Re: Grenzgänger
In jedem von uns steckt doch ein Grenzgänger! Er könnte beispielsweise auch eine Trommel sein, oder ein Baströckchen oder der Suppentopf für die zu stark gewürzte Vorwurfsuppe. Jetzt schreibt doch auch mal was, ey!
In jedem von uns steckt doch ein Grenzgänger! Er könnte beispielsweise auch eine Trommel sein, oder ein Baströckchen oder der Suppentopf für die zu stark gewürzte Vorwurfsuppe. Jetzt schreibt doch auch mal was, ey!
"Ich schreibe nicht!"
Frau Schranz versteckte ihre Irritation hinter dem einstudierten Blick, der Caro in anderen Situationen auch schon nicht beeindruckt hatte. Aber diesmal war die Situation eine andere.
"Caro, wenn du nicht schreibst, bekommst du eine 6. Wie sieht denn das aus neben deinen bisherigen Einsen? Nun nimm schon deinen Füller und zeig uns, was du kannst!"
"Ich sagte bereits, ich werde nicht schreiben. Zumindest nicht diesen belanglosen Quatsch. Eher ramme ich Ihnen meinen Füller in den Unterarm!"
Frau Schranz wich instinktiv zurück und versuchte erfolglos, durch Konzentration auf etwas Harmloses die Bildung von Schweißtropfen auf ihrer Stirn zu unterbinden. In diesem Augenblick dachte sie daran, wie Sie mit Caros Vater nach dem letzten Elternabend noch ein Bier getrunken, und wie er ihr dann an den Lippen gehangen hatte, als sie von den Widrigkeiten bei der Organisation der Klassenfahrt in den Harz erzählt hatte. Es half aber nichts. Der Schweißtropfen hatte sich schon gebildet, er war sogar schon seine unaufhaltsame Fahrt in Richtung Ohren angetreten, so dass es nur noch eine Frage weniger Augenblicke war, ehe sich das Gesicht der Lehrerin rot färben und sie beginnen würde, zu stottern.
"Caroline! Was hast Du da eben gesagt? Ich habe mich wohl verhört!"
"Ich sagte, mit diesem Füller kann ich nicht so gut schreiben, Frau Schranz. Er kleckst. Darf ich den Kugelschreiber verwenden?"
"Äh. Ja, schon gut. Ich fahre fort ... Anna mag Hans ... CAROLINE! Was machst Du mit dem Füller? Ach, du wechselst nur die Patronen. Jaja, schon gut. Ich dachte nur ... Wo waren wir stehengeblieben ..."
Nein, ich schreibe wirklich nicht.
Dein Nichtgeschriebenes grenzt an Geschriebenes....aber nur einen Hauch.
(Das mit dem Rammen, ich hätt das geschrieben, hätte ich an Deiner Stelle das geschrieben, ich hätte quasi im Ungeschriebenen das Füllfederhalterrammen durchgezogen, nur falls es aufgeschrieben worden wäre, von Dir. Grad eben..)
Mir hat mal einer einen Bleistift in den Daumen gerammt. ich glaub, das war ich selbst. Und dann bin ich vom Stuhl gekippt. Außerdem gab es mal einen Punker-Kifferschuppen in der Nähe von Lüneburg, nahe der DDR-Grenze und der hieß Grenzgänger. Da hab ich mal zwei Frauen mit Violine zusammen mit einer Schlagzeugerin Mettal spielen gehört. Das war der Hammer!
ecstasy
Die Wiese ist so grün! So grün, wie noch nie eine Wiese grün war. Der Wald ist der schönste Wald, den ich je gesehen habe. Die Bäume wiegen sich unendlich sanft in der zarten Brise der warmen Luft. Ich atme diese warme Luft ein. Das Atmen tut gut. Es ist, als würde die weiche Luft meine Lungenflügel von innen streicheln.
Aber diese Bäume! Warum fiel mir niemals zuvor auf, wie perfekt sie sind? Das macht nichts! Hauptsache, ich sehe es jetzt.
Sie sehen aus, wie gemalt, die Farben leuchten, strahlen Vollkommenheit aus!
Der Himmel ist blau mit zurteligen Zirren, er deckt uns mit seiner weiten Geborgenheit zu.
Ich stehe auf.
Meine Knie freuen sich über die Streckung. Es fühlt sich gut an aufzustehen. Ich stehe und breite meine Arme aus. Ich stehe. Meine Füße berühren den Boden. Ich fühle meine Sohlen. Die Erde hält mich. Ich stehe gut.
Meine Freundin lacht.
Wie schön sie lacht. So lockend und glücklich.
Sie steht dort hinten auf der Wiese und streichelt einen Grasbüschel.
Ich möchte zu ihr, Ich muss es nicht. Aber ich möchte es.
Ich mache den ersten Schritt. Mein erster Schwebeschritt. Jetzt perlt das Lachen aus mir heraus und das Glück purzelt über mir zusammen.
