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Ein Wintermärchen - Thread 1

Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Tief durch atmend straffte Hollis die Schultern und betrat das Krankenzimmer. Obwohl sie noch immer geschockt war, Gibbs hier zu wissen, versuchte sie sich so gut es ging nichts anmerken zu lassen. Zumindest auf Grund ihrer Haltung glaubte sie das hin zu bekommen. Die Angst, die sie um ihn hatte, konnte sie jedoch nicht verbergen.

„Guten Morgen, Schatz“, begrüßte sie ihn mit einem zärtlichen Kuss und blieb danach verlegen am Bett stehen. Sie hatte nicht die Absicht ihm zu erzählen, wo sie gewesen war und woher sie wusste, dass er hier lag. Ihr war klar, dass Vorwürfe ihm am wenigsten helfen würden. Daher versuchte sie ihre Enttäuschung und Unsicherheit herunter zu spielen. „Habe ich die Nacht so laut geschnarcht, dass du fluchtartig das Weite suchen musstest?“ Ein zaghafte Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. „Falls ja, sollten wir auf getrennte Schlafzimmer umsteigen, damit du nicht noch einmal ausreißen musst.“ Sein irritierte Blick zeigte ihr, dass Gibbs ihr Verhalten nicht deuten konnte. Wie sollte er das auch, wenn sie es selbst nicht einmal konnte. Wie gern hätte sie ihn angeschrien. Ihn vor lauter Wut rund gemacht wie ein Lenkrad oder einfach in den Arm genommen und geküsst. Doch sie tat nichts dergleichen. Sie sah ihn nur an und versuchte zu verstehen.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Geschnarcht? Wieso glaubte Hollis, sie hätte ihn verjagt? Und woher wusste sie überhaupt, dass er hier war? Wie war sie so schnell hergekommen? Das Krankenhauspersonal wusste doch selbst erst seit fünf Minuten, wer er überhaupt war. Vermutlich war es an der Zeit, einiges zu erklären. Shannons ruhige Stimme im Hinterkopf, räusperte er sich noch einmal.

"Holly, es... ich weiß nicht mal, wie ich es dir erklären soll. Es tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin. Aber ich... ich musste, ich konnte nicht anders. Es.... es hat mich überwältigt, all die Erinnerungen und Gefühle. Ich... es war nicht richtig, dir nicht Bescheid zu sagen. Aber es war stärker als ich." Er schwieg und ließ die Minuten auf dem Friedhof noch einmal Revue passieren. Shannon war noch immer lebendig in ihm, und er spürte, dass sie noch immer über ihn wachte.

Hollis schwieg ebenfalls und sah ihn einfach nur an. Der Agent hatte keine Ahnung, wie er ihr Schweigen deuten sollte, eigentlich hatte er erwartet, dass sie ihm mindestens den Kopf abriss, aber sie war seltsam ruhig. Und Jethro Gibbs wusste, wann er eine Standpauke verdient hatte - DiNozzo hätte er für so eine Aktion halb bewusstlos geprügelt. Doch Hollis tat nichts dergleichen, sie stand nur da und blickte ihn an.

Das Schweigen war dem Ermittler unangenehm, und schließlich ergriff er erneut das Wort. "Wie zum Teufel hast du eigentlich herausgefunden, dass ich hier bin?!" fragte er neugierig. Doch bevor Hollis antworten konnte, wurde erneut die Tür geöffnet. Dr. Brentwood trat in Begleitung einer jungen Assistenzärztin und einer zutiefst gelangweilt wirkenden Krankenschwester ein. "Es tut mir leid, aber Sie müssen jetzt gehen," bat er Hollis. Die blonde Frau nickte Jethro noch einmal zu und verließ dann schweigend den Raum.

Jethro sah ihr nach und verdrängte die Gedanken, die ihn überfielen. Es war wichtiger, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, Dr. Brentwood hatte begonnen, die Schiene von seinem Knöchel zu entfernen, während er seinem Patienten eine Menge Fragen stellte. Der Ermittler antwortete, so gut er konnte, und gab Auskunft über Entstehung und bisherige Behandlung der Verletzungen. "War der Knöchel die ganze Zeit so dick?" fragte die Assistenzärztin entsetzt. "Nein," brummte Jethro. "Dick ist er seit gestern, seit... eine junge Dame aus Versehen darauf gelandet ist." Er bemerkte den Blick, den die beiden Mediziner tauschten und fügte hinzu: "Nicht DIE junge Dame - mit jung meine ich in diesem Fall wirklich jung, knapp sechs Jahre. Es war keine Absicht." Janice Johnson nickte. "Wie auch immer, das sehe ich mir genauer an," kommandierte Brentwood knapp. "Schwester Cathryn, bringen sie ihn bitte zum Röntgen und anschließend in Behandlungsraum Drei."

