Helmut Jacob Blog @ https://helmutjacob.over-blog.de/article-und-alle-haben-geschwiegen-filmkritik-von-klaus-kluber-116035080.html
Samstag, 9. März 2013
Und alle haben geschwiegen - Filmkritik von Klaus Klüber.
Dieser Film war schon lange überfällig um der tumben Gesellschaft ein Vorstellung über den Geist in Heimeinrichtungen vor Augen zu führen, in denen die christlichen Werte gemäß den Worten des Bischofs in vorbildlicher Weise umgesetzt wurden.
Doch ja, ich habe mir den Film vom 4. März 2013 angesehen und war von der exzellenten schauspielerischen Leistung überrascht, als auch verblüfft, wie gut dem Regisseur die Authentizität des bedrückenden Heimumfeldes gelungen war, dem einstige Heimkinder hilflos ausgeliefert waren.
Nur fürchte ich, dass die meisten Zuschauer die spürbare Beklemmung als dramaturgische Filmübertreibung wahrgenommen haben. Dabei wurde diese Darstellung von den einstigen Realitäten eher noch übertroffen.
So vermisste ich in diesem Film, die zahlreichen Formen von Herabwürdigungen, etwa von Bettnässern, oder Voraussagen, die den Jugendlichen in schillerndsten Farben ein späteres Leben in der Gosse, als Kriminelle, oder Huren und dergleichen vorzeichneten.
Auch vermisste ich die Darstellung, wie das Personal einzelne oft ältere Kinder/Jugendliche privilegierten, um sie als Hilfsaufseher/innen zu instrumentalisieren, bzw. gegeneinander auszuspielen, oder bewusst sogenannte schwarze Schafe, also besonders schwache Heimkinder ausgesucht wurden, denen alles Mögliche wie Diebstähle angelastet und dafür schwer bestraft wurden, obwohl dafür eher lautstarke Gruppenmitglieder verantwortlich waren.
Wie auch jeder Hinweis auf die gnadenlosen Rangordnungskämpfe untereinander fehlte, etwa um einen Platz zu ergattern, der einem winzigste positive Aufmerksamkeiten einbringen konnte.
Dabei bin ich recht froh, dass wenigstens das Thema Missbrauch außen vor blieb, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass Missbrauch in allen Heimen gang und gäbe war.
In meinem Heim z.B. hatte ich zu meiner Heimzeit noch nicht mal unter der Hand etwas von möglichen Missbrauchsgerüchten gehört.
Dafür fanden sich abends regelmäßig Rocker und Zuhälter vor unserem Heim zu einem Stelldichein zusammen, um die älteren 16-21 jährigen Damen zu beeindrucken, die jedoch über uns eingeschlossen waren.
Einige von Ihnen haben tatsächlich aus dem 2. und 3. Stockwerk heraus versucht, sich mit aneinander verknoteten Bettlaken in die Freiheit abzuseilen.
Eine davon ist leider abgerutscht und hat ihren Drang nach würdevoller Selbstbestimmung mit lebenslänglicher Querschnittslähmung bezahlt.
Von daher war die Szene mit dem Fenstersturz wohl näher an der Realität als einer filmischen Fiktion.
So sehr ich die schauspielerische Leistung aller Filmakteure hervorheben möchte, so halte ich die übertrieben fürsorgliche Sozialarbeiterin in den dargestellten 50er/60er Jahren für völlig unrealistisch.
Denn erst Anfang der 70er Jahre begannen Heimpsychologen/innen lebensfreundlichere Lockerungen durchzusetzen.
Im höchsten Maße bedauerlich empfinde ich die völlig deplazierte Falschdarstellung des Runden Tisches der vorgeblich nur darauf wartete, Stimmen von einstigen Betroffenen in Erfahrung zu bringen.
Gerade so als wüssten sie überhaupt nichts von ihren eigenen zu verantwortenden Gräueltaten gegenüber ihren einstigen Schutzbefohlenen.
Statt dessen hätte ich es sehr begrüßt, wenn die Filmregisseure den Mut gehabt hätten, das schändlich abgekartete Geschacher zwischen Kirchen- und Staatverantwortlichen am Runden Tisch um Wortklaubereien und Wiedergutmachung aufzugreifen, mit dem die ehemaligen Heimkinder um eine echte Rehabilitation und angemessene Entschädigungen betrogen wurden.
Es gibt da schon länger kritische Stimmen unter eher unwissenden Mitbürgern, die ehemaligen Heimkindern unter Hinweis, dass Gewalt zur damaligen Zeit nun mal dem Zeitgeist entsprach, keine Entschädigungszahlungen zugestehen möchten.
Doch diese kennen in der Regel auch nicht den Unterschied zwischen familiärer und institutioneller Gewalt.
Angefangen davon, dass den meisten Mitbürgern kaum bewusst ist, dass Heimkinder ein gesetzlich verankertes Recht zu einer gewaltfreien und förderlichen Erziehung hatten, über das sich die durchführenden Kirchen und überwachenden Staatsorgane in ihrer unheilvollen Symbiose selbstgefällig hinwegsetzten.
Dieses Recht war den einstigen Heimkindern gar nicht bekannt gemacht worden, noch hätten sie eine Chance gehabt, sich an einer Stelle erfolgreich zu beschweren. Schließlich galten Heimkinder per se als Diebe und Lügner, die aus Sicht der Gesellschaft schon etwas ausgefressen haben mussten, um verdientermaßen in einem Heim Zucht und Ordnung beigebracht zu bekommen.
Ein weiterer gravierender Unterschied zur häuslichen und institutioneller Gewalt besteht auch darin, dass Heimkinder im Gegensatz zu Kindern innerhalb ihrer gewalttätigen Familien, ständig im Spannungsfeld permanenter Bedrohung leben mussten.
