Mit Tränen verschleiertem Blick war Hollis nicht in der Lage ihren Freund anzusehen, geschweige etwas zu erwidern. Das Ganze ging ihr ebenso nahe wie ihm und sie fühlte sich kaum in der Lage ihn zu trösten. Doch letztendlich riss sie sich zusammen, legte die Arme um ihn und hielt ihn fest, einfach nur schweigend fest. Sie hatte keine Ahnung wie lange sie so saßen. Aneinander geschmiegt, Zeit und Raum vergessend. Als sie merkte, dass Gibbs´ Zittern nachgelassen hatte und er sich allmählich wieder zu beruhigen begann, bat sie ihn leise mit zu kommen. Es war spät, verdammt spät und längst Zeit schlafen zu gehen. Sie hatte keine Ahnung, ob sie nach diesen aufwühlenden Ereignissen überhaupt in den Schlaf fanden, aber sie sollten es wenigstens versuchen.
Schwer fällig, mehr mechanisch als bewusst, ließ Gibbs sich in seinen Rollstuhl gleiten und widerstandslos von Hollis in Richtung Schlafzimmer bringen. Er entledigte sich stumm seiner Sachen, bemerkte kaum dass Hollis ihm seine Thromboseprophylaxe verabreichte und drehte sich schweigend auf die Seite.
Ich komme gleich wieder, gab Hollis ihm leise zu verstehen und ließ den trauernden Mann allein. Viel mehr als ihn halten, trösten und für ihn da sein, konnte sie im Augenblick nicht tun. Vielleicht war es gut ihn nun allein zu lassen. Ihm die Möglichkeit zu geben, all das Gelesene und Gesehene zu verdauen und um letztendlich endlich Ruhe zu finden.
Sie selber brauchte dringend eine kalte Dusche, um all die vielen, unschönen Dinge verarbeiten zu können. Diese Art der Ernüchterung hatte ihr schon während der aktiven Dienstzeit geholfen einen klaren Kopf zu bekommen. Fröstelnd, nur mit einem Handtuch bekleidet, tappte sie danach zurück ins Wohnzimmer und ließ sich nochmals auf das Sofa sinken ließ. Die Akte lag noch immer an der Stelle, wo Gibbs sie hatte liegen lassen. Zögernd zog Hollis den Berg Papier zu sich heran und schlug die hinteren Seite mit den Bildern der Autopsie auf. Da waren noch einmal die Fotos von Shannon, deren Gesicht bleich und blass, aber doch friedlich aussah. Ihre roten Haare schmiegten sich um das gleichmäßig geschnittene Gesicht und Holllis erkannte, dass sie zu Lebzeiten eine attraktive Frau gewesen war. Ohne Frage hatten Jethro und sie ein wundervolles Paar abgegeben. Für die nächsten Bilder fehlten ihr zunächst der Mut und sie zögerte lange, bevor sie die nächste Seite aufschlug. Einen Moment lang schloss sie die Augen und biss sich schmerzlich auf die Unterlippe. Die Bilder ihrer eigenen Erinnerungen vermischten sich mit den Fotos vor ihr. Sie sah ein schmieriges Bündel mit einem süßen, zerknitterten Gesicht auf ihrem Bauch liegen. Ein kleiner Mund, der sich nie zum Schrei öffnete und winzige, leblose Augen, die nie die Möglichkeit bekamen neugierig in die Welt zu blicken. Schluchzend riss Hollis sich aus dieser Erinnerung los und betrachtete die Bilder Kellys. Sie war ein hübsches, kleines Mädchen mit weichen Gesichtszügen gewesen. Hollis konnte nicht deuten mit wem sie mehr Ähnlichkeit hatte. Sie hatte Jethros markantes Kinn und die Form von Shannons Augen. Man sah ihr nicht an, dass sie an Genickbruch gestorben war. Bilder, die zu Hollis´ Erleichterung weniger grausam waren als angenommen. Bilder, die ein kleines Dornröschen im hundertjährigen Schlaf, zeigten.