Die Angesprochene nickte und tauchte wenige Augenblicke später mit einem Rollstuhl wieder auf. "Packen Sie ihn warm ein, er war stark unterkühlt," ordnete Brentwood an, ehe er den Raum mit Johnson verließ. Verschlafen begann die Schwester, den Agenten in den Stuhl zu hieven und in eine Decke zu wickeln, und Jethro fühlte sich zu müde, um zu protestieren. Eine halbe Stunde später waren die Untersuchungen abgeschlossen. "Ich habe schlechte Nachrichten für Sie," kündigte Brentwood an. "Ihre Hand ist in Ordnung, soweit ich das beurteilen kann - oder zumindest nicht schlimmer verletzt, als sie mir bereits berichtet haben. Allerdings sollten sie sie etwas mehr schonen, daher habe ich den Verband mit etwas mehr Gips verstärkt." "Und wie soll ich mich damit dann fortbewegen?!" fragte Jethro entsetzt. Er war noch immer müde und von den erneuten Untersuchungen völlig geschafft. "Gar nicht," antwortete Brentwood knapp. "Sie bekommen vorerst einen Rollstuhl, bis es ihnen wieder besser geht."

Jethro verschlug es die Sprache. Das durfte doch wohl nun wirklich nicht wahr sein, das konnte nur ein schlechter Scherz sein. "Aber das war nicht die schlechte Nachricht, von der ich gesprochen habe," fuhr Brentwood fort. "Ihrem Knöchel wäre es besser bekommen, wenn sie sich etwas mehr geschont hätten, insbesondere, wenn sie nicht mit kleinen Mädchen herumgetobt hätten. Die Bänder sind erneut gerissen, das müssen wir noch einmal operieren." Der Agent spürte, wie die Farbe aus seinem Gesicht entwich, doch sein Gesicht zeigte keine Regung. "Im Moment ist es sehr ruhig hier, und soweit ich das sehen kann, sind sie bereits nüchtern. Ist das richtig?" Der Ermittler nickte und ahnte, was nun folgen würde. "Ich werde ihnen einen Anästhesisten vorbeischicken," bestätigte der Mediziner seinen Verdacht. "Im OP- Plan sind sie bereits eingetragen, dann haben Sie es rasch hinter sich."

Jethro nickte geistesabwesend. "Wie lange muss ich hier bleiben?" fragte er. "Wenn alles gut geht, nicht sehr lange," bekam er zur Antwort. "Im Grunde geht es nur um die Nachsorge der Narkose - ich denke, spätestens in zwei Tagen sind sie wieder entlassen, vielleicht auch schon übermorgen." Jethro nickte noch einmal und war sich sicher, dass er spätestens morgen abend wieder zu Hause sein würde. Allerdings hoffte er inständig, dass er diese Narkose besser vertragen würde als die letzte. Dr. Brentwood trat noch einmal näher. "Das ist im Moment sicher alles etwas viel für Sie," vermutete er. "Das wird ihnen helfen, ruhig zu bleiben." Ehe der Ermittler reagieren konnte, hatte der Mediziner seinen Arm gefasst und ein Beruhigungsmittel in die Vene injiziert.

Während die Schwester ihn zurück auf das Zimmer brachte, spürte Jethro, wie das Mittel zu wirken begann. Er wurde schläfrig und seine Gedanken seltsam leicht. Eigentlich hatte er das Gefühl, überhaupt nicht mehr zu denken, und er musste sich stark konzentrieren, nicht einfach wegzudriften. Er hoffte, das Hollis noch einmal vorbeischauen konnte, doch er war zu müde, um danach zu fragen. Doch wenn er Brentwood richtig verstanden hatte, blieb ihm ohnehin nicht mehr viel Zeit, und für klärende Gespräche war dies wohl auch nicht die richtige Verfassung. Dennoch schrie alles in ihm danach, sie zu sehen. Es war unwahrscheinlich, dass es Komplikationen gab, aber er wollte nicht im Streit mit ihr auseinandergehen. Sie hatte es nicht verdient, dass Missverständnisse ewig zwischen ihnen stehen würden.

