Re: Inspirationshilfe
Keinen Ärger mit den weißen Lakaien!
Es war meine Glanzleistung absonderlichster Art! Von fleischlichen Gelüsten und niederen Motiven, über tiefste Selbstzweifel bis hin zum Größenwahn, geriet ich so ganz nebenbei auch noch in die Niederungen meiner eigenen Befindlichkeit.
Wir trafen uns um sieben Uhr abends vor dem kleinen Raum hinter der goldenen Balustrade. Der Meister winkte uns heran. Einer seiner weißen Lakaien nahm uns die Mäntel und Taschen ab, führte uns zum großen Sonnentisch. Das bizarre Gemälde auf seiner hölzernen Platte bildete unsere Mitte. Der Meister nannte alle Anwesenden beim Namen, nur meiner wurde nicht genannt. Nach dem herrischen Klopfen des Oberlakaien kehrte Ruhe ein. Alle Mitspieler saßen stumm und mit geschlossenen Lidern auf ihren Stühlen. Ich durfte meine Augen geöffnet lassen und der Oberlakai schaute streng zu mir herüber. Der Meister begann zu brabbeln, die Lakaien stampften mit ihren Stäben einen unbekannten Rhythmus auf den gefliesten Boden. Es hallte.
Das Ärgernis nahm seinen Lauf. Christian dachte an Dorschleber. Mein Geist fühlte seine Begeisterung, seine Leidenschaft für dieses ungehörige Lebensmittel, welches eigentlich keines sein durfte. So befand ich jedenfalls immer, wenn ich nicht gerade hier beschäftigt war. Ich schmeckte den fischigen Geschmack, fühlte das pelzige Gefühl auf meiner Zunge und es war wirklich schlimm.
Erik dachte an Dolores und ich bekam ob seiner Lüsternheit eine Erektion. Ich dachte noch bei mir, das könne doch nicht gehen, aber es ging tatsächlich, so ganz ohne Penis. Dolores saß neben mir, sie schlug die Augenlider nieder, ich schämte mich mit ihr und fühlte wie sie die Rötung auf meinen Wangen. Das war außerordentlich absonderlich und ebenso schlimm.
Da war dann noch die Trauer Geralds um seine verstorbene Omi, die ihn seit fünfzehn Jahren verfolgte und ihren Geist, der ja nun zu meinem wurde, gefangen hielt. Seiner Oma statt hielt ich ihn nun schluchzend in den Armen und heilte seinen Schmerz, redete ihm gut zu, tröstete erfolgreich. Gerald und ich schnieften um die Wette und der Meister nickte weise.
Der Meister fühlte sich allmächtig und ich mit ihm. Das war unvermeidlich und gar nicht so schlimm, wie ich meinen könnte, wäre ich doch nur allein in meinem kleinen Geiste. Aber mein Zustand glich an diesem Abend einer Art Völkerwanderung, zumindest aber einer Demo gegen etwas, gegen das jeder war und bei der jeder mitmachte. Weltweit. In mir. In meinem Kopf.
Wo war ich denn, im Geiste, fragt Ihr Euch jetzt? Während dieser ganzen Séance war ich in Trance. Wie wunderbar, so dachte ich in einem klaren Moment, das reimt sich sogar! Der Meister stupste mich strafend in die Seite. Pscht! Okay, dann werdet Ihr sicherlich fragen, warum ich denn so einen Schmu mitmachte. Und ich antworte Euch darauf: Tja, ich bin eben auserwählt! Ich bin etwas Besonderes! Zumindest der Meister deutete dies einmal an.
Ich bin ein Medium!
Da sausten die Gedanken, Gefühle aller Beteiligten, selbst die des Meisters, durch mich hindurch. Sie fluteten mich. All diese widerlichen Mitspieler. Es war eine ätherische Zwangsgemeinschaft in einer einzigen Person, unglücklicherweise meiner Wenigkeit. Die depressive Johanna mit ihren verhinderten Selbstmordphantasien, dieser unentwegt neidische Unbekannte mit seiner zittrigen Alkoholsucht und Christian, Dolores und Gerald ganz vorne weg. Ich war gebeutelt und der Meister brummte dazu.
Warum um Himmels Willen ich so etwas mit mir machen lasse? Jesus hatte sich doch auch nicht für nichts und wieder nichts ans Kreuz nageln lassen! Er wollte gen Himmel fahren, einen Mordsgaudi haben, das wollte er und hatte ihn bekommen! Nun denn, der Meister versprach mir ein Uhrenarmband aus purem Gold. Irgendwo muss man ja schließlich anfangen, so dachte ich und hielt Johanna fest in den Armen.
Das Ganze endete in einem Desaster. Mein Trance während der Séance wuchs zu waschechten Absencen aus und ein Lakai rief den Notarzt. Der Meister schimpfte laut, die Mitspieler bezahlten eilig und verließen das Plastikgewölbe. Von der Golduhr habe ich gar nichts gesehen. Man pumpte mir im Krankenhaus den Magen aus und gab mir ziemlich viele Spritzen. Ich wurde unglaublich schlaff und verschlief so drei Tage meines armseligen Lebens.
Heute fragt Ihr mich in einer sehr komplizierten Gruppensitzung, warum ich bloß so verrückt geworden sei. Ja, keine Ahnung, antworte ich im Stillen und der Typ mir gegenüber antwortet gerade missbilligend und statt mir, denn ich rede ja nicht mehr, die Antwort läge doch wohl klar auf der Hand: Die Schrulle ist nur aufm Mordstrip hängen geblieben! Na, dafür kriegt der heut Abend im Schlafsaal aber was auf die Mütze. Im Geiste versteht sich, denn ich will ja keinen Ärger mit den Lakaien in Weiß bekommen!
Kummulator