Re: Ein Wintermärchen
Gibbs
Der Silberfuchs lag lange einfach nur reglos da, nachdem Hollis den Raum verlassen hatte. Sein Kopf war wie leergefegt, und er hatte das Gefühl, keinen einzigen Gedanken fassen zu können. Er war Hollis mehr als dankbar, dass sie ihn allein gelassen hatte, das sie ihm die Ruhe ließ, die er brauchte. Shannons Bild geisterte immer wieder durch seinen Kopf, bleich und fremd und doch vertraut. Mit aller Macht hielt er sich am letzten Satz des Berichts fest. Allerdings ist aufgrund der Schwere der Verletzungen von einem sofortigen Bewusstseinsverlust auszugehen. Auch Shannon hatte nicht gelitten. Und er war sicher, dass ihre letzten Gedanken ihm und Kelly gegolten hatten.
Vollkommen erschöpft fiel er schließlich in einen leichten Schlaf. Sofort konnte er sie sehen: Shannon am Lagerfeuer, Kelly beim Angeln, ihre leuchtenden Augen beim Ausritt am Strand. Er hörte das Knistern der Flammen im abendlichen Lagerfeuer und roch den würzigen Duft der gegrillten Fische. Er kannte diesen Traum, er hatte ihn unzählige Male durchlebt. Doch zum ersten Mal seit ihrem Tod tauchten keine Gewitterwolken am Horizont auf. Keine Flutwelle kam aus dem Meer, kein Erdrutsch und kein Wirbelsturm, kein tremor und keine Abgründe, die sich unvermittelt auftaten. Es blieb friedlich, und er genoss den letzten Abend im Kreis seiner Familie. Sie hatten tatsächlich noch einmal gecampt und gegrillt, ehe er am nächsten Morgen in aller Frühe ins Camp zurückgekehrt war, um zum Einsatz nach Kuwait aufzubrechen.
Der Ermitler schreckte hoch, als eine heftige Windböe die Fenster des Schlafzimmers erzittern ließ. Das Bett neben ihm war noch immer leer, und er fühlte sich unglaublich einsam und verlassen. Steif und müde schob er die Beine aus dem Bett und humpelte vorsichtig auf einem Bein ins Wohnzimmer. Hollis saß auf dem Sofa, die aufgeschlagene Akte auf ihrem Schoß. Ihr Kopf war auf die Brust gesunken, und ihre Augenlider und die unruhig zuckende Hand verrieten, das sie schlief. Langsam humpelte JEthro hinter sie und legte ihr sanft eine HAnd auf die Schulter.
Gleichzeitig fiel sein Blick fast automatisch auf die Akte und auf Kellys bleiches GEsicht. Unwillkürlich verkrampfte er sich und umfasste Hollis Schulter fester als beabsichtigt. Sie schreckte hoch, und Jethro löste sich von dem schaurigen Bild. "Es ist spät," flüsterte er heiser. Seine Stimme schien verschwunden zu sein, doch die blonde Frau verstand ihn dennoch. Auch sie hatte offensichtlich nicht allzu gut geträumt und brauchte einen Moment, um in die Gegenwart zurückzukehren. "Ich glaube, wir können beide ein bisschen Wärme gebrauchen," brachte Jethro und ließ sich kraftlos neben ihr auf das Sofa fallen.