Die Schwester öffnete die Zimmertür und half dem Agenten zurück ins Bett. Erschöpft sank der Ermittler in die Kissen und blieb regungslos liegen. Als sich die Tür einige Minuten später öffnete, blickte er auf, um zu sehen, ob es sich bei diesem Besucher bereits um den Narkosearzt oder vielleicht doch um Hollis handelte.

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Hollis

Jethros bevorstehender OP traf Hollis wie ein Schlag. Die ganze Zeit über war sie mehr oder weniger gefasst gewesen, doch die Nachricht drohte ihr den Boden unter den Füßen zu rauben. Der behandelnde Arzt versicherte ihr zwar, dass es nur ein routinemäßiger Eingriff wäre und sie sich keine Sorgen zu machen braucht, aber die Ereignisse der letzten Wochen saßen noch zu tief. Wie sollte sie sich nach allem was passiert war keine Sorgen machen? Das ging einfach nicht. Oh wie sie solche Situationen hasste. Zum Glück gab Dr. Brentwood ihnen noch ein paar Minuten und sie hoffte inständig, dass Jethro alles gut überstehen würde.

Erneut atmete sie tief durch und betrat so selbstsicher wie möglich das Krankenzimmer. Jethros schläfriger Anblick erschütterte sie und es fiel ihr sichtlich schwer die Tränen zu unterdrücken. Die blonde Frau biss sich krampfhaft auf die Lippen und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Lächelnd ließ Hollis neben Gibbs auf dem Bett nieder und ergriff sein Hand. „Du machst Sachen. Einen Krankenhausaufenthalt hättest du auch in Washington haben können. Dafür hätten wir nicht ein paar tausend Meilen fliegen müssen.“ Hollis rutschte ein Stück näher und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Dann legte ihre Stirn an seine und flüsterte ihm zu: „Der Doc ist zuversichtlich. Wenn alles gut geht, bist du schneller raus als wir denken können. Also, Augen zu und durch, Gunny. Ich warte auf dich.“ Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt; Und dann gehen wir gemeinsam deine Familie besuchen, doch dafür war im Moment nicht der richtige Augenblick.


Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Das Beruhigungsmittel machte es ihm fast unmöglich, überhaupt noch einen klaren Gedanken zu fassen, doch es erleichterte ihn ungemein, Hollis zu sehen. Sie war bei ihm, sie küsste ihn und sie war offensichtlich nicht wütend. Jedenfalls nicht wütend genug, es ihn in dieser Situation spüren zu lassen. Er erwiderte ihren Kuss und versuchte zu lächeln. "Das... das ist gut," krächzte er heiser und war verwirrt, dass sein Hals bereits vor der OP unangenehm kratzte. Er wollte lieber nicht daran denken, wie es danach sein würde, aber er wusste, dass auch das vorbeigehen würde. Er hatte schon Schlimmeres überstanden, ohne bleibende Schäden davonzutragen.

Er versuchte, nach ihrer Hand zu greifen, was sich mit dem Gips als nahezu unmöglich herausstellte. Im gleichen Moment öffnete sich auch schon die Zimmertür ein zweites Mal, und ein pickliger Krankenpfleger trat rasch näher. "Dann wollen wir mal," erklärte er, als hätte er den Satz auswendig gelernt. Jethro nickte müde und hielt Hollis' Blick fest, bis sich die Aufzugtüren zwischen ihnen schlossen. Als er allein in dem winzigen Raum zurückblieb, atmete er noch einmal tief durch und schloss die Augen. Die Fragen des Anästhesisten, der ihn schließlich in Empfang nahm, konnte er schon kaum noch beantworten, weil er so unglaublich müde war, und auch von der eigentlichen Narkose bekam er dieses Mal fast nichts mit.

Die Übelkeitsattacken im Aufwachraum fielen diesmal bereits etwas schwächer aus, und nach kurzer Zeit brachte die hagere Schwester ihn bereits wieder auf sein Zimmer. Jethro fühlte sich noch immer hundeelend, und er wusste, dass er sich in den nächsten Stunden mit Sicherheit noch ein paar Mal übergeben würde. Dennoch lächelte er, als er erkannte, dass Hollis bereits auf ihn wartete. "Da bin ich wieder," brachte er hervor und registrierte, dass seine Stimme nicht mehr als ein Krächzen war. "Danke, dass du..." gewartet hast, hatte er eigentlich sagen wollen, doch sein Magen war schneller.




Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Während Gibbs die OP über sich ergehen lassen musste, war Hollis kurz davor gewesen wahnsinnig zu werden. Wie eine Tigerin im Käfig war sie im Besucherbereich auf und ab gelaufen. Das Warten hatte sie fast wahnsinnig gemacht, bis sie kurze Hand zum Telefon gegriffen und Ducky angerufen hatte. Der alte Pathologe erschien ihr in diesem Moment wie eine Art Zufluchtsstätte. Er war der Fels in der Brandung, der ihr zuhörte und Kraft gab. Bei dem sie sich nicht verstellen brauchte und ihre Angst offen zugeben konnte. Der ihr versicherte, dass Gibbs nicht klein zu kriegen war und sie das Richtige tun würde. Der sie bestärkte, auf ihr Herz zu hören und auf nichts anderes.

Seit dem Gespräch war über eine Stunde vergangen und Hollis war erleichtert, als man Gibbs in sein Zimmer zurück gebracht hatte. Die Narkose hatte ihn, wie schon beim letzten Mal, stark mitgenommen und Hollis griff sofort geistesgegenwärtig nach einer Schale. „Schon gut“, erwiderte sie mit einem Lächeln und strich ihm über die Stirn. „Das Schlimmste hast du überstanden und den Rest überstehst du auch noch.“ Kaum das sie die Schale abgestellt hatte, erschien auch schon eine der Schwestern und erkundigte sich nach Gibbs´ Befinden. 

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Tatsächlich vertrug der Ermittler die Narkose dieses Mal wesentlich besser als beim letzten Mal. Die Übelkeitsattacken, bei denen Hollis ihm tapfer zur Seite stand, ließen nach wenigen Stunden nach. Den Rest des Tages und die darauffolgende Nacht verschlief Jethro überwiegend, und er erholte sich so gut, dass Dr. Brentwood ihn tatsächlich gegen Mittag in die Freiheit entließ. "Freiheit" war allerdings nur ein sehr relativer Begriff, da der Mediziner darauf bestanden hatte, dass das Laufen auf Krücken für seine verletzte Hand derzeit zu gefährlich war. Und so schob Hollis ihren Freund im Rollstuhl in die Mittagssonne hinaus.

Sie sprachen nicht viel miteinander, Jethro war beinahe genauso schweigsam wie schon bei ihrer Ankunft in Kalifornien. Und doch war es anders, es war ein anderes Schweigen, nicht von Schmerz und Schuldgefühlen geprägt. Es gab einfach nichts zu sagen, nicht im Moment. Glücklicherweise verfügte der Mietwagen über einen geräumigen Kofferraum, in dem Hollis den Rollstuhl problemlos verstauen konnte, ehe sie den Wagen startete. Jethro fragte nicht, wohin sie fuhr, doch er erkannte die vertrauten Konturen rasch wieder. Der Friedhof war auch sein erstes Ziel gewesen, und er lächelte Hollis dankbar an. Auch wenn Shannon längst über sie Bescheid wusste, wurde es Zeit, sie ihr offiziell vorzustellen.

Der Wagen hielt auf dem Parkplatz in der Nähe des Eingangs, und Jethro protestierte nicht einmal ansatzweise, als Hollis ihm in den Rollstuhl half und in eine warme Decke einpackte. Er hatte sich bei seinem nächtlichen Besuch stark erkältet und Dr. Brentwood hatte ihm eingeschärft, nur gut verpackt an die Luft zu gehen. Es fühlte sich ungewohnt an, sich so untätig durch die Gegend schieben zu lassen, und Jethro merkte schnell, dass die Decke eine sehr gute Idee war. Dadurch, dass er sich im Sitzen nicht bewegte, wurde es selbst darunter rasch kühl. Noch immer sprach keiner von ihnen ein Wort, und der Silberfuchs wunderte sich nicht, dass Hollis zielstrebig den richtigen Weg einschlug. Sie blieb stehen, als sie in der Nähe eine Trauergesellschaft entdeckte.