Ich mache meinen ersten Babyschritt in die Welt der Schönheit. Unter mir liegt grüne Watte, die mich auffängt. Ich merke gar nicht, dass ich meine Füße aufsetze, aber ich schwebe probehalber mal ein wenig in die richtige Richtung. Das Schweben macht Spaß! Ich möchte ewig weiterschweben. Ich waber durch die Sommerluft, über mir der liebe Himmel, dort hinten diese wunderschönen Bäume und unter mir ein Feld aus flauschiger Graswatte. Jeder Schritt macht mich glücklich, versöhnt mich mit meinem Leben.
Dort ist meine Freundin. Sie hat goldene Haare und glänzt.
Jetzt sieht sie mich mit großen, tiefen Augen an und fragt:
"Merkst du schon was, Silke?"
Ach!
Nunja, auch ohne Überschrift eindeutig.
Was ein wattiges, schönes Gefühl. Fluffich....
Abschweifen
In meiner Phantasie, mein Lieber, da machst Du noch ganz andere Dinge. Und ich mach auch ganz andere und noch ganz andere Dinge. Grenzwertige Dinge. Sie kann man nicht wirklich in die Realität umsetzen. Oder?
Während ich sprach, hockte ich mich, nachdem ich Deine Beine gespreizt und Deine Füße rechts und links an den Bettpfosten befestigt hatte, ans Fußende des breiten Bettes, lehnte mich an den Holzrahmen und ließ meinen Blick über Deinen Körper schweifen. Er schweifte und schweifte und dann rutschte er weg, in meine Vorstellungen hinein und erreichte immer neue Räume, Hotelzimmer, die es nur in meiner Phantasie gab und die ich nun mit diesem hier abglich, oder auch nur dieses hier ihnen anglich.
Du warst so bar. So unverletzt. Wie Du da lagst. Still und angebunden. Mit Deiner Porzellanhaut, Deinen Kräuselhaaren und Deinem geschwollenen Hm.
Manchmal, mein arroganter, kleiner Mistkerl, möchte ich Dich schneiden. Ich möchte sehen, wie Dein Blut aus der Wunde quillt und warten, bis es wieder antrocknet. Auf Deiner reinen Haut. Oder, nein: ich würde es ablecken, den metallischen Geschmack auf meiner Zunge auskosten, ich würde warten, bis ein Tropfen nachkommt und dann an Dir saugen, an Deiner Wunde saugen, bis nichts mehr käme. Oder ich fügte Dir größere Schnitte zu und nähme einen Pinsel, verteilte Deine dunkelrote Flüssigkeit mit ihm und malte mit meiner Zunge Blumenmuster hinein.
Und als ich Dir dort auf dem Bett von meinen Vorstellungen erzählte, da wurden Deine Augen groß und Dein Hm für einen kurzen Augenblick klein. Da beugte ich mich vor, krabbelte heran, zwischen Deinen Schenkel hoch und nahm Dich in den Mund. Ich biss, solange bis Du Deine Lippen öffnetest und Dein Stöhnen und später Dein Jammer den Raum erfüllten wie Musik.
Bist Du bei mir? In meiner Phantasie?
Deine Augen blickten zur Decke. Das irritierte mich und ich musste nachschaun, ob ich etwas in ihnen lesen kann und erhob mich von Deinem Leib, stellte mich hin und stieg über Dich hinüber nach vorn. Von oben schaute ich Dir ins Gesicht, in Deine starren Augen. Deine Lider begannen zu zittern und Du bemühtest Dich, durch mich hindurch zu sehen. Doch als ich Dich ansprach, da konnten sie nicht anders, als mich direkt angucken und ich sah etwas, etwas, wonach ich mich sehnte, so sehr sehnte.
Woher, mein Herz, weißt Du eigentlich, was ich noch tun werde, hier auf diesem fremden Bett, in Deiner, mir fremden Stadt, in diesem fremden Hotelzimmer? Weißt Du, was ich tun könnte?
Du schwiegst.
Und ich erzählte Dir alle meine phantastischsten Vorstellungen, die ganze Nacht erzählte ich sie Dir, während Du dalagst, nicht wegkonntest und ich neben Dir hockte, die Seidenstrumpfbeine angezogen, die Arme um sie geschlungen und manchmal weinend, manchmal schreiend.
"Und weisst Du wirklich, ob diese Nacht zu Ende geht?"
Der Schmerz, tief innen
Ihre Füße schienen schwer. Ihre Lider hingen träge. Die Wunden in ihrem Gesicht zeichneten sich scharf vom blassen Teint ihrer Haut ab. Sie schlurfte den Bürgersteig entlang. Jener, der ihr schon lange nicht mehr gehörte, von dem sie abgestiegen war, weil sie gar keine Bürgerin mehr war, schon eine Ewigkeit nicht mehr, und sie stolperte mit ihren kaputten Schuhen durch die Pfützen auf mich zu.