Sie konnten zu keinen anderen Verwandten flüchten, die sich ihrer verständnis- oder gar liebevoll annahmen. Niemand an den sie sich vertrauensvoll hätten wenden können.
Nichts dergleichen.
Jedes Heimkind war insofern in Unwissenheit der Lage, wie lange ihr Zustand der familiären Trennung noch andauern würde, ständig einsam und völlig auf sich allein gestellt.
Um in der Meute oft schon milieuvorgeschädigter Mitinsassen zu überleben, mussten sie sich geradezu zwangsläufig zu egozentrischen Einzelkämpfern entwickeln. Misstrauisch gegen jeden und alles, denn oft genug war es eben noch Dein Freund, der Dich für eine kleine Aufmerksamkeit an das Personal ans Messer lieferte.
Wer es später nicht schaffte, sich aus dieser eigenen Isolation zurück in die Gesellschaft zu entwickeln, blieb in der Regel das gesamte weitere Leben recht einsam.
Ein weiterer Unterschied zu familiären Kindern die Gewalt ausgesetzt wurden/werden, bestand darin, dass Heimkinder systematisch zur Unselbstständigkeit erzogen wurden, was nach ihrer unvorbereiteten Entlassung zu erheblichen Problemen führte, allein auf sich gestellt gesellschaftlich Tritt zu fassen. Dies hat bis heute zur Folge, dass viele von ihnen, selbst im gesetzten Alter noch immer am sozialen Rand unserer Gesellschaft darben müssen.
Diese Unterschiede konnte der Film natürlich nur schwerlich rüber bringen.
Ich halte den Film jedenfalls für recht gut gelungen, um eine Beklemmung zu erzeugen, die die meisten Zuschauer sicher auch so ähnlich wahrgenommen haben, aber im Gegensatz zu Betroffenen kaum für wahr gehalten haben.
Insofern war der Film nicht schlecht, ABER - er kam leider VIEL ZU SPÄT,
um noch ein breiteres Publikum für die Problematik ehemaliger Heimkinder zu sensibilisieren, oder gar zur Unterstützung von realistischen Entschädigungsleistungen durch Kirchen und Staatsverantwortlichen zu animieren.
Ehemalige Heimkinder verfügen leider über keine öffentlichkeitswirksame Lobby, die sich für ihre Interessen einsetzt.
Daher hätte ihnen eine breite öffentliche Entrüstung zur Durchsetzung ihrer Entschädigungsbestrebungen sicher sehr geholfen.
Doch da dieses ausblieb, bzw. nach der Buchveröffentlichung von Peter Wensierski schon bald wieder abebbte, war es den nachfolgeverantwortlichen Trägern von Kirchen und Staat ein leichtes Spiel, am Runden Tisch selbst über ihre Anteile von Schuld und Sühne befinden zu dürfen.
Zu all diesem neuerlichem Skandal unsere Medien leider wieder beharrlich geschwiegen haben.
Geht es ihnen doch eher um die Vermarktung spektakulärer Sensationen, statt der Gesellschaft durch konkrete Vorschläge und Anreize zu einer Weiterentwicklung zu verhelfen.
So wurden und werden auch weiterhin Opfergruppen zum Ausschlachten öffentlich vorgeführt, um sofort fallen gelassen zu werden, sobald das Thema nichts mehr einbringt.
Siehe Spiegelredakteur Wensierski, der es mit diesem Heimkinderskandal sogar bis zum Bundesverdienstkreuz gebracht hat, aber ebenfalls zu den skandalösen Vorgängen am Runden Tisch schwieg, um dieser Opfergruppe weiter zu helfen angemessen entschädigt zu werden. Wie er auch mit keiner Silbe darauf einging Werbung für einen besseren Schutz für zukünftige Kinder einzugehen, etwa durch ein Pflichtunterrichtsfach, in denen junge Menschen auf ihre spätere Elternrolle vorbereitet werden könnten und damit zu verhindern, dass Kinder wegen Überforderung ihrer Eltern auch heute noch Jahr für Jahr zu Zigtausenden in Heime eingewiesen werden, mit denen die meist klerikalen Träger eine lukrative Leidensverwaltung betreiben, bzw. kaum ein Interesse daran haben können, das der Nachschub an zu betreuenden Kindern abreißt.
Für die einst schwer geschädigten Heimkinder steht heute Im Ergebnis ein Schandfonds, der allenfalls dazu geeignet ist, die ehemaligen Heimkinder mit Sachleistungen zu demütigen, auf die sie nicht mal einen Anspruch erheben können, sondern über bürokratische Anlaufstellen als erniedrigende Bittsteller für Stützstrümpfe, Rolatoren, oder fragwürdige Therapien vorstellig werden dürfen.
Reaktionen seitens unserer Mitbürger blieben nach dem Film ebenfalls aus, sodass davon auszugehen ist, dass sich am Status Quo des gesellschaftlichen Schweigens und Wegsehens auch weiterhin kaum mehr etwas ändern wird und somit ehemalige Heimkinder um ihr Lebensglück betrogene Menschen bleiben werden, während die verantwortlichen Täterseiten in der monetären Sicherheit ihrer einstigen "Verdienste" selbstzufrieden einen wohligen Lebensabend genießen dürfen.
So bleibt als Fazit festzuhalten:
Der Film war gut, aber ohne einer echten Entschädigung und wahrhaftigen Rehabilitation der Betroffen, bleibt das Thema ehemalige Heimkinder damit auch weiterhin ein offener gesamtgesellschaftlicher Skandal. |