"Ich würde ungern stören," erklärte sie leise, und Jethro nickte. "Bieg dort vorne in den zweiten Weg ab," schlug er vor. Verwundert folgte Hollis seinen Anweisungen, die sie im Zickzack durch die Grabstellen führten. Doch der Ermittler schien den Weg zu kennen, und einige Minuten später sagte er plötzlich "Halt. Hier ist es." Sie standen vor einem schlichten, unauffälligen Einzelgrab, das seltsam vergessen wirkte. Hollis betrachtete neugierig den Grabstein, doch der Name Jim Cunningham sagte ihr nicht das Geringste.

Jethro hingegen atmete tief ein und aus, und sie spürte, wie sehr dieser Besuch ihn aufwühlte. Wer war dieser Mann? Jemand, mit dem er während seiner Zeit im Corps gedient hatte? Ein Kamerad, ein gefallener Freund? "Wer war Jim Cunningham?" durchbrach sie schließlich das Schweigen. "Woher hast du ihn gekannt?" Jethro schwieg noch einen Moment, ehe er antwortete. "Ich bin ihm nie begegnet," gestand er. "Ich habe ihn gehasst, für etwas, das nicht seine Schuld war. Es hat lange gedauert, bis ich... bis ich meinen Frieden damit gemacht habe. Es ist das erste Mal, das ich ihn besuche."

Hollis blickte erneut auf den Grabstein und erkannte erst jetzt das Todesdatum - das gleiche, das sie bereits vor ein paar Tagen auf zwei anderen Grabsteinen ganz in der Nähe gesehen hatte. "Jim Cunningham," fuhr Jethro fort und bestätigte damit ihre Theorie, "ist der NIS- Agent, der Shannon und Kelly schützen sollte. Er saß am Steuer des Wagens, als ein überholender Motorradfahrer ihn aus nächster Nähe erschossen hat. Der Wagen ist außer Kontrolle geraten und in einen abgestellten Truck geschleudert worden. Shannon und Kelly sind bei dem Zusammenstoß getötet worden." Sein gesamter Körper zitterte, als er diese Worte aussprach. Seit über fünfzehn Jahren hatte er nicht mehr darüber gesprochen, hatte die schmerzhaften Details aus den Ermittlungsakten verdrängt.

Doch nun wurde es Zeit, damit abzuschließen, und er schloss die Augen zu einem kurzen Gebet. Auch wenn Jim Cunningham schon ebenso lange tot war wie seine Familie, Jethro war es ihm schuldig, seinem vergessenen Kollegen für seinen Einsatz zu danken.




Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Ergriffen von seinen Worten legte Hollis die Hände auf Jethros Schultern. Von alle dem hatte sie nichts gewusst. Sie hatte bisher nie gefragt wie Shannon und Kelly ums Leben gekommen waren. Sie hatte es sich nicht getraut, um so erschütterter war sie nun. Niemand hätte diesen feigen Hinterhalt verhindern können. Ein Ereignis, das nicht tragischer hätte sein können. Daher konnte sie verstehen, dass er unter anderem dem Agenten die Schuld am Tod seiner Familie gab. Doch gleichzeitig war sie froh, dass Gibbs es allmählich zu verarbeiten begann. Sein Hier sein war der erste und beste Schritt dazu.

Nachdem sie eine ganze Weile stumm an dem Grabstein verharrt hatten, gab Jethro ihr zu verstehen, dass er weiter wollte. Schweigend schob Hollis den Rollstuhl in die ihr angewiesene Richtung. Sie erzählte ihm nicht, dass sie den Weg mittlerweile kannte und nun schon zum dritten Mal hier war. Überhaupt hatte sie ihm gegenüber mit noch keinem Wort erwähnt, dass sie die letzte Ruhestätte seiner Familie bereits kannte. Womöglich ahnte er es, da sie vom Krankenhaus aus, zielsicher zum Friedhof gefahren waren. Wovon er aber nichts ahnen konnte, waren die stummen Gespräche die sie hier geführt hatte. Von einem Gespräch, das sogar erst vor wenigen Stunden an diesem Ort stattgefunden hatte.