Re: Ein Wintermärchen
Hollis
Es dauerte einen Moment bis Hollis begriff was los war und ihr bewusst wurde, dass sie nur mit einem Handtuch bekleidet in dem kleinen Wohnzimmer saß. Sie spürte Gibbs´ warmen Körper neben sich und merkte wie kalt ihr war. Verschlafen sah sie den grauhaarigen Mann an und nickte. Es wurde wirklich Zeit, dass sie ins Bett kam und Wärme hatten sie beide mehr als nötig. Sie lächelte dankbar als Gibbs ihr eine Decke und den Arm um die Schulter legte. Vor lauter Müdigkeit hatte sie allerdings nicht daran gedacht, dass sie Akte noch vor ihr lag. Erst als die Papiere von ihrem Schoß rutschen, fiel es ihr wieder ein. Einige Papiere samt Fotos verteilten sich zu ihren Füßen und gaben einen Blick auf diverse Bilder frei. Bilder, die sie zuvor mühsam vermieden hatten zu betrachten. Schlagartig munter sammelte Hollis sie jedoch geistesgegenwärtig rasch wieder auf auf, bevor Jethro überhaupt richtig reagieren.
Es tut mir leid, murmelte sie leise und verstaute die Akte im Schubfach einer Kommode. Dann zog sie ihn schweigend mit sich in Schlafzimmer und kuschelte sich unter der Decke ganz nah an ihn. Obwohl sie nackt war und die Nacht unter normalen Umständen um diese Uhrzeit für sie beide an dieser Stelle erst richtig begonnen hätte, war ihnen beiden nicht nach Sex zumute. Es reichte aus, die Nähe und Wärme des anderen zu spüren. Einfach nur schweigend nebeneinander zu liegen und die Gewissheit zu haben, nicht allein zu sein.
Staatsgefängnis von Virginia
Es wäre hilfreich, wenn Sie mir endlich sagen was los ist, Mrs. Mondego?, drängte die Vollzugbeamtin die junge Mexikanerin. Ihre Tochter ist völlig verstört. Sie weigerte sich zu reden und lässt ihr Kuscheltier keinen Moment aus den Augen. Was ist passiert? Warum fehlt dem Hund der Kopf?
Es ist nichts, Mrs. Kendall. Shania ist nur traurig, w-weil ihr Pedro kaputt gegangen ist. M-mehr nicht. Wirklich nicht, versuchte Maria Mondego die Geschehnisse im Waschraum zu überspielen. Es fiel ihr sichtlich schwer ihre Furcht zu verbergen, schwieg aber trotzdem hartnäckig.
Susan Kendall schüttelte verständnislos den Kopf. Fälle wie diesen kannte sie zur Genüge und ahnte was abgelaufen war. Irgendwer hatte Maria Mondego und ihre Tochter eingeschüchtert. Wie, wann und in welcher Form war ihr nicht bekannt, aber sie wusste, dass sie es bald herausfinden musste. Drohungen bedeuteten nichts Gutes und da auch noch ein Kind involviert war, war die Sache um so schlimmer.
Hören Sie Maria, versuchte Susan es in fürsorglichem Ton. Wenn Sie nicht mit mir reden wollen, dann reden Sie mit jemand anderen. Vergessen Sie nicht, es geht nicht alleine um Sie. Es geht auch um ihre Tochter. Vor allem um ihre Tochter.
Maria senkte die Augen und dachte einen Moment lang nach. Dann richtete sie den Blick auf und gab Susan leise zu verstehen. Mrs. Mann und Mrs. Gibbs, ich möchte mit einen von beiden reden.
Die Vollzugsbeamtin seufzte innerlich. Sie hatte geahnte, dass die junge Frau das sagen würde, und schon im Vorfeld versucht Hollis zu erreichen. Doch das Handy ihrer ehemaligen Army Kollegin war ausgestellt. Das geht leider nicht. Agent Gibbs und Lt. Col. Mann sind zur Zeit nicht in Washington. Gibt es sonst jemanden mit dem Sie reden würden? Ihren Anwalt zum Beispiel?
Maria schüttelte den Kopf. Sie war sichtlich durcheinander und versuchte krampfhaft die richtige Entscheidung zu treffen. E-es gäbe noch jemanden. Einen Mann vom FBI. Fortell oder so ähnlich. Agent Gibbs sagte, dass er ihn kennt und er hätte eine Tochter in Shanias Alter.
