ZDF.de - frontal21 »Missbrauchte Heimkinder Kaum Hilfe für die Opfer« - »Und alle haben geschwiegen«
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[ als Teil dieser Sendung am Dienstag, 19. Februar 2013 ]
Video-Interview ( VON WOLFGANG KRAMER )
Ein ausführliches Interview mit dem Erziehungswissenschaftler und Berater ehemaliger Heimkinder, Manfred Kappeler
Frontal21 im Interview mit Prof. Dr. Manfred Kappeler 9 Min. und 12 Sek.
Dienstag, 19. Februar 2013
[ Niederschrift dieses Interviews ( Niederschrift aus privater Hand seitens des Australiers Martin MITCHELL, Ehemaliges Heimkind, Jg. 1946 ) ]
INTERVIEWER: Was kritisieren Sie denn noch? Es ist doch: Das Unrecht ist anerkannt und es gibt Geld.
PROF. KAPPELER: Ja.
INTERVIEWER: Was noch, was fehlt?
PROF. KAPPELER: Das Unrecht was anerkannt wird wird nicht in dem Sinne anerkannt wie die Vertreter der Ehemaligen Heimkinder am Runden Tisch das gefordert haben. Zwar steht in den Preambeln des Abschlussberichtes Unrecht und Leid is geschehen, dass es anerkannt wird, es wird bedauert, aber der Kern dieses Unrechtes, die ZWANGSARBEIT der Jugendlichen und die verbotene Kinderarbeit, Arbeit der Kinder bis zum vierzehnten Lebensjahr und die damit verbundene Vorenthaltung jeglicher Bildungschancen wurde nicht anerkannt, ausdrücklich nicht anerkannt. Und das war die Hauptforderung der Ehemaligen Heimkinder. Und wenn diese Hauptforderung anerkannt worden wäre dann hätte auch eine ganz andere Entschädigung erfolgen müssen, nämlich wirklich eine Ent-schädigung die zumindestens den Versuch unternommen hätte die vorenthaltenen Lebenschancen auf einem niedrigen Level aber immerhin für das Alter jetzt noch beträchtlich zu bedenken.
Die mutmaßlichen Täter kann man nicht befragen. Die betroffenen Ehemaligen Heimkinder können keine materiellen Beweise führen. Es gibt ja auch so gut wie in keinem Fall noch Akten. So: Rein formal-juristisch ist da eigentlich gar nichts zu wollen und in so fern kann es auch keine pauschale Entschädigungsregelung geben. Das was wir machen ist ja eigentlich ja schon ein großes symbolisches Zeichen. Verpflichtet sind wir dazu formal-juristisch überhaupt nicht..
PROF. KAPPELER: Ja.
INTERVIEWER: Was haben Sie dazu zu sagen?
PROF. KAPPELER: Diese formal-juristische Argumentation die ahem ist ja der Versuch der politischen Verantwortung zu entgehen. Wenn man sich auf die Verjährungsfristen zurückzieht, auf die Weigerung der Täterorganisationen sage ich jetzt absichtlich zugespitzt auf die Verjährungseinrede zu verzichten wenn Ehemalige Heimkinder heute noch ihre Schäden geltend machen wollen auf dem juristischen Wege, wenn ahem die Beweislage so verstanden wird dass die Ehemaligen Heimkinder im Einzelfall teilweise mit Uhrzeit und Stunde der Gewalttaten die sie erfahren haben belegen sollen was ihnen geschehen ist, dann sind das alles formal-jurische Argumente, die einen Abwehrcharackter haben. In Wirklichkeit wäre es um eine politische Entscheidung gegangen und so war das Ganze ja auch angedacht. Gefordert waren eine politische Anerkennung dieses Unrechts und dann auch eine politisch gewollte Wieder-gutmachung [ Wieder-Bindestrich-Gutmachung ! ], so weit das überhaupt geht.
In einer der Sitzungen im Bundestag des Petitionsausschusses waren Experten aus dem Bundesarbeitsministerium geladen, die wurden von den Abgeordneten zur Frage des Charakters der in den Heimen geleisteten Arbeit befragt, und dann haben diese Herren aus dem Bundesarbeitsgericht [ sic, MM ] gesagt, die Arbeit die die Kinder und Jugendlichen in den Heimen leisten mussten war ZWANGSARBEIT.
Wenn sie das anerkennen, sie als Abgeordnete, dass das ZWANGSARBEIT ist, dann müssen sie das als politische Entscheidung sehen und auf politischem Wege dafür sorgen; dass kann nicht über die Rentenkasse gehen und auf die allgemeine Bevölkerung übertragen werden, dass diese Menschen Wiedergutmachung erfahren.
Das haben die Experten aus dem Bundesarbeitsministerium den Abgeordneten des Bundestages gesagt, die haben gesagt das ist ZWANGSARBEIT.
Und wenn sie die Wiedergutmachung wollen, dann müssen sie als Volksvertreter den politischen Mut haben das entsprechend zu entscheiden.
INTERVIEWER: Das Ganze erinnert ja an die Feststellung Einmal Opfer immer Opfer. Gilt das auch für die Ehemaligen Heimkinder im Hinblick auf das was beim Runden Tisch rausgekommen ist?