Da sie die ganze Zeit im Krankenhaus an seiner Seite verbracht hatte, hatte Gibbs darauf bestanden, dass sie die Nacht im Apartment schlafen sollte. Er hatte ihr angesehen wie erschöpft und müde sie war. Obwohl sie seiner Bitte nur widerwillig Folge geleistet hatte, hatte sie letztendlich eingesehen, dass sie die Kraft und dringend etwas Abstand brauchte. Aus diesem Grund, und nur aus diesem Grund, hatte sie ihn schweren Herzens zurück gelassen und eine unruhige Nacht allein verbracht. Schon zeitig am Morgen war sie wach gewesen und hatte den dringenden Wunsch zum reden verspürt. Darüber was sie die letzten Tage und Wochen durchgemacht hatten. Über ihre Ängste, ihn erneut zu verlieren, über ihre eigenen schmerzlichen Erinnerungen und über die Ungewissheit, die die Zukunft mit sich brachte. Lauter Dinge, die sie Gibbs gegenüber nicht wagte auszusprechen. Unausgesprochene Gefühle, die sie, noch bevor sie zu ihm ins ins Krankenhaus gefahren war, geradewegs zum Grab seiner Familie zurück geführt hatten. Ein Weg, den sie dieses Mal ganz bewusst und nicht mit leeren Händen gegangen war. Die Sonne war am aufgehen gewesen und hatte das große Areal in einen friedlichen roten Schein gehüllt. Kaum eine Menschenseele war ihr an diesem Morgen begegnet und Hollis war einmal mehr bewusst geworden, wie viel Glück Gibbs hatte, dass man ihn fand. Sie wagte noch immer nicht darüber nachdenken, was hätte passieren können. Darüber, dass er sich ausgerechnet eine der kältesten Nächte Kaliforniens seit über fünfzig Jahren zum übernachten im Freien ausgesucht hatte.

Als sie schließlich nach einigen Meter die weißen Grabsteine seiner Familie erreichten, hielt Gibbs den Rollstuhl von sich aus an. Sein Blick wanderte verwundert über die mit frischen Blumen geschmückten Gräber. Hollis Herz schlug bis zum Hals und sie traute nichts zu sagen, aus Furcht er könne ihre Geste mit den Blumen falsch verstehen. Es war nicht ihre Absicht sich in seine Vergangenheit zu drängen. Das lag ihr fern, aber wie sollte sie ihm erklären, was sie dazu veranlasst hatte. Wie sollte sie ihm sagen, dass sie den beiden Menschen, die er noch immer liebte, erst im Morgengrauen ihr Herz ausgeschüttet hatte. Das die beiden mittlerweile mehr über sie wussten als er selbst.


Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro rühte sich nicht und sah eine Weile auf die Blütenpracht. Er ahnte, von wem sie stammten, auch wenn ihm nicht ganz klar war, wie Hollis das Grab gefunden hatte. Andererseits war sie - ebenso wie er - eine hervorragende Ermittlerin, die sich zu helfen wusste. Dir Gräber sahen prachtvoll aus, und der Agent freute sich über diese Geste. Sie passte zum Anlass einfach perfekt.

Langsam rollte er weiter, bis sie direkt vor den Gräbern standen. Erst hier drehte er sich langsam um und blickte Hollis an. "Sie sind wunderschön," bekannte er leise. "Shannon hat Blumen geliebt - woher wusstest du, das weiße Lilien ihre Lieblingsblumen waren?!" Doch er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern wandte sich dem Grab zu. Er war ruhiger als bei seinem letzten Besuch, und diesmal spürte er Shannons Anwesenheit sofort. Er konnte sie nicht sehen, doch er wusste, dass sie da war. "Hallo!" begann er in Gedanken ein leises Zwiegespräch. "Ich... ich habe eine Weile Zeit zum Nachdenken gehabt." Er hörte Shannon leise lachen und glaubte, ihre weiche Haut auf seiner spüren zu können. "Ich weiß", gluckste sie. "Und ich freue mich für dich. Es ist schön, dass du sie mitgebracht hast. Es ist gut, dich nicht immer allein zu sehen."

Hollis war neben ihm stehen geblieben und beobachtete den Agenten aufmerksam. Obwohl er kein Wort aussprach, konnte sie sehen, dass er mit seiner Familie sprach. Er sprach nicht mit Worten, doch seine Blicke, Mimik und Körpersprache verrieten ihr von der Unterhaltung, auch wenn sie den Inhalt nicht verstehen konnte. Sie sah, wie Tränen in Jethros Augen traten, als er nach ihrer Hand griff.