Interessiert horchte Susan auf. Die Frau vor ihr verlangte freiwillig nach einem FBI Agenten und dann auch noch nach Fornell persönlich? Toll. Susan war begeistert. Nicht das sie etwas gegen das FBI hatte, ganz im Gegenteil. Bisher war sie mit ermittelnden Bundesagent immer gut ausgekommen, aber bei diesem Fornell wusste sie nie woran sie war. Der Mann war weiß Gott nicht ihr Typ, aber trotzdem fühlte sie sich unsicher in seiner Nähe. Vor allem als sie bei ihrer letzten Begegnung hier im Gefängnis bemerkt hatte, dass er ihr heimlich auf den Hintern gestarrt hatte. Ein Mann in seiner Position, starrte einem Bein amputierten Krüppel wie ihr auf den Hintern. Das konnte gar nicht sein. Vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet.
Re: Ein Wintermärchen
Gibbs
Hollis Wärme gab dem Chefermittler Ruhe und Kraft, und er schlief tief und traumlos bis zum nächsten Morgen. Er erwachte erst, als ein Sonnenstrahl sich zwischen den Vorhängen durchschob und seine Nase kitzelte. Hollis schlief noch immer zusammengerollt in seinem Arm. Sie hatte die Hände fest auf ihren Bauch gepresst, und Jethro schob seine Hand sanft über ihre und massierte sie so lange, bis sie nachgab.
Er fragte sich, was in ihrer Vergangenheit geschehen sein mochte, dass sie keine Kinder bekommen konnte und unter welchen Umständen sie ihr Ungeborenes verloren hatte. Sie hatte das Thema bisher geschickt umgangen, doch es war offensichtlich, dass sie einen tiefen Schmerz mit sich herumtrug. Sie hatte auch nie darüber gesprochen, wer für diesen Schmerz verantwortlich war - doch Jethro konnte nur hoffen, das der Betreffende entweder tot oder verdammt unauffindbar war. Und dass er ihm nie begegnen würde, denn dann würde er für nicht und niemanden garantieren.
Leise stand der Agent auf und humpelte in die Küche. Er war den Rollstuhl bereits jetzt leid und vefluchte Ethan einmal mehr für seine Tat. Dunkel erinnerte er sich an die Worte von Dr. Brentwood, dass er sich gegen Mittag zur Kontrolle im Krankenhaus einfinden sollte. Vielleicht würde der Kerl ja doch Erbarmen mit ihm haben und ihn wieder auf die Krücken umsteigen lassen. Allerdings ahnte Jethro, dass das wohl nur ein frommer Wunsch bleiben würde. Er setzte einen kräftigen Kaffee auf, der auch Tote zum Leben erweckt hätte, und humpelte erneut ins Wohnzimmer. Vom Fenster aus hatte man einen guten Blick auf das Camp, und JEthro versank erneut in Erinnerungen. Doch diesmal galten seine Gedanken nicht seiner Familie und den Ermittlungen. Er erinnerte sich an die Zeit, die er im Camp verbracht hatte, an die militärischen Übungen und die Abende mit den Kameraden. An seinen Vorgesetzten, den er manches Mal verflucht hatte. Und daran, dass auch seine Entscheidung, zu den Marines zu gehen, in diesem Camp auf eine harte Probe gestellt worden war.
