KINOFILM ausschließlich über ev. Erziehungsanstalt FREISTATT
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. By Tulpentopf on 30 Juni 2015 FILM "FREISTATT" mit Louis Hofmann Sei artig, sonst kommst du ins Heim. Das war für mich ein Spruch, der bedeutete, von meinen Eltern getrennt zu sein. Das allein ist ja für ein Kind schon schlimm. Was sich in einem Heim wie Freistatt abspielte, hat mit dieser simplen Trennung von der Familie allerdings wenig zu tun. Hier sind elende Schufterei und brutale Willkür der Erzieher an der Tagesordnung. Wer dieses Heim überlebt hat, ist ein anderer Mensch: Gebrochen und doch zu allem fähig. Zum Inhalt: Wolfgang (Louis Hofman) ist 14 und damit im besten Teenager-Alter. Während seine Mutter ihn ein wenig zu sehr liebt, ist er seinem Stiefvater mehr als nur ein Dorn im Auge. Also wird er kurzerhand nach Freistatt abgeschoben. In der diakonischen Anstalt für schwer Erziehbare sollen ihm Zucht und Ordnung beigebracht werden. Ordnung herrscht in Freistatt allerdings. Die wird jedoch mit jeder Menge Züchtigung durchgesetzt. Hausvater Brockmann (Alexander Held) begrüßt jeden Neuankömmling noch recht freundlich, zeigt aber bald, dass ihm selbst seine Helfer zu lasch in der Erziehung der Jungs sind. Die treiben die aufmüpfigen Jugendlichen jeden Tag zum Torfstechen ins Hochmoor, wo sie bis zum Umfallen arbeiten. Wenn das Tempo nicht passt, jemand das falsch Lied anstimmt oder die die Erzieher schlechte Laune haben, leiden alle darunter. Halbe Ration zum Abendessen, Prügel mit der Reitpeitsche, Demütigungen vor den anderen Jungs sind an der Tagesordnung. Und wer die Suppe eingebrockt hat bekommt zudem noch ordentlich Klassenkeile. Besonders Bernd (Enno Trebs) tut sich hier als Wächter und Rächer der Insassen hervor. Wolfgang ist jedoch zu rebellisch, um sich unterzuordnen. Er will sich nicht ausbeuten lassen, widerspricht und fordert bessere Behandlung, verteidigt Schwächere gegen Willkür und Klassenkeile. Er versucht mehrfach, aus der Anstalt zu entkommen, wird aber entweder vom Moor aufgehalten oder spätestens Zuhause wieder eingesammelt. Für jeden Ausbruchsversuch wird er härter bestraft als zuvor. Als er schließlich wieder nach Hause darf, ist er nicht mehr der alte. Zwar kann ihm sein Stiefvater nicht mehr das Leben schwer machen, aber er passt auch so nicht mehr in dieses Familienidyll. Schließlich hat seine Mutter ihn im Stich gelassen, seinen kleinen Bruder kennt er kaum und auch mit seinen alten Freunden kann er nichts mehr anfangen. Aus dem übermütigen Jungen ist eine gebrochener junger Mann geworden, der schnell zuschlägt und nicht mehr gegen die Willkür der Obrigkeiten kämpft. Meine Meinung: "FREISTATT" ist von der ersten Minute an beklemmend. Man sieht einen leicht aufmüpfigen Jugendlichen, der von seinem Stiefvater verdrängt wird und sich dagegen mit den Mitteln eines 14jährigen wehrt. In der BRD der 60er Jahre hat er gegen einen Erwachsenen jedoch keine Chance. Unwillige Jungs landen da schnell in Erziehungsanstalten, die wenig mit Erziehung und dafür umso mehr mit Arbeitsanstalten zu tun haben. Die Anstalt Freistatt gibt es wirklich. Sie galt in den 60er Jahren als eine der härtesten Erziehungsanstalten und als Endstation für Jugendliche mit fragwürdigen Heimkarrieren. Die Jugendlichen singen auf dem Weg zur Arbeit nicht umsonst das Lied von den Moorsoldaten, denn sie ziehen bei Wind und Wetter ins Moor, um dort Torf zu stechen. Von schulischer oder beruflicher Ausbildung keine Spur. Es ist die pure Ausbeutung der Arbeitskraft. Erziehung bedeutet in diesen Heimen, Ungehorsam mit der Peitsche und Schikanen auszutreiben. Selbst Gewalttaten unter den Jugendlichen bleiben weitestgehend ungeahndet und werden auch nur im Notfall verhindert. Es ist also kein Wunder, dass Wolfgang bald beim leisesten Geräusch zusammenzuckt, beim Selbstmord seines besten Freundes in der Anstalt kaum eine Regung zeigt und sich nach unsagbaren Qualen schließlich voll und ganz unterordnet. Die Auswahl der Schauspieler ist in "FREISTATT" übrigens wirklich gelungen. Louis Hofmann als Wolfgang spielt emotional auf hohem Niveau und lässt den Zuschauer an seinem Leidensweg, seinen Träumen und seiner Entwicklung zum abgestumpften, hoffnungslosen Einzelgänger teilhaben. Alexander Held als Hausvater Brockmann gibt seiner Figur eine undurchschaubaren und so vielschichtigen Charakter, dass ich bis zum Schluss nicht einordnen konnte, wie böse der Hausherr denn nun wirklich ist. Die beiden Gruppenleiter Bruder Wilde ( Stephan Grossmann) und Bruder Krapp (Max Riemelt) sind überzeugend böse. Wobei Riemelt den nachsichtigeren Part übernimmt, während Grossmann als Bruder Wilde seine Launen und Aggressionen ungefiltert an den Jugendlichen auslässt. Einzig die wenigen Damen in der Besetzung und der Großteil derInsassen hätten etwas mehr aus ihren Rollen machen können. Auffallend gut auch die musikalische Untermalung der Handlung. Fernab von Drama und Schmalz, dabei aber nah am Geschehen. Und das nicht nur bei der Musik aus dem Jahrzehnt, sondern auch zum transportieren von Stimmungen. Hier spielen Kamera und Ton perfekt zusammen, denn die Bilder bzw. Kameraeinstellungen sind nicht weniger eindrucksvoll. Soweit so gut, aber es gibt doch ein paar Abstriche. So realistisch die Handlung sein mag, so sehr fehlt ihr doch beim großen Handlungsbogen das gewisse Etwas. Vielleicht ist es vermessen, bei einer wahren Geschichte eben so einen Bogen zu erwarten. Trotzdem fehlt der Geschichte irgendwo die erkennbare Spitze. Stattdessen gibt es mehrere kleine Spitzen, die dann aber wieder abflachen und dazwischen Elend auf gleichbleibend beklemmendem Niveau. Meine Meinung: "FREISTATT" ist nichts für schwache Nerven. Die Zustände in dieser Erziehungsanstalt sind so brutal, dass ich in meinem Kinosessel immer kleiner wurde. Wolfgangs Hilflosigkeit und die Willkür der Erzieher sind von Anfang an beklemmend. Das liegt in erster Linie an der schauspielerischen Leistung der Akteure, die ihre Rollen glaubwürdig rüberbringen. Allerdings fehlte mir trotz der hohen Qualität bei all den kleinen Handlungsspitzen doch der klare Handlungsbogen. Deshalb konnte mich der Film nicht vollends überzeugen. . |
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