"Ich... ich möchte euch jemanden vorstellen," bat der Ermittler. Obwohl er noch immer nicht laut sprach, wusste er, das Hollis ihn ebenfalls verstand. "Shannon, Kelly... das ist Hollis. Sie... sie hat es irgendwie geschafft, mich zu ertragen..." Er grinste unter den Tränen. "Hollis, das ist meine Familie." Auch Hollis spürte die Anwesenheit der beiden Seelen. Es waren keine konkreten Gedanken, die sie erreichten, doch sie spürte ein Gefühl der Wärme und des Willkommens und lächelte.

"Sie sieht nett aus, Daddy!" meldete sich auch Kelly nun zum ersten Mal zu Wort. "Bist du jetzt nicht mehr so oft traurig?" "Nein," schniefte der Agent. "Jetzt bin ich nicht mehr traurig. Auch wenn ihr beide mir immer noch fehlt..." Er konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. "Es ist okay, Daddy!" rief Kelly. "Du fehlst uns auch. Aber du darfst nicht traurig sein, sonst sind Mummy und ich auch traurig... Ich liebe dich, Daddy!" "Mach es gut, Jethro," fügte Shannon hinzu, während ihre Stimme langsam leiser wurde. "Ich wünsche euch beiden alles Gute. Und passen Sie mir gut auf ihn auf, Hollis! Denken Sie daran: er braucht hin und wieder jemanden, der ihm den Kopf wäscht!" Shannon schien bei diesen Worten regelrecht zu grinsen. "Ich liebe dich, Jethro," setzte sie hinzu. "Pass auf dich auf."

 "Ich liebe euch auch," flüsterte Jethro erstickt. "Ich liebe euch auch... und ich werde es immer tun, egal, was geschieht." Langsam, wie in Zeitlupe, hob er den Kopf und blickte Hollis an. "Du hättest sie gemocht, Holly," brachte er hervor. "Sie war eine wundervolle Frau, und ich bin sicher, dass ihr euch gut verstanden hättet... und auch Kelly hätte dich sicher gern gehabt."

 OOC: So, ich muss jetzt aufhören, der kleine Zwerg ist aus dem Mittagsschlaf erwacht und fordert jetzt den Einsatz seiner Patentante *gg* Bis später, bin heute Abend wieder zu Hause!





Re: Ein Wintermärchen

Hollis

Hollis war nicht in der Lage etwas zu erwidern und drückte ganz fest seine Hand. Was sollte schon sagen? Kein Wort hätte auszudrücken vermocht wie viel ihr dieser Moment bedeutete. Sie ahnte, dass Shannon etwas besonderes gewesen waren. Eine Frau, die ihn geliebt und ihm die Stirn geboten hatte. Mit Sicherheit eine bemerkenswerte Frau, die sie sehr gern kennen gelernt hätte. „Ja, das glaube ich“, brach sie mit einem Lächeln das Schweigen und legte eine schief liegende Blume zurück auf Shannons Grab. „Lilien sind wundervolle Blumen. Ich liebe sie und freue mich, dass sie dir gefallen. Ich war mir nicht sicher ob...“ Hollis lächelte ihn verlegen an und zog die Schultern nach oben „Du weißt schon...“

Mike Franks

Während die zwei miteinander sprachen und sich gefühlsmäßig immer tiefer aufeinander einließen, bemerkten sie nicht, dass sie beobachtet wurden. Ein älterer, hagerer grauhaariger Mann musterte sie aus sicherer Entfernung und registrierte jede Geste genau. Sein Blick wanderte anerkennend über Hollis Figur und blieb mit regungsloser Mine auf Gibbs haften. Er hatte nicht damit gerechnet den Agenten in diesem jämmerliche Zustand hier anzutreffen. Es war reiner Zufall, dass er aus privaten. geschäftlichen Gründen in San Diego zu tun und auf dem Stützpunkt von Gibbs´ Anwesenheit erfahren hatte. Mit allem möglichen, nur nicht mit ihm und schon gar nicht in Begleitung einer Frau hätte er mit Gibbs hier gerechnet. Soviel er wusste, hatte sein ehemaliger Partner das seit Ewigkeiten nicht getan. Ein Wiedersehen, dass den bärtigen Mann freudig überraschte und erleichterte. Vielleicht würde sein Kamerad und Freund nun endlich Ruhe finden können. Den richtigen Zeitpunkt abwartend ließ er den beiden noch eine Weile Zeit und machte sich erst auf ihrem Rückweg mit seiner unverwechselbaren rauen Stimme bemerkbar. „Hallo Probie, schön dich zu sehen“, grüßte Mike Franks und trat aus dem Schatten eines Baumes.