Re: Ein Wintermärchen
Hollis
Eine unruhige Nacht lag hinter ihr und Hollis brauchte einen Moment um zu sich zu finden. Die letzten Tage waren emotional anstrengend und die Nächte kurz gewesen. Tiefe Ränder unter ihren Augen deuteten daraufhin, dass sie alles andere als ausgeruht war. Erschöpft schwang die blonde Frau die Beine aus dem Bett und hoffte, dass Gibbs den vergangenen Abend verdaut hatte. Nach einem kurzen Blick auf ihre Narbe warf sich ein Shirt über und griff instinktiv nach ihrem Handy. Obwohl sie es nach ihrem letzten Telefonat mit Ducky ausgeschaltete hatte, beschlich sie ein merkwürdiges Gefühl. Wie erwartet blinkten vier entgangene Anrufe ihres Bruders, zwei von Ducky und zwei weitere einer unbekannten Nummer aus Washington im Display. Sie wählte Rückruf und landete zu ihrem Erstaunen auf der Mailbox von Susan Kendall. Hollis hinterließ eine kurze Nachricht und hoffte Susan würde zurück rufen. Dann folgte sie barfüßig dem einladenden Geruch von frischem Kaffee, schenkte in der Küche zwei Tassen voll und gesellte sich zu Gibbs.
Guten Morgen, Schatz, begrüßte sie ihren Freund mit einem sanften Kuss in den Nacken und stellte den Kaffee vor ihm ab. Mit ihrer Tasse spielend lehnte sie sich gedankenverloren an einen Schrank. Ich hatte einen entgangenen Anruf von Susan auf meinem Handy, konnte sie bisher aber nicht erreichen. Jethro, ich habe ein ungutes Gefühl, gestand sie dem Silberfuchs und vergaß vor lauter Grübeln Duckys Anrufe zu erwähnen. Ihre Sorge um Shania und ihre Mutter war zwar vielleicht unbegründet, lenkte sie aber gleichzeitig von der Tragödie um Gibbs´ Familie ab.
Re: Ein Wintermärchen
Tobias Fornell
Weil er wegen eines Gesprächs mit dem stellvertretenden Direktor des FBI am frühen Morgen auf sein Frühstück hatte verzichten müssen, zog er nun, wo gerade nichts zu tun war, die Mittagspause ein Stückchen vor. Es war kurz nach 12 und er hatte sich gerade ein Brötchen in der Kantine des Hooverbuildings geschmiert, als sein Handy klingelte. Das Display zeigte eine unbekannte Nummer und für einen Augenblick überlegte er, den Anruf einfach zu ignorieren. Diverse Kollegen, die vielleicht gerade nicht im Büro waren, und Gibbs konnten es schonmal nicht sein; deren Nummern kannte das Mobiltelefon. Da aber der unbekannte Anrufer nicht aufgab und nach einer halben Minute immernoch klingeln ließ, warf er sein Marmeladenbrötchen auf den Teller zurück und angelte nach dem Telefon.
"Fornell?", schnauzte er in den Hörer hinein und hörte - nichts! Der unfreundliche Gruß hatte dem Gegenüber offenbar die Sprache verschlagen. Oder auch nicht. Als Tobias gerade wieder auflegen wollte, räusperte sich am anderen Ende der Leitung jemand. "Susan Kendall hier", meldete sich eine weibliche Stimme, die er im ersten Augenblick nirgens einordnen konnte. "Ich rufe aus dem Staatsgefängnis von Virginia aus an", ergänzte Susan und nun fiel Fornell wieder die dunkelhaarige Frau ein, die ihm bei seinen früheren Besuchen dort schon immer mal aufgefallen war. 'Nicht unattraktiv' war ihm damals wie heute anerkennend durch den Kopf geschossen. "Lt. Kendall, richtig?", hakte Tobias nach und erntete überraschtes Schweigen.
Susan sah am anderen Ende der Leitung verdutzt den Telefonhörer an. Sie hätte nun nicht gedacht, dass er sich an ihren Rang erinnerte. "Richtig", erwiderte sie. "Was kann ich für Sie tun?", hallte es aus dem Hörer. Mittlerweile klang der FBI-Agent nicht mehr so brummig wie am Anfang. "Ich rufe an wegen Maria Mondego."