PROF. KAPPELER: Ja. Also sehr, sehr viele Ehemalige Heimkinder haben das als eine zweite Viktimisierung erlebt. Was dort geschehen ist: sie waren ständig der Übermacht, der Gewalt der Experten und der Interessenvertreter unterlegen.
Sehr, sehr viele Ehemalige Heimkinder in der Bundesrepublik haben sich überhaupt nicht bis jetzt geoutet, oder weigern sich auch, bezogen auf diese eingeschränkten Entschädigungsmöglichkeiten oder sagen wir mal Entschädigungsmöglichkeiten, falscher Begriff das was sie da bekommen können, das in Anspruch zu nehmen, weil sie nicht wieder in dieser Rolle des Opfers, das jetzt als Bittsteller, wieder auftreten muss um minimale Gratifikationen zu bekommen.
Die Gesellschaft hat da nach wie vor eine ungeheuere Bringschuld diesen Menschen gegenüber.
INTERVIEWER: Aber ist im Hinblick auf dieses bekanntgewordene Unrecht in einem Rechtsstaat was ja fast wie ein Widerspruch in sich klingt ist dieser Rechtsstaat, ist die Bundesrepublik, dieser Herausforderung die Schäden die da entstanden sind wenigstens tendenziell wiedergutzumachen annähernd gerecht geworden?
PROF. KAPPELER: Nein. Nein. Es ist, das muss man leider sagen, wirklich die Billiglösung dabei herrausgekommen. Das Allergeringste was ihnen als das einmal in Gang gekommen war zugestanden werden musste und keinen Euro mehr.
INTERVIEWER: Warum ist im Abschlussbericht nicht davon die Rede dass es ein Unrechtssystem gewesen ist mit ZWANGSARBEIT und allem Drum und Dran und Rechtlosigkeit? Warum ist das da nicht reingeschrieben worden? Wer wollte das nicht?
PROF. KAPPELER: Also, wenn wir jetzt die Politiker am Runden Tisch nehmen, auch schon im Petitionsausschuss, auch schon im Bundestag, dann wäre dieses Eingeständnis eine Erschütterung ihres Selbstverständnisses bezogen auf die Geschichte und den Charakter der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Mitten im Kern des eigenen Gesellschaftssystems geschieht solches Unrecht in unvorstellbaren Ausmass und sämtliche verfassungsrechtlich, staatsrechtlich, verwaltungsrechtlich! vorhandenen Kontrollsysteme versagen; nicht zufällig!
Ich hab analysiert wie das alles zusammenhängt, warum die Vormundschaftsgerichte zusammen mit den Jugendämtern, zusamen mit den Verwaltungsgerichten, mit der Psychiatrie, ein gesamtes System so funktioniert hat. Nach 45 gab es an diesem Punkt, in diesen totalen Institutionen die waren völlig abgeschottet von der Öffentlichkeit! keine Zäsur. Mit denselben Personen und denselben Methoden ist das weitergelaufen bis weit in die siebziger Jahre.
Und sich das einzugestehen, sich dieses existenzielle Versagen deutlich zu machen und dieses Eingeständnis wäre eine Leistung gewesen für die Entwicklung der politischen Kultur in der Bundesrepublik für die Zukunft , deswegen habe ich immer gesagt, es geht auch darum dass wir diese Schuld annehmen, die wir selber genuin zu verantworten haben um zu verhindern dass sowas jemals wieder passiert. Das ist nicht irgend eine, sondern es ist eine zentrale Schuld des Systems in der Bundesrepublik.
Und die Ehemaligen Heimkinder haben diesen Punkt unmissverständlich immer wieder in die Debatten am Runden Tisch eingebracht und da sind sie auf eine Mauer der Ablehnung gestoßen.
Und, kann man natürlich noch hinzufügen, bei den Kirchenvertretern, die ja 70% der gesamten Heimerziehung zu verantworten hatten, kommen ja noch mal andere Dimensionen von Schuld und Sühne dazu.
INTERVIEWER: Ein Unrechtssystem im neuen freiheitlich-demokratischen Westdeutschland. Der Rechtsstaat versagt. Die Profiteure des Unrechts wurden nie zur Verantwortung gezogen.
EHEMALIGES HEIMKIND DIETMAR KRONE: Was mich am meisten darüber ärgert, dass die Firmen für die wir arbeiten mussten, sich schön da rausgehalten haben; die mussten ja so gut wie garnichts in den Topf einzahlen, nich. Letztendlich bleibts am Steuerzahler hängen.
INTERVIEWER: Der Runde Tisch [ Heimerziehung ] [ unter der Schirmherrschaft von Antje Vollmer ] Jahrzehnte später begnügt sich mit einer Billiglösung, gesteht keine jüngste deutsche Schuld ein.
PROF. KAPPELER: Einsicht in die eigene Schuld - da liegt das Versagen und damit, das will ich mal deutlich sagen, ist auch wieder neue Schuld entstanden.
[ für diese letzten vier Ausagen die auch Teil des Interviews waren siehe das YouTube-Video @ www.youtube.com/watch?v=VfJWx_r0f70 ( am Ende dieses YouTube-Videos ! ) ] |