Re: Ein Wintermärchen

Gibbs

Jethro blieb wie vom Donner gerührt stehen. "Mike!" rief er überrascht und erfreut zugleich. "Was zum Teufel hast du denn hier verloren, dass du dich um diese Jahreszeit nach el nuerte verirrst?!" Er wartete, bis der hagere Mann näher gekommen war, ehe er sich vorsichtig aus seinem Rollstuhl erhob und seinen Freund umarmte. Anschließend setzte er sich wieder hin und ließ zu, dass Hollis die Decke wieder fest um ihn herum stopfte.

"Das gleiche könnte ich dich fragen, Probie!" knurrte Mike. "Was hast du angestellt, zum fünften Mal geheiratet?!" Er warf einen auffordernden Blick in Richtung Hollis. Gibbs lachte. "Nein, Mike, ich habe meine Lektion gelernt..." Er grinste übermütig. "Das ist Hollis Mann, ehemals Army CID. Holly, das ist Mike Franks - mein Boss und Special Agent im Ruhestand." "Dein Boss?!" platzte es aus Hollis heraus. "Yepp," antwortete Jethro amüsiert. "Er hat mir beigebracht, was einen Special Agent ausmacht." "Ich habe dir nichts beigebracht," knurrte Mike unwirsch. "Du hast dir vielleicht das eine oder andere abgeguckt, während ich ermittelt habe. Was ist, wollt ihr hier Wurzeln schlagen?! Mir ist kalt und ich könnte einen heißen Tee und was zwischen die Zähne gebrauchen. Worauf wartet ihr noch?!" Ungeduldig marschierte er in Richtung Ausgang.

Eine halbe Stunde später saßen die drei in der Kantine des Stützpunktes vor dampfenden Tellern. Jethro hatte sich - die Reaktion seines Mages auf die OP noch im Hinterkopf - zurückgehalten und sein Steak wie bereits in Nevada "medium" bestellt. "Und jetzt raus mit der Sprache, Probie!" brummte Mike mit vollem Mund. "Was hast du angestellt, dass du dich wie ein Baby durch die Gegend schieben lässt?" Jethro machte sich ebenfalls nicht die Mühe, herunterzuschlucken, ehe er antwortete. "Nichts Wildes," beruhigte er den Mexikaner. "Nur eine Verkettung unglücklicher Umstände, wie Dawson immer so gern gesagt hat. Bänderriss durch Glatteis und Finger in der Autotür sind keine idealen Kombination." Mike nickte. "Und was ist mit dem Rest der Geschichte?" fragte er trocken. Jethro grinste, Mike und er kannten sich zu gut, um nicht mitzubekommen, wenn den anderen etwas bewegte. Und so erzählte er zwischen Steak und Pommes von den Geschehnissen in Nevada, von Ethan, von Maria Mondego und ihrer Tochter, von Dr. Kody und Dr. Kinning und von Ethans heimtückischen Plan, Maria für seine Verbrechen büßen zu lassen.

"Hm-hm," brummte Mike, während er sich den Mund abwischte. "Mexikanischer Drogenring, sagst du. Nun, ich werde mal die Ohren offen halten. In der cantina kann man einiges erfahren, wenn man will - und die meisten haben längst vergessen, dass ich mal Fed war - wenn sie es überhaupt je gewusst haben. Ich sag dir Bescheid, wenn ich über die Jungs was weiß." Jethro nickte und wechselte das Thema. "Was hast du eigentlich auf dem Friedhof gemacht?" fragte er. "Und wie geht es meiner Patentochter?" Mike lachte. "Ich habe mich schon gewundert, dass du erst jetzt fragst. Hätte ich gewusst, dass du hier bist, hätte ich dir dein Geschenk mitgebracht, das sie dir gebastelt hat, aber nun wirst du es wohl mit der Post bekommen." Er zog ein abgewetztes Foto aus der Jackentasche. "Das ist das aktuellste Bild, das ich von ihr habe." "Meine Güte, ist sie gewachsen!" rief Jethro überrascht aus. "Schön zu sehen, dass es euch gut geht."

Er bemerkte Hollis irritierten Blick, die während der gesamten Mahlzeit geschwiegen hatte. "Mike hat eine Enkeltochter," verriet er. "Sie ist jetzt fast zwei und ein prachtvolles Mädchen."