Bei den Worten wurde Tobias noch ein Stückchen aufmerksamer. Weshalb rief jemand wegen der Scheinangeklagten an, wenn nicht, weil es Probleme gab? "Was ist mit Frau Mondego?", fragte er, etwas ungeduldig. "Ihre Tochter ist total verstört", erwiderte sie leise, nachdem sie sich nochmal umgesehen hatte, ob wirklich niemand in der Zwischenzeit unbemerkt das Zimmer betreten hatte. Wenn soetwas passierte, konnte man nicht vorsichtig genug sein. "Der Kopf ihres Kuscheltiers ist abgerissen und Ms. Mondego weigert sich, mit jemand anderem zu sprechen als mit Ihnen!" Tobias wurde sofort klar, dass Gibbs seinen Namen irgendwie erwähnt haben musste. Anders konnte er sich diese Weigerung nicht erklären. Doch diese Ereignisse kamen unvorhergesehen und waren überhaupt nicht gut. Im schlimmsten Fall wurde es Maria zu Last gelegt, dass ihre Tochter so verstört war. Im zweitsclimmsten Fall mussten sie Maria in ein anderes Gefängnis verlegen - und wieder von ihrer Tochter trennen.
Beides war wenig wünschenswert. Es konnte jedenfalls nicht warten. "Ich bin unterwegs!", verabschiedete er sich knapp. Er legte auf, warf sein Marmeladenbrötchen in den Müll, griff nach seiner Jacke, Waffe und Ausweis und stürmte dann aus dem Gebäude. Je früher er da war, desto besser.
Re: Ein Wintermärchen
Gibbs
"Du hast Recht, das klingt nicht gut," antwortete der Silberfuchs geistesabwesend. Sein Instinkt riet ihm ebenfalls, umgehend nach D.C. zurückzukehren, aber im Moment hieß es erst einmal Susans Anruf und den Kontrolltermin abzuwarten. Außerdem hatte Jethro nicht die geringste Absicht, sich in seiner Alltagsumgebung im Rollstuhl blicken zu lassen - schon gar nicht vor DiNozzo oder Abby. Folglich sollte er entweder so lange hier bleiben, bis er wieder alleine laufen durfte, oder gegen Dr. Brentwoods Anweisungen verstoßen. Das an sich würde zwar kein Problem sein, aber Jethro ahnte, welches Gewitter auf ihn zukam, falls Ducky davon Wind bekam. Nun, erst mal galt es abzuwarten, was der Termin ergeben würde.
Jethro zog Hollis fest an sich und genoss ihre Nähe. Der gestrige Abend steckte ihm noch tief in den Knochen, doch es ging ihm überraschend gut. Für den Nachmittag plante er einen Besuch am Strand, an dem die Tragödie ihren Anfange genommen hatte - PFC Orales war ganz in der Nähe des Camps erschossen worden, und der Agent erinnerte sich, dass Shannon ihm oft geschrieben hatte, dass sie mit Kelly abends zwischen den Felsen gesessen hatte. Und vielleicht hatte Hollis auch noch den einen oder anderen Plan hier in Kalifornien.
Re: Ein Wintermärchen
Hollis
Hollis schloss die Augen in Gibbs´ Umarmung und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Das fiel ihr in seiner unmittelbaren Nähe jedoch immer besonders schwer. Ihr Mund streifte zärtlich seinen Hals und dann schob sie ihn sacht von sich. Ehrlich gesagt, würde ich am liebsten sofort nach Washington zurück fliegen, aber ich weiß das geht nicht, stellte sie mit einem Blick auf seinen Zustand fest. Vielleicht ist auch gar nichts und Susan will einfach Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist, versuchte Hollis sich selber zu beruhigen und lehnte den Kopf gegen Gibbs´ Stirn. Entschuldige, seid wir hier sind bin ich völlig durch den Wind und weiß eigentlich gar nicht was ich will. Ich möchte hier bei dir sein, aber auch Shania wiedersehen, das Grab von Colin besuchen und muss eine Entscheidung treffen, ob und wann ich nach Hawaii zurück will.
