sie so zu sehen. Aber sie hatte gehalten. Sie hatte sie nicht im Stich gelassen, sie nicht. Er würde sie wieder herrichten. Stück für Stück. Schöner, besser, schneller als zuvor. Das war er ihr schuldig. Mehr als das. Seine Hand strich vorsichtig über das zerschundene Holz.
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Nach seinem Bad im Putzwasser und seinem Gespräch mit Pöpke konnte Vadder nicht mehr recht schlafen. Ein paar Meter weiter saß Hein auf dem Achterdeck. Vadder ging zu ihm rüber. "Mit Verlaub, Sir, Hein, Sir, Ihr solltet dringend etwas schlafen. Sonst mag Euer Arm brandig werden und Euch lang aufs Lager werfen. Aber das werdet Ihr selbst wohl wissen. Sagt, mögt Ihr mir für den morgigen Tag und vielleicht noch den nächsten die Erlaubnis geben, zusammen mit den anderen Stückleuten die Kanonen zu pflegen und wieder auf Vordermann zu bringen? Denn mit Verlaub, wir haben sehr viel Glück mit denen gehabt, die haben eine Pflege verdient."
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Müde schaute Hein den Rübenbauer an. Langsam nickte er ihm zu. Der Alte stutzte einen Moment bevor ihm klar wurde, daß er wohl nicht mehr aus dem Quartiermeister herausbekommen würde. Er stapfte schon den Niedergang hinab, als er hinter sich eine Stimme hörte. "Vaddern!" Sagte sie. "Vaddern, du und deine Tochter habt euch tapfer gehalten." Dann fügte Hein leiser hinzu. "Du bist jetzt auf Vollheuer und hast die Rechte und Pflichten einer Ameländer Likedeelers."
Re: Im Auftrag des Falghaten...
"Dann holt die Münze, Sir, Hein, Sir, mit Verlaub. Sonst gilt es nicht."
Re: Im Auftrag des Falghaten...
Fedder war sichtbar froh, grade von Saphira versorgt zu werden, er hoffte nur, dass das keinem auffiel. Aber gedanklich beschäftige sich Fedder bereits damit, was alles geflickt und erneuert werden musste. Wahrscheinlich die komplette Takelage an beiden Masten udn nach dem Gefecht hatte Hein sicher wieder Sonderwünsche.