Sie kenne schon lange keine echte Wärme mehr. Von innen heraus, meinte sie. Meinte sie, als sie mit mir sprach, dort am Straßenrand, als sie mich anhielt, um mich nach Geld zu fragen. Ich war auf meinen Weg nach Hause und traf sie, sie hielt mich am Ärmel fest und ich roch ihren fauligen Atem.
Mann, hab ich mich zuerst geekelt! Am Fiesesten war der Geruch. Aber dann trafen sich unsere Blicke und ihre Augen waren jung, noch so jung und erschreckend wach, und ich schämte mich für meinen Ekel.
Sie erzählte mir auch gleich, sie würde hin und wieder geschändet, während ihrer langen Nächte irgendwo in dunklen Ecken. Den Männern sei es egal, wenn sie stänke, wenn sie Aids hätte, selbst offene, eitrige Wunden hinderten die Herren der Schöpfung nicht. Daran. So erzählte sie mir, dort an der großen Hauptstraße in meiner Stadt.
Aber eigentlich machte es ihr gar nicht soviel aus, beschwichtigte sie mich gleich, nicht so viel, wie die gutbetuchten Damen immer taten, wenn sie davon in der Zeitung lasen. Nein, sie hielt dann immer ihren Mund und trank danach besonders viel Korn. Zur Beruhigung. Der Schmerz tief innen ließe ja doch schnell nach und so ein bisschen fremden Körper, das machte den Kohl auch nicht fett, denn sie dächte doch nur bis zur nächsten Stunde, allenfalls bis zum nächsten Schlaf. Irgendwo.
Warum erzählst Du mir das?", fragte ich sie.
Lass mich doch erzählen
.Mir ist so kalt."
Sie trat von einem Fuß auf den anderen. Unwillkürlich tat ich es ihr gleich und es schien mir, als tanzten wir in gemeinsamen kleinen Tanzschritten durch die Pfützen, vor und zurück und einmal im Kreis. Der Himmel war grau und die Windböen eisig.
Sie sprach erneut, erzählte, sie hieße eigentlich Yvonne, aber niemand nannte sie mehr so. Auf der Straße wurde sie nur noch Die Poison-Ivy genannt. Es gab da wohl mal ´ne Frau in einer Punkband, sie wüsste es nicht so genau
Hauptsächlich würde sie natürlich von den Männern so genannt, sie meinten es abfällig, obwohl, auch da wüsste sie nicht genau, warum das abfällig sein sollte
.
Warum Poison?", fragte ich.
Ivy senkte den Kopf und schwieg.
Das dauerte. Ich wurde schon ganz unruhig, da in der Pfütze, denn ich hatte gar nichts zu tun, außer zu warten und auf sie zu schauen. Dann plötzlich hob sie den Kopf wieder und schrie:
"Warum klagst Du mich an? Es war ein anderes Leben, damals, ich konnte nichts dafür! Er war so gemein zu mir, er nahm mir mein Kind und meinen Stolz
Niemand hat das verstanden, aber ich musste das tun!"
Sie stampfte mit den Füßen auf. Feste, dass es spritzte. Das Schmutzwasser spritzte bis in unsere beiden Gesichter. In ihrem vermischte es sich mit ihren Tränen und dem gelblichen Wundwasser ihrer Ekzeme. Das muss wehtun, dachte ich und strich ihr vorsichtig über die Schulter.
Du bist doch auch nur so eine Dame! Du gehst gleich nach Hause und fütterst Dein Herz mit Wohlgefühl! Lass mich Dir nur etwas erzählen, gib mir etwas Geld und sonst nichts
"
Ich sah die Dame in ihr, die sie einmal gewesen war, ich sah sie im Herrenhaus am Kamin sitzen und Kaffee schlürfen. Ich sah sie, wie sie missbilligend auf sich selber hinab sah. Auf sich hier und damals auf solche Frauen, wie sie jetzt eine war. Ivy, armes Ding, dachte ich. Doch ich sprach es nicht aus, sondern griff in mein Portemonnaie und gab ihr das, was sie haben wollte.
Dachte ich. Meinte sie.
Dummerweise war es jetzt für alles andere zu spät. Unsere Gesichter, schmutzbespritzt, wurden zu schnell zu Stein und ich hielt es nicht mehr aus. Ich drehte mich um und ging.
Wo ist die Schwelle, frage ich mich nun beim Aufschließen meiner bürgerlichen Haustür. Wo kippt das Leben? Bin auch ich eine Ivy? Liegt es an dem Schmerz, tief innen, der noch nicht ausreicht und doch bald Überhand nehmen könnte? Vielleicht? Liegt es am Gift? Jenes, das auch ich zu Hause bei mir in der geheimen Schublade aufbewahre. Jenes, das zu benutzen ich noch zu feige bin.
Noch
Gut.
Aber geschändet würde sie nicht sagen, oder?
Bestiegen, Rübergemacht, Angebohrt, Gezwungen,.....
Geht man davon aus, dass sie eine Dame gewesen war, dann schon....