Die beiden letzten Gedanken hatte sie eigentlich gar nicht laut aussprechen wollen und sie hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Doch nun war es einmal gesagt und ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als es zu erklären. Trotzdem schwieg sie dazu und überging das Thema ganz gekonnt. Uhm... Ducky hat mich übrigens auch versucht zu erreichen. Ich habe ihn angerufen, als man dich ins Krankenhaus gebracht hatte und ich habe..., schloss sie den Satz nach einer kurzen Pause, in der Hoffnung Jethro würde sie verstehen. ... ihm erzählt was passiert ist.
Sie sah ihren Freund verlegen an, da sie ihm davon bisher nichts davon erzählt hatte. Wie hätte sie ihm auch erklären sollen, dass sie dem alten Pathologen vor lauter Sorge ihr Herz ausgeschüttet und sich seither noch nicht wieder bei ihm gemeldet hatte? Wie sollte sie ihm erklären, dass sie es durch die Aufregung der letzten Tage und Stunden total vergessen hatte und im Grunde inständig hoffte, dass dieses Gefühlswirrwarr bald vorbei war?
Re: Ein Wintermärchen
Gibbs
Jethro versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Natürlich war ihm klar, dass Hollis nicht auf der Stelle zurück nach D.C. kommen würde, aber dennoch tat es weh. Dass sie Ducky Bescheid gesagt hatte, wunderte ihn nicht. Er konnte ihr wohl kaum übelnehmen, dass sie Hilfe brauchte, nachdem er einfach verschwunden war. Gleichzeitig wurde ihm allerdings klar, dass er nun ein Problem bekommen würde, sollte Dr. Brentwood ihn weiterhin in den Rollstuhl verbannen. Ducky hatte sehr viel Geduld mit seinem Freund, aber Jethro wusste in der Regel sehr genau, wann der Bogen überspannt war. Und sein Verstand meldete sich in dieser Frage ebenfalls zu Wort und erinnerte daran, dass es tatsächlich nicht gerade gesund war, mit gebrochenen Fingern eine Krücke halten zu wollen, nur weil man zu stolz war, vor seinen Untergebenen Schwäche zu zeigen.
Seufzend zog der Agent Hollis etwas fester an sich. "Ich glaube dir gern, dass die letzten Tage etwas viel für dich waren," flüsterte er und kämpfte um ein Lächeln. "Und ich glaube, etwas Ruhe wird uns beiden ganz gut tun. Was hältst du davon, einen kleinen Spaziergang zu unternehmen? Wenn du dich am Camp nordwärts hälstst, stößt du kurz hinter dem Ende des Zauns auf einen kleinen Sandpfad, nicht sehr benutzt. Er führt zu den Klippen etwas oberhalb vom Strand, und von dort aus noch ein Stück weiter. Es ist ein wunderbarer Ort, wenn man... ungestört sein möchte." Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ins Krankenhaus kann ich auch allein fahren, wenn du ein bisschen Zeit zum Nachdenken gebrauchen kannst. Ich verspreche sogar, ein Taxi zu nehmen und nicht selber zu fahren - du musst dir also keine Sorgen machen. Oh, und wenn Ducky anruft... bestell ihm schöne Grüße."
Seine Hand wanderte über ihren Rücken. "Was Susan angeht, habe ich ebenfalls kein gutes Gefühl - halt mich auf dem Laufenden, was sich da abspielt. Ich werde nachher auch Tobias noch mal anrufen, sicher ist sicher." Die Hände wanderten tiefer und umfassten ihren Hintern mit festem Griff. "Ich bin noch nicht soweit, dass ich zurückkehren kann, Holly. Aber ich werde zurückgehen. Ich weiß... ich weiß nicht, wie gut es dir in Hawaii mittlerweile gefällt," gab er schließlich zu. Seine Hände hielten sie weiter umfasst und sorgten dafür, dass sie nicht ausweichen konnte. "Und ich werde dich gerne dorthin begleiten, für einen Urlaub oder zu Besuch. Aber... aber ich kann D.C. nicht verlassen, Holly. Ich kann es einfach nicht. Mein Team... ich... wir... wir haben so viel zusammen durchgemacht, und sie brauchen mich - ebenso wie ich sie. Ich kann D.C. nicht verlassen Holly." Mittlerweile hatte er sich regelrecht in Rage geredet. "Und wenn du spazieren gehst... denk eine Weile nach. Über dich, über mich... und über das Vertrauen, dass du in mich hast. Und über das Vertrauen, dass du in dich selbst hast. Darüber, wie wir in Zukunft miteinander umgehen wollen." Er blickte ihr fest in die Augen und machte ihr allein mit diesem Blick klar, dass er von der Existenz ihrer Geheimnisse wusste.
Mit einem Ruck wandte er sich ab. "Ich sollte mich fertigmachen," erklärte er und hüpfte rasch ins Badezimmer, um sich seiner Morgentoilette zu widmen.
Re: Ein Wintermärchen
Hollis
Etwas verwirrt sah Hollis dem Silberfuchs schweigend nach bevor sie sich fertig machte. Natürlich erwartete sie nicht von Gibbs, dass er mit ihr nach Hawaii ging. Das würde sie nie von ihm verlangen, dafür kannte sie ihn gut genug, um zu wissen wie sehr er an D.C. und seinem Team hin. Doch darum ging es nicht. Es ging um sie und die Frage, ob es die richtige Entscheidung war, all das Aufgebaute hinter sich zu lassen und wieder neu anzufangen. Darum, mit ihm komplett neu anzufangen und ebenfalls den Mut zu finden, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Lauter Fragen, auf die sie auch auf einem ausgedehnten Spaziergang keine sofortige Antwort finden würde.
Mit dem Autoschlüssel und einer zweiten Tasse Kaffee vor sich, wartete Hollis geduldig auf ihren Freund. Da sich in der Zwischenzeit weder Susan noch Ducky gemeldet hatten, hatte sie sich wieder etwas beruhigt und konzentrierte sich auf das Wesentliche. Ich habe dir ein Taxi bestellt, damit du erst gar nicht auf dumme Gedanken kommst, gab sie Gibbs bei seinem Erscheinen sogleich zu verstehen ein und schlang zärtlich die Arme um seine Taille. Ich habe das mit Hawaii vorhin übrigens nicht so gemeint. Du weißt genau, ich würde nie von dir verlangen mit mir dort zu leben, aber ich habe Verpflichtungen und weiß im Moment ehrlich gesagt nicht... Sie seufzte leise und gestand ihm. Nick hat mich vor ein paar Tagen angerufen und wollte wissen, ab wann man an der Uni mit mir rechnen kann. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihm bald Bescheid gebe werde.
Nachdenklich schob sie sich eine lose Haarsträhne hinter das Ohr und gab Gibbs einen Kuss. Versteh mich bitte nicht falsch, ich liebe dich und ich will dich nicht wieder verlieren, aber... Sie holte tief Luft und sah ihn erst an. Das ist eine Entscheidung, die ich nicht einfach zwischendurch und schon gar nicht allein treffen kann. Die ich auch nicht allein treffen will. Wenn ich mich entscheiden sollte, dort alle Zelte abzubrechen, dann ist das eine Entscheidung, die uns beide betrifft."
Von all den anderen unausgesprochenen Dingen, von denen sie ihm nichts erzählt hatte, aber ahnte, dass er sie bald zur Sprache bringen würde, fing sie erst gar nicht an. Darüber wollte und konnte sie in diesem Moment nicht sprechen. In der Beziehung war sie nicht wie er. Es lag nicht in ihrer Natur auf brachiale Art reinen Tisch zu machen. Für sie gab es nur völliges Vergessen oder akzeptieren. Zwei Möglichkeiten, die allerdings mittlerweile beide nicht mehr funktionierten.